Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Mitbestimmung
Mitbestimmung,i. w. S. die Beteiligung von Personengruppen an polit. oder wirtsch. Planungen oder Entscheidungen (Partizipation), i. e. S. die Teilnahme der Arbeitnehmer am Willensbildungs- und Entscheidungsprozess in Betrieben oder Unternehmen. - Die betriebl. M. ist für die private Wirtschaft im Betriebsverfassungsgesetz vom 15. 1. 1972 geregelt. Das Personalvertretungs-Ges. vom 15. 3. 1974 gilt für Beamte, Angestellte und Arbeiter im öffentl. Dienst (Personalvertretung). Nach beiden Gesetzen haben die Arbeitnehmer sowohl bloße Mitwirkungs- als auch echte Mitbestimmungs- oder Mitentscheidungsrechte bei der Gestaltung ihrer Arbeitsbeziehungen und Arbeitsbedingungen, die sie durch gewählte Betriebs- oder Personalräte wahrnehmen. - M. im Unternehmen ist Teilhabe der Belegschaft an der Leitung des Unternehmens durch Wahl von Arbeitnehmervertretern in die Aufsichtsgremien. Sind darin Anteilseigner wie Arbeitnehmer in gleicher Stärke vertreten, spricht man von parität. M., besteht hingegen ein Übergewicht der Anteilseigner, von einfacher Mitbestimmung.Unternehmens-M.: Das M.-Gesetz vom 4. 5. 1976 gilt für Unternehmen mit i. d. R. mehr als 2 000 Beschäftigten, die in Form der AG, KGaA, GmbH oder Genossenschaft betrieben werden, ausgenommen Tendenzbetriebe sowie Unternehmen, die dem Montan-M.-Ges. von 1951 unterliegen. Nach dem M.-Gesetz besteht in den Grundfragen des Unternehmens (z. B. Auflösung oder Umwandlung des Unternehmens) keine Mitbestimmung. Es bestimmt aber, dass der Aufsichtsrat gleichmäßig mit Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer besetzt wird (in Unternehmen bis 10 000 Arbeitnehmer im Verhältnis 6 : 6, mehr als 10 000-20 000 Arbeitnehmer 8 : 8, mehr als 20 000 Arbeitnehmer 10 : 10). Die Arbeitnehmersitze müssen auf Arbeiter, Angestellte und leitende Angestellte entsprechend ihrem Anteil an der Gesamtbelegschaft verteilt werden; ihre Wahl erfolgt, je nach Belegschaftsstärke, unmittelbar durch Urwahl oder mittelbar durch Wahlmänner. Der Aufsichtsrat wählt aus seiner Mitte einen Vorsitzenden. Dieser gehört i. d. R. der Anteilseignerseite an; bei Stimmengleichheit gibt seine Stimme den Ausschlag. Als gleichberechtigtes Vorstandsmitgl. wird ein Arbeitsdirektor bestellt.
Für Unternehmen in Form der AG oder KGaA bis 2 000 Beschäftigte gilt die einfache M. nach dem Betriebsverfassungs-Ges. von 1952 (§§ 76 ff.), das insoweit fortgilt. Dasselbe trifft für GmbH und Genossenschaften mit mehr als 500 Arbeitnehmern zu. Die Aufsichtsräte dieser Unternehmen (Ausnahme: Tendenzbetriebe) bestehen zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern. Diese werden in allg., geheimer Wahl von den Arbeitnehmern gewählt.
