Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Libyen
Libyen Fläche: 1 759 540 km2
Einwohner: (1995) 5,407 Mio.
Hauptstadt: Tripolis
Verwaltungsgliederung: 13 Bezirke
Amtssprache: Arabisch
Nationalfeiertag: 1. 9.
Währung: 1 Libyscher Dinar (LD.) = 1 000 Dirhams
Zeitzone: OEZ
(amtlich arab. Al-Djumhurijja al-Arabijja al-Libijja ash-Shabijja al-Ishtirakijja, dt. Sozialist. Libysch-Arabische Volksrep.), Staat in Nordafrika, grenzt im N an das Mittelmeer, im O an Ägypten, im SO an die Rep. Sudan, im S an Tschad und Niger, im W an Algerien und Tunesien.
Staat und Recht: Nach der Verf. von 1977 ist L. eine sozialist. arab. Volksrep. Staatsoberhaupt ist de facto der vom Allg. Volkskongress (AKV) gewählte Führer der Revolution. Die von der Verf. proklamierte Volksdemokratie basiert auf Volkskongressen und -komitees, Gewerkschaften und Berufsverbänden. Oberstes Organ der Legislative ist der AKV (2 700 Mitgl.), der von einem Generalsekretariat geleitet wird. Der Sekretär des AKV ist de jure zugleich Staatsoberhaupt. Als Exekutive fungiert das Allg. Volkskomitee unter Leitung des Generalsekretärs. Parteien sind nicht zugelassen.
Landesnatur: L. erstreckt sich von der rd. 2 000 km langen Mittelmeerküste beiderseits der Großen Syrte südwärts bis weit in die Sahara. Auf den Küstenstreifen folgt im NW der Steilanstieg zu einem bis 968 m hohen Bergland. Südlich davon liegt ein Schichtstufen- und Plateauhochland, das in eine Hammada überleitet; weiter südlich der durch eine Steilstufe von ihr abgetrennte Fessan und die im SW liegenden Ausläufer des Tassili. Auf den Golf der Großen Syrte folgt unmittelbar eine stark gegliederte unfruchtbare, aber erdölreiche Schichtstufen- und Plateaulandschaft. Im O, in der Cyrenaika, folgt auf einen Küstenstreifen ein bis 876 m hoher Gebirgszug. Er geht nach S in die Libysche Wüste über. In den Ausläufern des Tibesti im S werden 2 285 m ü. M. erreicht. 90 % des Landes sind Wüste. Der Küstenstreifen hat mediterranes Klima mit Winterregen, das Landesinnere Wüstenklima mit z. T. völlig ausbleibenden Niederschlägen und extremen Temperaturen.
Bevölkerung: Araber (34 %) und arabisierte Berber (30 %) bilden den Hauptteil der Bev., die zu 90 % in der Küstenzone lebt. Die in traditionellen Stammesgesellschaften lebenden Berber (25 %) bewohnen den N (u. a. Djebel Nefusa), ferner einige Oasengebiete. Im Fessan nomadisieren die Tuareg sowie die Tubu; ferner leben dort negride Stämme. In der Erdöl- und Erdgaswirtschaft arbeiten etwa 800 000 Gastarbeiter, v. a. aus arab. Nachbarstaaten. - Schulpflicht besteht vom 6. bis 15. Lebensjahr (unentgeltl. Unterricht); die Analphabetenquote beträgt etwa 24 %. Univ. gibt es in Bengasi, Tripolis, Mersa el-Brega und Sebha. - Fast die gesamte Bev. (97 %) bekennt sich zum Islam (Staatsreligion), eine Minderheit zum Christentum.
Wirtschaft, Verkehr: Wichtigster Wirtschaftsfaktor ist die Erdölwirtschaft; die großen Ölvorkommen im Syrtebecken, 1958 entdeckt, werden seit 1961 gefördert. Erdöl und Erdgas haben einen Anteil von 90 % an den Exporterlösen. Außerdem werden Eisenerz, Kali-, Steinsalz, Kalk, Gips, Phosphat und Schwefel gewonnen. Die wichtigsten Ind.zweige sind Erdölraffinerien und Erdgasverflüssigungsanlagen; ein Stahl- und Eisenhüttenwerk hat 1990 in Misurata die Produktion aufgenommen. Um der starken Abhängigkeit vom Rohölexport entgegenzuwirken, fördert der Staat den Ausbau anderer Ind.bereiche (chem., Baustoff-, Nahrungsmittel-, Textil-, Schuh-, Möbelind.) und die Landwirtschaft, die nur auf 2 % der Landesfläche betrieben werden kann. Hauptanbauprodukte sind Weizen, Gerste, Gemüse (Tomaten), Kartoffeln, Orangen, Oliven, Mandeln, Datteln und Weintrauben. Da die Erträge zur Versorgung der Bev. bei weitem nicht ausreichen, wird durch das Bewässerungsprojekt »Großer künstl. Fluss« (Baubeginn 1984) fossiles Grundwasser durch Rohrleitungen aus dem Süden in die Küstengebiete nach Bengasi und Tripolis geleitet, um höhere Ernten zu erzielen. Viehhaltung wird bes. von Nomaden betrieben (Schafe, Ziegen, Kamele, Pferde), in staatl. Betrieben v. a. Rinder- und Geflügelzucht. Tourismus entwickelt sich erst in bescheidenen Ansätzen. - Haupthandelspartner sind Italien, Dtl. und Spanien. - L. hat keine Eisenbahn; das Straßennetz umfasst 19 300 km, bes. gut ausgebaut entlang der Küste. L. hat die drittgrößte Handelsflotte in Afrika. Haupthäfen sind Tripolis, Tobruk, Bengasi, Misurata und die Erdölhäfen an der Großen Syrte. Internat. Flughäfen bei Tripolis und Bengasi.
