Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Litauen
Lịtauen⃟ Fläche: 65 300 km2
Einwohner: (1997) 3,718 Mio.
Hauptstadt: Vilnius (Wilna)
Verwaltungsgliederung: 10 Bezirke
Amtssprache: Litauisch
Nationalfeiertage: 16. 2. und 11. 3.
Währung: 1 Litas (LTL) = 100 Centas (ct)
Zeitzone: OEZ
(Lietuva, amtlich litauisch Lietuvos Respublika), Staat in NO-Europa, grenzt im W an die Ostsee, im N an Lettland, im O und SO an Weißrussland, im S an Polen und im SW an Russland (Gebiet Kaliningrad).
Staat und Recht: Nach der Verf. vom 25. 10. 1992 (durch Referendum gebilligt) ist L. eine souveräne, demokrat. Rep. mit Präsidialsystem. Als Staatsoberhaupt fungiert der direkt gewählte Präs. Die Legislative liegt beim Einkammerparlament, dem Sejm (141 Abg.), die Exekutive bei der Reg. unter Vorsitz des MinPräs. Einflussreichste Parteien: Vaterlandsunion (1993 aus der Unabhängigkeitsbewegung Sajudis [gegr. 1988] hervorgegangen), die Litauische Demokrat. Partei der Arbeit (LDAP; Nachfolgeorganisation der KP), Christlich-Demokrat. Partei, Sozialdemokrat. Partei, Partei der poln. Minderheit.
Landesnatur: L. liegt im NW der eiszeitlich geformten Osteurop. Ebene. Die Oberfläche wird durch Grund- und Endmoränen bestimmt. Im W erheben sich die Schamait. Höhen bis 234 m ü. M., der SO wird vom seenreichen Balt. Landrücken (in L. bis 292 m ü. M.) eingenommen und von den litauischen Hauptströmen Memel und Neris in tiefen, windungsreichen Tälern durchschnitten. Im zentralen Teil liegt die z. T. versumpfte, moorige Mittellitauische Tiefebene (35/40 m bis 80/90 m ü. M.). Der knapp 100 km lange und 15-20 km breite Küstenstreifen geht im S in die z. T. sumpfige Niederung an der unteren Memel über. Vor der südl. Küste liegt der litauische Anteil am Kur. Haff und an der Kur. Nehrung. - Das Klima ist durch maritimen Einfluss im W-Teil gemäßigt. Im mittleren und östl. Teil nimmt die Kontinentalität zu, die Winter werden kälter, die Sommer wärmer. Die langjährige Niederschlagsmenge erreicht im Jahresdurchschnitt an der Küste etwa 700 mm, in den östl. Regionen 550 mm. - Etwa 30 % der Fläche sind bewaldet (v. a. Kiefern, Fichten, Birken und Erlen). Die größten zusammenhängenden Waldgebiete liegen im SO; 17 % des Territoriums sind versumpfte Wiesen, 2,4 % Moore (v. a. Flachmoore).
Bevölkerung: 1997 waren von den Bewohnern 81,6 % Litauer, 8,2 % Russen, 6,9 % Polen, 1,5 % Weißrussen und 1,0 % Ukrainer. Der einst große Bev.anteil der Juden nahm von (1939) 7,5 % auf (1997) 0,1 % ab. Etwa 800 000 Litauer leben im Ausland (v. a. in den USA). L. ist die am stärksten besiedelte balt. Republik. Von der Bev. wohnen 73 % in Städten; am dichtesten sind die zentralen und südl. Gebiete, am schwächsten der SO besiedelt. Drei Viertel der Gläubigen gehören der römisch-kath. Kirche an. Die Schulpflicht beträgt neun Jahre. Neben der Litauischen Akademie der Wiss. gibt es zwei Univ. und zwei TUs in Vilnius bzw. Kaunas sowie fünf ihnen gleichgestellte Hochschulen.
