Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Mongolei
I Mongoleidie, der von den Mongolen bewohnte NO Zentralasiens, das Gebiet der Gobi, im NW und N über den Mongol. Altai und das Changaigebirge bis zum Sajangebirge und den Gebirgen Transbaikaliens reichend. Die Innere Mongolei gehört als autonome Region zu China, die Äußere M. bildet den Staat Mongolei.
Geschichte: Auf dem Boden der M. schufen schon vor dem 13. Jh. versch. Völker Steppenreiche, so die Xiongnu (3./2. Jh. v. Chr. am Orchon, lange Zeit mit den Hunnen in Verbindung gebracht), die Xianbi (5./6. Jh. n. Chr.), Uiguren (8. Jh.), Kirgisen (9. Jh.) und Kitan (10.-12. Jh.). 1206 einte Dschingis Khan die mongol. Stämme; die M. wurde Ausgangspunkt eines durch zahlr. Heerzüge eroberten Großreichs (Mongolen), das später in die Teilreiche der Goldenen Horde, der Ilkhane, der Dschaghatai und der chines. Mongolei zerfiel. 1636 unterstellten sich die chines. Mandschukaiser das Gebiet der Inneren M., 1691 das der Äußeren M. (Siedlungsgebiet der Chalcha). Im 16. Jh. wurde das bis dahin vorherrschende Schamanentum durch den Lamaismus abgelöst. Mehrere Aufstände (u. a. 1755-58, 1900) richteten sich gegen die Mandschuherrschaft. Nach deren Sturz durch die chines. Revolution erklärte die Äußere M. 1911 ihre Unabhängigkeit (Errichtung einer Monarchie unter dem höchsten lamaist. Geistlichen, dem Bogdo Gegen Khan). 1919-21 besetzten chines. Truppen erneut das Land und erzwangen den Verzicht auf die Autonomie. Die 1919/20 entstandene revolutionäre Bewegung (geführt von Suche Bator und C. Tschoibalsan) vertrieb mit der zu Hilfe gerufenen sowjetruss. Roten Armee 1921 die im Vorjahr eingedrungenen weißgardist. Truppen des Generals R. N. von Ungern-Sternberg; am 10. 7. 1921 übernahm eine »Provisor. Volksreg.« die Reg.gewalt (Mongolei, Staat). Aus dem äußersten NW, der 1914 unter russ. Protektorat kam, wurde 1921 die Volksrep. Tannu-Tuwa gebildet (1944 der UdSSR angegliedert, ab 1961 Tuwin. ASSR, heute Rep. Tuwa innerhalb der Russ. Föderation). Die Innere M. erhielt 1947 den Status einer autonomen Region in China.
II Mongolei
Fläche: 1 566 500 km2
Einwohner: (1995) 2,41 Mio.
Hauptstadt: Ulan-Bator
Verwaltungsgliederung: 21 Aimaks und die Hptst.
Amtssprache: Mongolisch
Nationalfeiertage: 11. 7. und 26. 11.
Währung: 1 Tugrik (Tug.) = 100 Mongo
Zeitzone: MEZ + 7 Std.
(amtlich mongol. Mongol Uls), Staat in Zentralasien, grenzt im N an Russland, im O, S und W an China.
Staat und Recht: Nach der am 12. 2. 1992 in Kraft getretenen Verf. ist die M. eine Rep. mit Mehrparteiensystem. Staatsoberhaupt ist der auf vier Jahre direkt gewählte Präs. Die Legislative liegt beim Einkammerparlament, dem Großen Volkschural (76 Abg., auf vier Jahre in einer Kombination von Mehrheits- und Verhältniswahlrecht gewählt). Die Reg. unter Vorsitz des MinPräs. übt die Exekutivgewalt aus. Einflussreichste Parteien: Mongol. Revolutionäre Volkspartei (MRV; ehem. Kommunisten), Demokrat. Koalition (Zusammenschluss der Mongol. Nationaldemokrat. Partei und der Sozialdemokrat. Partei).
