Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Naturphilosophie
Naturphilosophie,die philosoph. Bemühungen um die Erkenntnis der Natur, ihres Wesens, ihrer Formen und Erscheinungen und deren Bewegung; urspr. zu verstehen sowohl als Naturwiss. als auch als Metaphysik der Natur. Die N. war zunächst myth. Weltentstehungslehre (Kosmogonie) und entwickelte sich daraus zu einem ontolog. Teilgebiet der Philosophie im Rahmen einer allg. metaphys. Weltsicht.
Ausgehend von Platons N. (v. a. im Dialog »Timaios«) und der aristotel. Physik diente die N. im MA. v. a. zur Begründung des kosmolog. Gottesbeweises, also theolog. Interessen, und weniger der Erforschung der Natur. Platon. Traditionen, spekulative Kosmologien (G. Bruno u. a.) und mystisch-theosoph. Gedankengut (Agrippa von Nettesheim, J. Böhme) aufnehmend, wird die N. der Renaissance Grundlage einer erneuten Zuwendung zur Natur, allerdings noch nicht quantifizierend-methodisch. Mit dem 16. und 17. Jh. setzte sich die quantifizierende Naturauffassung durch (N. Kopernikus, G. Galilei, Leonardo da Vinci; T. Hobbes, R. Descartes, G. W. Leibniz, I. Newton), was schließlich zur Begründung der Naturwiss. führte. Andererseits blieb Naturwiss. als N. Teil der Philosophie, wie es z. B. im Titel von Newtons »Philosophiae naturalis principia mathematica« (1687) zum Ausdruck kommt; die Abgrenzung ist v. a. method. Art. Der dt. Idealismus (F. W. Schelling, G. W. F. Hegel) suchte die Natur insgesamt apriorisch aus dem Entwicklungsgang des Geistes abzuleiten und ihren Aufbau und Zusammenhang in einem universalen System darzustellen. Zu Beginn des 20. Jh. hat der mit dem naturwiss. Materialismus (E. Haeckel) verbundene, aus dem Darwinismus hervorgegangene Monismus versucht, ein philosoph. Weltbild zu begründen, das die Selbstständigkeit jedes metaphys. Seins bestreitet. Andere Richtungen begründeten ein Wirklichkeitsbild durch zusammenfassende Deutung empir. Einzelergebnisse nach einem vitalist. Grundmodell (E. Becher, H. Driesch). Seit der Quantentheorie und der Relativitätstheorie des 20. Jh. werden die naturphilosoph. Versuche unmittelbar von dem Stand der jeweiligen Forschung her und in ihrer Sprache entwickelt (W. Heisenberg, P. Teilhard de Chardin, D. Bohm, F. Capra, C. F. von Weizsäcker). Gegenwärtig befasst sich die N. v. a. mit Problemen der Methodologie, Erkenntnis- und Wiss.theorie; im Zusammenhang mit der Ökologiebewegung auch erneut mit der Frage nach einer Bestimmung von Natur.
Literatur:
Ditfurth, H. von: Zusammenhänge. Gedanken zu einem naturwiss. Weltbild. Tb.-Ausg. München 1990.
Heisenberg, W.: Quantentheorie u. Philosophie. Vorlesungen u. Aufsätze. Stuttgart 1990, Nachdr. ebd. 1994.
Weizsäcker, C. F. von: Zum Weltbild der Physik. Stuttgart 131990.
Charon, J. E.: Der Geist der Materie. A. d. Frz. Neuausg. Frankfurt am Main u. a. 51992.
Kanitscheider, B.: Von der mechanist. Welt zum kreativen Universum. Zu einem neuen philosoph. Verständnis der Natur. Darmstadt 1993.
Bateson, G.: Geist u. Natur. A. d. Engl. Frankfurt am Main 41995.
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