Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Nahostkonflikt
Nahọstkonflikt,Konflikt zw. Israel und seinen arab. Nachbarstaaten sowie der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) um die staatl. Gestaltung des früheren brit. Mandatsgebietes Palästina, verbunden mit regionalen und weltpolit. Interessenverflechtungen; entstand mit dem Rückzug Großbritanniens aus Palästina (15. 5. 1948) und der Proklamation des Staates Israel (14. 5. 1948). Mit unterschiedl. Intensität sind alle arab. Staaten im N. engagiert.Geschichte: Erste blutige Konflikte zw. arab. Palästinensern und der jüd. Bev. entstanden mit der im Zeichen des Zionismus zunehmenden Einwanderung von zunächst v. a. russ. Juden in das zum Osman. Reich gehörende Palästina seit den 1880er-Jahren und der gleichzeitigen Zunahme der ansässigen arabisch-palästinens. Bev. bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges; Bev.zunahme und blutige Auseinandersetzungen hielten auch nach der Bildung des brit. Mandatsgebietes Palästina nach dem Sykes-Picot-Abkommen vom 16. 5. 1916 an (Höhepunkt »arab. Aufstand« 1936-39). Am 29. 11. 1947 beschlossen die UN die Teilung des Mandatsgebietes in einen jüd. und einen palästinensisch-arab. Staat. Wegen ihrer Ablehnung dieses Teilungsplanes wollten die Palästinenser die 1948 erfolgte Gründung des Staates Israel nicht hinnehmen. Im Palästinakrieg (1. Israelisch-Arab. Krieg, 15. 5. 1948-15. 1. 1949; aus israel. Sicht Unabhängigkeitskrieg) setzten sich die israel. Streitkräfte gegen die arab. Armeen aus Ägypten, Transjordanien, Irak, Syrien und Libanon durch und behaupteten etwa 77 % des früheren Mandatsgebietes als ihr Staatsgebiet, das damit über das im Teilungsplan von 1947 den Juden zugedachte Gebiet hinausging. Ostpalästina (einschl. Ostjerusalem) wurde von Transjordanien annektiert, der Gazastreifen kam unter ägypt. Verw. Die palästinens. Araber wurden aus dem israel. Staatsgebiet vertrieben oder flohen. Ihre Situation in den Palästinenserlagern in den arab. Aufnahmeländern (bes. Ägypten, Jordanien, Libanon, Syrien) wurde dort zunehmend zu einem polit. und sozialen Problem. Der israelisch-arab. Konflikt verschärfte sich in den 1950er-Jahren ständig. In Verhandlungen mit Israel setzten die UN, gestützt von den USA und der UdSSR, nach dem Sinaifeldzug (2. Israelisch-Arab. Krieg, 29. 10.-8. 11. 1956) den Rückzug der israel. Truppen aus den eroberten Gebieten und die Stationierung einer UN-Friedenstruppe am Golf von Akaba durch (1956/57). - Die arab. Staaten unter Führung Ägyptens verschärften ihren Kampf gegen die staatl. Existenz Israels. Die UdSSR, um den Aufbau einer polit. Einflusssphäre im Nahen Osten bemüht, unterstützte bes. Ägypten und Syrien mit Waffen; die USA suchten mit gleichen Mitteln die Sicherheit Israels zu fördern. Schon bei Beginn des N. hatten sich palästinens. Guerillaorganisationen (Fedajin) gebildet, die sich 1964 unter dem Patronat der arab. Staaten in der PLO einen gemeinsamen Rahmen gaben. Seitdem betrachtet sich die PLO als einzige legitime Vertreterin des palästinens. Volkes. - Im Mai 1967 erzwang der ägypt. Präs. G. Abd el-Nasser den Abzug der UN-Friedenstruppe. Im Sechstagekrieg (3. Israelisch-Arab. Krieg, 5.-10. 6. 1967) konnte Israel den Gazastreifen, die Halbinsel Sinai (bis zum Sueskanal), Westjordanien (einschl. der Altstadt von Jerusalem) und Teile Syriens (Golanhöhen) besetzen.Nach 1967 verschärfte sich der N. Palästinens. Guerillaorganisationen (u. a. Al-Fatah) weiteten ihre Aktionen gegen Israel auch auf dessen Einrichtungen im Ausland aus. Mit dem Angriff Ägyptens und Syriens auf Israel erfuhr der N. eine neue militärische Zuspitzung (Jom-Kippur- oder 4. Israelisch-Arab. Krieg, 6.-22./25. 10. 1973). Er weckte jedoch auch die Bereitschaft, den Konflikt zu lösen. Der amerikan. Außenmin. H. A. Kissinger regte den Zusammentritt (1973) einer Genfer Nahostkonferenz an und vermittelte Truppenentflechtungsabkommen (1974) zw. Israel und Syrien. Dennoch kam es im Nov. 1975 zur Verurteilung des Zionismus durch die UN (Dez. 1991 zurückgenommen). 1977 bemühte sich der ägypt. Präs. A. As-Sadat mit einer Reise zu M. Begin nach Jerusalem um einen Durchbruch zu Friedensverhandlungen. Unter Vermittlung des amerikan. Präs. J. Carter verständigten sich beide auf der Konferenz vom Camp David (Sept. 1978) über Rahmenbedingungen einer Lösung des N. und eines ägyptisch-israel. Friedensvertrages (am 26. 3. 