Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
moderne Architektur.
modẹrne Architektur.Die Veränderung der wirtschaftl. und sozialen Strukturen um die Wende zum 20. Jh. sowie der Protest gegen Stilnachahmung und Historimus am Ende des 19. Jh. waren in Europa und Amerika die auslösenden Faktoren für die experimentelle m. A.; ihre wesentl. Aufgaben: die Entwicklung neuer Raumkonzeptionen und Formensprachen auf der Grundlage der neuen Bedürfnisse, Materialien und Konstruktionsverfahren. Durch die neuen gesellschaftl. Bedingungen für den Wohn- und Siedlungsbau, für Industrie- und Verwaltungsbauten, Kulturzentren und Sporthallen, Verkehrs- und Stadtplanung wurde mit der Verwendung von Stahl und Beton (Stahlbeton), von großen Glas- und Aluminiumflächen, von Kunststoffen sowie von serienmäßig konstruierten Fertigteilen aus allen Materialbereichen die Auffassung von Architektur und ihrer Formensprache im Sinne des Funktionalismus revolutioniert. Lässt man die Entwicklungstendenzen in der Ausbildung der Stahlskelettbauweise des 19. Jh. unberücksichtigt, so kann der Beginn der m. A. auf die Zeit um 1890 festgelegt werden. L. H. Sullivan und die Chicagoer Schule brachten mit ihrer Forderung, dass die Form immer der Funktion zu entsprechen habe, einen neuen Kanon des Bauens ein. Die Tendenz zu klar gegliederten und aus der Funktion entwickelten Baukörpern zeigten auch die europ. Richtungen des Jugendstils (P. Behrens, H. van de Velde, O. Wagner, J. M. Olbrich, A. Loos, J. Hoffmann, V. Hortha, H. P. Berlage, C. R. Mackintosh), des Dt. Werkbundes, des Bauhauses und der De Stijl-Gruppe. Das kub., horizontale, sachlich nüchterne Prinzip setzte sich Mitte der 1920er-Jahre gegenüber gegenläufigen Tendenzen (etwa dem Expressionismus einiger Bauten von P. Behrens, E. Mendelsohn, H. Poelzig, B. Taut) durch. Des Weiteren kann der Begriff des »organ. Bauens« (organische Architektur), wie er von F. L. Wright in Amerika konzipiert wurde, als Maxime für alle bedeutenden Schulen und Architekten des 20. Jh. gelten. Neben Wright gehörten L. Mies van der Rohe, Le Corbusier und W. Gropius zu den einflussreichsten Architekten der 1. Hälfte des 20. Jh. Vorbildl. Siedlungsbauten schufen J. Oud, E. May und H. Häring. In Finnland wirkte A. Aalto. Der internat. Durchbruch der m. A. erfolgte mit den v. a. in den 1920er-Jahren entwickelten Stileigentümlichkeiten (Internationaler Stil), und zwar in den USA in den 1930er-Jahren, in den lateinamerikan. Ländern in den 1940er-Jahren (v. a. Brasilien und Mexiko) und in den 1950er-Jahren in Japan.
In den 1950er-Jahren wurden innerhalb der m. A. neue Impulse wirksam, die unter dem Namen Brutalismus zusammengefasst werden und eine Erneuerung der experimentellen m. A. und ihres funktionalen und organ. Denkens darstellen. Daneben entwickelten sich weitere, z. T. gegenläufige oder auch ineinander übergehende Strömungen (Funktionalisten, Strukturalisten, rationale Architektur).
Zur Kennzeichnung der Richtung der Architektur der 1970er- und 1980er-Jahre, die auf Elemente früherer Stile zurückgreift (R. Venturi, C. W. Moore, R. Stern, J. Stirling, Isozaki Arata, P. Portoghesi, P. Johnson), übernahm der amerikan. Architekturtheoretiker Charles Jencks (* 1939) 1975 den sonst recht vielschichtigen Begriff Postmoderne. In den 1990er-Jahren zeichnet sich der Beginn einer neuen Entwicklung mit der Architektur des vom russ. Konstruktivismus inspirierten Dekonstruktivismus ab (F. O. Gehry, Zaha Hadid, P. Eisenman, R. Koolhaas, B. Tschumi, Coop Himmelblau, G. Behnisch u. a.). Wachsende Bedeutung kommt der Hightech-Architektur (Sir N. Foster, R. Rogers, R. Piano u. a.) sowie dem ökologischen Bauen zu.
Literatur:
M. A. in Dtl. 1900 bis 1950, Expressionismus u. neue Sachlichkeit, hg. v. V. M. Lampugnani u. R. Schneider, Ausst.-Kat. Deutsches Architektur-Museum, Frankfurt am Main. Stuttgart 1994.
Frampton, K.: Die Architektur der Moderne. Eine krit. Baugeschichte. A. d. Engl. Stuttgart 51995.
Gavinelli, C.: Die Neue Moderne. Architektur in der zweiten Hälfte des 20. Jh. A. d. Italien. Stuttgart u. a. 1997.
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