Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Kolumbien
Kolụmbi|en Fläche: 1 141 748 km2
Einwohner: (1995) 35,101 Mio.
Hauptstadt: Bogotá (Santa Fe de B.)
Verwaltungsgliederung: 32 Dep. und der Hauptstadtdistrikt
Amtssprache: Spanisch
Nationalfeiertag: 20. 7.
Währung: 1 Kolumbian. Peso (kol$) = 100 Centavos (c, cvs)
Zeitzone: MEZ — 6 Std.
(amtlich span. República de Colombia; dt. Rep. K.), Staat im NW Südamerikas, grenzt im W an den Pazifik, im NW an Panama, im N an das Karib. Meer, im NO und O an Venezuela, im SO an Brasilien, im S an Peru und Ecuador. Zu K. gehören auch die rd. 200 km vor der Küste Nicaraguas liegenden Inseln Isla de San Andrés, Isla de Providencia und Cayos de Albuquerque, die zus. ein Dep. bilden, sowie die 2 km2 große unbewohnte Pazifikinsel Malpelo.
Staat und Recht: Nach der Verf. vom 6. 7. 1991 ist K. eine präsidiale Rep. Staatsoberhaupt und Reg.chef ist der für vier Jahre direkt gewählte Präs. (Wiederwahl nicht möglich); seine Vollmachten wurden durch das neue Grundgesetz eingeschränkt. Die Legislative liegt beim Zweikammerparlament, bestehend aus Senat (102 Mitgl., davon zwei indian. Einheimische) und Abg.haus (161 Abg., davon fünf für ethn. Minderheiten und zwei für Auslandskolumbianer reserviert), jeweils für vier Jahre gewählt. Einflussreichste Parteien: Liberale Partei (PL), Sozial-Konservative Partei (PSC).
Landesnatur: Kernraum des Staates sind die Anden, die sich im S (Gebirgsknoten: Nudo de Pasto) in drei Gebirgsketten teilen: in die Ostkordillere (Nevado del Cocuy, 5 493 m ü. M.) mit ausgedehnten Hochbecken (u. a. Sabana de Bogotá) in 2 500-2 800 m ü. M., die Zentralkordillere mit jungen, z. T. tätigen Vulkanen (Nevado del Huila, 5 500 m ü. M., Nevado del Tolima, 5 215 m ü. M., Nevado del Ruiz, 5 200 m ü. M.) und die Westkordillere (Cumbal, 4 790 m ü. M.). Den tiefen Talfurchen zw. den Gebirgszügen folgen die Hauptströme (Río Magdalena, Río Cauca, Río Atrato) zum Karib. Meer. Den O und SO K.s nehmen Tiefländer ein, mit Feuchtsavannen (Llanos) im N, trop. Regenwald im S. Aus dem Tiefland an der karib. Küste erhebt sich der isolierte Gebirgsstock der Sierra Nevada de Santa Marta mit der höchsten Erhebung des Landes (Pico Cristóbal Colón, 5 775 m ü. M.); im N des pazif. Küstentieflands die Küstenkordillere (bis 1 810 m ü. M.). Das Klima ist tropisch; wesentl. Temperaturunterschiede ergeben sich durch die Höhenstufung (Tierra ); Schneegrenze bei 4 600 bis 4 800 m ü. M. Hohe Niederschläge erhalten die pazif. Küstenebene, die W-Abdachung der Kordilleren und das südöstl. Tiefland; bes. trocken das nordöstl. Küstentiefland. Die Bev. lebt v. a. in der Tierra fría (etwa 2 000-2 800 m ü. M.).
Bevölkerung: Überwiegend Mischlinge (über 50 % Mestizen, fast 20 % Mulatten), 20 % Weiße, 5 % Schwarze (v. a. im pazif. Küstentiefland), weniger als 2 % Indianer (v. a. Península de Guajira, östl. und pazif. Tiefland, Westkordillere). K. ist nach Brasilien, Mexiko und Argentinien das bevölkerungsreichste Land Lateinamerikas. Am dichtesten besiedelt sind die Hochbecken und Gebirgstäler; 23 % der Bev. leben in und um Bogotá; die Tiefländer im O sind fast menschenleer (auf 58 % der Landesfläche nur rd. 4 % der Bev.). 60 % der Bev. leben in Städten (31 Großstädte, 4 Millionenstädte), oft über 50 % der Bewohner in inner- und randstädt. Elendsvierteln (Tugurios). - Es besteht allg. Schulpflicht vom 7. bis 11. Lebensjahr bei unentgeltl. Unterricht. 235 Hochschuleinrichtungen, die größten Univ. sind in Bogotá und Medellín. Analphabetenquote rd. 12 %. - Über 90 % der Bev. sind Katholiken.