Wirtschaft, Verkehr: Bis in die 50er-Jahre war die Landwirtschaft wirtschaftsbestimmend, danach entwickelte sich in großem Umfang die Industrie. Sie ist heute zus. mit dem Bauwesen am Bruttoinlandsprodukt mit 36 %, die Landwirtschaft mit 11 % beteiligt; 53 % enstammen dem Dienstleistungssektor. Der Übergang von der sozialist. Plan- zur freien Marktwirtschaft vollzieht sich schleppend, wichtige Wirtschaftsbereiche sind noch in staatl. Hand. L. ist wirtsch. noch eng mit Russland verflochten und auf die Zufuhr von russ. Erdöl, -gas, Metallprodukten und Maschinen angewiesen. Innerhalb der Landwirtschaft steht die Mastschweine-, Milchrinder- und Geflügelhaltung im Vordergrund. Hauptanbauprodukte sind Getreide, Futterpflanzen, Kartoffeln, Zuckerrüben, Flachs und Gemüse. Neben Binnen- und Küstenfischerei wird v. a. Hochseefischerei betrieben. L. ist arm an Rohstoffen. In größerem Umfang sind Torf- (wichtiger Brennstoff für die Privathaushalte), Baustoff- und Bernsteinvorkommen vorhanden. Die einst bestimmende Nahrungsmittel- (bes. Milch-, Fleisch-, Fischverarbeitung) und Textilind. wurde nach 1950 von Zweigen des Maschinenbaus und der Elektrotechnik/Elektronik (Bau von Werkzeugmaschinen, Elektromotoren und -geräten) sowie des Schiffbaus verdrängt. Bedeutung haben darüber hinaus die chem., Holz- und Papierind. sowie die Bernsteinverarbeitung. Wichtigste Ind.standorte sind Vilnius, Kaunas, Klaipėda, Šiauliai, Panevėžys, Alytus und Jurbarkas; in Mažeikiai wird russ. Erdöl verarbeitet, in Ignalina befindet sich ein Kernkraftwerk. Die wichtigsten Handelspartner sind Russland, die Ukraine, Weißrussland, Dtl., Lettland und Polen. Der Fremdenverkehr beginnt sich langsam zu entwickeln. - Das Verkehrsnetz ist relativ dicht ausgebaut und umfasst (1996) ein 2 098 km langes Eisenbahnnetz und ein 45 340 km langes Straßennetz. Das Binnenwasserstraßennetz ist 788 km lang (Schifffahrt auf Memel, Neris und den 61 Trakaiseen westlich von Vilnius). Internat. Flughäfen gibt es in Vilnius und Šiauliai, regionale in Kaunas, Panevėžys, Druskininkai und Palanga. Einziger Hochseehafen ist Klaipėda, seit 1986 mit Sassnitz-Mukran auf Rügen durch eine Eisenbahnfähre verbunden. Auf der Kur. Nehrung liegt das Ostseebad Neringa.
Geschichte: Etwa zu Beginn des 9. Jh. nahmen die von Slawen aus ihrem ursprüngl. Siedlungsraum an der oberen Oka und Wolga verdrängten balt. Litauer (1008 erstmals erwähnt) das Gebiet des heutigen L. in Besitz. Fürst Mindaugas (Mindowe) einigte um 1240 das in zahlr. Kleinfürstentümer zersplitterte L., das nach seiner Ermordung 1263 aber wieder zerfiel. Als eigentl. Reichsgründer gilt Großfürst Gedimin (1316-41), der ein litauisches Großreich (Hptst. seit 1323 Wilna) durch Ausdehnung nach O schuf; er unterstellte u. a. Minsk und Witebsk seiner Oberhoheit. Unter Gedimins Sohn Algirdas (1345-77) dehnte sich L. bis zur Oka und zum Dnjepr aus. Großfürst Jogaila (poln. Jagiełło, 1377-1434) schloss zum Schutz gegen den Dt. Orden eine Union mit Polen, ließ sich taufen und erhielt nach Heirat mit der poln. Thronerbin Hedwig 1386 die poln. Königskrone als Władysław II. (Begründer der Dynastie der Jagiellonen); die Großfürstenwürde überließ er 1401 seinem Vetter Witold (Vytautas; ✝ 1430). In der Schlacht von Tannenberg (1410) besiegte das vereinigte polnisch-litauische Heer den Dt. Orden. Im Unionsvertrag von Brest (1446) sicherte König Kasimir L. die Selbstständigkeit und Souveränität zu; es verlor jedoch immer mehr Gebiete an Russland (Smolensk, Tschernigow, Brjansk, Gomel). Während des Livländischen Krieges stimmten 1569 auf einem polnisch-litauischen Reichstag in Lublin die litauischen Vertreter unter poln. Druck der völligen Vereinigung beider Länder zu (Union von Lublin). Kämpfe rivalisierender Adelsfamilien schwächten das Doppelreich stark und führten eine bürgerkriegsähnl. Situation herbei, die Österreich, Russland und Preußen nutzten, um Polen 1772, 1773 und 1795 zu teilen. Mit der 3. Teilung kam der Hauptteil des litauischen Siedlungsgebietes an Russland, das Gebiet um Suwałki wurde preußisch (bis 1807). Die brutale Russifizierungspolitik bewirkte sowohl eine starke Auswanderungsbewegung in die USA und nach Kanada als auch eine litauische Nationalbewegung, die insbesondere vom Kleinadel und der Intelligenz getragen wurde und auch in Gegensatz zum Polentum geriet. Nach der Revolution von 1905 musste die russ. Reg. den Litauern Zugeständnisse machen; sie erhielten einen eigenen Landtag, litauische Abg. zogen in die Duma ein. 1915 besetzten dt. Truppen L.; der mit dt. Zustimmung 1917 gebildete Landesrat (Taryba) proklamierte am 11. 12. 1917, erneut am 16. 2. 1918 den unabhängigen Staat L. Die Reg. Sowjetrusslands erkannte die Rep. L. erst 1920 an, nachdem ein Versuch, das Land anzugliedern, gescheitert war; 1920 annektierte Polen das Wilnagebiet. L. bemächtigte sich 1923 des Memellandes. 1926 beendete ein militär. Staatsstreich die demokrat. Entwicklung; unter Staatspräs. A. Smetona (1926-40) errichtete die Nationalpartei (Tantininkai) eine autoritäre Herrschaft (MinPräs. 1926-29 A. Voldemaras, 1929-38 J. Tubelis). Am 22. 3. 1939 musste L. nach einem dt. Ultimatum das Memelland aufgeben. Der Dt.-Sowjet. Grenz- und Freundschaftsvertrag vom Sept. 1939 teilte L. der sowjet. Interessensphäre zu; im Juni 1940 wurde ganz L. besetzt und nach Ausrufung der Litauischen SSR (21. 7. 1940) am 3. 8. 1940 der Sowjetunion angegliedert; die litauische Intelligenz wurde verschleppt oder liquidiert. 1941-44 unter dt. Besetzung (Judenverfolgung), 1944 erneut durch die Rote Armee erobert. - Im Zuge der nat. Bestrebungen zur Wiederherstellung der Unabhängigkeit wurde 1988 die Bewegung Sajudis gegr.; im Dez. 1989 spaltete sich die KP von der KPdSU ab (1990 Umbenennung in Litauische Demokrat. Arbeiterpartei [LDAP] und Neuorientierung auf sozialdemokrat. Prinzipien). Nach Einführung eines Mehrparteiensystems (Dez. 1989) brachten die ersten freien Parlamentswahlen im Febr. 1990 eine Zweidrittelmehrheit für Sajudis. Am 11. 3. 