Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Lyrik
Lyrik[zu grch. lyrikós »zum Spiel der Lyra gehörend«] die, poet. Gattung, die am unmittelbarsten menschl. Stimmungen ausdrücken kann; seit dem 18. Jh. (J. C. Gottsched) wird sie neben Epik und Dramatik als dritte literar. Hauptgattung definiert. Hervorgegangen ist sie aus Gesängen, die in direkter Verbindung zum Mythos, aber auch zur Alltagswelt standen. Von allen literar. Äußerungen ist sie am engsten an die Muttersprache des Urhebers gebunden.In Europa ist L. erstmals bei den Griechen als Lied, das mit Lyrabegleitung vorgetragen wurde, fassbar. Im Laufe ihrer Geschichte entfaltete sie einen Formenreichtum, der sich jeder exakten Begriffsbestimmung und Klassifizierung entzieht, aber nie ganz die ursprüngl. Bindung an die Musik verleugnet (Lied).
Konstante Elemente der aus dem grch.-röm.-christl. Kulturkreis erwachsenen L. sind deshalb Rhythmus, Vers, Metrum, teilweise auch Reim und Strophe. Aus der unterschiedl. Anwendung dieser Elemente ergeben sich - oft in fester Verbindung mit bestimmten Inhalten - die einzelnen lyr. Gattungen, die z. T. schon in der grch. Antike ausgebildet (Elegie, Ode, Hymne, Epigramm) und seit der Renaissance in Europa um neue Varianten bereichert wurden (Sonett, Madrigal, Kanzone, später auch Übernahme arab. Formen wie Ghasel und Kasside). Ebenso vielfältig wie die Formen der L. sind ihre Inhalte. Als älteste Beispiele sind Zaubersprüche, religiöse Hymnen, Fest-, Kriegs-, Klage- und Liebeslieder überliefert, frühzeitig auch L. mit belehrendem Charakter. Als Ausdruck subjektiver Stimmungen und Empfindungen begegnet L. seit der archaischen grch. Dichtung, nun auch unter dem Namen der Urheber: Alkaios, Sappho, Pindar. Im europ. MA. entstand schon früh religiöse L. in lat. Sprache, daneben entwickelte sich die volkssprachl. Dichtung, z. B. in Minnesang und Kreuzzugsliedern. Ebenfalls seit dem MA. gestaltet L. als Gedanken-L. theolog. und philosoph. Themen.Für die folgenden Jahrhunderte ist die Geschichte der L. in Europa nationalliterarisch bestimmt, wobei einzelne Persönlichkeiten oder Richtungen auch übernational wirkten (wie F. Petrarca, G. Marino, L. de Góngora y Argote, die Anakreontik). Mit der Aufwertung des Individuums durch die Aufklärung wuchsen in der dt. L. (Sturm und Drang) Maß und Anteil dichter. Subjektivität. Diese Erlebnisdichtung prägte in der Romantik auch andere europ. Literaturen (in Frankreich, England, Spanien, Russland, Polen). In der 2. Hälfte des 19. Jh. eröffnete das Prinzip des L'art pour l'art und der darauf folgende Symbolismus der L. neue Möglichkeiten, die in die abstrakte Dichtung des 20. Jh. münden. Daneben werden die traditionellen Formen weiterhin gepflegt. - Eine Sonderform der L. ist die Ballade, in der sich lyr. mit ep. und dramat. Elementen verbinden.
Literatur:
Austermühl, E.: Poet. Sprache u. lyr. Verstehen. Studien zum Begriff der L. Heidelberg 1981.
Geschichte der dt. L. vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hg. v. W. Hinderer. Stuttgart 1983.
Killy, W.: Elemente der L. Neuausg. München 1983.
Staiger, E.: Grundbegriffe der Poetik. Neuausg. München 51983.
Lamping, D.: Moderne L. Eine Einführung. Göttingen 1991.
Lamping, D.: Das lyr. Gedicht. Definitionen zu Theorie u. Geschichte der Gattung. Göttingen 21993.
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