Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Materie
Materi|e[lat.] die,
1) allg.: Stoff, Masse; das Gegenständliche, der Inhalt im Ggs. zur Form; das Sachliche.
2) Philosophie: In Aristoteles' Hylemorphismus als erste Materie der unbestimmte, allem Werden und Vergehen zugrunde liegende Urstoff (Materialursache); im Neuplatonismus die letzte Stufe der Emanation des Ureinen, als dessen Gegenpol das Prinzip des Bösen. Auf Aristoteles zurückgreifend, gilt der Scholastik die M. als das gänzlich Unbestimmte (Materia prima) bzw. als das bereits Geformte, weiterer Formung jedoch Fähige (Materia quantitate signata), damit als Individuationsprinzip (Potenz). Vom Verhältnis der M. zu Form, Zweck, Potenz absehend, konzentriert sich die moderne Wiss. auf den quantifizierbaren Gehalt der M. (Körperlichkeit, Masse, Trägheit).
3) Physik: Der physikal. M.-Begriff schließt die mathematisch fassbare Struktur der M. ein. Bereits im 19. Jh. wurde versucht, den Begriff der Masse als eine der Grundeigenschaften der M. (oft fälschlich mit ihr gleichgesetzt) rein operational zu definieren und ihn so von den Resten philosoph. Begrifflichkeit (Stofflichkeit) zu trennen. Erst die Physik des 20. Jh. hat den klass. M.-Begriff der sinnl. Anschauung und des ihr entsprechenden euklid. Raumes aufgelöst. An ihre Stelle treten makrophysikalisch der relativitätstheoret. Begriff einer Wechselwirkung zw. der M. und der durch sie gekrümmten vierdimensionalen Raum-Zeit (Raum), mikrophysikalisch die Wahrscheinlichkeitsgesetze im Zustandsraum (Hilbert-Raum) der Quantenmechanik. Die eigentl. Träger der M. (»Teilchen«) sind dynam. Zentren, die nur einen verschwindend geringen Raum einnehmen. Der räuml. Hauptanteil der makrophysikalisch repräsentierten M. ist »leer« im Sinne einer naiven Anschauung, jedoch erfüllt von intensiven Kraftwirkungen. Sie bilden das Feld, das die eigentl. M.-Träger umgibt und als dessen Erzeugnis man umgekehrt auch diese »eigentl. M.« zu verstehen bemüht ist, da seit Etablierung des Dualismus eine scharfe Trennung zw. den Begriffen Teilchen und Feld gar nicht möglich ist. Vielmehr können Teilchen mit Ruhemasse in solche ohne Ruhemasse umgewandelt werden und umgekehrt (Paarbildung). Beide können nach der von A. Einstein aufgezeigten Äquivalenz von Masse und Energie nur als zwei versch. Erscheinungsformen von Energie aufgefasst werden. Die Antimaterie ist im obigen Sinn als eine andere Form von M. aufzufassen. Durch die Wechselwirkungen der M. werden sowohl die Elementarprozesse der Mikrophysik (Kern- und Atomaufbau, chem. Bindungsverhältnisse in Molekülen u. a.), die Eigenschaften der makroskop. M. unserer Umgebung als auch Aufbau und Entwicklung des gesamten Kosmos beschrieben.
Literatur:
Schrödinger, E.: Geist u. M. Aus dem Amerikan. Zürich 1989.
Heisenberg, W.: Physik u. Philosophie. A. d. Engl. Stuttgart 51990.
Feynman, R. P.: QED. Die seltsame Theorie des Lichts u. der M. Aus dem Amerikan. Neuausg. München 51992.
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