Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Konservativismus
Konservativịsmus[lat.] der (Konservatismus), eine geistige, soziale und polit. Haltung, die überkommene Ordnungen wertmäßig bejaht und grundsätzlich zu erhalten strebt. Der K. lehnt Neuerungen nicht schlechthin ab, verlangt aber von jedem, der sie fordert, den Beweis ihrer Notwendigkeit. Staat, Gesellschaft und Kultur gelten ihm als geschichtlich gewordene, organisch sich entwickelnde Gebilde. Allen Einrichtungen, die Kontinuität, Identität und Sicherheit verbürgen, misst er hohe Bedeutung zu. Er verwirft sowohl den Individualismus wie den Kollektivismus. Politisch hat sich der K. meist erst in der Gegenwehr gegen progressive, insbesondere liberale, demokrat. und radikale Bewegungen zu grundsätzl. Stellungnahme und zu eigenen Parteibildungen verfestigt, bes. in Zeiten der Revolution und danach. In Abwehr der Ideen der Frz. Revolution vertrat E. Burke das historisch gewachsene Recht gegen die Willkür der Mehrheitsherrschaft. Der frz. Traditionalismus (L. G. A. de Bonald, J. M. de Maistre) entwickelte eine rationalist. Rechtfertigung der altständ. Ordnung, des legitimen Königtums und der kirchl. Autorität. Die Romantik begründete den K. durch die Lehre vom organ. Charakter und vom naturhaften Wachstum geistiger und gesellschaftl. Gebilde, bes. des Staats und des Rechts (F. Gentz, Adam Heinrich Müller, histor. Rechtsschule, F. C. von Savigny). Eine eigene theoret. Grundlegung des K. gab K. L. von Haller in seiner Lehre vom »Patrimonialstaat«. Ihrer polit. Auswirkung nach wurden der frz. Traditionalismus wie die polit. Romantik in Dtl. zu Verbündeten der Restauration gegen den Liberalismus; oft lieferten sie der altständisch-feudalen Reaktion (L. von der Marwitz) und dem monarch. Legitimitätsprinzip (Metternich, Heilige Allianz) die geistigen Waffen. Die Staatslehre F. J. Stahls bedeutete die Zusammenfassung aller Gedanken des alten K. und ihre Überleitung zur Idee der konstitutionellen Monarchie. - Das Erstarken der Arbeiterbewegung und die Gefahr der sozialen Revolution seit 1848 riefen ein Bündnis zw. dem K., der sich nun zum nat. Einheitsstaat und zur Verfassungsidee bekannte, und dem gemäßigten Liberalismus, soziologisch zw. dem Großgrundbesitz und dem großbürgerl. Unternehmertum, hervor, während der Gegensatz zum Liberalismus stark blieb. Eine breitere Grundlage schuf sich der K. als Vertretung der landwirtsch. Interessen (Bund der Landwirte) sowie im Mittelstand. In den meisten Ländern wurde er zu einem wesentl. Vertreter des Machtstaatsgedankens. Im Ggs. zum brit. K., der Demokratisierung und Sozialstaat aktiv förderte, war der dt. K. durch seine Fehlanpassung an die Ind.gesellschaft gekennzeichnet und belastet. Massenwirkung und Integration suchte er u. a. durch völk., antisemit. und antikapitalist. Strömungen. Nach 1918 konnte die DNVP, vielfach an extremem Nationalismus, an Republikfeindschaft und vorfaschist. Ideologie orientiert, den K. nicht wieder beleben, trug jedoch entscheidend dazu bei, dem revolutionär-totalitären Nationalsozialismus in den dt. Führungsschichten den Boden zu bereiten. Die seit 1945 sich nicht nur in der Bundesrep. Dtl. formierenden konservativen Strömungen waren Ausdruck der Suche nach Stabilität und Wiederherstellung gesicherter Sozialverhältnisse, trugen damit aber auch Züge der Restauration. In der Studentenbewegung der 1960er-Jahre standen konservative und progressist. Ideologiefragmente nebeneinander. Stark von konservativem Denken ist die ökolog. Bewegung der 1970er-Jahre und andererseits die neue Rechte geprägt.
▣ Literatur:
Maerker, P.: K. - wieder modern? Studien zu einer philosoph. Grundlegung des konservativen Denkens. Bonn 1993.
⃟ Grossheim, M.: Ökologie oder Technokratie? Der K. in der Moderne. Berlin 1995.
▣ Literatur:
Maerker, P.: K. - wieder modern? Studien zu einer philosoph. Grundlegung des konservativen Denkens. Bonn 1993.
⃟ Grossheim, M.: Ökologie oder Technokratie? Der K. in der Moderne. Berlin 1995.