Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Niederlande
Niederlande Fläche: 41 526 km2
Einwohner: (1998) 15,654 Mio.
Hauptstadt: Amsterdam
Regierungssitz: Den Haag
Verwaltungsgliederung: 12 Provinzen
Amtssprache: Niederländisch
Nationalfeiertag: 30. 4.
Währung: 1 Holländischer Gulden (hfl) = 100 Cent (c, ct)
Zeitzone: MEZ
(niederländ. Nederland, amtlich Koninkrijk der Nederlanden, dt. Königreich der N), Staat in Westeuropa, grenzt im W und N an die Nordsee, im O an Dtl., im S an Belgien. Zum Hoheitsgebiet der N. gehören die Niederländischen Antillen einschl. der Insel Aruba.
Staat und Recht: Nach der Verf. von 1815 (zuletzt 1983 revidiert) sind die N. eine konstitutionelle Erbmonarchie mit parlamentar. Reg.system. Staatsoberhaupt ist der Monarch. Er ist Inhaber legislativer und exekutiver Befugnisse sowie Präs. des in Gesetzesvorlagen beratenden Staatsrats (höchstens 28 von der Krone auf Lebenszeit berufene Mitgl.). Die Reg. unter Vorsitz des MinPräs. wird vom Monarchen ernannt und ist dem Parlament verantwortlich. Die Legislative liegt beim Zweikammerparlament (Generalstaaten), bestehend aus der 1. Kammer (75 von den Provinziallandtagen auf sechs Jahre gewählte Mitgl.) und der 2. Kammer (150 Abg., für vier Jahre direkt gewählt). Einflussreichste Parteien: Christl. Demokrat. Appell (CDA), Partei der Arbeit (PvdA), Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD), Demokraten '66 (D '66), Groen Links.
Landesnatur: In den N. setzt sich das Norddt. Tiefland fort. Die Küste ist von Dünen (bis 60 m Höhe) gesäumt, die im Bereich der Westfries. Inseln durch das Wattenmeer vom Festland getrennt sind. Die Küstenlänge beträgt rd. 800 km. Landeinwärts liegen eingedeichte See- und Flussmarschen (bis 6 m u. M.) und die flachwellige, sandig-moorige Geest, die 110 m Höhe erreicht. Nahezu die Hälfte des Landes liegt u. M. Im äußersten SO haben die N. Anteil an der Lössbörde und an der Mittelgebirgszone mit dem höchsten Punkt der N. (321 m ü. M.). Die Zuidersee wurde 1932 durch einen Damm abgeschlossen (IJsselmeer) und großenteils trockengelegt. Hauptflüsse sind der Rhein und die Maas, deren Mündungsgebiet in zahlr. Inseln aufgelöst ist und durch die Deltawerke geschützt wird. Das Klima ist gemäßigt maritim; Westwinde herrschen vor.
Bevölkerung: Sie besteht zum größten Teil aus Niederländern. Minderheiten bilden die seit 1949 eingewanderten Indonesier und indones. Mischlinge, ferner Einwanderer aus Surinam sowie Türken, Marokkaner, Deutsche u. a. In Städten und verstädterten Gemeinden leben rd. 88 % der Bevölkerung. Amsterdam, Rotterdam, Den Haag und Utrecht, die vier größten Städte, gehören zu dem sich rasch verdichtenden Ballungsraum Randstad Holland. Allg. Schulpflicht besteht vom 6. bis 18. Lebensjahr, die Schulen sind gegliedert in Primar- und Sekundarstufe. Es gibt 20 Univ., darunter drei techn., eine landwirtsch. und eine Wirtschaftshochschule, ferner Kunstakademien, Konservatorien sowie theolog. Hochschulen. - Etwa zwei Drittel der Bev. sind Christen (36 % Katholiken, 26,8 % Angehörige von reformierten Kirchen), 4,5 % sind Anhänger verschiedener anderer Religionsgemeinschaften.
