Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Kernreaktor
Kernreaktor(Reaktor), Anlage, in der eine sich selbst erhaltende Kettenreaktion zur Nutzung von Kernenergie geregelt abläuft. Die bei der Kernspaltung eines Kernbrennstoffs frei werdende Kernenergie wird in Leistungsreaktoren (Kernkraftwerk) in elektr. Energie umgewandelt oder dient zur Erzeugung von mechan. Antriebsenergie (Kernenergieantrieb). Die meist kleineren Forschungsreaktoren werden für Forschung, Ausbildung, Materialprüfung sowie zur Produktion von Radionukliden verwendet.Klassifizierung und prinzipieller Aufbau: Bei der Kernspaltung durch Neutronen bricht der Spaltstoffkern nach Einfang eines Neutrons unter Freigabe von Kernbindungsenergie auseinander, wobei neben den Kernbruchstücken auch einige schnelle Neutronen entstehen. Diese werden entweder von anderen Atomkernen absorbiert, durch Zusammenstöße abgebremst oder verlassen den Brennstoff durch die Oberfläche. Wenn hierbei insgesamt im Mittel genauso viele Neutronen wie zu Beginn des Prozesses die Energie erreichen, die zur Spaltung neuer Kerne erforderlich ist (Neutronen-Multiplikationsfaktor k = 1), kommt eine gleichförmige Energiefreisetzung in Gang: der K. ist kritisch. Ist die Zahl dieser Neutronen größer bzw. kleiner als die ursprüngliche, dann ist der K. überkritisch bzw. unterkritisch, was im ersten Fall zur Leistungserhöhung, im zweiten zum Erlöschen der Kernkettenreaktion führen kann. - Kernspaltungen können durch therm. (langsame), epitherm. (mittelschnelle) oder schnelle Neutronen bewirkt werden. Neben dieser Unterscheidung und der durch den Verwendungszweck bestimmten Unterteilung werden K. klassifiziert nach dem verwendeten Kernbrennstoff, dem Arbeitsprinzip des zur Abführung der erzeugten Wärme dienenden Kühlsystems bzw. -mittels (z. B. Druckwasser-, Siedewasserreaktor oder gas-, wasser- bzw. natriumgekühlter Reaktor), nach den erzeugten Temperaturen (u. a. Hochtemperaturreaktor), nach dem Moderator (Leichtwasser-, Schwerwasser- oder Graphitreaktor) sowie nach den konstruktiven Merkmalen, je nachdem, ob die verschiedenen Komponenten des Reaktorkerns getrennt oder in homogener Mischung vorliegen, als heterogener bzw. homogener K.; nach dem Grad der Gewinnung neuen Spaltstoffs unterscheidet man Brutreaktoren (Brüter) und Konverter.
Der Kernbrennstoff befindet sich (meist in Form von so genannten Pellets) in gasdicht abgeschlossenen Brenn(stoff)stäben, die zu Brennelementen zusammengesetzt sind. Diese bilden zus. mit dem Moderator die Spaltzone (Reaktorkern, engl. Core) des K. Der Moderator, ein zusätzlicher, den Brennstoff umgebender Stoff, wird bei therm. K. eingesetzt, um die durch die Kernspaltung entstehenden schnellen Neutronen auf therm. Energien abzubremsen, damit sie im Brennstoff zu weiteren Spaltungen führen können. Bes. wirksame Moderatoren sind gewöhnl. (leichtes) Wasser, schweres Wasser, Graphit und Beryllium. Der gesamte Reaktorkern ist meist von einem gasdichten Druckbehälter (Reaktordruckbehälter) umgeben, der innen mit einem Neutronen reflektierenden, aus den gleichen Stoffen wie der Moderator bestehenden Material (Reflektor) zur Verbesserung der Neutronenbilanz ausgekleidet ist. Durch einen vergrößerten oder verkleinerten Neutronenfluss lässt sich die Leistung eines K. während des Betriebes je nach Bedarf regeln, meistens durch Ein- und Ausfahren Neutronen absorbierender Regel-, Trimm- und Abschaltstäbe, z. B. aus Bor, Cadmium oder Hafnium. Zur Abführung der in Wärme umgewandelten Energie muss der Reaktorkern gekühlt werden. Als Kühlmittel werden Flüssigkeiten, Gase und niedrigschmelzende Metalle mit geringer Neutronenabsorption und guten Wärmeübertragungseigenschaften verwendet. Zu den verschiedenen Kreisläufen Kernkraftwerk.Reaktorarten: Der häufigste als Leistungsreaktor in Kernkraftwerken verwendete K.-Typ ist heute der Leichtwasserreaktor (LWR), ein therm. K. mit leichtem Wasser als Moderator und Kühlmittel. Er wird als Druckwasserreaktor (DWR) und Siedewasserreaktor (SWR) gebaut. Als Brennstoff wird leicht mit U 235 (im Mittel auf 3 %) angereichertes Uran (in Form von Urandioxid) verwendet, das sich in gasdicht verschlossenen Metallrohren befindet und zus. mit diesen die Brennstäbe bildet. Der hohe Druck im Primärkreislauf des DWR und die dadurch verursachte Siedepunkterhöhung verhindern eine Dampfbildung im Reaktorkern; die Wärme wird im indirekten Kreislauf abgeführt. Der DWR, der in Dtl. als Standardreaktor gilt, liefert eine elektr. Leistung bis zu etwa 1 300 MW. Im Ggs. zum DWR kommt es beim SWR zum Sieden des Wassers; der im Reaktor erzeugte Dampf wird meist direkt zur Turbine geleitet. Der