Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Krebs
I Krebs, 1) Astronomie: (Cancer, Abk. Cnc oder Canc) zum Tierkreis gehörendes Sternbild des Nordhimmels, enthält den mit bloßem Auge als verwaschenen Nebelfleck erkennbaren Sternhaufen Praesepe (Krippe).
2) Botanik: durch Wucherungen gekennzeichnete Pflanzenkrankheiten, so Kartoffel-, Bakterien-, Baumkrebs.
3) Medizin: im allg. Sprachgebrauch Bez. für alle bösartigen Geschwülste; medizinisch unterscheidet man nach dem betroffenen Gewebstyp das von den epithelialen Zellen (Deck- und Drüsengewebe) der Haut, Schleimhaut und Organe ausgehende Karzinom (Carcinoma, Abk. Ca), das auch i. e. S. als K. bezeichnet wird, und das auf die mesenchymalen Stütz- und Bindegewebe begrenzte Sarkom (Abk. Sa), das entsprechend seiner Herkunft, z. B. aus Knochen-, Knorpel-, Muskel-, Fettgewebe oder faserbildendem Gewebe, in Osteo-, Chondro-, Myo-, Lipo- oder Fibrosarkom unterteilt wird. Auch Zellen, die in keinem Gewebsverband zusammenhängen, können zu K.-Zellen entarten und betreffen als Hämoblastosen oder Retikulosen das Blut bildende oder das lymphatisch-retikuläre System (v. a. Leukämie, Plasmozytom, Lymphogranulomatose). Eine weitere Einteilung richtet sich nach befallenen Organen (z. B. Brust-, Gebärmutter-, Lungen-K.).Kennzeichen: Die bösartigen Geschwülste sind durch eine programmwidrige Zellvermehrung gekennzeichnet. Sie kommt entweder durch erhöhte Zellteilungsraten oder durch eine Störung der Zellreifung zustande. Hierbei versagen die unter physiolog. Bedingungen wirksamen regulierenden Systeme, die die Zellteilung, Zell-, Gewebsdifferenzierung und -regeneration aufeinander abstimmen (z. B. Hormone, Chalone). Einen wesentl. Schritt für die modellhafte Erklärung dieser Vorgänge bedeutete die Entdeckung von Genen, die nach Einführung in eine Zelle diese in eine K.-Zelle umwandeln. Diese Onkogene (K.-Gene) sind mit Genen, die in Tumorviren vorkommen, eng verwandt, treten jedoch auch in regulären Zellen auf. Sie steuern die Bildung von Wuchsfaktoren und von entsprechenden Rezeptoren der Zelle. Bereits minimale Veränderungen (ein Baustein auf 20 000) können zu einer Umwandlung des harmlosen K.-Gens einer Normalzelle in das bösartige K.-Gen einer Tumorzelle führen. Neben den Onkogenen sind Antionkogene bekannt, die in normalen Zellen die Zellteilung verhindern oder diese im Bedarf (z. B. bei der Wundheilung) kurzfristig freigeben. Fällt deren bremsende Funktion aus, kommt es zur dauernden und unkontrollierten Zellteilung. Als gesichert gilt die Erkenntnis, dass die Wirkung von Onkogenen für die Entstehung von K. erforderlich ist, dass sie allein jedoch nicht ausreicht.Entwicklung: Die Bildung der Primärgeschwulst beginnt mit einer je nach K.-Art unterschiedlich schnellen Vermehrung von Zellen mit charakterist. Struktur unter Verlust von Besonderheiten der Mutterzelle im zunächst nicht sichtbar veränderten Gewebe; v. a. in schnell wachsenden Tumoren treten vermehrt Zellen in Mitose (Zellteilung) auf. Als Frühstadium eines K. mit häufig jahrelanger Latenzzeit wird das Carcinoma in situ angesehen, bei dem eine örtlich begrenzte Veränderung von Epithelzellen, jedoch ohne Invasion in das Nachbargewebe, besteht. K. kann sich auch aus Präkanzerosen oder durch Entartung bedingt gutartiger oder halb bösartiger Tumoren entwickeln. In den weiteren Stadien kommt es zum Einwachsen in die Umgebung (auch über die Organgrenzen hinaus), dann zur Zerstörung des gesunden Organgewebes und nach der Ablösung einzelner wuchernder Zellen aus dem Verband zur Bildung von Tochtergeschwülsten (Metastasen) in weiter entfernten Bereichen des Organismus infolge Verschleppung mit dem Blut- und Lymphstrom. Der Differenzierungsverlust ist i. Allg. mit einem Funktionsverlust der K.-Zellen verbunden; durch hohen Energieverbrauch und vermehrte Abgabe von Stoffwechselschlacken kommt es zur körperl. Auszehrung (Kachexie), durch das Raum fordernde und gefäßzerstörende Wachstum zu Kompression und Verschluss von Hohlorganen, auch zu Blutungen durch Schädigung größerer Gefäße oder zu Spontanbrüchen bei Knochenzerstörung.