Landesnatur: Die M. ist ein überwiegend abflussloses Hochland, das von Gebirgsketten bes. im N und W (Mongol. Altai bis 4 374 m ü. M., Gobialtai bis 3 957 m ü. M., Changaigebirge bis 4 031 m ü. M.) überragt wird, die von weiten, wüstenhaften Beckenlandschaften unterbrochen werden. Vom Changaigebirge leiten mehrere Mittelgebirgszüge zum Chentejgebirge (2 800 m ü. M.) über. Der O ist ein flachwelliges Hochplateau. Südlich der Gebirgszone schließt sich das Trockengebiet der Gobi an. Das Klima ist extrem kontinental mit großen Temperaturschwankungen und geringen, meist sommerl. Jahresniederschlägen. Den größten Teil des Landes nehmen Steppen ein; in den Gebirgen z. T. Wald. Hauptfluss ist die Selenga.
Bevölkerung: Rd. 90 % sind Mongolen (überwiegend Ostmongolen, v. a. Chalcha, daneben Dariganga, Burjaten u. a.; Westmongolen: Dürbeten, Bajaten, Dsachtschinen, Oloten, Torguten). Angehörige von Turkvölkern (7 %; Kasachen, Tuwiner, Chotonen), Chinesen, Russen u. a. sind ethn. Minderheiten. Im N, in dem Ackerbau möglich ist, leben 10-20 Ew./km2, in der Gobi etwa 0,1 Ew./km2. Der Übergang von der nomadisierenden zur kollektiven Viehhaltung, der 1960 abgeschlossen war, hatte die Anlage von Dauersiedlungen zur Folge. Die lamaist. Klöster wurden aufgelöst bis auf eines in Ulan-Bator. 60 % der Bev. leben in Städten (v. a. Ulan-Bator, Darchan, Erdenet, Suche-Bator). - Allg. Schulpflicht besteht vom 8. bis 15. Lebensjahr; unentgeltl. Unterricht; für Kinder nomadisierender Eltern gibt es Internate. Gut ausgebautes Berufs- und Fachschulwesen. Von 6 Hochschulen hat eine Univ.rang (in Ulan-Bator; gegr. 1942). - Traditionell vorherrschend ist der lamaist. Buddhismus. Seit 1990 wurden über 120 Klöster neu oder wieder errichtet. Die turksprachigen Nationalitäten sind überwiegend sunnit. Muslime.
Wirtschaft, Verkehr: Das nach sowjet. Vorbild entwickelte Wirtschaftssystem war einseitig auf Rohstofflieferungen an die Länder des RGW ausgerichtet. Mit der Umstellung der Zentralverwaltungswirtschaft auf die freie Marktwirtschaft sind schwerwiegende ökonom. Probleme (hohe Inflations- und Arbeitslosenrate, schleppende Privatisierung, Energie- und Versorgungskrise) verbunden. Strukturbestimmender Zweig der Volkswirtschaft ist die Landwirtschaft, v. a. die Viehwirtschaft. Gehalten werden Rinder (überwiegend wieder in Privatbesitz), Pferde, Schafe, Ziegen, Kamele, Yaks, v. a. in Staatsgütern auch Schweine und Geflügel. Intensiver Ackerbau ist nur im N, in den z. T. terrassierten Flusstälern, möglich. Angebaut werden Getreide, Kartoffeln, Futterpflanzen und Gemüse. Die reichen Bodenschätze sind nur z. T. erschlossen, v. a. Braun- und Steinkohlenabbau (Förderung rückläufig) sowie die Ausbeutung von Kupfer- und Molybdänerzen (seit 1981 im Tagebau bei Erdenet), Zinn-, Wolfram-, Zink-, Mangan-, Edelmetall- und Eisenerzen sowie Flussspat; seit 1995 wieder Erdölförderung. Die Ind. konzentriert sich in den Räumen Ulan-Bator, Darchan und Tschoibalsan. Nahrungsmittel-, Textil-, Leder-, Baustoffind. und Holzverarbeitung sind die wichtigsten Ind.zweige. Wichtigste Ausfuhrgüter sind Schlachttiere, Leder- und Strickwaren, Teppiche, Häute, Kupfer- und Molybdänerzkonzentrate, Kohle und Zinn. - Die Transmongol. Eisenbahn ist an die Transsib bei Ulan-Ude angeschlossen und führt über Ulan-Bator nach SO an die chines. Grenze mit Anschluss an Peking. Tschoibalsan ist durch eine Stichbahn mit der Transsib verbunden. Das gesamte Streckennetz beträgt 1 748 km. Das rd. 48 000 km lange Straßennetz besteht größtenteils aus Steppenpisten; Binnenschifffahrt auf der Selenga und dem Orchon; in Ulan-Bator internat. Flughafen.
