Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Oper
Oper[italien.] die, ein mit musikal. Mitteln gestaltetes Bühnenstück, in dem Dichtung, Gesangs- und Instrumentalmusik, Schauspiel- und auch Tanzkunst zusammenwirken. Man unterscheidet ernste O. als musikal. Tragödie (italien. Opera seria, frz. Grand Opéra) und komische O. (Opera buffa, Opéra comique), deren volkstümlichere Abart das Singspiel ist, und die Operette. Formal ist die O. bis in die 2. Hälfte des 19. Jh. Nummern-O., d. h. eine Aneinanderreihung in sich geschlossener Stücke (die instrumentale Ouvertüre, Arien, Duette, Terzette, Chöre, Instrumentalsätze). Erst das Musikdrama von R. Wagner stellt ein durchkomponiertes sinfon. Ganzes dar.Geschichte: Aus dem Streben, die vermeintl. Form und den Geist der grch. Tragödie wieder zu erwecken, entstand Ende des 16. Jh. in Florenz die O., indem man auch Monolog und Dialog der Schauspiele vertonte (»Dafne« 1598 von I. Peri), nicht nur wie bisher in den Hirtenstücken die Zwischenchöre. Die erste bed. O. war C. Monteverdis »Orfeo« (1607). 1637 wurde in Venedig das erste Opernhaus eröffnet. Charakteristisch für die venezian. Barock-O. sind v. a. Belcanto, Da-capo-Arie und das vom Basso continuo begleitete Rezitativ. Von Italien wirkte die O. nach Frankreich (J.-B. Lully) und Dtl., bes. nach Wien und Dresden. Die erste erhaltene O. mit dt. Text ist S. T. Stadens »Seelewig« (1644). Seit etwa 1730 wurde die deutschsprachige O. von italien. und frz. Werken verdrängt.
Um 1700 löste die Neapolitan. Schule die venezian. O. ab (A. Scarlatti; Opera seria). Für die Opera buffa wurde v. a. G. B. Pergolesis »La serva padrona« (1733) bedeutsam. Die zur neapolitan. Richtung gehörenden O. von G. F.Händel wirken trotz pathet. Ausdrucks eher als Konzerte auf der Bühne. Gleichlaufend mit der Entstehung der Opera buffa führte in England die Reaktion gegen das Pathos der Opera seria zur volkstüml. Parodie (Ballad-Opera). In Frankreich hatte J.-P. Rameau den O.-Typ Lullys weiterentwickelt; daneben entstand die Opéra comique. C. W. Gluck (»Orfeo ed Euridice«, 1762) erneuerte die O. durchgreifend, indem er die Musik den dramat. Erfordernissen unterordnete. Dem Einfluss Glucks setzte man die Opera buffa entgegen (N. Piccinni, B. Galuppi; G. Paisiello, D. Cimarosa u. a.). In Dtl. regte die Opera buffa das dt. Singspiel an (z. B J. A. Hiller, G. Benda, K. Ditters von Dittersdorf).
Alle Elemente der Zeit zusammenfassend, schuf W. A. Mozart ein autonomes musikal. Theater, zunächst noch in italien. Sprache. Seine »Zauberflöte« (1791) war die erste vorbildhafte dt. Oper. In L. van Beethovens »Fidelio« verbindet sich die Musik mit ideellen Elementen. In Frankreich führte der Weg zur trag., meist histor. »Großen O.« (Grand Opéra), die auf reiche Ausstattung und Erzielung dramat. Effekte angelegt war (D. F. E. Auber, J. F. F. E. Halévy, G. Meyerbeer). Das erste Meisterwerk der dt. romant. O. ist C. M. von Webers »Freischütz« (1821). Die bürgerliche kom. O. wurde durch A. Lortzing, O. Nicolai und F. von Flotow vertreten. Die sinfon. O. ist R. Wagners Schöpfung und erreicht ihren Höhepunkt v. a. in »Tristan und Isolde« (1865) und in der Tetralogie »Der Ring des Nibelungen« (vollendet 1876).