Allg. Anzeichen einer K.-Erkrankung sind zunächst erhebl. Störungen des Allgemeinbefindens wie Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit, Gewichtsabnahme, auch Blutarmut durch Sickerblutungen. V. a. in späteren Stadien können bei Befall von schmerzleitenden Bahnen im peripheren und zentralen Nervensystem starke Dauerschmerzen auftreten. Da die Heilungsaussichten hauptsächlich davon abhängen, dass eine K.-Erkrankung in möglichst frühem Stadium erkannt wird, kommt den Vorsorgeuntersuchungen zur K.-Früherkennung besondere Bedeutung zu.Warnzeichen: 1. eine schlechte Wundheilung; 2. Knoten und Verdickungen in der Brust oder an anderen Stellen sowie starke Lymphknotenschwellungen; 3. sichtbare Veränderung an einer Warze oder einem Muttermal; 4. anhaltende Verdauungs- oder Schluckbeschwerden; 5. chron. Husten oder Heiserkeit; 6. ungewöhnl. Absonderungen aus Körperöffnungen (z. B. Blut im Stuhl oder Harn, Bluthusten); 7. unregelmäßige Monatsblutungen oder Scheidenausfluss mit Blutbeimischungen sowie Blutungen nach den Wechseljahren.Ursachen: Eine einheitl. Ursache der K.-Erkrankungen gibt es nicht, vielmehr sind zahlr. kanzerogene Faktoren (Risikofaktoren) bekannt, die einzeln oder in Kombination eine Zellentartung begünstigen oder auslösen können, jedoch nicht zur Erklärung aller Formen ausreichen. Zu den äußeren Einflüssen gehören v. a. die chem. Karzinogene; zurzeit sind fast 1 000 chem. Substanzen bekannt, die im Tierexperiment und beim Menschen K. erzeugen können, unter ihnen v. a. polyzykl. aromat. Kohlenwasserstoffe, z. B. Benzpyren (Hautkarzinogen) sowie natürlich vorkommende Stoffe wie Aflatoxine (Leberkarzinogen). Manche Karzinogene entstehen im Körper selbst aus an sich unschädl. Vorstufen (z. B. Nitrosamine aus Nitrit und Aminen). Bei Einwirkung kleinerer Mengen dieser Stoffe über längere Zeit summiert sich deren Wirkung. Dies trifft auch auf die weitere Gruppe der physikal. Faktoren zu; hierzu gehören energiereiche ionisierende Strahlen wie Röntgen-, Alpha-, Beta- und Gammastrahlen (radioaktive Isotope), die durch Abgabe von Energie u. a. an den Nucleinsäuren der Chromosomen Schäden hervorrufen, nach langer Latenzzeit auch die UV-Strahlung des Sonnenlichts. Tumorviren als weitere mögl. äußere K.-Ursache sind bereits seit Anfang des 20. Jh. in der Tiermedizin bekannt. Auch beim Menschen besteht bei Gebärmutterhals-, Brust- und Leber-K. der Verdacht der Beteiligung von Viren (z. B. Herpes-simplex-Virus, Papillomaviren). Der Eintritt und das Ausmaß der Zellschädigung durch äußere Einwirkungen ist jedoch auch von inneren Reaktionen im Körper abhängig. Alle äußeren Faktoren wirken über eine Schädigung des Genmaterials der Zelle; derartige Defekte werden in begrenztem Umfang von den Zellen repariert. Auch neu gebildete K.-Zellen werden anfangs von Killerzellen und Antikörpern zerstört. Bei einer Schädigung des Immunsystems steigt das Risiko einer K.-Erkrankung dementsprechend um ein Vielfaches. Die Leistungsfähigkeit des Genreparatursystems, des Immunsystems und der Entgiftung sind außerdem von vererbbaren genet. Faktoren sowie vom Lebensalter abhängig. Als weiterer innerer Faktor kommt die Wirkung von Hormonen in Betracht, die z. B. bei der Entstehung des K. am Gebärmutterkörper und der Brust beteiligt sind.
