Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Libanon
Libanon Fläche: 10 452 km2
Einwohner: (1995) 3,009 Mio.
Hauptstadt: Beirut
Verwaltungsgliederung: 5 Provinzen
Amtssprache: Arabisch
Nationalfeiertag: 22. 11.
Währung: 1 Libanesisches Pfund (L£) = 100 Piastres (P.L.)
Zeitzone: OEZ
(amtlich arab. Al-Djumhurijja al-Lubnanijja, dt. Libanesische Republik), Staat an der O-Küste des Mittelmeeres in Vorderasien, grenzt im N und O an Syrien und im S an Israel.
Staat und Recht: Nach der Verf. von 1926 (mehrfach, zuletzt 1995, geändert) ist L. eine parlamentar. Rep., deren Reg.system auf einer Verteilung der Funktionen im Staat unter den Religionsgemeinschaften basiert. Staatspräs. soll stets ein Maronit (Christ), MinPräs. ein Sunnit und Parlamentspräs. ein Schiit sein. Staatsoberhaupt ist der vom Parlament auf sechs Jahre gewählte Präs. Er ernennt die Reg. unter Vorsitz des MinPräs. Die Legislative liegt bei der Nationalversammlung (128 Abg., für vier Jahre gewählt). Nachdem das seit 1943 bestehende Proporzsystem 1990 aufgehoben wurde, werden die Mandate paritätisch zw. Christen und Muslimen aufgeteilt. Parteien und Bewegungen sind weitgehend konfessionell gebunden; zu den einflussreichsten zählen: die christl. Phalange, die Forces Libanaises (gegr. als Parteimiliz der Phalange), die überwiegend drus. Progressive Sozialist. Partei, die schiit. Bewegung Amal, die radikal schiitische, politisch-militär. Organisation Hizbollah.
Landesnatur: L. gliedert sich von W nach O in vier küstenparallele Landschaften: in den schmalen, dicht besiedelten Küstenstreifen, das Libanongebirge, die Beka (die zw. L.-Gebirge und Antilibanon eingebrochene Tiefscholle des Syr. Grabens) und den Antilibanon. - Der Küstenstreifen mit bewässerten Intensivkulturen ist der Kernraum des Landes. Die W-Seite des L.-Gebirges erhält genügend Winterregen und wird intensiv bebaut. Die höheren, verkarsteten Bergrücken und Hochflächen sind dürftige Weidegebiete. Nach O fällt das L.-Gebirge steil zum tekton. Graben der Beka ab; hier reichen die Niederschläge nur im S-Teil für Regenfeldbau. Im N werden nur in Bewässerungsoasen reiche Ernten erzielt. Die landwirtsch. Nutzung im sehr trockenen Antilibanon beschränkt sich auf Bergfußoasen.
Bevölkerung: Trotz der gemeinsamen arab. Sprache bestehen innerhalb der Bev. bed. Gegensätzlichkeiten. Die wichtigste Differenzierung der Bev. ist noch heute die nach Religionsgemeinschaften. In der Zeit der Verf.gebung bildeten die Christen die Mehrheit; seither hat der Anteil der Muslime durch Einwanderung und höhere Geburtenziffern stark zugenommen, sodass die Angehörigen nicht christl. Religionsgemeinschaften - neben sunnit. und schiit. Muslimen v. a. Drusen - mittlerweile die Mehrheit bilden. Unter den Christen sind die mit Rom unierten Maroniten, bei denen seit 1926 auch die polit. Führung lag, die größte Gruppe; daneben sind v. a. die grch.-orth., die melkit. und die beiden armen. Kirchen vertreten. Über 1 Mio. Libanesen leben im Ausland. Die Zahl der in L. registrierten Palästinenser wird mit (1993) 325 900 angegeben. In Städten leben etwa 84 % der Bevölkerung. Es besteht keine Schulpflicht; der Abschluss der fünfjährigen Grundschule berechtigt zum Besuch weiterführender Schulen. Es gibt acht Univ. bzw. vergleichbare Hochschulen, die meisten in Beirut.