Bed. italien. O.-Komponisten in der 1. Hälfte des 19. Jh. waren G. Rossini, V. Bellini und G. Donizetti. Die frz. Opéra comique wurde von Auber, F. A. Boieldieu und A. Adam weiter gepflegt; mit gesellschaftskrit. Akzenten versehen, setzte sie sich während des zweiten Kaiserreichs in den Operetten J. Offenbachs fort. Die dramat. O. des Italieners G. Verdi, mit ihrer Realistik in die Zukunft weisend, wurde zum Inbegriff italien. Opernschaffens. Um 1875 wirkten sich die neuen Kräfte auch in anderen Ländern aus. G. Bizets »Carmen« (1875) blieb allerdings in Frankreich eine Ausnahme. Zw. Grand Opéra und Opéra comique in Frankreich steht das Drame lyrique, die lyrisch-dramat. Oper (C. Gounod, A. Thomas, J. Massenet, C. Saint-Saëns). M. Mussorgski gab mit »Boris Godunow« (1874) der nationalruss. Schule wichtige Anregungen, die A. Borodin, P. I. Tschaikowsky und N. Rimski-Korsakow mit anderen Traditionen verknüpften. Mit Werken nat. Eigenart traten die Tschechen B. Smetana (»Die verkaufte Braut«, 1866), A. Dvořák (»Rusalka«, 1901) und L. Janáček (»Jenufa«, 1904) hervor. Die italien. O. erlebte um die Jh.wende mit G. Puccini und den Veristen R. Leoncavallo und P. Mascagni eine späte Blüte. In Dtl. wurde der Stil Wagners in den Werken von H. Pfitzner und bes. von R. Strauss weitergeführt.Die Wendung zur Neuen Musik bahnte sich in der Zeit um den Ersten Weltkrieg in den O. von A. von Zemlinsky und F. Schreker sowie in den frühen Bühnenwerken A. Schönbergs an. A. Berg nahm die Traditionen des Musikdramas, der Nummern-O. und der absoluten Musik auf und schuf unter Verwendung der Zwölftontechnik wegweisende Werke (»Wozzeck«, 1925; »Lulu«, 1937, vollendet von F. Cerha, 1979). An Berg knüpften E. Krenek, L. Dallapiccola und B. A. Zimmermann an. Etwa gleichzeitig entstand im Zug der Antiromantik ein historisierender O.-Typ (P. Hindemith, I. Strawinsky); daneben gab es die stofflich aktuelle Zeit-O. (Hindemith, Krenek) und die zeitkrit. O., z. B. »Die Dreigroschenoper« von K. Weill (1928) nach einem Text von B. Brecht und das von Brecht geprägte Lehrstück (Hindemith, H. Eisler) sowie die Schul-O. (Weill, Hindemith, P. Dessau). Außerdem wurden Versuche unternommen, das O.-Oratorium neu zu beleben (I. Strawinsky, A. Honegger, D. Milhaud), eine Einheit von Musik, Sprache und Bewegung erstrebte C. Orff.
In der Musik nach 1950 erfuhr die Tradition der sinfon. O. und der Kammer-O. eine Fortführung, z. B. in Werken von B. Britten, B. Blacher, W. Fortner, G. von Einem, R. Liebermann, H. W. Henze und G. Klebe. Neuen Aufschwung nahm auch die Literatur-O. (K. Penderecki, G. Ligeti, A. Reimann, W. Rihm, U. Zimmermann). Musikalisch oder dramaturgisch von der Tradition der O. sich abhebende Werke schufen M. Kagel, L. Nono, L. Berio, K. Stockhausen, O. Messiaen, J. Cage, P. Glass.
Literatur:
C. Dahlhaus Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters. O., Operette, Musical, Ballett, hg. v. u. a., 6 Bde. u. 1 Register-Bd. München u. a. 1986-97.
Csampai, A. u. Holland, A.: Opernführer. Hamburg 41995.
Leopold, S. u. Maschka, R.: Who's who in der O. Kassel 1997.
Renner, H.: Renners Führer durch O., Operette, Musical. Taschenbuchausg. Zürich 35.-39. Tsd. 1997. .
Fath, R.: Reclams Lexikon der Opernwelt, 6 Bde. Stuttgart 1998.
Illustrierte Geschichte der O. hg. v. R. Parker. A. d. Engl. Stuttgart 1998.
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