Wirtschaft, Verkehr: Neben der traditionellen Landwirtschaft hat sich eine bed. Ind. entwickelt, geprägt durch den Ausbau der Hafenind.komplexe, Erdgas- (2. Stelle in Europa) und Erdölförderung (5. Stelle in Europa), Energiewirtschaft (überwiegend auf Erdgasbasis) sowie Entwicklung der verarbeitenden Ind. und des Dienstleistungssektors. Seit den 1980er-Jahren hat sich die Ind.struktur stark verändert; Werftind., Textilverarbeitung und Bekleidungsgewerbe haben an Bedeutung verloren; zu wichtigsten Zweigen wurden chem. Ind., Kunststoffverarbeitung, Gas- und Erdölindustrie. Zentrum von Erdölraffinerien und chem. Ind. ist der Rotterdamer Hafen. Große Bedeutung haben Nahrungsmittel- und Genussmittelind., Stahlproduktion, Metallverarbeitung, Kraftfahrzeug-, elektrotechn. und elektron. Industrie. Nordbrabant ist die wichtigste Ind.provinz; Eindhoven, Rotterdam, Amsterdam sind die wichtigsten Ind.städte. - Die Landwirtschaft besitzt hohe Produktivität und ist stark exportorientiert. Rd. 24 % der Landesfläche sind Ackerland, 29 % Wiesen und Weiden, 8 % Wald. Die Neulandgewinnung im IJsselmeer konnte den Rückgang der landwirtsch. Nutzfläche aufgrund des Raumbedarfs der Städte und Ind. nicht ausgleichen. Intensive Viehhaltung ist auf Friesland und die nördl. Landesteile konzentriert. Im O überwiegen Gemüseanbau und Blumenzucht; der Anbau unter Glas bzw. Folie hat stark zugenommen; Zuckerrüben, Weizen und Ölfrüchte v. a. im SW und NO. - Die Fischwirtschaft wird als Hochsee-, Küsten- und IJsselmeerfischerei betrieben. - Der Reiseverkehr ist eine wichtige Einnahmequelle (jährlich rd. 3 Mio. Auslandsgäste ). - Die Wirtschaft der N. ist bei positiver Handelsbilanz stark exportorientiert. Haupthandelspartner sind Dtl. u. a. EU-Länder, USA. - Das Verkehrsnetz ist gut ausgebaut. Das Eisenbahnnetz hat eine Länge von 2 757 km, davon sind 1 991 km elektrifiziert; das Straßennetz ist 105 817 km lang, davon 2 118 km Autobahnen. Große Bedeutung haben die Binnenwasserstraßen mit einer Gesamtlänge von 4 556 km. Wichtigste Seehäfen sind Rotterdam (nach dem Umschlag einer der größten Häfen der Erde) und Amsterdam. Wichtigster Zubringer ist die Rheinschifffahrt. Dem Transport von Erdgas, -öl und Erdölprodukten dient ein ausgedehntes Pipelinesystem (bis Italien). Internat. Flughäfen sind in Schiphol bei Amsterdam und Zestienhoven bei Rotterdam.
Geschichte: Im 1. Jh. v. Chr. unterwarfen die Römer die im Gebiet der heutigen N. lebenden german. Bataver (ansässig an der Rheinmündung) und die Friesen (nördlich davon). Während der Völkerwanderung siedelten sich die Franken im S an; in den O drangen die Sachsen vor, im N behaupteten sich die Friesen. Im 8. Jh. brachte Karl d. Gr. Friesen und Sachsen unter seine Herrschaft. Bei der Teilung des Fränk. Reiches (843, Vertrag von Verdun) kam fast ganz Flandern unter die Herrschaft des Westfrankenreiches, der übrige Raum um Maas, Schelde und Niederrhein fiel an das Reich Lothars I., 870/925 an das Ostfränk. Reich (später Hl. Röm. Reich), wo es Teil des Herzogtums Niederlothringen wurde. Im 10.-12. Jh. erlebten die Maaslande eine hohe wirtsch. Blüte. Früh bildeten sich relativ selbstständige Territorien: die Grafschaften Hennegau, Namur, Geldern, Holland und Seeland, die Herzogtümer Brabant und Limburg, die geistl. Herrschaften Lüttich, Utrecht und Cambrai.
Seit Philipp dem Kühnen von Burgund (Herzog seit 1363) wurden die N. in ein großburgund. Reich einbezogen. Die Loslösung vom Hl. Röm. Reich begann unter dem Burgunderherzog Philipp dem Guten, der Namur (1429), Brabant-Limburg (1430), Holland, Seeland und Hennegau (1433) erwarb. 1384 waren Flandern und das Artois an Burgund gekommen. Durch die Hochzeit der Tochter Karls des Kühnen, Maria von Burgund, mit dem späteren Kaiser Maximilian I. fiel 1477 das Gebiet der N. an das Haus Österreich, das die Selbstständigkeit der neu gewonnenen Territorien gegenüber dem Reich stärkte. Dem habsburg. Besitz fügte Karl V. 1524 Friesland, 1528 Utrecht und Overijssel, 1536 Groningen und Drente hinzu, 1543 auch Geldern. 1512/48 wurden die meisten Provinzen zum Burgund. Kreis zusammengefasst. Die einzelnen Territorien, die mit Ausnahme Brabants unter einem Statthalter standen und ihre polit. Gremien, z. B. Ständeversammlungen (»Staaten«), bewahrten, wurden von dem Generalstatthalter in Brüssel zentral verwaltet. 1555 übertrug Karl V. seinem Sohn Philipp II. von Spanien die Herrschaft über die Niederlande.