Kanzerogene Einflüsse werden bes. durch eine Reihe von Risikofaktoren der Genuss-, Ess- und Lebensgewohnheiten und der Umwelt wirksam. Chem. Kanzerogene sind v. a. durch das Rauchen Ursache von im Durchschnitt über 30 % aller krebsbedingten Todesfälle; es führt zu einem 10- bis 25fach erhöhten Risiko, an Lungen- oder Bronchial-K. zu erkranken und vervielfacht die Wahrscheinlichkeit von Kehlkopf-, Mundhöhlen-, Speiseröhren-, Harnblasen- und Nieren-K. Auch hochprozentige alkohol. Getränke gelten, v. a. in Verbindung mit starkem Rauchen, als Risikofaktor des Speiseröhrenkrebses.Diagnose: Hauptverfahren zur K.-Erkennung sind Ultraschalldiagnostik, ergänzt durch endoskop. Untersuchungen (z. B. Luftröhren-, Magen-, Darmspiegelung), Röntgenuntersuchungen (z. B. als Mammographie, Angiographie), einschl. der Computertomographie, Kernspintomographie, Szintigraphie sowie die Zytodiagnostik durch Zellabstrich (z. B. vom Gebärmuttermund) und histolog. Untersuchung (Biopsie) nach Gewinnung von Gewebeproben. Hinzu kommen Laboruntersuchungen des Blutes auf Antikörper und Tumormarker.Behandlung: K. ist unter der Voraussetzung heilbar, dass alle vorhandenen K.-Zellen entfernt oder zerstört werden können. Hauptmaßnahmen sind die chirurg. Entfernung des Tumors bis in das gesunde Gewebe hinein, meist unter Einbeziehung der regionalen Lymphknoten, die Strahlenbehandlung durch möglichst exakt auf die Geschwulst gerichtete, optimal dosierte ionisierende Strahlen (Röntgenbehandlung, Neutronen-, Radium- oder Kobaltbestrahlung, Einpflanzung von Radionukliden) und die Chemotherapie mit zytostat. Mitteln, die die Entwicklung und Vermehrung von K.-Zellen hemmen soll; Strahlen- und Chemotherapie werden überwiegend bei fortgeschrittenem K. mit Metastasenbildungen im Anschluss an operative Maßnahmen unterstützend eingesetzt (adjuvante Therapie). V. a. die Chemotherapie ist jedoch mit starken Nebenwirkungen verbunden. Durch zytostat. Behandlungen konnte die Fünfjahres-Heilungsrate bei einzelnen, vorher meist unheilbaren K.-Arten (Hoden-K., akute lymphoblast. Leukämie, Lymphogranulomatose) auf bis zu 90 % gesteigert werden. Eine Möglichkeit zur Minderung der Schäden einer hoch dosierten zytostat. oder Strahlenbehandlung ist die autogene Knochenmarktransplantation. Bei bestimmten K.-Formen kann die Wirksamkeit der Behandlung mit Strahlen und/oder Medikamenten durch gleichzeitige gezielte Wärmeanwendung (mittels Ultraschall oder Mikrowellen auch in tieferen Körperbereichen) gesteigert werden, da sie zu einer Erhöhung der Empfindlichkeit der Tumorzellen gegenüber den Behandlungsmaßnahmen führt und sie zusätzlich direkt schädigt.
