Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Kunstwissenschaft
Kunstwissenschaft,die wiss. Erforschung aller Künste, i. e. S. der bildenden Kunst. Ein wichtiger Zweig ist die Kunstgeschichte, die im Unterschied zur allg. K. die geschichtl. Entwicklung der bildenden Kunst untersucht, meist jedoch unter Ausschluss der antiken, der vorgeschichtl. und primitiven Kunst, die Gegenstand der Archäologie, der Vorgeschichte und Völkerkunde ist.Die Kunstgeschichte entwickelte sich als wiss. Disziplin seit Ende des 18. Jh. Die Bestimmung ihres Inhalts und ihrer Aufgaben, speziell die Abgrenzung von K. und Ästhetik, ist seitdem in unterschiedl. Weise versucht worden und hat zur Etablierung einiger wiss. Ansätze geführt, die das Bild der Kunstgeschichte in der Gegenwart bestimmen. Neben einer starken Tendenz zu empir. Sachbehandlung gibt es weiterhin Beiträge zu Prinzipien- und Methodenfragen. Vorläufer der Kunstgeschichte sind Künstlerbiographien, Kunstkritik, Künstlertraktate u. a., die in der Antike (Plinius d. Ä., Vitruv u. a.), während des MA., bes. aber in der Renaissance (Ghiberti, Alberti, Leonardo da Vinci, Dürer, Vasari) ein reiches Erscheinungsspektrum hatten. Vasari gilt mit seinen Lebensbeschreibungen berühmter Maler, Bildhauer und Architekten (1550 und 1568) als »Vater der K.«, er lieferte das wichtigste Quellenwerk der italien. Kunst. Seinem Vorbild folgten der Niederländer C. van Mander und der Deutsche J. von Sandrart. J. J. Winckelmann stellte in seiner »Gesch. der Kunst des Altertums« (1764) Kunst erstmals in geschichtl. Zusammenhang dar; weiterführende Überlegungen gingen u. a. von Herder, Goethe, den Brüdern Schlegel und Boisserée aus. Das wachsende histor. und kunsthistor. Bewusstsein des 19. Jh. führte zu vermehrter Sammlertätigkeit, zur Gründung von Museen, Einrichtung von Lehrstühlen (Univ. in Berlin [1844] und Wien). War damit dem histor. Aspekt der Kunstgeschichte vorgearbeitet, steuerte die nun entstandene philosoph. Ästhetik I. Kants (»Kritik der Urtheilskraft«, 1790), F. W. J. Schellings (»Philosophie der Kunst«, »Vorlesungen über Ästhetik«, 1802/03), v. a. aber G. W. F. Hegels »Vorlesungen über die Ästhetik« (1835-38, 3 Bde.) den systemat. Bestandteil bei. Epoche machend wirkte das Werk von J. Burckhardt (»Die Cultur der Renaissance in Italien«, 1860). R. von Eitelberger-Edelberg begründete die Wiener Schule der Kunstgeschichte; zu ihr zählen A. Riegl, M. Dvořák, J. von Schlosser und H. Sedlmayr (Strukturanalyse). C. Fiedler entwickelte in seiner Theorie der »reinen Sichtbarkeit« einen rationalen Begriff des Sehens, von dem er auch den Inhalt der Kunst zu bestimmen suchte. Diese Auffassung von Autonomie und Formorientierung der Kunst lebt im Werk H. Wölfflins fort (»Kunstgeschichtl. Grundbegriffe«, 1915). Wölfflin verstand die Geschichte der Kunst als »Geschichte des Sehens«, die den Wandel der Anschauungsweisen (linear, malerisch usw.) und damit auch der Stile aufklären kann. Gegen diese Dominanz des Formbegriffs wenden sich die Überlegungen, die seit Dvořák, A. Warburg und E. Panofsky angestellt wurden und die sich um den Begriff des Symbols ranken. Hauptsächlich auf Warburg und Panofsky (»Studies on iconology«, 1939) geht die Entwicklung von Ikonographie und Ikonologie zurück, die bis Ende der 70er-Jahre wohl einflussreichste kunstgeschichtl. Methode. Daneben hat eine am Strukturbegriff orientierte Interpretation (bes. die »Strukturanalyse« Sedlmayrs) method. Bedeutung. Das Spektrum der jüngeren Kunstgeschichte wird u. a. bereichert durch soziologisch orientierte Werke (A. Hauser, F. Antal, M. Warnke) und psychologisch-philosophisch beeinflusste Arbeiten (E. Gombrich, E. Badt). Die Kunstgeschichte der 80er-Jahre distanzierte sich von Panofskys Konzept der Ikonologie und bezog in wachsendem Maße sozialgeschichtl. Analysen in ihre Forschungen ein. Die heutige Kunstgeschichte ist gekennzeichnet durch die Problematisierung des Bild- und Kunstbegriffs und durch den Geltungsanspruch visueller Massenmedien, sodass in den USA die Kunstgeschichte in eine »Visual Culture« transformiert wird.
▣ Literatur:
H. Belting. Kunstgeschichte. Eine Einführung, hg. v. Berlin u. a. 31988.
⃟ Kauffmann, G.: Die Entstehung der Kunstgeschichte im 19. Jh. Opladen 1993.
⃟ Kultermann, U.: Geschichte der Kunstgeschichte. Der Weg einer Wissenschaft. Neuausg. München u. a. 1996.
▣ Literatur:
H. Belting. Kunstgeschichte. Eine Einführung, hg. v. Berlin u. a. 31988.
⃟ Kauffmann, G.: Die Entstehung der Kunstgeschichte im 19. Jh. Opladen 1993.
⃟ Kultermann, U.: Geschichte der Kunstgeschichte. Der Weg einer Wissenschaft. Neuausg. München u. a. 1996.