Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Luther
Lụther,1) Hans, Politiker, * Berlin 10. 3. 1879, ✝ Düsseldorf 11. 5. 1962; parteilos, der DNVP nahe stehend, war 1923-25 Reichsfinanzmin. 1923-24 hatte er Anteil an der Stabilisierung der Währung. Von Jan. 1925 bis Mai 1926 Reichskanzler, schloss er zus. mit Außenmin. G. Stresemann die Locarnoverträge ab. 1930-33 war L. Reichsbankpräs., 1933-37 Botschafter in Washington.
2) Martin, Reformator, * Eisleben 10. 11. 1483, ✝ ebd. 18. 2. 1546; Sohn des Bergmanns und späteren Hüttenmeisters Hans L. und seiner Frau Margarethe, geb. Lindemann; Schulbesuch in Mansfeld, Magdeburg und Eisenach; seit 1501 Studium an der Univ. Erfurt; 1505 Magister Artium und auf Wunsch seines Vaters Einschreibung an der jurist. Fakultät; nach zwei Monaten Abbruch des Jurastudiums und Eintritt ins Erfurter Augustiner-Eremitenkloster (17. 7. 1505). Äußerer Anlass war das Erlebnis eines schweren Gewitters, bei dem L. das Gelübde ablegte: »Hilf du, hl. Anna, ich will ein Mönch werden.« 1507 Priesterweihe und Beginn des Theologiestudiums; 1510-11 in Ordensangelegenheiten nach Rom entsandt; 1512 Versetzung in den Wittenberger Ordenskonvent, Promotion zum Doktor der Theologie und Prof. für Bibelauslegung; wahrscheinlich 1515/16 (Turmerlebnis) Durchbruch seines theolog. Denkens zu den Positionen der späteren Reformation.Am 31. 10. 1517 veröffentlichte L. in Wittenberg (»Thesenanschlag«) 95 Thesen über den Ablass, um zu einer Disputation aufzufordern. Die unerwartete Öffentlichkeitswirkung und Zustimmung, die sie fanden, waren Ausdruck des schon lange in Dtl. angestauten Protestes gegen den Ablasshandel und eine verweltlichte, der christl. Botschaft entfremdete Kirche und bedeuteten faktisch den Beginn der Reformation. Anzeigen in Rom führten zu einem Ketzerprozess gegen L. und zur Vernehmung durch Kardinal Cajetanus (12.-14. 10. 1518); die Leipziger Disputation (1519) mit J. Eck leitete L.s Bruch mit dem Papsttum ein, den er mit der Verbrennung der gegen ihn gerichteten Bannandrohungsbulle am 10. 12. 1520 vollzog. Vor dem Reichstag in Worms (17./18. 4. 1521) verteidigte er seine Positionen, die er v. a. in den sog. reformator. Hauptschriften (»An den christl. Adel dt. Nation«, »Von der babylon. Gefangenschaft der Kirche«, »Von der Freiheit eines Christenmenschen«, alle 1520) niedergelegt hatte. Den verlangten Widerruf lehnte er ab, worauf die Reichsacht über ihn verhängt wurde. Auf Veranlassung Kurfürst Friedrichs III., des Weisen, von Sachsen wurde L. auf dem Rückweg von Worms »überfallen« und zu seinem Schutz auf die Wartburg gebracht. Hier lebte er zehn Monate als »Junker Jörg«. Auf der Wartburg entstand u. a. seine Übersetzung des N. T. 1522 kehrte L. nach Wittenberg zurück, um die radikalen Kirchenreformen Karlstadts (z. B. Entfernung der Bilder aus den Kirchen) rückgängig zu machen; theologisch setzte er sich mit ihm in den zw. dem 9. und 16. 3. 1522 in Wittenberg gehaltenen Invocavitpredigten auseinander. Von den theolog. Auffassungen der Täufer, den sozialrevolutionären Forderungen der Bauern (Bauernkrieg) und den Vorstellungen eines auf Vernunft und allg. menschliche Moral begründeten Christentums der Humanisten (Erasmus) grenzte sich L. 1525 in den Schriften »Wider die himml. Propheten«, »Wider die räuber. und mörder. Rotten der Bauern« und »De servo arbitrio« (»davon, dass der freie Wille nichts sei«) ab. Am 13. 6. 1525 heiratete L. die Nonne Katharina von Bora. Seit 1526 widmete er sich v. a. in Zusammenarbeit mit Melanchthon dem Ausbau und der inneren Festigung des neu entstehenden (Landes-)Kirchen- und Schulwesens (Durchführung der ersten Kirchen- und Schulvisitationen), daneben war er vielfältig theologisch und schriftstellerisch tätig (großer und kleiner Katechismus, 1529; Abschluss der Bibelübersetzung, 1534; zahlr. geistl. Lieder). 