Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Manierismus
Manierịsmusder, von der jüngeren Kunstwiss. geprägter Stilbegriff für die Phase des Übergangs von der Renaissance zum Barock, auch gleichgesetzt mit der Spätrenaissance; in neuerer Zeit nicht nur auf die zeitlich begrenzte Periode des 16./17. Jh. bezogen, sondern auch auf die Endphase jeder Epoche.
Der M., dessen Erscheinungsformen vielfältig und gegensätzlich sind, wurzelt in der Kunst der Hochrenaissance, verwandelt aber deren Prinzipien vielfach in ihr Gegenteil: Auflösung des Statischen zugunsten von Bewegungsabläufen; Neigung zu zentrifugal angelegten Kompositionen anstelle des von der Hochrenaissance bevorzugten Zentrierten; Darstellung des Unendlichen im Unterschied zum eindeutig Begrenzten; Aufhebung der Grenze zw. Kunstraum und Realraum; Verwischung der Grenzen zw. den Kunstgattungen; Negation der Realität zugunsten der Darstellung des Abnormen, Verformung der Figur zugunsten von Ausdruckssteigerung; ekstat. Versenkung neben Profanierung und akadem. Erstarrung. Die Wege zu den neuen gestalter. Möglichkeiten öffneten der späte Raffael, Michelangelo und der junge Tizian. Hauptmeister in Italien waren die Maler Rosso Fiorentino, I. da Pontormo, Bronzino, G. B. Rosso, Parmigianino, L. Lotto, Tintoretto, G. A. Pordenone, J. Bassano und G. Arcimboldo, die als Universalkünstler tätigen G. Romano und G. Vasari, die Bildhauer B. Cellini und Giambologna sowie die Architekten B. Peruzzi und G. Vignola. Vertreter nördlich der Alpen waren M. van Heemskerck, P. Bruegel d. Ä., der Architekt C. Floris und der Bildhauer A. de Vries, in Frankreich die Schule von Fontainebleau und in Spanien El Greco. Bevorzugt wurden ausgefallene Naturformen von dem Keramiker B. Palissy.Aus der Kunstwiss. wurde der Begriff 1948 in die Literaturwiss. übernommen zur Bez. der Übergangsphase von Renaissance zu Barock. M. wird auch als Epochenbegriff oder zur Bez. eines Kunststils verwendet; er umfasst die nat. Stilhaltungen des Marinismus in Italien, des Gongorismus in Spanien, des Euphuismus in England, der frz. preziösen Literatur und des dt. Barock. Die Wirklichkeit wird durch einseitiges Interesse am Problematisch-Interessanten, Bizarren und Monströsen ins Groteske und Fantastische verzerrt, ins Traumhafte aufgelöst und oft ins Surreale gesteigert. Sprachl. Kennzeichen sind u. a. überreiche Verwendung von Tropen, Metaphern, Wortspielen und gelehrten mytholog. Anspielungen.
Literatur:
Würtenberger, F.: Der M. Neuausg. Wien u. a. 1979.
M. in der Architektur, bearb. v. K. Stoklas. Stuttgart 1988.
Praz, M.: Der Garten der Sinne. Ansichten des M. u. des Barock. A. d. Italien. Frankfurt am Main 1988.
Hocke, G. R.: Die Welt als Labyrinth. M. in der europ. Kunst u. Literatur. Sonderausg. Reinbek 1991.
Shearman, J.: M. Aus dem Amerikan. Weinheim 1994.
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