Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Kunst
Kunst[ahd., zu können], 1) im weitesten Sinn jede auf Wissen und Übung gegründete Tätigkeit (z. B. Reit-K., Koch-K.); 2) in einem engeren Sinn die Gesamtheit des vom Menschen Hervorgebrachten (Ggs.: Natur), das nicht durch eine Funktion eindeutig festgelegt ist oder sich darin erschöpft (Ggs.: Technik). Der Ggs. der K. zum Handwerk und zur Wiss. bildete sich erst im Übergang vom 18. ins 19. Jh. aus. Im heutigen Verständnis ist die K. in die Teilbereiche Literatur, Musik, darstellende K. sowie bildende K. gegliedert (Grenzüberschreitungen finden in der Moderne häufig statt); 3) im engsten Sinn steht K., v. a. im alltägl. Sprachgebrauch, für bildende Kunst.Die Vorstellung von einem allg. gültigen K.-Begriff, für alle Zeiten und Werke anwendbar, ist heute überholt. Die Einschätzung von K. hängt von den Maßstäben einer Epoche und in Zeiten pluralist. Denkweisen verstärkt von der individuellen Sicht ab. K.-Rezeption, K.-Theorien und K.-Begriff können nicht getrennt von der Stellung des Künstlers gesehen werden. - Die Grundlage für die Gesamtheit der menschl. Fähigkeiten, Fertigkeiten und der mit ihnen vollzogenen Handlung, K.-Werke zu schaffen, wird seit Kant in einer besonderen Erkenntnisform, dem ästhet. Vermögen des Menschen, gesehen. Während für Kants ästhet. Urteilskraft der Verstand eine konstituierende Rolle spielte, entwickelte sich bald ein von intuitiven Fähigkeiten geprägter Geniebegriff. Das Genie in seinem schöpfer. Enthusiasmus steht in Einklang mit der Natur, der den Kosmos durchwaltende göttl. Genius offenbart sich ihm (Shaftesbury). Der romant. Künstler erstrebte eine Annäherung an das Absolute und eine Vereinigung von Endlichkeit und Unendlichkeit in sich und seinem Werk. K. wurde so eine Leistung begnadeter Einzelner. - In der K.-Philosophie von Platon wie von Aristoteles wurde die Mimesis, die Nachahmung (»K. imitiert Natur«) als Grundproblem der K. betrachtet, allerdings nicht als Nachahmung einer Naturerscheinung, sondern als Abbildung der Ideen (Platon ) oder als Gestaltung in Richtung auf Vollendung der Natur (Aristoteles), da in der K. (philosoph. Begriff) wie in der Natur (Materie) die Form Prinzip des Werdens sei. In der Renaissance wurde einerseits die Natur die Mutter der K. genannt, andererseits erhielt die Erfindung (»inventio«) diesen Rang; der Entwurf (»disegno«) wurde als das urspr. Künstlerische (Vasari) angesehen; er entspricht einer präexistenten Idee im Geist. Dank ihrer ergreift der Künstler die Wirklichkeit in reiner Gestalt, ist K. erst »natürlich«. Das 17. und 18. Jh., insbesondere auch die dt. Klassik, knüpften hier an. Das Universum bietet kein reines Abbild eines Ideals, K. erstrebt dieses Ideal, die wahre Natur darzustellen, in der Aufgabe des Zufälligen und im Ausdruck des Notwendigen. Der Künstler schaut im Besonderen das Allgemeine. Hegel bestimmte das Schöne als das sinnl. Scheinen der Idee. Das 20. Jh. ist charakterisiert durch versch. Versuche, den hergebrachten K.-Begriff als zu eng abzuschütteln. Spätestens seit M. Duchamp und den Dadaisten umfasst der Begriff K. nicht nur den zum Abschluss gelangten, einmaligen Akt der Formsetzung, das K.-Werk, sondern erstreckt sich auf Bereiche, die der materiellen Scheinhaftigkeit, der strukturellen Endgültigkeit, der formalen Intention und selbst der Anschaubarkeit entbehren können. K. öffnet sich damit jeder nur denkbaren Form in der Hoffnung oder Utopie einer allgemeinen Veränderung der Erlebensweisen.
Literatur:
Kultermann, U.: Kleine Geschichte der Kunsttheorie. Darmstadt 1987.
Lucie-Smith, E.: DuMont's Lexikon der bildenden K. Angewandte K., Architektur, Fotografie, Grafik, Malerei, Plastik. Stilrichtungen, Schulen, Medien, Materialien, Techniken. A. d. Engl. Köln 1990.
Kapner, G.: Die K. in Geschichte u. Gesellschaft. Aufsätze zur Sozialgeschichte u. Soziologie der K. Wien u. a. 1991.
Lexikon der K., begr. v. G. Strauß, hg. v. H. Olbrich unter Mitwirkung von zahlr. Fachwissenschaftlern, 7 Bde., Neuausg. München 1996.
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