Wirtschaft, Verkehr: Trotz fortgeschrittener Industrialisierung ist die Landwirtschaft noch dominierend und beschäftigt über 25 % aller Erwerbstätigen. Etwa 44 % der Gesamtfläche werden landwirtschaftlich genutzt. Wichtigstes Markterzeugnis ist Kaffee, der in Höhen zw. 600 und 1 600 m ü. M. v. a. in Klein- und Kleinstbetrieben angebaut wird; rd. 85 % der Ernte werden exportiert. K. erzeugt 10-15 % der Weltproduktion und steht damit hinter Brasilien an 2. Stelle. Neben Kaffee bauen die Kleinbetriebe Kartoffeln, Getreide, Hülsenfrüchte, Obst und Gemüse zur Selbstversorgung an, während in Mittel- und Großbetrieben Baumwolle, Zuckerrohr, Bananen, Tabak, Reis und seit 1974 Schnittblumen für den Export produziert werden. Große Bedeutung hat die illegale Produktion und der Handel mit Marihuana und Kokain (v. a. aus peruan. und bolivian. Rohmaterial), deren Umsatz wahrscheinlich den Wert der legalen Exporte K.s übertrifft. Nach Schätzungen werden jährlich 4-5 Mrd. US-$ Gewinn erzielt, von dem etwa die Hälfte ins Land zurückfließt und investiert wird. Die Kokainkartelle von Medellín und Cali haben großen Einfluss in Wirtschaft, Politik und Verw. gewonnen. Neben bed. Erdöl- und Erdgaslagerstätten besitzt K. die größten Steinkohlevorkommen Lateinamerikas (bes. auf der Halbinsel La Guajira, Abbau v. a. für den Export). Weiterhin wichtig sind die Vorkommen an Edelmetallen (Gold, Silber, Platin), Smaragden (90 % der Weltförderung), Eisen-, Nickel-, Kupfererzen und Steinsalz. Die Ind. wurde nach dem Zweiten Weltkrieg ausgebaut und weist seit Jahren eine wachsende Produktion auf. Hauptindustriezweige sind die Nahrungsmittel-, Textil- und chem. Ind.; Wachstumsind. sind u. a. die Gummi-, Papier-, petrochem., elektrotechn. Ind. sowie der Maschinen- und Fahrzeugbau. Der Fremdenverkehr (jährlich bis zu über 1 Mio. Auslandsgäste, davon die meisten aus Venezuela, Ecuador und den USA) bringt hohe Deviseneinnahmen. Hauptanziehungspunkte sind die Karibikküste (einschl. Isla San Andrés), die präkolumb. Stätten im Hochland und Cartagena. Exportiert werden v. a. Kaffee, Erdöl und -produkte, Kohle, Bananen, Blumen. Haupthandelspartner sind die USA, Venezuela und Dtl. - Wegen der geograph. Bedingungen hat der Luftverkehr große Bedeutung. Die Eisenbahn verfügt über Strecken von 3 154 km, von denen aber nur etwa 60 % tatsächlich befahren werden. Straßenlänge: 130 000 km (nur z. T. befestigt), z. T. als Carretera Panamericana. Wichtigste Binnenwasserstraße ist der Río Magdalena (rd. 1 500 km schiffbar). Wichtigste Seehäfen sind Buenaventura (rd. 50 % aller Ein- und Ausfuhren) am Pazifik, Barranquilla, Cartagena und Santa Marta sowie Puerto Bolívar (Kohle) an der Karibik. Wichtigste Fluggesellschaft: Avianca (gegr. 1919, zweitälteste der Erde); daneben mehrere für den nat. Verkehr; internat. Flughäfen in Bogotá, Medellín, Cali, Barranquilla, Cartagena und auf der Isla San Andrés.