1530 unterstützte er Melanchthon von Coburg aus in den Verhandlungen um die Anerkennung des prot. Bekenntnisses auf dem Augsburger Reichstag (Augsburgische Konfession), auf dem er als Geächteter nicht teilnehmen konnte. 1536 verfasste er für das seit 1532 von Kaiser Karl V. geforderte Konzil (1537 nach Mantua einberufen und gescheitert) die Schmalkaldischen Artikel. Bis 1545 Vorlesungstätigkeit in Wittenberg; dort am 22. 2. 1546 in der Schlosskirche beigesetzt.L.s Theologie ist Kreuzestheologie, Zentrum seines theolog. Denkens die Rechtfertigung des Sünders allein aus Glauben. Die Rechtfertigung ist ausschließlich und unmittelbar im Tod Jesu Christi am Kreuz begründetes Gnadengeschenk Gottes und kann weder durch (verdienstl.) Werke noch durch kirchl. Vermittlung (Ablass) erlangt werden. Sie befreit den Menschen zum Dienst am Nächsten; ohne sie bleibt er in seinem ganzen Denken, Fühlen und Handeln Gefangener (»Knecht«) der Sünde. Christl. Existenz ist Nachfolge des Gekreuzigten, wobei L. keine Unterscheidung zw. den geistl. und weltl. Ständen macht. Alle Christen sind in die Nachfolge und zur Priesterschaft (Priestertum aller Gläubigen) berufen. Ihr Beruf ist der konkrete Ort, an den sie Gott gestellt hat, ihm und ihren Mitmenschen zu dienen. In der staatl. Gewalt sieht L. die von Gott gewollte äußere Ordnung der Welt (Zweireichelehre). Die Bibel ist oberste Autorität für den Christen und wird von L. als »Wort Gottes« dem kirchl. Lehramt übergeordnet. Von den sieben mittelalterl. Sakramenten behält er nur Taufe und Abendmahl bei. In der Abendmahlslehre lehnt er die Transsubstantiation ab, hält aber - im Gegensatz zu Zwingli - an der wirkl. Gegenwart von Leib und Blut Jesu Christi (Realpräsenz) fest. Den Opfercharakter der Messe lehnt er ab und betont den Aspekt der Versammlung der christl. Gemeinde um Gottes Wort und Sakrament.L.s Wirken beeinflusste wesentlich die Entwicklung der dt. Sprache. Er stellte die dt. Sprache gleichberechtigt neben die drei bis dahin als heilig erachteten Sprachen: Hebräisch, Griechisch und Latein. Von einem Übersetzer forderte er den Aufbau eines reichen Wortschatzes, der sich auch an der gesprochenen Sprache orientieren sollte (»Sendbrief vom Dolmetschen«, 1530). Er hat selbst die dt. Hochsprache meisterhaft gehandhabt und entscheidend zu ihrer Durchsetzung beigetragen (1522 dt. Übers. des N. T., 1523/24 von Teilen des A. T., 1534 »Biblia, das ist, die gantze Hl. Schrifft, Deudsch. D. Mart. Luth.«). L. schloss sich an bereits ausgebildete überregionale Sprachformen an, an die Sprache der sächs. (Meißen), später auch der habsburg. Kanzlei und an die Traditionen der mitteldt., mystisch-erbaul. Prosaliteratur. In Lautstand, Orthographie, Flexion (volle Endungen), Wortschatz und Syntax wurde außerdem gemeinsam mit den Druckern seiner Werke ein Mittelweg zw. den bestehenden Schreibdialekten angestrebt. Für die Wirkungsgeschichte seiner Sprache (L.-Deutsch) war bedeutsam, dass kein Werk vorher eine so umfassende Verbreitung über das gesamte dt. Sprachgebiet und in allen Ständen gefunden hatte. Der Reichtum von L.s literarisch-sprachl. Schaffen zeigt sich auch in den »Tischreden oder Colloquia Doct. Mart. Luthers ...« (1566) und bes. in seinen geistl. Liedern (u. a. »Ein feste Burg ist unser Gott«). Dass L. der Kunstmusik breiten Raum im Gottesdienst einräumte, prägte die Entwicklung der prot. Kirchenmusik.
Literatur:
Schwarz, R.: L. Göttingen 1986.
Arndt, E. u. Brandt, G.: L. u. die dt. Sprache. »Wie redet der Deudsche man jnn solchem fall?«. Leipzig 21987.
Asendorf, U.: Die Theologie M. L.s nach seinen Predigten. Göttingen 1988.
L.-Lexikon, hg. v. K. Aland. Göttingen 41989.
Brecht, M.: L. als Schriftsteller. Zeugnisse seines dichterischen Gestaltens. Stuttgart 1990.
Friedenthal, R.: L. Sein Leben u. seine Zeit. Tb.-Ausg. München u. a. 81996.
L. in seiner Zeit. Persönlichkeit u. Wirken des Reformators, hg. v. M. Greschat u. G. Lottes. Stuttgart u. a. 1997.
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