Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Mathematik
Mathematik[zu grch. mathēmatike̅́ (téchnē), von máthēma »das Gelernte«] die, eine der ältesten Wissenschaften, hervorgegangen aus den Aufgaben des Zählens, Rechnens und Messens, der prakt. (insbesondere naturwiss. und techn.) Fragestellungen zugrunde lagen und zu deren Behandlung urspr. Zahlen und geometr. Figuren sowie ihre wechselseitigen Verknüpfungen herangezogen wurden. Der Aufgabenbereich der M. wurde mit der Abstrahierung von der ursprüngl. Bedeutung der untersuchten Objekte wesentlich erweitert und führte zu einer »Wissenschaft von den formalen Systemen« (D. Hilbert). Danach versteht man unter der modernen M. die Wissenschaft von den abstrakten Strukturen und log. Folgerungen, die durch Festlegung von wenigen Grundannahmen über Relationen und Verknüpfungen zw. Elementen einer Menge beliebiger Größen bestimmt werden. Zu ihren wesentl. Aufgaben gehört das Aufstellen allgemeinster, widerspruchsfreier Beziehungen zw. diesen Größen (Axiom), aus denen sich auf rein log. Weg Folgerungen in Form von Aussagen (Sätzen) ergeben. Die M. ist gekennzeichnet durch eine hohe Präzision ihres Begriffssystems, Strenge ihrer Beweismethoden und einen stark deduktiven Charakter ihrer Darlegung. Entsprechend der Vielfalt ihrer Anwendungsgebiete unterteilt man die M. in Zweige, deren klare Abgrenzung voneinander schwierig ist. Nach traditioneller Einteilung gliedert sich die M. in Arithmetik, Geometrie, Algebra und Analysis. Wichtige selbstständige Spezialdisziplinen sind daneben u. a. Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik, Funktionalanalysis, Kombinatorik, Mengenlehre, numer. M., Optimierung, Topologie, Vektorrechnung sowie Ausgleichs- und Fehlerrechnung; mit Computeralgebra und Technomathematik u. a. entstanden auch Zweige der M., die sich des Computers als Hilfsmittel bedienen.Geschichte: Auf teils noch vorwiss. Stufe stand die ägypt. und babylon. M., die sehr eng mit ihren jeweiligen Anwendungen zusammenhingen und ohne Begründung gegebene Regeln verwendeten. Die grch. M. dagegen ging bereits beweisend vor. Appollonios von Perge arbeitete die Kegelschnittlehre aus, Archimedes entwickelte die Exhaustionsmethode. Die röm. M. blieb weitgehend auf prakt. Aufgaben beschränkt. Die (durch die ind. M. beeinflusste) arab. M., die vom 9. Jh. an führend war, lieferte selbstständige Beiträge, z. B. zur Geometrie, zur Trigonometrie, zur Theorie der Gleichungen und zur Reihenlehre. Sie gab das mathemat. Wissen an das lat. MA. weiter. In Europa begann die Weiterentwicklung der M. seit Regiomontanus mit der Vervollkommnung der Trigonometrie, der Ausbildung der Perspektive, dem Studium der kaufmänn. Rechenverfahren und der Schaffung einer Algebra. Nach der Einführung der Logarithmen zu Beginn des 17. Jh. legten R. Descartes und P. de Fermat mit der analyt. Geometrie die Grundlage für die Infinitesimalrechnung (I. Newton, G. W. Leibniz). Im Laufe der entsprechenden Untersuchungen wurde der Begriff der Funktion geklärt. Es entstand die Analysis, die die Entwicklung der M. im 18. Jh. weitgehend bestimmte. Gegen Ende des 18. Jh. wurde von L. Euler der Ausbau der von Fermat im Anschluss an Diophantos von Alexandria (3. Jh) geschaffenen abstrakten Zahlentheorie eingeleitet. Auf der Grundlage der von C. F. Gauß entwickelten Theorie der komplexen Zahlen wurde im 19. Jh. die Funktionentheorie von A. L. Cauchy begründet und von K. Weierstraß und B. Riemann weiterentwickelt. Im selben Jh. erfuhr die M. auch eine Wendung zu Grundlagenfragen und zur Systematisierung hin. Neben Konvergenzfragen spielte die nichteuklid. Geometrie eine wichtige Rolle bei der Beschäftigung mit den Grundlagen der Mathematik. Probleme der Geodäsie und Astronomie führten zur Fehlerrechnung, physikal. Fragestellungen auf die Vektorrechnung, innermathemat. Untersuchungen zur Gruppentheorie. Ein neues Gebiet erschloss die von G. Cantor begründete Mengenlehre. Im 20. Jh. kam es zur Bildung der sog. abstrakten Algebra und parallel dazu zur Axiomatisierung, schließlich zu einem neuen Verständnis der M. als Wissenschaft von den mathemat. Strukturen. Für die mathemat. Grundlagenforschung des 20. Jh. sind die Ergebnisse der mathemat. Logik sehr wichtig. Sehr einflussreich war der Versuch der Gruppe Bourbaki, der M. eine einheitl. mengentheoretisch orientierte Sprache auf strukturalist. Hintergrund zu geben. In den 80er-Jahren fand eine Rückwendung zu eher konkreten Fragestellungen statt.
Literatur:
Resnikoff, H. L.u. Wells, R. O.: M. im Wandel der Kulturen. A. d. Engl. Braunschweig 1983.
Dieudonné, J.: Geschichte der M. 1700-1900. Ein Abriß. A. d. Frz. Braunschweig u. a. 1985.
Lexikon bedeutender Mathematiker, hg. v. S. Gottwald u. a. Neuausg. Thun 1991.
Gericke, H.: M. in Antike u. Orient. Sonderausg. Wiesbaden 1992.
Reinhardt, F. u. Soeder, H.: dtv-Atlas zur M., 2 Bde. München 9-101994.
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