Zu den neueren, in Erprobung befindl. Verfahren gehört die autogene Immuntherapie; bei ihr werden Tumorzellen, die aufgrund ihrer von Normalzellen nur gering abweichenden Oberflächenstruktur kaum antigene Eigenschaften besitzen, mit apathogenen Viren infiziert und in den Körper eingebracht, wo sie nun durch ihre antigenen Eigenschaften von den T-Lymphozyten als fremd erkannt werden. Gegen Rückfälle bei behandeltem Lungen-K. wurde eine aktive Immunisierung mit Tumorantigenen aus der Membran von K.-Zellen erprobt. Ein neuer Ansatz besteht in der Erprobung von gentechnolog. Methoden, um die von den Onkogenen übermittelten Informationen für die K.-Zellen unlesbar zu machen (z. B. mittels »Anti-sense-Nucleinsäuren«) oder auch ein verloren gegangenes Antionkogen in die K.-Zelle wieder einzufügen. Diese u. a. Verfahren (rationale Therapie) zielen auf die Beseitigung der Ursachen einer krebsigen Zellentartung.
Neben den schulmedizin. Behandlungsmethoden wurde eine Vielzahl von Außenseitermethoden, auch naturheilkundl. Art, entwickelt, die durch Pflanzenextrakte (z. B. Mistel), versch. Diätformen, Überwärmung (als »Mehrschritt-Therapie« auch in Verbindung mit Zytostatika und Sauerstofftherapie), Frischzellen, Heilseren, Mesenchymaktivierung einen Behandlungserfolg anstreben; ihre therapeut. Wirkung ist jedoch umstritten.
▣ Literatur:
Higi, M.: Krebs-Lexikon. Wichtige Begriffe der Tumorerkrankungen allgemeinverständlich. München u. a. 1992.
⃟ Delbrück, H.: Krebsschmerz. Rat u. Hilfe für Betroffene u. Angehörige. Stuttgart u. a. 1993.
⃟ Thema K. Fragen u. Antworten, hg. v. H. Stamatiadis-Smidt u. A. Sellschopp. Berlin u. a. 21993.
⃟ Grimme, L. H.: Ernährung, Immunität, Krebsvorsorge. Gesund durch natürl. Lebensmittel. Berlin 1995.
⃟ K. u. seine psych. u. sozialen Folgen. Formen der Hilfestellung, Beratung u. Therapie, hg. v. H. Friedrich u. a. Stuttgart u. a. 1996.
⃟ Wagener, C.: Einführung in die molekulare Onkologie. Veränderung u. Wirkung von Tumorgenen u. Tumorproteinen. Stuttgart u. a. 1996.
4) Musik: satztechn. Verfahren in der Musik, bei dem eine Stimme oder ein ganzer Tonsatz rückwärts verläuft. Im K.-Kanon ist die 2. (imitierende) Stimme die rückwärts gelesene 1. Stimme. Spiegel-K. bedeutet die rückläufige und umgekehrte Lesung eines Themas oder einer Melodie (mit umgekehrtem Notenblatt). Der K. und seine Umkehrung (Spiegelung) sind wichtige Bauprinzipien der Zwölftonmusik.
5) Zoologie: Krustentier, Krebstiere.
II Krebs,
1) Edwin G., amerikan. Biochemiker, * Lansing (Ia.) 6. 6. 1918; entdeckte den biolog. Regelmechanismus, der das Zusammenspiel von bestimmten Proteinen (Anlagern und Abspalten von Phosphatgruppen, gen. reversible Phosphorylierung) im Körper steuert; erhielt dafür (mit E. H. Fischer) 1992 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.
2) Sir (seit 1958) Hans Adolf, brit. Biochemiker dt. Herkunft, * Hildesheim 25. 8. 1900, ✝ Oxford 22. 11. 1981; emigrierte 1933 nach England. Entdeckte 1937 den Zitronensäurezyklus, wofür er 1953 mit F. A. Lipmann den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhielt.
3) Konrad, Baumeister, * Büdingen (?) 1492, ✝ Torgau 1. 9. 1540; schuf als kurfürstlich-sächs. Baumeister (ab 1532) den Südostflügel des Schlosses Hartenfels in Torgau (1533-36) mit dem vorspringenden Treppenturm (Großer Wendelstein), vorbildlich für den dt. Schlossbau der Renaissance.
