Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Mundart
Mund|art (Dialekt), örtlich bedingte Sprachform innerhalb einer Sprachgemeinschaft. M. ist wesentlich gesprochene Sprache, ist nicht an die Norm der Standardsprache (Hochsprache), die immer auch Schriftsprache ist, gebunden und kann ein von dieser phonetisch, grammatisch und lexikalisch stark unterschiedenes Sprachsystem sein. M. ist nicht an eine soziale Schicht, aber an bestimmte (regionale und lokale) Gruppen und Sprechsituationen gebunden. M. stehen der Umgangs- und Hochsprache jeweils sehr unterschiedlich nahe, eine ständige, enge Wechselbeziehung untereinander ist immer vorhanden.Deutsche Mundarten: Das dt. Sprachgebiet ist in viele kleine und größere M.-Räume untergliedert. Die Ursprünge der heutigen M.-Landschaften sind in der Völkerwanderungszeit zu suchen, als sich die großen Stämme der Franken, Alemannen, Sachsen, Thüringer und Baiern herausbildeten. Die alten Stammeslandschaften stimmen aber mit den heutigen M.-Landschaften nicht mehr überein. Die wichtigste Grenze zw. den dt. M. entstand durch die 2. oder hochdt. Lautverschiebung. Sie ist das wichtigste Einteilungsprinzip der dt. M.: Die niederdt. M. vollzogen die Lautverschiebung nicht, die mitteldt. wurden nur z. T. von ihr betroffen, die oberdt. haben sie vollständig durchgeführt. Die Grenze zw. Niederdeutsch und Mitteldeutsch verläuft nördlich von Aachen, Köln, Kassel, Nordhausen, Dessau, Wittenberg, Frankfurt (Oder). Mitteldeutsch und Oberdeutsch werden durch die Linie nördlich von Zabern, Karlsruhe, Heilbronn, südlich von Heidelberg, Würzburg, Meiningen, Coburg, Plauen getrennt. Das Mitteldeutsche und das Oberdeutsche werden auch als hochdt. M. zusammengefasst.
Eine weitere großräumige Erscheinung, die die dt. Dialektlandschaft gestaltet hat, ist die binnenhochdt. (oder binnendt.) Konsonantenschwächung, durch die p und b, t und d, k und g zusammengefallen sind. Sie ist v. a. im Ostmitteldeutschen verbreitet und kennzeichnet das Obersächsische und Schlesische.
Die neuhochdt. Diphthongierung nahm im äußersten SO des dt. Sprachraums ihren Anfang und erfasste die ober- und mitteldt. Mundarten mit Ausnahme des Alemannischen. Die mittelhochdt. Langvokale i, u und iu (ü) werden zu ei, au und äu. - Die heutigen dt. M.-Landschaften reichen über die Staatsgrenzen hinaus, das Niederfränkische wird in N-Dtl. und den Niederlanden, Alemannisch in SW-Dtl., der Schweiz und W-Österreich, das Bairische in Bayern, Österreich und Südtirol gesprochen. Ein großer Teil der ostdt. Mundarten ist seit 1945 verschwunden.Niederdeutsch: Es lässt sich in Westniederdeutsch (Niederfränkisch und Niedersächsisch) und Ostniederdeutsch unterteilen. Das Niederfränkische wird am Niederrhein gesprochen und hat sich vom 13. bis 16. Jh. zu einer eigenen Schriftsprache entwickelt. Das Niedersächsische wird in Westfälisch, Ostfälisch und Nordniedersächsisch unterteilt. Kennzeichnend für das Westfälische sind die Diphthonge (z. B. haun »Huhn«) und die Aussprache von sch als sk oder s-ch. Das Ostfälische wurde stark vom angrenzenden Ostmitteldeutschen beeinflusst. Zum Nordniedersächsischen gehören die friesisch-nordniedersächs. Mischsprache in Ostfriesland, Holsteinisch und Schleswigisch, wobei sich das Holsteinische u. a. durch stimmhaft gesprochenes b, d, g für p, t, k klarer abhebt. Beim Ostniederdeutschen zeigt das Märkisch-Brandenburgische sehr viele sprachl. Bezüge zur Heimat der Siedler, die im 12. Jh. aus dem niederländ. Raum, bes. S-Brabant, kamen. Das westlich der Oder gesprochene Mittelpommersche geht ins Märkisch-Brandenburgische über. Das Mecklenburgische mit dem Vorpommerschen bildet einen relativ scharf abgegrenzten M.-Raum (Zusammenhänge mit dem Westfälischen durch Siedlungsbewegungen erklärbar). Das Pommersche (Ostpommersche) östlich der Oder hat im nördl. Teil die Formen heff »habe« und brauder »Bruder«, im südl. Teil hebb und brooder. Ost- und Westpreußen gehören (mit Ausnahme des Hochpreußischen) zum Niederpreußischen, wobei der östl. Teil starke schriftsprachl. Einflüsse zeigt.