Wirtschaft, Verkehr: Bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs (1975) war L. trotz seiner Gebirgsnatur einer der dynamischsten und höchstentwickelten Staaten unter den arab. Ländern. Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jh. haben sich hier moderne Einflüsse durchsetzen können. Seit Ausbruch des Bürgerkriegs wurde die Wirtschafts- und Infrastruktur weitgehend zerstört, die Inflationsrate stieg. Viele Libanesen wanderten aus; Beirut verlor seine Rolle als wichtigstes Finanz-, Handels- und Dienstleistungszentrum des Nahen Ostens. Erst seit 1993 wächst die Wirtschaft wieder nennenswert. L. verfügt nur über geringe Bodenschätze. Vor dem Bürgerkrieg waren die Textil-, Nahrungsmittel- und Holzind. die wichtigsten Ind.zweige. Die Raffinerien in Tripoli und Saida verarbeiteten Erdöl aus Saudi-Arabien bzw. Irak, sind aber seit Jahren stillgelegt. Etwa die Hälfte der landwirtsch. Nutzfläche liegt in der Beka. Bed. ist der Obstbau (Küstenebene, Berghänge) mit seiner Spezialisierung auf Zitrusfrüchte, Tafeläpfel, Weintrauben. Die agrar. Produktion kann aber nur ein Drittel des einheim. Bedarfs decken. Der Tourismus, bis 1975 einer der Hauptwirtschaftszweige, war fast völlig zum Erliegen gekommen; 1993 konnten wieder 350 000 Besucher gezählt werden. - Das Eisenbahnnetz (417 km) ist seit dem Bürgerkrieg stillgelegt. Das gut ausgebaute Straßennetz ist 7 370 km lang. 1992 nahm der Hafen von Beirut seinen Betrieb wieder auf; internat. Flughafen von Beirut ist Al-Chalda.
Geschichte: Im Altertum war L. Schwerpunkt Phönikiens. Seit 64 v. Chr. zur röm. Provinz Syria, dann zum Byzantin., im 6. Jh. zum Pers. Reich, 7.-9. Jh. zum arab. Kalifat, 9.-11. Jh. unter ägypt. muslim. Dynastien. 1516-1918 unter osman. Herrschaft; 1864 auf Betreiben Frankreichs Einsetzung eines christl. Gouv.; 1918 zus. mit Syrien frz. Völkerbundmandat. 1920 schuf Frankreich das Gebiet L. in seinen heutigen Grenzen, mit einer geringen Mehrheit christl. Einwohner. Nach Besetzung durch alliierte Truppen 1941 Unabhängigkeitserklärung, erst 1944 jedoch Aufhebung des Mandats und 1946 Räumung. Am 1. Israelisch-Arab. Krieg 1948/49 nur nominell beteiligt, musste L. zahlr. Palästinaflüchtlinge aufnehmen. Zunehmender arab. Nationalismus verstärkte in der Folgezeit die Spannungen zw. den prowestl. Christen und den arabisch-nationalist. Muslimen. Auf Ersuchen von Staatspräs. Chamoun intervenierten 1958 Truppen der USA in L. (1. Bürgerkrieg). Zunehmende Guerillatätigkeit der Palästinenser von libanes. Gebiet aus bewirkte israel. Vergeltungsschläge. Die Palästinenser erhielten einen exterritorialen Status. Mit dem Ausbruch schwerer Kämpfe zw. christl. Milizen (zusammengeschlossen in den »Libanes. Streitkräften« [FL]) und muslimisch-drus. Formationen (v. a. PLO-Freischärler) v. a. in Süd-L. begann im April 1975 ein 2. Bürgerkrieg, der sich immer mehr mit dem Nahostkonflikt verband. Ab April 1976 griffen syr. Truppen im Norden (Beirut) ein, ab Okt. 1976 im Rahmen einer arab. Abschreckungsstreitmacht. Von März bis Juli 1978 besetzten israel. Streitkräfte zeitweilig Süd-L. Im März 1978 wurde eine UN-Friedenstruppe eingesetzt, die jedoch die immer wieder aufflammenden Kämpfe nicht unterbinden konnte. Im Febr. 1980 zogen die syr. Truppen aus Beirut ab. Im Sommer 1982 vertrieben israel. Truppen die PLO und ihre militär. Einheiten gewaltsam aus Beirut. Der zum Staatspräs. gewählte Führer der christl. Milizen, B. Gemayel, wurde am 14. 