Geschichte: Im grch. Altertum war L. der Name für N-Afrika westlich von Ägypten. Während im O das grch. Kyrene entstand (Cyrenaika), gehörte der westl. Küstenstrich (Tripolis) zum karthag. Machtgebiet. 46 v. Chr. kam Tripolis zum Röm., später zum Byzantin. Reich. Die Araber eroberten um 650 n. Chr. das ganze Land. Es kam im 16. Jh. unter osman. Oberhoheit. Tripolis bildete bis 1835 ein von der Beidynastie Karamanli regiertes, fast autonomes Staatswesen, bis ab 1835 der Sultan seine Herrschaft wieder durchsetzte. Neben den osman. Statthaltern regierten in L. seit 1843 die Senussi. Im italienisch-türk. Krieg (1911/12) kamen die beiden türk. Provinzen Tripolitanien und Cyrenaika an Italien und wurden 1934 mit Fessan zur Kolonie L. (Libia) vereinigt. 1940-43 war das Land Kriegsschauplatz. 1947 verzichtete Italien auf L. Am 24. 12. 1951 wurde L. unabhängiges föderatives Königreich unter König Idris as-Senussi, der 1963 L. zum Einheitsstaat proklamierte. Seit dem Militärputsch vom 1. 9. 1969 unter Führung von Oberst Gaddhafi betreibt L. eine Politik des panarab. Nationalismus (Fusionspläne mit mehreren arab. Staaten scheiterten). 1970 wurden fast alle Italiener ausgewiesen, ausländ. Erdölges., Banken und Versicherungen verstaatlicht. Gaddhafi trat 1979 zurück, bestimmt jedoch als »Revolutionärer Führer« weiterhin die Politik. Im 1. Golfkrieg unterstützte L. Iran. 1980 griffen libysche Truppen in den Bürgerkrieg im Tschad ein; nachdem L. seine Herrschaft über den N-Teil des Landes gesichert hatte, zog es sich 1987 zurück (Friedensvertrag 1989). Das Verhältnis zu den westl. Staaten ist durch die libysche Unterstützung terrorist. Organisationen und den Bau einer Giftgasfabrik (Rabta) gespannt. Im April 1986 vergalten die USA Terroranschläge mit einem Luftangriff auf Bengasi und Tripolis. Im 2. Golfkrieg unterstützte L. offen Irak. Ein vom UN-Sicherheitsrat beschlossenes Luftverkehrs- und Waffenembargo wurde im April 1992 gegen L. verhängt, da L. die Auslieferung zweier mutmaßl. Flugzeugattentäter von Lockerbie verweigerte. Den im Sept. 1993 von der PLO und Israel eingeleiteten Friedensprozess lehnt Gaddhafi ab. Gemäß einer Entscheidung des Internat. Gerichtshofes in Den Haag (Febr. 1994) zog sich L. aus dem zum Tschad gehörenden Aouzou-Grenzstreifen zurück.
Literatur:
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Wright, J.: Libya. A modern history. Neuausg. London 1983.
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Khella, K.: Die libysche Herausforderung. L. von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hamburg 31990.
St. John, R. B.: Historical dictionary of Libya. Metuchen (N. J.) 21991.
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Schnurbusch, I.: L. im Fadenkreuz. Bonn 1994.
Libyen im 20. Jahrhundert, hg. v. S. Frank u. M. Kamp. Hamburg 1995.
Mattes, H.: Qaddafi u. die islam Opposition in L. Hamburg 1995.
Mattes, H.: Qaddafi u. die islam. Opposition in L. Hamburg 1995.
Qadhafi's Lybia, 1969-1994. hg. v. D. J. Vandewalle. New York 1995.
Gurney, J.: Libya. The political economy of oil. Oxford 1996.
Simons, G. L.: Libya: the struggle for survival. Houndsmill u. a. 21996.
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