Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Naturrecht
Naturrecht,das im Wesen bzw. der Vernunft des Menschen (Vernunftrecht) begründete und daher unwandelbare Recht, das als höchstrangige Rechtsquelle zur Legitimierung des positiven Rechts dient. - Die Überlegungen zum N. begannen in der ion. Naturphilosophie, die die Natur als ursprünglich, absolut und normsetzend dem menschl. Gesetz gegenüberstellt, dessen Gültigkeit auf bloßer Konvention beruhe. Das (christl.) MA. betrachtete das N. als Reflexion des göttl. Schöpfungsplans im Bewusstsein des Menschen. Aus der Übereinstimmung von N. und positivem Recht ergibt sich dessen Verbindlichkeit. Im Nominalismus erschien erstmals (Wilhelm von Ockham) die Dreiheit der »natürl. Rechte«: Leben, Freiheit, Eigentum, die J. Locke als säkularisierten N.-Begriff in das Zentrum frühbürgerl. Staatstheorie rückt. Die vom Nominalismus beeinflusste Entscheidung zugunsten des voluntaristisch orientierten N. führte unter dem Einfluss der Reformation und des Deismus zu einer Lösung des N. vom ewigen Weltgesetz. - Die Aufklärung griff den vernunftorientierten N.-Begriff erneut auf (F. Suárez, H. Grotius, S. von Pufendorf, J. Althusius), emanzipierte ihn jedoch von der Theologie. Man versuchte (v. a. C. Thomasius, C. Wolff), ein alle Rechtsgebiete umfassendes System von absolut gültigen Gesetzen abzuleiten. Erst die Betonung der Relativität auch des N. durch Montesquieu führte zu einer histor. Betrachtungsweise, die in der histor. Schule den Rechtspositivismus einleitete, der das N. weitgehend ablöste. Jedoch führten die Erfahrung des Faschismus/Nationalsozialismus und die Unfähigkeit des Rechtspositivismus, dem auf formal legalem Wege bereiteten Unrecht entgegenzutreten, nach dem Zweiten Weltkrieg zur Wiederaufnahme der naturrechtl. Diskussion, die allerdings keine wirkl. Wiederbelebung der N.-Lehre brachte.
Literatur:
K. Ballestrem. N. u. Politik, hg. v. Berlin 1993.
Schockenhoff, E.: N. u. Menschenwürde. Universale Ethik in einer geschichtl. Welt. Mainz 1996.
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