9. 1982 ermordet; daraufhin besetzten israel. Truppen das von der PLO geräumte W-Beirut. Präs. A. Gemayel (1982-88) beugte sich dem wachsenden Einfluss Syriens. In das durch den Rückzug Israels bis Juni 1985 (bis auf eine schmale Sicherheitszone im S) entstandene Machtvakuum drängten neben den christl. Milizen rivalisierende islam. Milizen, die schiit. prosyr. Amal-Miliz und die proiran. Hizbollah. In der Sicherheitszone bildete sich 1984 eine mehrheitlich christl., proisrael. »Südlibanes. Armee«. Im Febr. 1987 rückten syr. Truppen in W-Beirut ein. Ende Sept. 1988 übergab A. Gemayel sein Amt provisorisch an den (christl.) Oberbefehlshaber der (offiziellen) libanes. Armee, M. Aoun. Da dieser den Friedensplan von Taif (Okt. 1989) nicht anerkannte und den von Teilen des Parlaments im Nov. 1989 gewählten neuen Präs. E. Hrawi ablehnte, kam es ab Jan. 1990 zu den schwersten Kämpfen seit 1975 zw. den christl. Milizen und den christl. Armeeverbänden unter Aoun. Unter Druck Syriens kapitulierte Aoun schließlich im Okt. 1990 und emigrierte. Mit der Verfassungsreform vom Aug. 1990 (nach dem Plan von Taif), dem Friedensschluss der rivalisierenden schiit. Milizen sowie dem Abzug aller Milizen aus Beirut und Süd-L. im Nov./Dez. 1990 wurde bis Mai 1991 offiziell der Bürgerkrieg beendet. Durch die Neuernennung von 40 Abg. im Mai 1991 sicherte sich die Regierung unter MinPräs. O. Karame im Parlament eine prosyr. Mehrheit, die einen syrisch-libanes. Kooperationsvertrag verabschiedete, der L. praktisch zu einem Protektorat Syriens macht (Sept. 1991 verstärkt durch ein libanesisch-syr. Sicherheitsabkommen). Bis Juli 1991 übernahmen die Truppen der Regierung alle ehemals drus. und christl. Stellungen sowie den bisher von der PLO kontrollierten Süden (Entwaffnung der PLO). Nach den Parlamentswahlen von 1992, die wegen der Präsenz syr. Streitkräfte von den Christen (Maroniten) und Drusen boykottiert wurden, errangen die Schiiten die Mehrheit. MinPräs. ist seitdem R. al-Hariri. Im Sept. 1993 schlossen Syrien und L. mehrere Abkommen über Zusammenarbeit auf handels-, landwirtschafts-, gesundheits- sowie wirtschafts- und sozialpolit. Gebiet. Differenzen zw. dem christlich-maronit. Staatspräs. Hrawi, dem sunnit. MinPräs. al-Hariri und dem schiit. Parlamentspräs. N. Berri führten häufiger zu innenpolit. Spannungen. Im Okt. 1995 verlängerte das Parlament die Amtszeit Hrawis um drei Jahre. Bei der Parlamentswahl 1996 setzten sich regierungsnahe Kandidaten durch. Im Okt. 1998 wurde E. Lahoud zum neuen Staatspräs. gewählt.Als Antwort auf antiisrael. militär. Aktionen bes. der Hizbollah, der Hamas und palästinens. Freischärler unternahm Israel seit 1991 wiederholt militär. Vorstöße in den südl. L. Wiederholte Raketenangriffe der Hizbollah auf Grenzgebiete im Norden Israels führten 1996 zu schweren Kampfhandlungen und einer Seeblockade der Häfen im Süden L.s. Seitdem immer wieder heftige Kämpfe (bis 1999); über einen Rückzug der israel. Truppen aus der Sicherheitszone (bei Reaktivierung des Waffenstillstandsabkommens von 1949) wird zunehmend diskutiert.
Literatur:
Hitti, P. K.: Lebanon in history. London 31967.
Hanf, T.: Koexistenz im Krieg. Staatszerfall u. Entstehen einer Nation im L. Baden-Baden 1990.
Winslow, C.: Lebanon. War and politics in a fragmented society. London u. a. 1996.
Sie können einen Link zu dem Wort setzen

Ansicht: Libanon