Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Leben
Leben,Daseinsform aller Organismen, ein komplexes System von Eigenschaften. Typ. Merkmale des Lebendigen sind: Stoff- und Energiewechsel, Wachstum, Reizbarkeit, Bewegung, Fortpflanzungsvermögen, Vererbung, Individualität, Mutabilität, der Besitz von Nucleinsäuren (DNS und RNS) und Proteinen (Enzyme) und die Fähigkeit, Moleküle selbst zu synthetisieren. Viren stehen nur scheinbar zw. Unbelebtem und Lebendigem; es fehlt ihnen lediglich der eigene Stoffwechsel.
Die kleinste Bau- und Funktionseinheit der Lebewesen ist die Zelle, die selbst einen Organismus darstellen kann (Einzeller). Mehrzellige Organismen zeichnen sich durch einen bestimmten Bauplan aus, der für die Ordnung der Organismen in ein System (Taxonomie) von entscheidender Bedeutung ist.
L. ist nur unter bestimmten Bedingungen (Umwelt) möglich, die jedoch sehr unterschiedlich sein können (z. B. Temperatur von —50 bis +110 ºC). L. auf anderen Himmelskörpern ist deshalb unwahrscheinlich, aber denkbar.Der Anfang des L. auf der Erde ist nicht genau zu datieren. Anzunehmen ist, dass L. vor etwa 3-4 Mrd. Jahren in der Uratmosphäre (enthielt v. a. Wasserstoff sowie einfache Kohlenstoff-, Stickstoff-, Sauerstoff- und Schwefelverbindungen wie Methan, Ammoniak, Wasserdampf, Kohlenmonoxid, Schwefelwasserstoff u. a., jedoch zunächst keinen freien Sauerstoff) unter der Einwirkung versch. Energieformen (v. a. durch die UV-Strahlung der Sonne, elektr. Entladungen und hohe Drücke) entstanden ist. Zu Beginn des L. bildeten sich zuerst kleine, später größere Moleküle. Diese lagerten sich zu einfachen, dann zu komplizierteren Verbindungen und Molekülketten zusammen. Danach entstanden Makromoleküle wie Proteine und Nucleinsäuren. Diese Stoffe müssen jedoch in geordneter Weise zusammenwirken (Selbstorganisation) und sich selbst vermehren (Autokatalyse). Die Hyperzyklustheorie von M. Eigen entwickelte dazu eine Modellvorstellung von der Evolution biolog. Makromoleküle. Es werden aber auch andere Theorien diskutiert. - Die Formenmannigfaltigkeit des L. wird durch die Evolutionstheorie erklärt.Künstliches Leben: Im Labor können Gene durch synthet. Aufbau der diesen zugrunde liegenden Nucleinsäuresequenzen künstlich erzeugt werden, jedoch ist man weit davon entfernt, das umfangreiche Genom eines Lebewesens auf diese Weise zu erstellen. Vollständige Individuen können dadurch erzeugt werden, dass man die Zellkerne von Körperzellen in entkernte Eizellen transplantiert. Dadurch lassen sich erblich ident. Kopien von Lebewesen (sog. Klone) in beliebiger Anzahl herstellen.In der Philosophie wurde L. als göttl. Prinzip oft mit Seele oder Geist identifiziert. Materialist. Auffassungen, die Lebewesen als durch natürl. Gesetze entstanden, im Extremfall nur noch als kunstvoll und zweckmäßig geschaffene Automaten betrachten (R. Descartes, J. O. de La Mettrie), steht der Vitalismus (z. B. G. W. Leibniz, H. Driesch, R. Löw) gegenüber, der L. als von der anorgan. Natur unabhängige Kraft begreift, die zwar materielle Voraussetzungen hat, von diesen aber nicht erklärt werden kann. Weiterhin gibt es versch. Auffassungen, die zw. diesen beiden Positionen angesiedelt sind, z. B. vom L. als Seinsschicht zw. Materie und Seelisch-Geistigem. In der Gegenwart hat sich die Erforschung des L.-Problems zum großen Teil in die naturwiss. Einzeldisziplinen verlagert. - Die Ethik erkennt dem L. fast durchweg die Eigenschaft eines Wertes zu; die Unantastbarkeit des menschl. L. erscheint weitgehend als Grundforderung des Naturrechts. - L. zählt zu den elementaren Menschenrechten und ist als Recht auf L. und körperl. Unversehrtheit Grundrecht (in Dtl. GG Art. 2, Abs. 2). Eth. Fragen (z. B. im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbruch, Sterbehilfe, künstl. Verlängerung des Lebens) und durch die naturwiss.-medizin. Entwicklung der letzten Jahrzehnte (u. a. Gentechnologie) bedingte Probleme (u. a. Gesundheitsrisiken, Arten- und Tierschutz) sind ein zentrales Thema der öffentl. Diskussion. - In allen Religionen finden sich Aussagen über Entstehung, Wesen und Träger des L., ebenso wie über sein angenommenes letztes Ziel (Unsterblichkeit, Tod, Wiedergeburt).
Literatur:
B.-O. Küppers. L. = Physik + Chemie? Das Lebendige aus der Sicht bedeutender Physiker, hg. v. München u. a. 21990.
Gierer, A.: Die Physik, das L. u. die Seele. München u. a. 51991.
Eigen, M.: Stufen zum Leben. München u. a. 31993.
Was ist L.? Die Zukunft der Biologie. Eine alte Frage in neuem Licht - 50 Jahre nach Erwin Schrödinger, hg. v. L. A. O'Neill, Beiträge v. J. Diamond u. a. Heidelberg u. a. 1997.
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