2) Botanik: durch Wucherungen gekennzeichnete Pflanzenkrankheiten, so Kartoffel-, Bakterien-, Baumkrebs.
3) Medizin: im allg. Sprachgebrauch Bez. für alle bösartigen Geschwülste; medizinisch unterscheidet man nach dem betroffenen Gewebstyp das von den epithelialen Zellen (Deck- und Drüsengewebe) der Haut, Schleimhaut und Organe ausgehende Karzinom (Carcinoma, Abk. Ca), das auch i. e. S. als K. bezeichnet wird, und das auf die mesenchymalen Stütz- und Bindegewebe begrenzte Sarkom (Abk. Sa), das entsprechend seiner Herkunft, z. B. aus Knochen-, Knorpel-, Muskel-, Fettgewebe oder faserbildendem Gewebe, in Osteo-, Chondro-, Myo-, Lipo- oder Fibrosarkom unterteilt wird. Auch Zellen, die in keinem Gewebsverband zusammenhängen, können zu K.-Zellen entarten und betreffen als Hämoblastosen oder Retikulosen das Blut bildende oder das lymphatisch-retikuläre System (v. a. Leukämie, Plasmozytom, Lymphogranulomatose). Eine weitere Einteilung richtet sich nach befallenen Organen (z. B. Brust-, Gebärmutter-, Lungen-K.).Kennzeichen: Die bösartigen Geschwülste sind durch eine programmwidrige Zellvermehrung gekennzeichnet. Sie kommt entweder durch erhöhte Zellteilungsraten oder durch eine Störung der Zellreifung zustande. Hierbei versagen die unter physiolog. Bedingungen wirksamen regulierenden Systeme, die die Zellteilung, Zell-, Gewebsdifferenzierung und -regeneration aufeinander abstimmen (z. B. Hormone, Chalone). Einen wesentl. Schritt für die modellhafte Erklärung dieser Vorgänge bedeutete die Entdeckung von Genen, die nach Einführung in eine Zelle diese in eine K.-Zelle umwandeln. Diese Onkogene (K.-Gene) sind mit Genen, die in Tumorviren vorkommen, eng verwandt, treten jedoch auch in regulären Zellen auf. Sie steuern die Bildung von Wuchsfaktoren und von entsprechenden Rezeptoren der Zelle. Bereits minimale Veränderungen (ein Baustein auf 20 000) können zu einer Umwandlung des harmlosen K.-Gens einer Normalzelle in das bösartige K.-Gen einer Tumorzelle führen. Neben den Onkogenen sind Antionkogene bekannt, die in normalen Zellen die Zellteilung verhindern oder diese im Bedarf (z. B. bei der Wundheilung) kurzfristig freigeben. Fällt deren bremsende Funktion aus, kommt es zur dauernden und unkontrollierten Zellteilung. Als gesichert gilt die Erkenntnis, dass die Wirkung von Onkogenen für die Entstehung von K. erforderlich ist, dass sie allein jedoch nicht ausreicht.Entwicklung: Die Bildung der Primärgeschwulst beginnt mit einer je nach K.-Art unterschiedlich schnellen Vermehrung von Zellen mit charakterist. Struktur unter Verlust von Besonderheiten der Mutterzelle im zunächst nicht sichtbar veränderten Gewebe; v. a. in schnell wachsenden Tumoren treten vermehrt Zellen in Mitose (Zellteilung) auf. Als Frühstadium eines K. mit häufig jahrelanger Latenzzeit wird das Carcinoma in situ angesehen, bei dem eine örtlich begrenzte Veränderung von Epithelzellen, jedoch ohne Invasion in das Nachbargewebe, besteht. K. kann sich auch aus Präkanzerosen oder durch Entartung bedingt gutartiger oder halb bösartiger Tumoren entwickeln. In den weiteren Stadien kommt es zum Einwachsen in die Umgebung (auch über die Organgrenzen hinaus), dann zur Zerstörung des gesunden Organgewebes und nach der Ablösung einzelner wuchernder Zellen aus dem Verband zur Bildung von Tochtergeschwülsten (Metastasen) in weiter entfernten Bereichen des Organismus infolge Verschleppung mit dem Blut- und Lymphstrom. Der Differenzierungsverlust ist i. Allg. mit einem Funktionsverlust der K.-Zellen verbunden; durch hohen Energieverbrauch und vermehrte Abgabe von Stoffwechselschlacken kommt es zur körperl. Auszehrung (Kachexie), durch das Raum fordernde und gefäßzerstörende Wachstum zu Kompression und Verschluss von Hohlorganen, auch zu Blutungen durch Schädigung größerer Gefäße oder zu Spontanbrüchen bei Knochenzerstörung.