1990 erklärte L. als erste sowjet. Unionsrep. seine staatl. Unabhängigkeit (Umbenennung in Rep. L. auf der Grundlage ihrer Vorkriegsverfassung). Parlamentspräs. (Staatsoberhaupt) wurde der Vors. der Sajudis V. Landsbergis, Ministerpräsidentin K. Prunskiene. Die Weigerung des Parlaments, den Unabhängigkeitsbeschluss zurückzunehmen, zog wachsende Spannungen mit Moskau nach sich (Wirtschaftsblockade gegen L. bis Juli 1990, blutige Zusammenstöße sowjet. Truppen mit der Bev. der Hptst. im Jan. 1991). Gemeinsam mit den ebenfalls um ihre staatl. Eigenständigkeit ringenden Rep. Estland und Lettland belebte L. im Mai 1990 den Baltischen Rat wieder und begann, ein eigenes Wirtschaftssystem aufzubauen. Bev.proteste gegen die enormen Preiserhöhungen führten im Jan. 1991 zum Rücktritt der Reg.; neuer MinPräs. wurde G. Vagnorius. In einem Referendum (Febr. 1991) sprachen sich mehr als 90 % der Einwohner L. für eine »demokrat. und unabhängige Rep.« aus (entsprechende Verfassungsänderung im gleichen Monat). Nach dem Scheitern des gegen Unionspräs. Gorbatschow gerichteten Staatsstreiches im Aug. 1991 setzte L. seine volle staatl. Unabhängigkeit durch (am 6. 9. 1991 auch durch den Staatsrat der UdSSR anerkannt). Im Sept. 1991 wurde L. Mitgl. der UN. Nachfolger des im Juli 1992 gestürzten MinPräs. Vagnorius wurde A. Abizala. Im Sept. 1992 schlossen L. und Russland eine Übereinkunft über den Abzug der russ. Truppen bis Ende Aug. 1993. Die durch den Wechsel von der Plan- zur Marktwirtschaft auftretenden Umstellungsprobleme führten 1992 zu großer Unzufriedenheit. Bei den Parlamentswahlen im Herbst errang die postkommunist. LDAP die absolute Mehrheit. A. Brazauskas (LDAP) löste Landsbergis als Parlamentspräs. ab und kündigte eine gemäßigte Fortsetzung des marktwirtsch. Reformkurses an. Im Febr. 1993 wurde Brazauskas zum Staatspräs. gewählt. Bei den Parlamentswahlen vom 20. 10./10. 11. 1996 kam es zum erneuten Reg.wechsel, es siegte die konservative Vaterlandsunion (Vors.: V. Landsbergis). Die von ihr und den Christdemokraten getragene Reg. setzt den Kurs der Westintegration fort und drängt v. a. auf den Beitritt zur NATO und zur Europ. Union. Im Jan. 1998 wurde V. Adamkus Staatspräsident.
▣ Literatur:
Rauch, G. von: Geschichte der balt. Staaten. München 31990.
⃟ Die balt. Nationen. Estland, Lettland, L., hg. v. B. Meissner. Köln 21991.
⃟ Ludwig, K.: Das Baltikum. Estland, Lettland, L. München 31992.
⃟ Balt. Länder, hg. v. G. von Pistohlkohrs. Berlin 1994.
⃟ Stopinski, S.: Das Baltikum im Patt der Mächte. Zur Entstehung Estlands, Lettlands u. L.s im Gefolge des Ersten Weltkriegs. Berlin 1997.
Einwohner: (1997) 3,718 Mio.
Hauptstadt: Vilnius (Wilna)
Verwaltungsgliederung: 10 Bezirke
Amtssprache: Litauisch
Nationalfeiertage: 16. 2. und 11. 3.
Währung: 1 Litas (LTL) = 100 Centas (ct)
Zeitzone: OEZ
(Lietuva, amtlich litauisch Lietuvos Respublika), Staat in NO-Europa, grenzt im W an die Ostsee, im N an Lettland, im O und SO an Weißrussland, im S an Polen und im SW an Russland (Gebiet Kaliningrad).
Staat und Recht: Nach der Verf. vom 25. 10. 1992 (durch Referendum gebilligt) ist L. eine souveräne, demokrat. Rep. mit Präsidialsystem. Als Staatsoberhaupt fungiert der direkt gewählte Präs. Die Legislative liegt beim Einkammerparlament, dem Sejm (141 Abg.), die Exekutive bei der Reg. unter Vorsitz des MinPräs. Einflussreichste Parteien: Vaterlandsunion (1993 aus der Unabhängigkeitsbewegung Sajudis [gegr. 1988] hervorgegangen), die Litauische Demokrat. Partei der Arbeit (LDAP; Nachfolgeorganisation der KP), Christlich-Demokrat. Partei, Sozialdemokrat. Partei, Partei der poln. Minderheit.
