Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Literaturwissenschaft
Literaturwissenschaft,1) umfassende Bez. für jede Art von wiss. Auseinandersetzung mit Literatur, auch als Oberbegriff für an den Nationalsprachen orientierte Philologien (Germanistik, Anglistik, Romanistik usw.) gebraucht; 2) allg. programmat. Begriff einer Wissenschaftsdisziplin, deren Gegenstand der gesamte Prozess der Texterstellung, textl. Ausformung, Verbreitung, Rezeption, Wirkung und Bewertung von Literatur ist, v. a. auch in ihrem Bezug zu Wirklichkeit und Gesellschaft sowie zu deren Wert-, Normierungs- und Tradierungssystemen (Gesch., Religion, Philosophie usw.). Die L. greift dabei einerseits traditionell v. a. der Ästhetik zugeordnete Elemente auf, andererseits sucht sie z. T. die bis in die Antike zurückreichende Poetik auszuweiten. Aufgabe der allg. L. ist es ferner, Strukturen, formale, motiv. oder themat. Kategorien aller Literaturen zu erfassen sowie Methoden und Ergebnisse der Poetik, Stilistik, Literaturtypologie, -soziologie, -psychologie und -philosophie zu verbinden.Geschichte: Der Begriff L. begegnet erstmals 1842 in T. Mundts »Gesch. der Literatur der Gegenwart«. Die positivist. L. orientierte sich methodisch an den Naturwiss. und betrieb unter dem Einfluss des Historismus noch vornehmlich Literaturgeschichtsschreibung. Erst als Reaktion auf eine bisweilen beziehungslose Faktenanhäufung der positivist. L. und das Postulat einer wertungsfreien Darstellung im Historismus wurden theoret. Ansätze zu einer allg. L. deutlich; so forderte E. Elstner in seinen »Prinzipien der L.« (1897) erstmals, diese konsequent von der Philologie zu trennen. Es entstand die geistesgeschichtl. Richtung (W. Dilthey), die an die Stelle des kausalgenet. Erklärens das »Verstehen« schriftlich fixierter Äußerungen (Hermeneutik) setzte. In diesen geistesgeschichtl. Darstellungen erhielten größere geistige Zusammenhänge und Strömungen den Vorrang vor dem Einzelwerk. Als Reaktion auf diese die Literatur außerliterar. Aspekten unterordnende Richtung entwickelten sich formalästhet. Untersuchungen des literar. Werks: die Stilanalyse, Formanalyse, werkimmanente Interpretation (E. Staiger). Der von russ. Anregungen geprägte Formalismus wandte sich, auf linguist. Methoden basierend, der Formensprache literar. Texte zu; der ihm ähnl. amerikan. New Criticism untersuchte vornehmlich die poet. Sprache und machte sich dabei die Erkenntnisse von Anthropologie, Psychologie und Soziologie zunutze (K. Burke, R. Wellek, A. Warren); außerdem haben der anthropolog. Strukturalismus (C. Lévi-Strauss) und die strukturalist. Linguistik (N. Chomsky) die auf das literar. Werk zentrierte Betrachtung beeinflusst. Um noch größere Exaktheit bei der wiss. Erfassung von Literatur zu erreichen, wurden auch Ansätze der neueren Linguistik berücksichtigt, die sich der Methoden der Informatik und Statistik bedient (M. Bense, W. Fucks, K. Baumgärtner). - In Abgrenzung zu einer »bürgerlich«-idealist. L. entwickelte sich im 19. Jh. eine materialist. Literaturwissenschaft. Bes. in den sozialistisch orientierten Ländern dienten die von G. Lukács ausformulierte »Widerspiegelungstheorie« und die Verpflichtung der Literatur auf einen »sozialist. Realismus« als Leitvorstellung. Hiergegen entwickelten sich bereits früh (Expressionismusdebatte) unorthodoxe, später neomarxist. ästhet. Theorien (S. Tretjakow, B. Brecht, E. Bloch), innerhalb derer die »krit. Theorie« (T. W. Adorno, W. Benjamin) einen wichtigen Einfluss ausübte. Eine weitere Richtung ist gekennzeichnet durch die Fortschreibung des auf S. Freud gegr. Literaturverständnisses, z. T. in Verbindung mit marxist. Positionen (H. Marcuse) oder mit linguistisch-strukturalist. Ansätzen (J. Lacan, J. Derrida). So präsentiert sich die heutige L. daher als eine methodisch wie inhaltlich heterogene Disziplin.
▣ Literatur:
V. Žmegač. Methoden der dt. L. Eine Dokumentation, hg. v. Neuausg. Frankfurt am Main 1974.
⃟ Kayser, W.: Das sprachl. Kunstwerk. Eine Einführung in die L. Tübingen u. a. 201992.
⃟ Schulte-Sasse, J. u. Werner, R.: Einführung in die L. München 81994.
⃟ L. Ein Grundkurs, hg. v. H. Brackert u. J. Stückrath. Reinbek 1995.
⃟ Grundzüge der L., hg. v. H. L. Arnold u. H. Detering. München 1996.
⃟ Methoden u. Modelle der L. Eine Einführung, bearb. v. R. Baasner u. M. Zens. Berlin 1996.
⃟ Literaturwiss. Lexikon. Grundbegriffe der Germanistik, hg. v. H. Brunner u. a. Berlin 1997.
⃟ Reallexikon der dt. L., hg. v. K. Weimar, auf 3 Bde. ber. Berlin 1997 ff.
▣ Literatur:
V. Žmegač. Methoden der dt. L. Eine Dokumentation, hg. v. Neuausg. Frankfurt am Main 1974.
⃟ Kayser, W.: Das sprachl. Kunstwerk. Eine Einführung in die L. Tübingen u. a. 201992.
⃟ Schulte-Sasse, J. u. Werner, R.: Einführung in die L. München 81994.
⃟ L. Ein Grundkurs, hg. v. H. Brackert u. J. Stückrath. Reinbek 1995.
⃟ Grundzüge der L., hg. v. H. L. Arnold u. H. Detering. München 1996.
⃟ Methoden u. Modelle der L. Eine Einführung, bearb. v. R. Baasner u. M. Zens. Berlin 1996.
⃟ Literaturwiss. Lexikon. Grundbegriffe der Germanistik, hg. v. H. Brunner u. a. Berlin 1997.
⃟ Reallexikon der dt. L., hg. v. K. Weimar, auf 3 Bde. ber. Berlin 1997 ff.