Die unter diesem einsetzende religiöse Repression gegen den Kalvinismus und die Missachtung ständ. Freiheiten führten zum Aufstand von Adel und Städten. Philipp II. schickte 1567 Herzog Alba mit einem Heer in die N., der die Unruhen hart unterdrückte (u. a. Hinrichtung Egmonts und Hoorns). 1568 erhoben sich die Niederländer gegen die Willkür Albas (Beginn des so genannten Achtzigjährigen Krieges). Wilhelm I., der Schweiger, übernahm 1572 die Führung des Aufstandes, der militärisch anfänglich von den Geusen getragen wurde. In der Genter Pazifikation schlossen sich 1576 alle niederländ. Territorien dem Aufstand an. Durch die religiöse Unduldsamkeit der Geusen wurde die geschlossene Front gegen Spanien mit der kath. Union von Arras (6. 1. 1579) aber wieder gesprengt. Die Utrechter Union (23. 1. 1579) führte daher nur zur Vereinigung der sieben nördl. Provinzen (Holland, Seeland, Utrecht, Geldern, Overijssel, Friesland, Groningen); diese sagten sich 1581 ganz von Spanien und dem Haus Habsburg los und bildeten die »Republik der Vereinigten N.« (nach der Vertretung der Provinzen auch »Generalstaaten« genannt). Die Südl. N. wurden von Alexander Farnese 1585 einschl. Antwerpens erneut unterworfen (»Span. N.«). Nach der Ermordung Wilhelms von Oranien (1584) behaupteten die Nördl. N. im Waffenstillstand von 1609-21 ihre Unabhängigkeit, die im Westfäl. Frieden 1648 formal anerkannt wurde. Dies bedeutete zugleich die Loslösung der N. vom Dt. Reich. Die N. erhielten die nördlichsten Teile von Flandern, Brabant und Limburg (Maastricht), die mit ihrer kath. Bev. als abhängige »Generalitätslande« verwaltet wurden.
Im 17. Jh. stiegen die N. zeitweise zur größten europ. Handels- und Seemacht auf. Sie verdrängten die Portugiesen aus dem Malaiischen Archipel und aus Ceylon; sie setzten sich im Kapland, an der Goldküste und in Westindien (Curaçao, Guayana) fest, ebenso in Nordamerika (Neuniederland, der spätere Staat New York). Zur gleichen Zeit bildeten die N. mit bed. Künstlern, Gelehrten und Buchdruckern einen geistigen Mittelpunkt Europas. 1652-54 und 1664-67 führten die N. mehrere Seekriege gegen England; trotz bed. Erfolge ihrer Admirale Tromp und de Ruyter verloren sie Neuniederland und büßten an Macht ein. Gegen Ludwig XIV. von Frankreich verteidigten sich die N. in vier Kriegen (1667/68, 1672-78, 1688-97 und 1702-13) erfolgreich. Nach dem Tod Wilhelms III. von Oranien (seit 1689 auch König von England) 1702 waren die N. - wie bereits 1650-72 - ohne Statthalter; erst die Niederlagen gegen die Franzosen im Österr. Erbfolgekrieg 1747 führten zur Berufung Wilhelms IV. aus der jüngeren Linie Nassau-Oranien zum Erbstatthalter. Die Südl. N. waren 1713 (Frieden von Utrecht) von span. in österr. Hände übergegangen. 1795 von den Franzosen besetzt, wurden die Vereinigten N. zunächst zur Batav. Republik erklärt, von Napoleon I. 1806 in das Königreich Holland unter seinem Bruder Ludwig umgewandelt und 1810 Frankreich eingegliedert.
