Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Kosmologie
Kosmologie[grch.] die, Wissenschaft vom Weltall als einem einheitl. Ganzen, die dessen Aufbau untersucht und die Fragen nach seinem Ursprung, der zeitl. Entwicklung und dem Alter zu beantworten sucht. Auch die Rolle des organ. Lebens im Weltall gehört zu ihren Problemstellungen. Die Entwicklung der K. ist eng mit den theoret. und techn. Fortschritten der Elementarteilchen- und Astrophysik verbunden, insbesondere mit der Entwicklung der modernen Beobachtungs- und Messtechnik (Großteleskope, Raumsonden u. a.) sowie der Radioastronomie, die zur Entdeckung von strahlungskräftigen quasistellaren Galaxien (Quasar) in Entfernungen bis zu 16 Mrd. Lichtjahren geführt haben.Die heute mehrheitlich anerkannten dynam. Weltmodelle basieren im Rahmen der allg. Relativitätstheorie von A. Einstein und den darauf aufbauenden, von A. A. Friedman, A. G. Lemaître u. a. entwickelten homogenen relativist. Modellen auf dem Hubble-Effekt, der die in den Spektren kosm. Objekte feststellbare Rotverschiebung als allg. Expansion des Weltalls deutet. Weitere Annahmen zum Verständnis des Weltalls als Ganzes sind die Universalität der Naturgesetze: Alle auf der Erde gefundenen physikal. Gesetze gelten an jedem Punkt des Raum-Zeit-Kontinuums sowie das kosmolog. Prinzip, nach dem das Weltall (im Großen gesehen) in allen Richtungen (Isotropie) und Entfernungen (Homogenität) im Wesentlichen gleich aussieht. Da der kosm. Raum nach der allg. Relativitätstheorie nicht den Gesetzen der euklid. Geometrie folgen muss, ist die Unendlichkeit des Raumes zweifelhaft geworden; moderne kosmolog. Theorien bevorzugen die Vorstellung, dass der Weltraum trotz Unbegrenztheit von endl. Gesamtgröße sei. Auch die Unendlichkeit der seit Beginn dieser Entwicklung verflossenen Zeit ist aufgrund der mit der Rotverschiebung verbundenen Dynamik infrage gestellt.Nach der heute als kosmolog. Standardmodell angesehenen Theorie vom Urknall liegt der Ursprung des Kosmos, den man sich als Urexplosion extrem verdichteter Materie vorstellt, etwa 10-20 Mrd. Jahre zurück. Aus dem Urplasma bildeten sich binnen weniger Sekunden die Elementarteilchen. Nach etwa 300 000 Jahren hörte die Wechselwirkung zw. Strahlung und Materie weitgehend auf. Ein Teil der Materie kondensierte zu den bekannten kosm. Objekten, während die Strahlung unbeeinflusst fortbestand. Ihre Energiedichte und damit ihre Temperatur sank aufgrund der Expansion des Universums auf den heutigen Wert von etwa 3 Kelvin. Diese, als kosmische Hintergrundstrahlung bekannte Strahlung gilt neben dem Hubble-Effekt als wesentl. Stütze der Urknalltheorie, ebenso die beobachtete Häufigkeit der chem. Elemente im Weltall (75 % Wasserstoff, 25 % Helium und Spuren schwerer Elemente), die mit den theoret. Berechnungen zur Nukleosynthese, d. h. zur Erzeugung von Atomkernen aus Protonen und Neutronen bei den nach dem Urknall herrschenden extrem hohen Temperaturen, exakt übereinstimmt. Gegenwärtig wird ein inflationäres Urknallmodell favorisiert, wonach der Kosmos unmittelbar nach dem Urknall exponentiell expandierte, um sich danach in seiner Expansion zu verlangsamen, worauf die Bildung von Materieteilchen einsetzte. - Andere kosmolog. Modelle verzichten auf die Anfangssingularität des Urknalls, so das Modell des inflationären Weltalls und die Big-Bounce-Theorie (W. Priester, H.-J. Blome, J. Hoell, 1989). Danach kontrahierte das urspr. homogene, isotrope und materiefreie Universum bis auf ein endl. Minimalvolumen, um hierauf (mit Materie erfüllt) nach dem »großen Aufprall« zunächst sehr schnell, dann relativ langsam zu expandieren. Historisch bedeutsam ist die Steady-State-Theorie (von H. Bondi, T. Gold, F. Hoyle, 1948/49), nach der das Weltall nicht nur an allen Orten, sondern auch zu allen Zeiten gleich aussieht. Damit umgeht man das Problem der kosmolog. Singularität, muss dafür aber eine kontinuierl. Materieerzeugung postulieren, um eine konstante Materiedichte in einem expandierenden Weltall aufrechterhalten zu können.Die gegenwärtig wohl wichtigsten kosmolog. Probleme sind die Bestimmung der Expansionsgeschwindigkeit des Weltalls (Messung der Hubble-Konstanten) sowie die von der mittleren Massendichte des Kosmos abhängige Frage, ob das Universum weiter expandiert (offenes Universum), kontrahiert (geschlossenes Universum) oder abwechselnd expandiert und kontrahiert (pulsierendes Universum). Damit hängt die ebenfalls ungelöste Frage der relativist. Krümmung des Kosmos (eben, sphärisch, hyperbolisch) zusammen. Ein weiteres kosmolog. Problem betrifft die fehlende Masse im Universum: Nach der Theorie vom inflationären Weltall sollte die mittlere Materiedichte (beobachteter Wert etwa 3 · 10—31 g/cm3) nahe der sog. krit. Dichte von 5 · 10—30 g/cm3 liegen, der Grenze zw. Expansion und Kontraktion. Erklärungsvorschläge, in welcher Form die Materie vorliegen könnte, ziehen z. B. die kalte dunkle Materie sowie Neutrinos in Betracht. Weitere offene Probleme betreffen die Suche nach Fluktuationen in der kosm. Hintergrundstrahlung, die die Bildung der Strukturen im Weltall erklären könnten, sowie die Entstehung und Verteilung der Galaxien.
Literatur:
Harrison, E. R.: K. Die Wissenschaft vom Universum. A. d. Engl. Darmstadt 31990.
Kanitscheider, B.: K. Geschichte u. Systematik in philosoph. Perspektive. Stuttgart 21991.
Goenner, H.: Einführung in die K. Heidelberg u. a. 1994.
Weinberg, S.: Die ersten drei Minuten. Der Ursprung des Universums. A. d. Amerikan. Tb.-Ausg. München 111994.
Hawking, S. W.: Eine kurze Geschichte der Zeit. Die Suche nach der Urkraft des Universums. A. d. Engl. Tb.-Ausg. Reinbek 391.-420. Tsd. 1996.
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