Landesnatur: L. liegt im NW der eiszeitlich geformten Osteurop. Ebene. Die Oberfläche wird durch Grund- und Endmoränen bestimmt. Im W erheben sich die Schamait. Höhen bis 234 m ü. M., der SO wird vom seenreichen Balt. Landrücken (in L. bis 292 m ü. M.) eingenommen und von den litauischen Hauptströmen Memel und Neris in tiefen, windungsreichen Tälern durchschnitten. Im zentralen Teil liegt die z. T. versumpfte, moorige Mittellitauische Tiefebene (35/40 m bis 80/90 m ü. M.). Der knapp 100 km lange und 15-20 km breite Küstenstreifen geht im S in die z. T. sumpfige Niederung an der unteren Memel über. Vor der südl. Küste liegt der litauische Anteil am Kur. Haff und an der Kur. Nehrung. - Das Klima ist durch maritimen Einfluss im W-Teil gemäßigt. Im mittleren und östl. Teil nimmt die Kontinentalität zu, die Winter werden kälter, die Sommer wärmer. Die langjährige Niederschlagsmenge erreicht im Jahresdurchschnitt an der Küste etwa 700 mm, in den östl. Regionen 550 mm. - Etwa 30 % der Fläche sind bewaldet (v. a. Kiefern, Fichten, Birken und Erlen). Die größten zusammenhängenden Waldgebiete liegen im SO; 17 % des Territoriums sind versumpfte Wiesen, 2,4 % Moore (v. a. Flachmoore).
Bevölkerung: 1997 waren von den Bewohnern 81,6 % Litauer, 8,2 % Russen, 6,9 % Polen, 1,5 % Weißrussen und 1,0 % Ukrainer. Der einst große Bev.anteil der Juden nahm von (1939) 7,5 % auf (1997) 0,1 % ab. Etwa 800 000 Litauer leben im Ausland (v. a. in den USA). L. ist die am stärksten besiedelte balt. Republik. Von der Bev. wohnen 73 % in Städten; am dichtesten sind die zentralen und südl. Gebiete, am schwächsten der SO besiedelt. Drei Viertel der Gläubigen gehören der römisch-kath. Kirche an. Die Schulpflicht beträgt neun Jahre. Neben der Litauischen Akademie der Wiss. gibt es zwei Univ. und zwei TUs in Vilnius bzw. Kaunas sowie fünf ihnen gleichgestellte Hochschulen.
Wirtschaft, Verkehr: Bis in die 50er-Jahre war die Landwirtschaft wirtschaftsbestimmend, danach entwickelte sich in großem Umfang die Industrie. Sie ist heute zus. mit dem Bauwesen am Bruttoinlandsprodukt mit 36 %, die Landwirtschaft mit 11 % beteiligt; 53 % enstammen dem Dienstleistungssektor. Der Übergang von der sozialist. Plan- zur freien Marktwirtschaft vollzieht sich schleppend, wichtige Wirtschaftsbereiche sind noch in staatl. Hand. L. ist wirtsch. noch eng mit Russland verflochten und auf die Zufuhr von russ. Erdöl, -gas, Metallprodukten und Maschinen angewiesen. Innerhalb der Landwirtschaft steht die Mastschweine-, Milchrinder- und Geflügelhaltung im Vordergrund. Hauptanbauprodukte sind Getreide, Futterpflanzen, Kartoffeln, Zuckerrüben, Flachs und Gemüse. Neben Binnen- und Küstenfischerei wird v. a. Hochseefischerei betrieben. L. ist arm an Rohstoffen. In größerem Umfang sind Torf- (wichtiger Brennstoff für die Privathaushalte), Baustoff- und Bernsteinvorkommen vorhanden. Die einst bestimmende Nahrungsmittel- (bes. Milch-, Fleisch-, Fischverarbeitung) und Textilind. wurde nach 1950 von Zweigen des Maschinenbaus und der Elektrotechnik/Elektronik (Bau von Werkzeugmaschinen, Elektromotoren und -geräten) sowie des Schiffbaus verdrängt. Bedeutung haben darüber hinaus die chem., Holz- und Papierind. sowie die Bernsteinverarbeitung. Wichtigste Ind.standorte sind Vilnius, Kaunas, Klaipėda, Šiauliai, Panevėžys, Alytus und Jurbarkas; in Mažeikiai wird russ. Erdöl verarbeitet, in Ignalina befindet sich ein Kernkraftwerk. Die wichtigsten Handelspartner sind Russland, die Ukraine, Weißrussland, Dtl., Lettland und Polen. Der Fremdenverkehr beginnt sich langsam zu entwickeln. - Das Verkehrsnetz ist relativ dicht ausgebaut und umfasst (1996) ein 2 098 km langes Eisenbahnnetz und ein 45 340 km langes Straßennetz. Das Binnenwasserstraßennetz ist 788 km lang (Schifffahrt auf Memel, Neris und den 61 Trakaiseen westlich von Vilnius). Internat. Flughäfen gibt es in Vilnius und Šiauliai, regionale in Kaunas, Panevėžys, Druskininkai und Palanga. Einziger Hochseehafen ist Klaipėda, seit 1986 mit Sassnitz-Mukran auf Rügen durch eine Eisenbahnfähre verbunden. Auf der Kur. Nehrung liegt das Ostseebad Neringa.