Allg. Anzeichen einer K.-Erkrankung sind zunächst erhebl. Störungen des Allgemeinbefindens wie Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit, Gewichtsabnahme, auch Blutarmut durch Sickerblutungen. V. a. in späteren Stadien können bei Befall von schmerzleitenden Bahnen im peripheren und zentralen Nervensystem starke Dauerschmerzen auftreten. Da die Heilungsaussichten hauptsächlich davon abhängen, dass eine K.-Erkrankung in möglichst frühem Stadium erkannt wird, kommt den Vorsorgeuntersuchungen zur K.-Früherkennung besondere Bedeutung zu.Warnzeichen: 1. eine schlechte Wundheilung; 2. Knoten und Verdickungen in der Brust oder an anderen Stellen sowie starke Lymphknotenschwellungen; 3. sichtbare Veränderung an einer Warze oder einem Muttermal; 4. anhaltende Verdauungs- oder Schluckbeschwerden; 5. chron. Husten oder Heiserkeit; 6. ungewöhnl. Absonderungen aus Körperöffnungen (z. B. Blut im Stuhl oder Harn, Bluthusten); 7. unregelmäßige Monatsblutungen oder Scheidenausfluss mit Blutbeimischungen sowie Blutungen nach den Wechseljahren.Ursachen: Eine einheitl. Ursache der K.-Erkrankungen gibt es nicht, vielmehr sind zahlr. kanzerogene Faktoren (Risikofaktoren) bekannt, die einzeln oder in Kombination eine Zellentartung begünstigen oder auslösen können, jedoch nicht zur Erklärung aller Formen ausreichen. Zu den äußeren Einflüssen gehören v. a. die chem. Karzinogene; zurzeit sind fast 1 000 chem. Substanzen bekannt, die im Tierexperiment und beim Menschen K. erzeugen können, unter ihnen v. a. polyzykl. aromat. Kohlenwasserstoffe, z. B. Benzpyren (Hautkarzinogen) sowie natürlich vorkommende Stoffe wie Aflatoxine (Leberkarzinogen). Manche Karzinogene entstehen im Körper selbst aus an sich unschädl. Vorstufen (z. B. Nitrosamine aus Nitrit und Aminen). Bei Einwirkung kleinerer Mengen dieser Stoffe über längere Zeit summiert sich deren Wirkung. Dies trifft auch auf die weitere Gruppe der physikal. Faktoren zu; hierzu gehören energiereiche ionisierende Strahlen wie Röntgen-, Alpha-, Beta- und Gammastrahlen (radioaktive Isotope), die durch Abgabe von Energie u. a. an den Nucleinsäuren der Chromosomen Schäden hervorrufen, nach langer Latenzzeit auch die UV-Strahlung des Sonnenlichts. Tumorviren als weitere mögl. äußere K.-Ursache sind bereits seit Anfang des 20. Jh. in der Tiermedizin bekannt. Auch beim Menschen besteht bei Gebärmutterhals-, Brust- und Leber-K. der Verdacht der Beteiligung von Viren (z. B. Herpes-simplex-Virus, Papillomaviren). Der Eintritt und das Ausmaß der Zellschädigung durch äußere Einwirkungen ist jedoch auch von inneren Reaktionen im Körper abhängig. Alle äußeren Faktoren wirken über eine Schädigung des Genmaterials der Zelle; derartige Defekte werden in begrenztem Umfang von den Zellen repariert. Auch neu gebildete K.-Zellen werden anfangs von Killerzellen und Antikörpern zerstört. Bei einer Schädigung des Immunsystems steigt das Risiko einer K.-Erkrankung dementsprechend um ein Vielfaches. Die Leistungsfähigkeit des Genreparatursystems, des Immunsystems und der Entgiftung sind außerdem von vererbbaren genet. Faktoren sowie vom Lebensalter abhängig. Als weiterer innerer Faktor kommt die Wirkung von Hormonen in Betracht, die z. B. bei der Entstehung des K. am Gebärmutterkörper und der Brust beteiligt sind.