Durch das Ges. zur Beibehaltung der M. beim Austausch von Anteilen und der Einbringung von Unternehmensteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgl.-Staaten der EU betreffen (M.-Beibehaltungs-Ges.), vom 23. 8. 1994 wird gewährleistet, dass die M. gewahrt bleibt, wenn die Unternehmensform aus steuerl. Gründen geändert wird.Montan-M.: Dem Montan-M.-Ges. vom 21. 5. 1951 unterliegen AG und GmbH mit mehr als 1 000 Arbeitnehmern, wenn sie überwiegend Kohle und Eisenerze fördern oder Unternehmen der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie sind und im alliierten Entflechtungs-Ges. vom 16. 5. 1950 namentlich aufgeführt waren oder als Montanunternehmen erst später gegründet wurden, aber dieselben Merkmale wie diese aufweisen. Ihr Aufsichtsrat setzt sich aus der gleichen Anzahl von Vertretern der Anteilseigner und Arbeitnehmer sowie aus einem neutralen Mitgl. zusammen. Er hat 11, 15 oder 21 Mitgl. Sie werden durch das nach Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag zuständige Wahlorgan gewählt, das für die Wahl der Arbeitnehmervertreter an die Vorschläge der Betriebsräte gebunden ist. Das neutrale Mitgl. wird auf Vorschlag der Aufsichtsräte beider Seiten vom Wahlorgan bestellt. Dem Vorstand muss ein Arbeitsdirektor angehören. - Unter das M.-Ergänzungs-Ges. vom 7. 8. 1956 fallen die Gesellschaften, die zwar nicht vom Montan-M.-Ges. von 1951 erfasst werden, aber aufgrund eines Organschaftsvertrags ein oder mehrere Unternehmen beherrschen, in denen das Montan-M.-Ges. von 1951 gilt (z. B. Konzerne, Holdinggesellschaften von Montanunternehmen). Abweichend vom Montan-M.-Ges. von 1951 werden die Arbeitnehmervertreter durch von der Belegschaft gewählte Wahlmänner bestellt.
Die Montan-M. gilt auch für Konzerne, in denen der Montananteil beim herrschenden Unternehmen mindestens 20 % beträgt. Unternehmen und Holdinggesellschaften, bei denen die Voraussetzungen der Anwendung des Montan-M.-Ges. und des Montan-M.-Ergänzungs-Ges. entfallen, bes. durch Umstrukturierungen, unterliegen ungeachtet der Änderungen noch für weitere sechs Jahre der Montanmitbestimmung. Österreich: Die zentralen Bestimmungen der M. im Arbeitsrecht enthält das Arbeitsverfassungs-Ges. von 1974. Es unterscheidet je nach dem Inhalt allg. Befugnisse, die Mitwirkung in sozialen, in personellen sowie in wirtsch. Angelegenheiten. Neben allgemeinen Informations- und Beratungsrechten erhält die Belegschaft die Gelegenheit, etwa auf die Geltung überbetriebl. Rechtsvorschriften sowie v. a. auf das Arbeitsverhältnis Einfluss zu nehmen. Ein maßgebl. Einfluss kommt der Belegschaft auch im Bereich der Beendigung von Arbeitsverhältnissen zu. Für den Aufsichtsrat einer AG, GmbH oder Genossenschaft gilt eine »Drittelparität«, d. h., pro zwei sonstigen Aufsichtsratsmitgl. können Betriebsrat oder Zentralbetriebsrat je einen Arbeitnehmervertreter entsenden. Auch die Beteiligung an Ausschüssen des Aufsichtsrats ist vorgeschrieben. Im Ggs. zu den anderen Aufsichtsratsmitgl. üben die Arbeitnehmervertreter ihre Funktion ehrenamtlich aus.
Schweiz: Am 1. 5. 1994 trat das Bundes-Ges. über die Information und Mitsprache der Arbeitnehmer in den Betrieben (Mitwirkungs-Ges.) vom 17. 12. 1993 in Kraft. In Betrieben mit mindestens 50 Arbeitnehmern haben diese das Recht, aus ihrer Mitte eine oder mehrere Vertretungen zu bestellen, denen gewisse Mitwirkungsrechte zustehen.
Literatur:
Nagel, B.u. a.:Neue Konzernstrukturen u. M. Baden-Baden 1994.
Klinkhammer, H. u. Welslau, D.: M. in Deutschland u. Europa. Eine Einführung für Praktiker. Neuwied u. a. 1995.
Mitbestimmungsgesetze in den Unternehmen, hg. v. P. Hanau. München 51995.
Niedenhoff, H.-U.: M. in den EU-Staaten. Köln 21995.
Niedenhoff, H.-U.: M. in der Bundesrepublik. Köln 101995.
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