Niederdeutsch sprachen auch die seit etwa 1200 in das Baltikum eingewanderten Deutschen (Baltendeutsch). Nach 1600 wurde bei den Deutschbalten als Kanzleisprache das Hochdeutsche eingeführt, das dann in den mündl. Gebrauch überging.
Mitteldeutsch: Es enthält sowohl nieder- als auch oberdt. Merkmale, stellt aber einen selbstständigen Sprachraum mit auch eigenen Merkmalen dar, z. B. Entwicklung von -nd- zu -ng- (hingen »hinten«). Beim Westmitteldeutschen hat das Mittelfränkische mit dem Ripuarischen um Köln und dem Moselfränkischen um Trier-Koblenz und in Luxemburg die Lautverschiebung am wenigsten mitgemacht; das Rheinfränkische hat sie weiter durchgeführt (dat statt das, unverschoben pund und appel ). Das Rheinfränkische lässt sich in Rheinpfälzisch und Hessisch gliedern, die st/scht-Grenze trennt beide voneinander (rheinpfälzisch fescht für hessisch und hochdt. fest). Vom Rheinpfälzischen, das die Rheinpfalz, das Saarland, den Mainzer Raum und den Odenwald umfasst, unterscheidet sich das Hessische östlich des Mainzer Raums (bis zum niederdt. Bereich) auch dadurch, dass es die neuhochdt. Diphthongierung nicht durchgeführt hat. Die westmitteldt. Landschaften sind im Wesentlichen altes Siedlungsland, während das Ostmitteldeutsche durch die ostdt. Kolonisation entstanden ist; Ausnahme ist Thüringisch (mit dem Obersächsischen fast zu einer Einheit zusammengewachsen). Gemeinsam mit dem Obersächsischen hat es z. B. das anlautende f- statt pf- (z. B. fund »Pfund«), zugleich eines der wichtigsten Kennzeichen des Ostmitteldeutschen. Stärker ausgeprägte Landschaften innerhalb des Obersächsischen sind das Osterländische und das Erzgebirgische. Östlich an das Obersächsische schloss sich das Schlesische und Lausitzische an. In zentraler Lage in Schlesien (im südl. Warthebogen bis fast nach Breslau) wurde das Neiderländische mit zahlreichen Diphthongierungen gesprochen. Zum Schlesischen gehörte als eine Sprachinsel auch das Hochpreußische. Oberdeutsch: Beim Oberdeutschen unterscheidet die Verschiebung des p zu pf das Südfränkische (oder Südrheinfränkische) um Karlsruhe-Heilbronn vom mitteldt. Rheinfränkischen; dies gilt auch für das Ostfränkische (oder Mainfränkische) um Würzburg, Bayreuth, Nürnberg und Bamberg. Das Bairische nimmt den gesamten SO des dt. Sprachraums ein und erstreckt sich über Bayern (ohne Franken und Schwaben), Österreich (ohne Vorarlberg), Südtirol sowie einige Sprachinseln. Gemeinsame Merkmale des in Süd-, Mittel- und Nordbairisch untergliederten Bairischen sind z. B. alte, über das Gotische aus dem Griechischen kommende Wörter wie Ergetag »Dienstag« und Pfinztag »Donnerstag«. Das Südbairische hat als einzige dt. M. die hochdt. Lautverschiebung vollständig durchgeführt, sodass k als Affrikata kch gesprochen wird. Die im Südbairischen nicht durchgeführte Konsonantenschwächung erscheint im Mittelbairischen und im Nordbairischen. Schwäbisch und Alemannisch werden in Schwaben, Württemberg, S-Baden, im Elsass, der dt.sprachigen Schweiz, in Liechtenstein und Vorarlberg gesprochen. Das Schwäbische gliederte sich im 13. Jh. aus dem Alemannischen aus. Kennzeichnend für das Schwäbische sind die starke Näselung und die nur halb diphthongierten Zwielaute, für das Niederalemannische die Monophthonge. Das Hochalemannische wird im dt.sprachigen Teil der Schweiz und in Vorarlberg gesprochen; charakteristisch ist die Aussprache des anlautenden k als ch (z. B. chind »Kind«). Die M. der S-Schweiz, insbesondere des Kt. Wallis, bezeichnet man als Höchstalemannisch. Es ist die altertümlichste dt. M. Durch die Siedlungsbewegungen (»Walserwanderungen«) verbreitete sich diese M. in versch. Gegenden der Schweiz (bes. Graubünden), N-Italiens und ins österr. Vorarlberg.
Literatur:
König, W. dtv-Atlas zur dt. Sprache. Tafeln u. Texte. Graphik: H.-J. Paul. München 181.-196. Tsd., 101994.
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