Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Nürnberger Prozesse
Nụ̈rnberger Prozẹsse,Gerichtsverfahren, die 1945-49 von einem Internat. Militärgerichtshof oder von amerikan. Militärgerichten in Nürnberg zur Ahndung von nat.-soz. Straftaten durchgeführt wurden. Auf der Grundlage der Moskauer Dreimächteerklärung vom 30. 10. 1943 und des Londoner Abkommens vom 8. 8. 1945 bildeten Frankreich, Großbritannien, die USA und die UdSSR einen Internat. Militärgerichtshof, vor dem am 18. 10. 1945 Anklage gegen 22 »Hauptkriegsverbrecher« erhoben wurde. Dieser Prozess (20. 11. 1945 bis 1. 10. 1946) endete mit 12 Todesurteilen gegen M. Bormann (in Abwesenheit), H. Frank, W. Frick, H. Göring, A. Jodl, E. Kaltenbrunner, W. Keitel, J. von Ribbentrop, A. Rosenberg, F. Sauckel, A. Seyß-Inquart, J. Streicher. Göring beging Selbstmord, die Übrigen wurden am 16. 10. 1946 gehängt. K. Dönitz, W. Funk, R. Heß, K. Freiherr von Neurath, E. Raeder, B. von Schirach, A. Speer erhielten Haftstrafen zw. 10 Jahren und lebenslänglich; H. Fritzsche, F. von Papen und H. Schacht wurden freigesprochen. Als verbrecher. Organisationen und Gruppen wurden SS, SD, Gestapo und Führerkorps der NSDAP eingestuft. 1946-49 fanden zwölf Nachfolgeprozesse vor amerikan. Militärgerichten statt, bei denen mit 177 Einzelpersonen jeweils bestimmte polit., militär. oder wirtsch. Führungsgruppen im Mittelpunkt der Anklage standen. Gegenstand der Verhandlungen waren u. a. medizin. Versuche an KZ-Häftlingen und Kriegsgefangenen, rechtswidrige Verfolgung von Juden und Gegnern des Nationalsozialismus durch hohe Justizbeamte, Verwaltung von Konzentrationslagern, Beschäftigung von ausländ. Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen in der Industrie, Geiselmorde, Mordtaten von SS-Einsatzgruppen. Von 24 Todesurteilen wurden zwölf vollstreckt, 35 Angeklagte wurden freigesprochen, alle verhängten Haftstrafen wurden bis 1956 aufgehoben. - Von den drei Verbrechenskomplexen, die in den N. P. verhandelt wurden, waren die Kriegsverbrechen (wie Mord und Misshandlung von Kriegsgefangenen und Zivilpersonen, Deportation der Zivilbevölkerung, Plünderung) vom geltenden Völkerrecht definiert, die Zulässigkeit ihrer Ahndung durch die Sieger stand außer Frage. Auch bei den Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die als völkerrechtl. Verbrechen definiert wurden, handelte es sich um schon immer strafbare Taten. Zweifelhaft war allerdings, ob nach dem bis 1945 geltenden Völkerrecht die dt. Angriffskriege als »Verbrechen gegen den Frieden« strafbar waren. (NS-Prozesse)
Literatur:
Jung, S.: Die Rechtsprobleme der N. P. Dargestellt am Verfahren gegen Friedrich Flick. Tübingen 1992.
Medizin ohne Menschlichkeit. Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses, hg. v. A. Mitscherlich u. F. Mielke. Neuausg. Frankfurt am Main 116.-117. Tsd. 1993.
Taylor, T.: Die N. P. Hintergründe, Analysen u. Erkenntnisse aus heutiger Sicht. A. d. Amerikan. München 21996.
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