Geschichte: Etwa zu Beginn des 9. Jh. nahmen die von Slawen aus ihrem ursprüngl. Siedlungsraum an der oberen Oka und Wolga verdrängten balt. Litauer (1008 erstmals erwähnt) das Gebiet des heutigen L. in Besitz. Fürst Mindaugas (Mindowe) einigte um 1240 das in zahlr. Kleinfürstentümer zersplitterte L., das nach seiner Ermordung 1263 aber wieder zerfiel. Als eigentl. Reichsgründer gilt Großfürst Gedimin (1316-41), der ein litauisches Großreich (Hptst. seit 1323 Wilna) durch Ausdehnung nach O schuf; er unterstellte u. a. Minsk und Witebsk seiner Oberhoheit. Unter Gedimins Sohn Algirdas (1345-77) dehnte sich L. bis zur Oka und zum Dnjepr aus. Großfürst Jogaila (poln. Jagiełło, 1377-1434) schloss zum Schutz gegen den Dt. Orden eine Union mit Polen, ließ sich taufen und erhielt nach Heirat mit der poln. Thronerbin Hedwig 1386 die poln. Königskrone als Władysław II. (Begründer der Dynastie der Jagiellonen); die Großfürstenwürde überließ er 1401 seinem Vetter Witold (Vytautas; ✝ 1430). In der Schlacht von Tannenberg (1410) besiegte das vereinigte polnisch-litauische Heer den Dt. Orden. Im Unionsvertrag von Brest (1446) sicherte König Kasimir L. die Selbstständigkeit und Souveränität zu; es verlor jedoch immer mehr Gebiete an Russland (Smolensk, Tschernigow, Brjansk, Gomel). Während des Livländischen Krieges stimmten 1569 auf einem polnisch-litauischen Reichstag in Lublin die litauischen Vertreter unter poln. Druck der völligen Vereinigung beider Länder zu (Union von Lublin). Kämpfe rivalisierender Adelsfamilien schwächten das Doppelreich stark und führten eine bürgerkriegsähnl. Situation herbei, die Österreich, Russland und Preußen nutzten, um Polen 1772, 1773 und 1795 zu teilen. Mit der 3. Teilung kam der Hauptteil des litauischen Siedlungsgebietes an Russland, das Gebiet um Suwałki wurde preußisch (bis 1807). Die brutale Russifizierungspolitik bewirkte sowohl eine starke Auswanderungsbewegung in die USA und nach Kanada als auch eine litauische Nationalbewegung, die insbesondere vom Kleinadel und der Intelligenz getragen wurde und auch in Gegensatz zum Polentum geriet. Nach der Revolution von 1905 musste die russ. Reg. den Litauern Zugeständnisse machen; sie erhielten einen eigenen Landtag, litauische Abg. zogen in die Duma ein. 1915 besetzten dt. Truppen L.; der mit dt. Zustimmung 1917 gebildete Landesrat (Taryba) proklamierte am 11. 12. 1917, erneut am 16. 2. 1918 den unabhängigen Staat L. Die Reg. Sowjetrusslands erkannte die Rep. L. erst 1920 an, nachdem ein Versuch, das Land anzugliedern, gescheitert war; 1920 annektierte Polen das Wilnagebiet. L. bemächtigte sich 1923 des Memellandes. 1926 beendete ein militär. Staatsstreich die demokrat. Entwicklung; unter Staatspräs. A. Smetona (1926-40) errichtete die Nationalpartei (Tantininkai) eine autoritäre Herrschaft (MinPräs. 1926-29 A. Voldemaras, 1929-38 J. Tubelis). Am 22. 3. 1939 musste L. nach einem dt. Ultimatum das Memelland aufgeben. Der Dt.-Sowjet. Grenz- und Freundschaftsvertrag vom Sept. 1939 teilte L. der sowjet. Interessensphäre zu; im Juni 1940 wurde ganz L. besetzt und nach Ausrufung der Litauischen SSR (21. 7. 1940) am 3. 8. 1940 der Sowjetunion angegliedert; die litauische Intelligenz wurde verschleppt oder liquidiert. 