Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
moderne Kunst
modẹrne Kunst,Sammelbegriff für die seit etwa 1870 aufgekommenen verschiedenartigen Kunststile in Malerei, Grafik und Plastik. In Ablehnung der offiziellen Akademiekunst entstand in Frankreich der Impressionismus. Als Gegenbewegung zum Neoimpressionismus entwickelte sich der Symbolismus. In seiner Neigung zum Ornamentalen und zur Flächenhaftigkeit setzten sich im Jugendstil die Tendenzen fort, sich von einer illusionist. Bildkonzeption zu lösen. Entschiedener brachen die Expressionisten mit den realistisch-illusionist. Traditionen des 19. Jh.; ihr Interesse galt der von Regeln weitgehend befreiten subjektiven Ausdruckssteigerung des Bildes. Diese Auffassung vertreten auch die Neue Sachlichkeit oder der den traditionellen Kunsttechniken eine Absage erteilende Dada.Zur kontinuierl. Entwicklung einer »konkreten«, von der »Wirklichkeit« mehr und mehr unabhängigen Formensprache führte dagegen der Ansatz von P. Cézanne. Auf der Grundlage der von ihm erarbeiteten Strukturprinzipien bei der Wiedergabe der sichtbaren Erscheinungen der Wirklichkeit baute der Kubismus von P. Picasso und G. Braque als bahnbrechende Kunstrichtung im ersten Jahrzehnt des 20. Jh. auf. Er bildete die Voraussetzung sowohl für den italien. Futurismus als auch für die vollständig von figürl. Wiedergabe losgelöste Auffassung der konstruktivist. Malerei und Objektkunst (u. a. Konstruktivismus, De Stijl). Das Bauhaus leistete einen wichtigen Beitrag auf nahezu allen künstler. Gebieten. Kubismus, Futurismus und bes. der russ. Konstruktivismus und Suprematismus schufen neue Bildgattungen: Collage, Assemblage und Montage erweiterten den Begriff des Tafelbildes und eröffneten dem Bild plast. Dimensionen. Für die Plastik wurde zu Beginn des 20. Jh. die Auseinandersetzung mit außereurop. und prähistor. Arbeiten richtungweisend (Picasso, C. Brâncuşi, H. Moore, A. Giacometti). Von vielen Bildhauern der Folgezeit wurde die Beziehung zum Figürlichen ganz aufgegeben, ihr Formenrepertoire ist organisch oder geometrisch bestimmt; die Verwendung von Altmaterialien führte zur Objektkunst.Einen Weg der Interpretation der Wirklichkeit beschritten die Künstler des Surrealismus (M. Ernst, S. Dalí, R. Magritte). Die innerhalb der surrealist. Bewegung teilweise praktizierte Écriture automatique wurde in den 1940er- und 1950er-Jahren in den USA zur Grundlage des abstrakten Expressionismus . Bes. in seiner europ. Ausprägung (Tachismus, informelle Kunst) fußt er zugleich auf der abstrakten Kunst, wie sie bis in die 1950er-Jahre in vielen Richtungen vertreten wurde. Als Gegenrichtung zum abstrakten Expressionismus entstanden zugleich Hardedge und Farbfeldmalerei, die die Tendenzen konkreter Kunst aufnahmen. Happening und Fluxus der 1960er-Jahre suchten die Grenze zw. Publikum und (improvisierenden) Akteuren zu verwischen, das Publikum war zur Mitgestaltung angehalten (jeder ist Künstler). Ähnlich rechnen Y. Klein, P. Manzoni und L. Fontana mit der Aktivierung des Betrachters, wenn das Gemälde bzw. die Farbe und/oder das Material in ihren Bildern nur noch sich selbst zum Gegenstand haben. Sie führten damit die moderne Malerei und Plastik in eine konzeptionelle Richtung, ebenso wie die Minimalart. Die Conceptart ist v. a. dadurch charakterisiert, dass die kreative Geste weitgehend durch das Nachdenken über Formen der Kunst und ihre grundsätzl. Positionen ersetzt wird. Der Betrachter wird über den Intellekt in die konzeptionelle Strategie der künstler. Zusammenhänge als aktiver Mitdenker einbezogen. Dem gleichen Ziel dienen die in der neuen Prozesskunst verwendeten Medien (Fotografie, Film, Videoaufzeichnungen) zur Wiedergabe von Prozessen der Land-Art, Body-Art und der Performance. Die Pop-Art wie auch die versch. Formen des Realismus, die in den 1960er- bzw. 1970er-Jahren auftraten, interpretieren wieder die Objektwelt, indem sie den Zivilisationsprozess der Gegenwart künstlerisch darstellen. Ausgehend von einer Problematisierung des Raums, die in der Bildhauerkunst allg. Thema geworden war, erweiterte sich das Objekt in den 1960er-Jahren zum Environment. Als neues Element wurde die Bewegung in die Objekt- und Raumkunst einbezogen, vorbereitet durch die visuellen Experimente der Op-Art. Es entstanden verwandelbare Objekte, bewegbare Maschinen und Lichtprojektoren (kinetische Kunst).Neben einer von sozialkrit. oder ökolog. Anliegen getragenen Kunst zeichnete sich seit Mitte der 1970er-Jahre ein neues Interesse an einer gestisch-intuitiven und individuellen Malerei ab. In Dtl. wird dieser Neoexpressionismus u. a. vertreten von G. Baselitz, J. Immendorf, M. Lüpertz und A. Kiefer. Vergleichbare Tendenzen zeigen sich in den USA im farbenfrohen Pattern painting und in Italien in der Arte cifra der Transavanguardia. Sie lösten eine Bewegung aus, die in Dtl. als Neue Wilde, in den USA als »New-Image-Painting« und in Frankreich als »Figuration libre« bezeichnet wird. In ihrem unbekümmerten Umgang mit vergangenen Stilen, Formen, Farben, Kitsch und v. a. im Rückzug auf Subjektivität und Gefühl wird ein Bruch mit der klass. Moderne und der intellektuellen Kunst der Folgezeit gesehen. Aus diesen Gründen, aber auch in Hinblick auf den Pluralismus der Stile und den Trend, die Grenzen zw. den einzelnen Kunstgattungen zu verwischen, wird auf die zeitgenöss. Kunst - nicht unumstritten - auch der Begriff Postmoderne angewendet.
Literatur:
Haftmann, W.: Malerei im 20. Jh., 2 Bde. München 5-81987-93.
Hammacher, A. M.: Die Plastik der Moderne. A. d. Amerikan. u. Niederländ. Frankfurt am Main u. a. 1988.
Danto, A. C.: Kunst nach dem Ende der Kunst. A. d. Engl. München 1996.
Welsch, W.: Unsere postmoderne Moderne. Berlin 51997.
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