Kanzerogene Einflüsse werden bes. durch eine Reihe von Risikofaktoren der Genuss-, Ess- und Lebensgewohnheiten und der Umwelt wirksam. Chem. Kanzerogene sind v. a. durch das Rauchen Ursache von im Durchschnitt über 30 % aller krebsbedingten Todesfälle; es führt zu einem 10- bis 25fach erhöhten Risiko, an Lungen- oder Bronchial-K. zu erkranken und vervielfacht die Wahrscheinlichkeit von Kehlkopf-, Mundhöhlen-, Speiseröhren-, Harnblasen- und Nieren-K. Auch hochprozentige alkohol. Getränke gelten, v. a. in Verbindung mit starkem Rauchen, als Risikofaktor des Speiseröhrenkrebses.Diagnose: Hauptverfahren zur K.-Erkennung sind Ultraschalldiagnostik, ergänzt durch endoskop. Untersuchungen (z. B. Luftröhren-, Magen-, Darmspiegelung), Röntgenuntersuchungen (z. B. als Mammographie, Angiographie), einschl. der Computertomographie, Kernspintomographie, Szintigraphie sowie die Zytodiagnostik durch Zellabstrich (z. B. vom Gebärmuttermund) und histolog. Untersuchung (Biopsie) nach Gewinnung von Gewebeproben. Hinzu kommen Laboruntersuchungen des Blutes auf Antikörper und Tumormarker.Behandlung: K. ist unter der Voraussetzung heilbar, dass alle vorhandenen K.-Zellen entfernt oder zerstört werden können. Hauptmaßnahmen sind die chirurg. Entfernung des Tumors bis in das gesunde Gewebe hinein, meist unter Einbeziehung der regionalen Lymphknoten, die Strahlenbehandlung durch möglichst exakt auf die Geschwulst gerichtete, optimal dosierte ionisierende Strahlen (Röntgenbehandlung, Neutronen-, Radium- oder Kobaltbestrahlung, Einpflanzung von Radionukliden) und die Chemotherapie mit zytostat. Mitteln, die die Entwicklung und Vermehrung von K.-Zellen hemmen soll; Strahlen- und Chemotherapie werden überwiegend bei fortgeschrittenem K. mit Metastasenbildungen im Anschluss an operative Maßnahmen unterstützend eingesetzt (adjuvante Therapie). V. a. die Chemotherapie ist jedoch mit starken Nebenwirkungen verbunden. Durch zytostat. Behandlungen konnte die Fünfjahres-Heilungsrate bei einzelnen, vorher meist unheilbaren K.-Arten (Hoden-K., akute lymphoblast. Leukämie, Lymphogranulomatose) auf bis zu 90 % gesteigert werden. Eine Möglichkeit zur Minderung der Schäden einer hoch dosierten zytostat. oder Strahlenbehandlung ist die autogene Knochenmarktransplantation. Bei bestimmten K.-Formen kann die Wirksamkeit der Behandlung mit Strahlen und/oder Medikamenten durch gleichzeitige gezielte Wärmeanwendung (mittels Ultraschall oder Mikrowellen auch in tieferen Körperbereichen) gesteigert werden, da sie zu einer Erhöhung der Empfindlichkeit der Tumorzellen gegenüber den Behandlungsmaßnahmen führt und sie zusätzlich direkt schädigt.
