Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Märchen
Märchen[von mhd. maere »Kunde«, »Nachricht«], Prosaerzählung meist geringen Umfangs, die wunderbare Begebenheiten schildert, bei allen Völkern und zu allen Zeiten verbreitet. Im Dt. ist der Begriff v. a. bestimmt durch die Sammlung der Brüder Grimm. Die »Kinder- und Haus-M.« (1812-15) enthalten allerdings auch Geschichten, die i. e. S. keine M., sondern Legenden, Fabeln oder Schwänke sind. Eine genaue Abgrenzung, auch zum Mythos, ist kaum möglich.Echte Volks-M. beruhen auf mündl. Erzähltradition. In Europa wurden sie seit dem 16./17. Jh. gesammelt, aufgezeichnet und dem jeweils herrschenden literar. Geschmack angepasst. Dennoch haben sich bestimmte gemeinsame Merkmale erhalten: Zeit und Ort sind nicht fixiert, die Naturgesetze haben keine Geltung, Pflanzen, Tiere und Gestirne können sprechen und sind dem Menschen gleichgestellt, Verwandlungen aller Art dienen als Belohnung oder Strafe, am Ende steht immer der Sieg des Guten, Fleißigen, bestraft werden Faulheit, Bosheit, Hochmut. Die Struktur des M. ist stark von formelhaften Elementen und typisierten Personen geprägt, Zahlen (z. B. 3 und 7) spielen eine wichtige Rolle. Nach der Art der Handlung werden unterschiedl. M.-Typen unterschieden, z. B. Tier-M., Zauber-M., Feen-M. (Fee), Lügen-M.. Es ist nicht geklärt, ob gleiche M.-Motive durch Wanderungsbewegungen übertragen oder an versch. Orten gleichzeitig entstanden sind.Märchenhafte Erzählungen sind schon in den ältesten literar. Zeugnissen der Menschheit (»Gilgameschepos«, »Odyssee«, »Pancatantra«) enthalten oder wurden von Schriftstellern kunstvoll bearbeitet (Ovid, »Metamorphosen«). In Europa wurden die M. seit dem frühen MA., verstärkt seit den Kreuzzügen, von oriental. Einflüssen geprägt, lange ehe die Sammlung »Tausendundeine Nacht« (in frz. Übersetzung 1704-17) eine regelrechte Orientmode hervorbrachte. Für die Romantiker war das Volks-M. die vollkommene Verkörperung einer ursprüngl. Dichtung. Sie sammelten und edierten M. und führten das Kunst-M. zur Blüte. Dieses ist die individuelle Erfindung eines namentlich bekannten Autors, der Text steht wörtlich fest, er übernimmt bestimmte Elemente des Volks-M. (etwa Zauberei), übermittelt damit aber oft philosoph. Botschaften, zuweilen mit den Mitteln Satire und Ironie. Bed. Verfasser von Kunst-M. in Dtl. waren L. Tieck, C. Brentano, W. Hauff, E. T. A. Hoffmann, in Dänemark H. C. Andersen, in England O. Wilde.
▣ Literatur:
Klotz, V.: Das europ. Kunstmärchen. Neuausg. München 1987.
⃟ Karlinger, F.: Geschichte des M. im dt. Sprachraum. Darmstadt 21988.
⃟ Fritsch, S.: M. u. Sagen. Versuch einer Deutung. Wuppertal 1992.
⃟ Die Volksmärchen in unserer Kultur, hg. v. W. Kahn. Frankfurt am Main 1993.
⃟ Scherf, W.: Das Märchenlexikon, 2 Bde. München 1995.
⃟ Lüthi, M.: M. Stuttgart 91996.
Märchen[von mhd. maere »Kunde«, »Nachricht«], Prosaerzählung meist geringen Umfangs, die wunderbare Begebenheiten schildert, bei allen Völkern und zu allen Zeiten verbreitet. Im Dt. ist der Begriff v. a. bestimmt durch die Sammlung der Brüder Grimm. Die »Kinder- und Haus-M.« (1812-15) enthalten allerdings auch Geschichten, die i. e. S. keine M., sondern Legenden, Fabeln oder Schwänke sind. Eine genaue Abgrenzung, auch zum Mythos, ist kaum möglich.Echte Volks-M. beruhen auf mündl. Erzähltradition. In Europa wurden sie seit dem 16./17. Jh. gesammelt, aufgezeichnet und dem jeweils herrschenden literar. Geschmack angepasst. Dennoch haben sich bestimmte gemeinsame Merkmale erhalten: Zeit und Ort sind nicht fixiert, die Naturgesetze haben keine Geltung, Pflanzen, Tiere und Gestirne können sprechen und sind dem Menschen gleichgestellt, Verwandlungen aller Art dienen als Belohnung oder Strafe, am Ende steht immer der Sieg des Guten, Fleißigen, bestraft werden Faulheit, Bosheit, Hochmut. Die Struktur des M. ist stark von formelhaften Elementen und typisierten Personen geprägt, Zahlen (z. B. 3 und 7) spielen eine wichtige Rolle. Nach der Art der Handlung werden unterschiedl. M.-Typen unterschieden, z. B. Tier-M., Zauber-M., Feen-M. (Fee), Lügen-M.. Es ist nicht geklärt, ob gleiche M.-Motive durch Wanderungsbewegungen übertragen oder an versch. Orten gleichzeitig entstanden sind.Märchenhafte Erzählungen sind schon in den ältesten literar. Zeugnissen der Menschheit (»Gilgameschepos«, »Odyssee«, »Pancatantra«) enthalten oder wurden von Schriftstellern kunstvoll bearbeitet (Ovid, »Metamorphosen«). In Europa wurden die M. seit dem frühen MA., verstärkt seit den Kreuzzügen, von oriental. Einflüssen geprägt, lange ehe die Sammlung »Tausendundeine Nacht« (in frz. Übersetzung 1704-17) eine regelrechte Orientmode hervorbrachte. Für die Romantiker war das Volks-M. die vollkommene Verkörperung einer ursprüngl. Dichtung. Sie sammelten und edierten M. und führten das Kunst-M. zur Blüte. Dieses ist die individuelle Erfindung eines namentlich bekannten Autors, der Text steht wörtlich fest, er übernimmt bestimmte Elemente des Volks-M. (etwa Zauberei), übermittelt damit aber oft philosoph. Botschaften, zuweilen mit den Mitteln Satire und Ironie. Bed. Verfasser von Kunst-M. in Dtl. waren L. Tieck, C. Brentano, W. Hauff, E. T. A. Hoffmann, in Dänemark H. C. Andersen, in England O. Wilde.
▣ Literatur:
Klotz, V.: Das europ. Kunstmärchen. Neuausg. München 1987.
⃟ Karlinger, F.: Geschichte des M. im dt. Sprachraum. Darmstadt 21988.
⃟ Fritsch, S.: M. u. Sagen. Versuch einer Deutung. Wuppertal 1992.
⃟ Die Volksmärchen in unserer Kultur, hg. v. W. Kahn. Frankfurt am Main 1993.
⃟ Scherf, W.: Das Märchenlexikon, 2 Bde. München 1995.
⃟ Lüthi, M.: M. Stuttgart 91996.