Geschichte: Die Küste K.s wurde 1499 durch A. de Hojeda und A. Vespucci entdeckt. 1536-39 unterwarf G. Jiménez de Quesada die kleinen Reiche der Muisca und begründete das Generalkapitanat Neugranada. Es wurde 1739 ein Vizekönigreich, das die heutigen Staaten K., Ecuador, Panama und Venezuela umfasste. Das Land lieferte v. a. Gold nach Spanien. Die span. Herrschaft wurde im Unabhängigkeitskampf 1810-19 unter der Führung S. Bolívars beseitigt; er gründete die Rep. Groß-K. (etwa identisch mit Neugranada). 1829/30 zerfiel dieser Staat in die Republik K., Ecuador und Venezuela. Nach der Präsidentschaft F. Santanders (1833-37) folgten Jahrzehnte der Instabilität und der Kämpfe um eine zentralist. oder föderalist. Staatsform. 1886 wurde durch eine Verf. der Einheitsstaat wieder hergestellt, doch mündeten Spannungen zw. Liberalen und Konservativen in einen Bürgerkrieg (1899-1901). Da K. den Bau des Panamakanals ablehnte, erklärte die Prov. Panama 1903 auf Drängen der USA ihre Unabhängigkeit. Nach jahrzehntelanger konservativer Herrschaft übernahmen 1930 die Liberalen die Reg. Sie leiteten wirtsch. und soziale Reformen ein, aber die Spaltung der Partei brachte den Konservativen 1946 die Macht zurück. Die sozialen Konflikte eskalierten 1948 in einen Bürgerkrieg, der bis 1958 200 000 Opfer forderte. Nach einem Militärputsch einigten sich im Dez. 1957 Liberale und Konservative in einer »Nat. Front« (FTN), die die Macht paritätisch verteilte; die Präs. wurden im Wechsel gestellt. 1974 löste sich die FTN auf; bei den ersten freien Präsidentschaftswahlen siegte der Liberale A. López Michelsen. Die weiterhin ungelösten wirtsch. und sozialen Probleme führten ab 1975 wieder zu Unruhen, die durch spektakuläre Aktionen der Stadtguerilla und harte Polizeigewalt verstärkt wurden. Der 1982 zum Präs. gewählte Konservative B. Betancur Cuartas drängte den Einfluss des Militärs vorübergehend zurück. Seine Suche nach einem Ausgleich mit den Guerillaorganisationen scheiterte. Zunehmend war auch die internat. Drogenmafia in die Auseinandersetzungen verwickelt. Der liberale Präs. V. Barco (1986-90) bekämpfte sie zwar, auch mithilfe der USA, doch eskalierte der Terror im Präsidentschaftswahlkampf 1989/90, bei dem drei Kandidaten ermordet wurden. Präs. C. Gaviria Trujillo (PL; 1990-94) und sein Nachfolger, E. Samper Pisano (PL; 1994-98), bemühten sich, das Land zu befrieden, und bekämpften die Drogenkartelle. Die Verf. von 1991, die eine umfangreiche Justizreform einschließt, sollte die Voraussetzungen dafür schaffen, doch bleibt das öffentl. Leben von brutalen Auseinandersetzungen zw. Guerilla, Drogenkartellen und Staatsgewalt bestimmt. Seit 1995 waren das innenpolit. Klima und die Beziehungen zu den USA schwer belastet, da Präs. Samper Pisano vorgeworfen wurde, von der Wahlkampffinanzierung aus Gewinnen des Drogengeschäfts gewusst zu haben. Sein Nachfolger, A. Pastrana (PSC; seit 1998), verstärkt die Anstrengungen um die Befriedung des Landes (Einrichtung entmilitarisierter Zonen, Verhandlungen mit den großen Guerillaorganisationen).
Literatur:
König, H.-J.: Aus dem Weg zur Nation. Nationalismus im Prozeß der Staats- u. Nationbildung Neu-Granadas 1750-1856. Stuttgart 1988.
Bruyn de Osa, V.: Die trüben Wasser des Amazonas. Das Schicksal der kolumbian. Indios im Regenwald. Berlin 1992.
Pearce, J.: K. Im Innern des Labyrinths. A. d. Engl. Stuttgart 1992.
Mansilla, H. C. F.: Ursachen u. Folgen polit. Gewalt in K. u. Peru. Frankfurt am Main 1993.
Polit. Gewalt in K. Mythos u. Wirklichkeit, hg. v. Amnesty International. A. d. Engl. Bonn 1994.
Dilger, G.: K. München 1996.
Lessmann, R.: Drogenökonomie u. internat. Politik. Die Auswirkungen der Antidrogen-Politik der USA auf Bolivien u. K. Frankfurt am Main 1996.
K. heute. Politik, Wirtschaft, Kultur, hg. v. W. Altmann u. a. Frankfurt am Main 1997.
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