1941-44 unter dt. Besetzung (Judenverfolgung), 1944 erneut durch die Rote Armee erobert. - Im Zuge der nat. Bestrebungen zur Wiederherstellung der Unabhängigkeit wurde 1988 die Bewegung Sajudis gegr.; im Dez. 1989 spaltete sich die KP von der KPdSU ab (1990 Umbenennung in Litauische Demokrat. Arbeiterpartei [LDAP] und Neuorientierung auf sozialdemokrat. Prinzipien). Nach Einführung eines Mehrparteiensystems (Dez. 1989) brachten die ersten freien Parlamentswahlen im Febr. 1990 eine Zweidrittelmehrheit für Sajudis. Am 11. 3. 1990 erklärte L. als erste sowjet. Unionsrep. seine staatl. Unabhängigkeit (Umbenennung in Rep. L. auf der Grundlage ihrer Vorkriegsverfassung). Parlamentspräs. (Staatsoberhaupt) wurde der Vors. der Sajudis V. Landsbergis, Ministerpräsidentin K. Prunskiene. Die Weigerung des Parlaments, den Unabhängigkeitsbeschluss zurückzunehmen, zog wachsende Spannungen mit Moskau nach sich (Wirtschaftsblockade gegen L. bis Juli 1990, blutige Zusammenstöße sowjet. Truppen mit der Bev. der Hptst. im Jan. 1991). Gemeinsam mit den ebenfalls um ihre staatl. Eigenständigkeit ringenden Rep. Estland und Lettland belebte L. im Mai 1990 den Baltischen Rat wieder und begann, ein eigenes Wirtschaftssystem aufzubauen. Bev.proteste gegen die enormen Preiserhöhungen führten im Jan. 1991 zum Rücktritt der Reg.; neuer MinPräs. wurde G. Vagnorius. In einem Referendum (Febr. 1991) sprachen sich mehr als 90 % der Einwohner L. für eine »demokrat. und unabhängige Rep.« aus (entsprechende Verfassungsänderung im gleichen Monat). Nach dem Scheitern des gegen Unionspräs. Gorbatschow gerichteten Staatsstreiches im Aug. 1991 setzte L. seine volle staatl. Unabhängigkeit durch (am 6. 9. 1991 auch durch den Staatsrat der UdSSR anerkannt). Im Sept. 1991 wurde L. Mitgl. der UN. Nachfolger des im Juli 1992 gestürzten MinPräs. Vagnorius wurde A. Abizala. Im Sept. 1992 schlossen L. und Russland eine Übereinkunft über den Abzug der russ. Truppen bis Ende Aug. 1993. Die durch den Wechsel von der Plan- zur Marktwirtschaft auftretenden Umstellungsprobleme führten 1992 zu großer Unzufriedenheit. Bei den Parlamentswahlen im Herbst errang die postkommunist. LDAP die absolute Mehrheit. A. Brazauskas (LDAP) löste Landsbergis als Parlamentspräs. ab und kündigte eine gemäßigte Fortsetzung des marktwirtsch. Reformkurses an. Im Febr. 1993 wurde Brazauskas zum Staatspräs. gewählt. Bei den Parlamentswahlen vom 20. 10./10. 11. 1996 kam es zum erneuten Reg.wechsel, es siegte die konservative Vaterlandsunion (Vors.: V. Landsbergis). Die von ihr und den Christdemokraten getragene Reg. setzt den Kurs der Westintegration fort und drängt v. a. auf den Beitritt zur NATO und zur Europ. Union. Im Jan. 1998 wurde V. Adamkus Staatspräsident.
▣ Literatur:
Rauch, G. von: Geschichte der balt. Staaten. München 31990.
⃟ Die balt. Nationen. Estland, Lettland, L., hg. v. B. Meissner. Köln 21991.
⃟ Ludwig, K.: Das Baltikum. Estland, Lettland, L. München 31992.
⃟ Balt. Länder, hg. v. G. von Pistohlkohrs. Berlin 1994.
⃟ Stopinski, S.: Das Baltikum im Patt der Mächte. Zur Entstehung Estlands, Lettlands u. L.s im Gefolge des Ersten Weltkriegs. Berlin 1997.