Durch den Wiener Kongress (1814/15) wurde die ehem. Republik mit den Südl. N. und dem Fürstbistum Lüttich zum Königreich der Vereinigten N. unter dem Oranier Wilhelm I. verbunden; der S wurde jedoch nach einem Aufstand 1831 als Königreich Belgien vom Königreich der N. getrennt. - Unter Wilhelm II. (1840-49) kam es im Sinne des liberalen Führers J. R. Thorbecke zu Reformen (u. a. Verfassungsreform von 1848), die unter Wilhelm III. (1849-90) fortgesetzt wurden (u. a. Sozialgesetzgebung). Erstmals in der Geschichte des Landes trat 1890 mit Königin Wilhelmina die weibl. Erbfolge in Kraft (Ende der Personalunion mit Luxemburg). Im Ersten und Zweiten Weltkrieg betrieben die N. eine strenge Neutralitätspolitik. Trotzdem wurden sie am 10. 5. 1940 von dt. Truppen besetzt. Die königl. Familie und die Reg. gingen ins Exil; am 14. 5. 1940 kapitulierte das niederländ. Heer. Die dt. Besatzungsmacht setzte eine Zivilreg. unter dem Reichskommissar A. Seyß-Inquart ein, die von der durch A. Mussert geführten einheim. Nationaal-Socialistische Beweging (NSB) unterstützt wurde. Die Verfolgung der Juden und der Einsatz von Niederländern zur Zwangsarbeit förderten die Entstehung einer Widerstandsbewegung. 1944/45 eroberten alliierte Streitkräfte die N. zurück. Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs hatte die niederländ. Exilregierung am 8. 12. 1941 Japan den Krieg erklärt und Japan, nach seinem Sieg über die niederländ. Flotte in der Javasee, 1942 Niederländisch-Indien besetzt. Nach der Kriegsniederlage Japans versuchten die N. vergeblich, ihre Herrschaft in Niederländisch-Indien wieder zu errichten, wo eine einheim. Nationalbewegung im Aug. 1945 den unabhängigen Staat Indonesien ausgerufen hatte. Außenpolitisch trat nach dem Zweiten Weltkrieg an die Stelle der Neutralitäts- eine aktive Bündnispolitik (1949 Beitritt zur NATO); die N. suchten die enge wirtsch. Zusammenarbeit mit Belgien und Luxemburg (Benelux-Länder) und förderten die europ. Einigung. Im Zuge der Entkolonialisierung zogen sich die N. 1963 aus West-Neuguinea (Westirian) zurück und entließen 1975 Surinam in die Unabhängigkeit. 1948 dankte Königin Wilhelmina zugunsten ihrer Tochter Juliana ab. In der Nachkriegszeit wurden immer wieder Koalitionsreg. gebildet, bestimmt von der Kath. Volkspartei (KVP) und der sozialdemokrat. Partei der Arbeit (PvdA). In den 1960er-/70er-Jahren veränderte sich das Parteienspektrum; so schlossen sich die konfessionellen Parteien zum Christl. Demokrat. Appell (CDA) zusammen. Nach der Abdankung Königin Julianas (1980) bestieg ihre Tochter Beatrix den Thron. 1982 übernahm R. F. M. Lubbers als MinPräs. die Führung einer Koalitionsreg. aus CDA und Liberalen, nach den Wahlen von 1989 wurde er Reg.chef eines Kabinetts aus CDA und PvdA. Die aufgrund der hohen Staatsverschuldung und der wirtsch. Konjunkturschwäche 1991/92 beschlossenen Sparmaßnahmen führten wiederholt zu Bev.protesten und Demonstrationen. Im Jan. 1993 beschloss die Regierung, die Streitkräfte bis 1998 in eine Berufsarmee umzuwandeln und ihre Friedensstärke auf 70 000 Mann zu begrenzen. Nach den Wahlen vom Mai 1994, bei denen der CDA eine schwere Niederlage erlitt, führt W. Kok (PvdA) seit Aug. desselben Jahres eine Koalitionsregierung aus PvdA, VVD und D '66. Sie leitete zw. 1995 und 1996 eine Reform des Sozialsystems ein (Abschaffung der gesetzl. Krankenversicherung, Umbau der Arbeitslosenversicherung, Sicherstellung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durch die Unternehmen selbst). Bei den Parlamentswahlen im Mai 1998 konnte die PvdA leichte Stimmengewinne verbuchen. In der Außenpolitik nahm das Parlament 1992 den Vertrag von Maastricht an. 1994 wurde ein dt.-niederländ. Korps konstituiert. 1993-95 beteiligten sich die N. mit einem Kontingent von Soldaten an der Einrichtung von Sicherheitszonen in Bosnien.
Literatur:
Schilling, J.u. Täubrich, R.: N. München 1988.
Geschichte der N., bearb. v. F. Petri u. a. Neuausg. München 1991.
Erbe, M.: Belgien, N., Luxemburg. Geschichte des niederländ. Raumes. Stuttgart u. a. 1993.
Benelux-Ploetz. Belgien, N., Luxemburg. Geschichte zum Nachschlagen, bearb. v. C. Witz u. U. Laule. Freiburg im Breisgau 1997.
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