1979 unterzeichnet; Verzicht Israels auf Sinai zugunsten Ägyptens). Die Erklärung ganz Jerusalems zur Hauptstadt Israels (1980), die Annexion von Teilen der Golanhöhen und die Besiedlung der Westbank (Westjordanland) durch Israel stießen auf den wachsenden Widerspruch der arab. Staaten und auf Kritik in der Weltöffentlichkeit. Mit dem Einmarsch seiner Truppen in den Libanon (Libanonfeldzug oder 5. Israelisch-Arab. Krieg, Juni 1982) suchte Israel v. a. seine durch starke Guerillatätigkeit gefährdete Nordgrenze zu sichern. 1985 räumte Israel Libanon (bis auf eine Sicherheitszone im S). Am 9. 12. 1987 brach im Gazastreifen und im Westjordanland ein Aufstand (v. a. jugendl.) palästinens. Araber (Intifada) aus. Am 15. 11. 1988 rief die PLO in Algier (Algerien) einen unabhängigen Palästinenserstaat in den von Israel besetzten Gebieten aus (Präs.: J. Arafat), nachdem Jordanien im Juli 1988 zugunsten der PLO auf das Westjordanland verzichtet hatte. Der N. wurde von innerarab. Konflikten überlagert. In Jordanien (1967-70) und in Libanon (1967-82) entwickelte sich die PLO zu einem Staat im Staate. Jordanien, dessen Herrscherhaus der palästinens. Bev. 1921 von der brit. Kolonialmacht aufgezwungen worden war, wird zudem von den Palästinensern als Teil des Palästinenserstaates betrachtet; König Husain II. bemühte sich in Abwägung seiner dynast. Interessen und des Willens der mehrheitlich palästinens. Bev. um vermittelnde diplomat. Aktionen, z. B. beim Abschluss des israelisch-ägypt. Separatfriedens von 1979 sowie im Konflikt am Pers. Golf 1990/91. Syrien versuchte im Konflikt mit Israel seine nat. Interessenpolitik im Libanon durchzusetzen; Irak wollte mit seiner Palästinapolitik - neben Ägypten und Syrien - seine Ansprüche als regionale Führungsmacht verwirklichen, deutlich z. B. ab Aug. 1990 durch Verknüpfung des Golfkonfliktes mit dem N. (bes. nach Ausbruch des 2. Golfkrieges). Nach dem 2. Golfkrieg (1991) und der Schwächung der PLO verstärkten sich die v. a. von den USA seit 1989 forcierten Bemühungen um eine Lösung des N.; Kernproblem der im Okt. 1991 eingeleiteten (Madrider) Nahostfriedenskonferenz (seit 1992 z. T. bilateral; erstmals direkte Gespräche zw. Israel und arab. Staaten sowie Vertretern der Palästinenser/PLO) bleibt der Ausgleich zw. Israel und Palästinensern/PLO. Israel strebte dabei vorrangig eine Vereinbarung über den Status der besetzten Gebiete (Gazastreifen, Westjordanland) an. Weiteres Ziel der Reg. Rabin (seit Juli 1992) war eine umfassende Friedensregelung v. a. mit Syrien und Jordanien.
Mit dem Stopp staatl. und der Unterbindung privater Siedlungsprogramme (1992) legte die Reg. Rabin unter dem Leitgedanken »Land gegen Frieden« die Grundlage für ein besseres israelisch-arab. Gesprächsklima, bes. zw. ihr und der PLO. In Geheimverhandlungen in Oslo vereinbarten beide unter norweg. Vermittlung die gegenseitige Anerkennung und ein Rahmenabkommen über die Teilautonomie der palästinens. Araber im Gazastreifen und im Gebiet von Jericho (»Gaza-Jericho-Abkommen« vom 13. 9. 1993). In weiteren Abkommen (vom 4. 5. 1994 und vom 28. 9. 1995) legten Israel und die PLO den (als vorläufig aufgefassten) territorialen Umfang und den stufenweisen Rückzug der israel. Streitkräfte aus diesen Gebieten fest. Im Rahmen des Aufbaus einer palästinens. Staatlichkeit fanden im Jan. 1996 in den vereinbarten Autonomiegebieten Wahlen statt. Unter dem Eindruck der israelisch-palästinens. Annäherung schloss Jordanien am 17. 10. 1994 mit Israel einen Friedensvertrag.
Die palästinensisch-israel. Ausgleichsbemühungen wurden ständig begleitet von Versuchen extremist. Palästinenser (v. a. Hamas und Hisbollah) und radikaler Israelis, den Friedensprozess zu torpedieren. Während MinPräs. S. Peres nach der Ermordung Rabins (Nov. 1995) die mit der PLO geschlossenen Vereinbarungen Zug um Zug realisieren wollte, sucht sein Nachfolger B. Netanjahu (seit 1996) diese zu modifizieren. Israel. Bauprojekte im Bereich des von Palästinensern bewohnten Teils Jerusalems sowie palästinens. Selbstmordattentate führten 1997 den Friedensprozess auf einen Tiefpunkt, der erst Ende 1998 durch den im Abkommen von Wye festgelegten Abzug der israel. Truppen aus weiteren 13 % des Westjordanlandes überwunden werden konnte. Die für Anfang Mai 1999 geplante Proklamierung eines palästinens. Staates wurde vorerst ausgesetzt.
Literatur:
Niemetz, A.: Brennpunkt Nahost. Geschichte u. Hintergründe polit. u. religiöser Konfrontationen. Neuausg. München 1993.
Becker, H. u. a.: Der schwierige Weg zum Frieden. Der israelisch-arabisch-palästinens. Konflikt. Hintergründe, Positionen u. Perspektiven. Gütersloh 1994.
Kocher, V.: Der neue Nahe Osten. Die arab. Welt im Friedensprozeß. Zürich 1996.
Lerch, W. G.: Brennpunkt Naher Osten. Der lange Weg zum Frieden. München 1996.
Schreiber, F. u. Wolffsohn, M.: Nahost. Geschichte u. Struktur des Konflikts. Opladen 41996.
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