Geschichte: Nach Vertreibung der weißgardist. Truppen aus der Äußeren M. und dem Tod des Monarchen Bogdo Gegen Khan (1924) wurde unter starkem Einfluss der Sowjetunion am 26. 11. 1924 die »Mongol. Volksrep.« (MVR) proklamiert, in der die kommunist. Mongol. Revolutionäre Volkspartei (MRVP) die bestimmende polit. Kraft war. Im Rahmen einer ab 1929 radikalen gesellschaftl. Umgestaltung führte C. Tschoibalsan auch »Säuberungsaktionen« und eine Entmachtung der lamaist. Priesterschaft durch (Höhepunkt 1938, Zerstörung der meisten Klöster und Ermordung vieler Mönche). Ein Vorstoß japan. Truppen wurde 1939 mit Unterstützung der sowjet. Armee am Chalchyn Gol abgewehrt. 1945 nahmen Truppen der MVR am sowjet. Vormarsch in das von Japan besetzte N-China teil, nachdem die MVR gemeinsam mit der UdSSR Japan den Krieg erklärt hatte; im Okt. 1945 stellte ein Volksentscheid die völlige Unabhängigkeit der MVR her, die von China im Jan. 1946 anerkannt und im sowjet.-chines. Vertrag von 1950 bestätigt wurde. 1961 trat die MVR den UN und 1962 dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe bei. Im Zuge des seit den 60er-Jahren sich vertiefenden sowjetisch-chines. Gegensatzes lehnte sich die MVR eng an die UdSSR an, bes. als China 1969 den Grenzvertrag von 1962 für ungültig erklärte und Gebietsforderungen stellte. Langjähriger Staats- und Parteichef war bis 1984 J. Tsedenbal, ihm folgte S. Batmunch. Unter dem Druck der Veränderungen in der UdSSR und in Osteuropa proklamierte die Partei- und Staatsführung seit 1989 einen »Kurs der Umgestaltung«. Gleichzeitig entwickelte sich - bes. unter den Intellektuellen - eine Demokratiebewegung (1990 Entstehung der ersten Oppositionsparteien), die im März 1990 den Rücktritt der Partei- und Staatsführung erzwang. Neuer Staatschef wurde P. Otschirbat. Per Verfassungsänderung wurde das Machtmonopol der MRVP aufgehoben. Aus den ersten freien Wahlen (Juli 1990) ging die MRVP als Sieger hervor; das Parlament bestätigte Otschirbat als Staatsoberhaupt. Die wirtsch. und gesellschaftl. Umstellung nach dem Ende der kommunist. Herrschaft verursachte gravierende Probleme: Der Mangel an Devisen und an Energie ließ die Ind.produktion und das Sozialprodukt zurückgehen. Die Parlamentswahlen im Juni 1992 gewann erneut die MRVP, die sich offiziell vom Marxismus-Leninismus losgesagt hatte. Bei der ersten Direktwahl des Staatspräs. bestätigte die Bev. 1993 Otschirbat - nach dem Bruch mit der MRVP Kandidat der Opposition - im Amt. Bei den Parlamentswahlen vom Juni 1996 siegte die Anfang 1996 gegründete Demokrat. Union und stellte die Regierung. Die Wahl des MRVP-Kandidaten, N. Bagabandi, 1997 zum Staatspräs. behinderte die reformorientierte Arbeit der Regierung.
Im Jan. 1993 schloss die M. (nach dem Abzug der russ. Truppen) mit Russland einen Freundschaftsvertrag, im April 1994 einen Freundschaftsvertrag mit der VR China.
Literatur:
Schenk, A. u. Haase, U.: M. München 1994.
Raith, V.: Steppen, Tempel u. Nomaden. München 1994.
Mongolia in transition, hg. v. O. Brun u. a. Richmond 1996.
Sanders, A. J.: Historical dictionary of Mongolia. Lanham, Md., 1996.
Auf dem Pfad der Erleuchtung. Tibet u. M., hg. v. M. Tölle. A. d. Engl. Amsterdam 1998.
Bulag, U. E.: Nationalism and hybridity in Mongolia. Oxford 1998.
Christian, D.: A history of Russia, Central Asia and Mongolia, auf mehrere Bde. ber. Oxford 1998 ff.
Khasbagana, A.: Herausbildung einer pluralistischen Presse in der M. seit 1989. Frankfurt am Main 1998.
Prohl, W. u. Staisch, P.: Dschingis Khan lächelt. Die M. auf dem Weg zur Demokratie. Bonn 1998.
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