Zu den neueren, in Erprobung befindl. Verfahren gehört die autogene Immuntherapie; bei ihr werden Tumorzellen, die aufgrund ihrer von Normalzellen nur gering abweichenden Oberflächenstruktur kaum antigene Eigenschaften besitzen, mit apathogenen Viren infiziert und in den Körper eingebracht, wo sie nun durch ihre antigenen Eigenschaften von den T-Lymphozyten als fremd erkannt werden. Gegen Rückfälle bei behandeltem Lungen-K. wurde eine aktive Immunisierung mit Tumorantigenen aus der Membran von K.-Zellen erprobt. Ein neuer Ansatz besteht in der Erprobung von gentechnolog. Methoden, um die von den Onkogenen übermittelten Informationen für die K.-Zellen unlesbar zu machen (z. B. mittels »Anti-sense-Nucleinsäuren«) oder auch ein verloren gegangenes Antionkogen in die K.-Zelle wieder einzufügen. Diese u. a. Verfahren (rationale Therapie) zielen auf die Beseitigung der Ursachen einer krebsigen Zellentartung.
Neben den schulmedizin. Behandlungsmethoden wurde eine Vielzahl von Außenseitermethoden, auch naturheilkundl. Art, entwickelt, die durch Pflanzenextrakte (z. B. Mistel), versch. Diätformen, Überwärmung (als »Mehrschritt-Therapie« auch in Verbindung mit Zytostatika und Sauerstofftherapie), Frischzellen, Heilseren, Mesenchymaktivierung einen Behandlungserfolg anstreben; ihre therapeut. Wirkung ist jedoch umstritten.
▣ Literatur:
Higi, M.: Krebs-Lexikon. Wichtige Begriffe der Tumorerkrankungen allgemeinverständlich. München u. a. 1992.
⃟ Delbrück, H.: Krebsschmerz. Rat u. Hilfe für Betroffene u. Angehörige. Stuttgart u. a. 1993.
⃟ Thema K. Fragen u. Antworten, hg. v. H. Stamatiadis-Smidt u. A. Sellschopp. Berlin u. a. 21993.
⃟ Grimme, L. H.: Ernährung, Immunität, Krebsvorsorge. Gesund durch natürl. Lebensmittel. Berlin 1995.
⃟ K. u. seine psych. u. sozialen Folgen. Formen der Hilfestellung, Beratung u. Therapie, hg. v. H. Friedrich u. a. Stuttgart u. a. 1996.
⃟ Wagener, C.: Einführung in die molekulare Onkologie. Veränderung u. Wirkung von Tumorgenen u. Tumorproteinen. Stuttgart u. a. 1996.
4) Musik: satztechn. Verfahren in der Musik, bei dem eine Stimme oder ein ganzer Tonsatz rückwärts verläuft. Im K.-Kanon ist die 2. (imitierende) Stimme die rückwärts gelesene 1. Stimme. Spiegel-K. bedeutet die rückläufige und umgekehrte Lesung eines Themas oder einer Melodie (mit umgekehrtem Notenblatt). Der K. und seine Umkehrung (Spiegelung) sind wichtige Bauprinzipien der Zwölftonmusik.
5) Zoologie: Krustentier, Krebstiere.
II Krebs,
1) Edwin G., amerikan. Biochemiker, * Lansing (Ia.) 6. 6. 1918; entdeckte den biolog. Regelmechanismus, der das Zusammenspiel von bestimmten Proteinen (Anlagern und Abspalten von Phosphatgruppen, gen. reversible Phosphorylierung) im Körper steuert; erhielt dafür (mit E. H. Fischer) 1992 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.
2) Sir (seit 1958) Hans Adolf, brit. Biochemiker dt. Herkunft, * Hildesheim 25. 8. 1900, ✝ Oxford 22. 11. 1981; emigrierte 1933 nach England. Entdeckte 1937 den Zitronensäurezyklus, wofür er 1953 mit F. A. Lipmann den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhielt.
3) Konrad, Baumeister, * Büdingen (?) 1492, ✝ Torgau 1. 9. 1540; schuf als kurfürstlich-sächs. Baumeister (ab 1532) den Südostflügel des Schlosses Hartenfels in Torgau (1533-36) mit dem vorspringenden Treppenturm (Großer Wendelstein), vorbildlich für den dt. Schlossbau der Renaissance.