Schwerwasserreaktor, ein mit schwerem Wasser (D2O) moderierter K., wird ebenfalls als Leistungs-K. eingesetzt. Wegen der guten Moderationseigenschaften des schweren Wassers (geringe Neutronenabsorption) kann dieser K. mit Natururan als Brennstoff arbeiten. Eine andere Baulinie, die Druckröhrenreaktoren, führen Moderator und Kühlmittel in so genannten Druckröhren (ohne Reaktordruckbehälter) einzeln durch den Reaktorkern. Der Hochtemperaturreaktor (HTR), ein therm. K., arbeitet mit Graphit als Moderator und dem Edelgas Helium als Kühlgas. Kernbrennstoff ist ein Gemisch aus Uran- und Thoriumcarbid. Die hohen Kühlgastemperaturen erlauben den Einsatz moderner Turbogeneratoren und die Auskopplung von Prozesswärme. Beispiele sind die K. in Jülich und Hamm-Uentrop. - Da bei der Kernspaltung durch ein Neutron jeweils mehr als ein neues Neutron freigesetzt wird, ist nicht nur die Aufrechterhaltung einer Kernkettenreaktion, sondern unter bestimmten Bedingungen auch das so genannte Brüten von neuem spaltbarem Material möglich: Es wird dadurch mehr spaltbares Material erzeugt als gleichzeitig zur Energieerzeugung verbraucht wird. Für diesen Prozess eignen sich das Uranisotop U 238 und das Thoriumisotop Th 232. Beim bes. effektiven Uran-Plutonium-Brutprozess wandeln bei der Spaltung des U 235 entstehende schnelle Neutronen U-238-Kerne in spaltbare Pu-239-Kerne um (schneller Brutreaktor, schneller Brüter). Dieser Reaktortyp arbeitet ohne Moderator und mit flüssigem Natrium als Kühlmittel. Im Reaktorkern ist die Spaltzone von einem so genannten Brutmantel umgeben, in dem der Brutprozess stattfindet. Brutreaktoren können durch Umwandlung des nichtspaltbaren U 238 eine bis zu 100fach höhere Energieausbeute als Leichtwasserreaktoren liefern. Der schnelle Brutreaktor in Kalkar wurde 1991 aus wirtsch. und polit. Gründen nicht in Betrieb genommen. Im April 1994 wurde der Prototyp eines schnellen Brutreaktors in Japan (Monju) erstmals kritisch. Am 8. 12. 1995 traten dort bei einem schweren Störfall des Kühlsystems fast 3 t flüssiges Natrium aus. Die größte Anlage dieses Typs, der »Superphénix« (1 200 MW) in Frankreich (Creys-Malville), soll nicht mehr der Stromerzeugung, sondern nur noch Forschungs- und Demonstrationszwecken dienen. - Weltweit sind heute über 1 000 K. in Betrieb; davon etwa 400 Forschungs-, Materialtest- und Ausbildungsreaktoren, über 400 in Kernkraftwerken, die Übrigen in Schiffen mit Kernenergieantrieb.
▣ Literatur:
Emmendörfer, D.u. Höcker, K.-H.: Theorie der Kernreaktoren, 2 Bde. Mannheim u. a. 1-21982-93.
⃟ Seifritz, W.: K. von morgen. Eine Analyse u. Bewertung der zukünftigen Reaktorgeneration. Köln 41992.
Der Kernbrennstoff befindet sich (meist in Form von so genannten Pellets) in gasdicht abgeschlossenen Brenn(stoff)stäben, die zu Brennelementen zusammengesetzt sind. Diese bilden zus. mit dem Moderator die Spaltzone (Reaktorkern, engl. Core) des K. Der Moderator, ein zusätzlicher, den Brennstoff umgebender Stoff, wird bei therm. K. eingesetzt, um die durch die Kernspaltung entstehenden schnellen Neutronen auf therm. Energien abzubremsen, damit sie im Brennstoff zu weiteren Spaltungen führen können. Bes. wirksame Moderatoren sind gewöhnl. (leichtes) Wasser, schweres Wasser, Graphit und Beryllium. Der gesamte Reaktorkern ist meist von einem gasdichten Druckbehälter (Reaktordruckbehälter) umgeben, der innen mit einem Neutronen reflektierenden, aus den gleichen Stoffen wie der Moderator bestehenden Material (Reflektor) zur Verbesserung der Neutronenbilanz ausgekleidet ist. Durch einen vergrößerten oder verkleinerten Neutronenfluss lässt sich die Leistung eines K. während des Betriebes je nach Bedarf regeln, meistens durch Ein- und Ausfahren Neutronen absorbierender Regel-, Trimm- und Abschaltstäbe, z. B. aus Bor, Cadmium oder Hafnium. Zur Abführung der in Wärme umgewandelten Energie muss der Reaktorkern gekühlt werden. Als Kühlmittel werden Flüssigkeiten, Gase und niedrigschmelzende Metalle mit geringer Neutronenabsorption und guten Wärmeübertragungseigenschaften verwendet. Zu den verschiedenen Kreisläufen Kernkraftwerk.Reaktorarten: Der häufigste als Leistungsreaktor in Kernkraftwerken verwendete K.-Typ ist heute der Leichtwasserreaktor (LWR), ein therm. K. mit leichtem Wasser als Moderator und Kühlmittel. Er wird als Druckwasserreaktor (DWR) und Siedewasserreaktor (SWR) gebaut. Als Brennstoff wird leicht mit U 235 (im Mittel auf 3 %) angereichertes Uran (in Form von Urandioxid) verwendet, das sich in gasdicht verschlossenen Metallrohren befindet und zus. mit diesen die Brennstäbe bildet. Der hohe Druck im Primärkreislauf des DWR und die dadurch verursachte Siedepunkterhöhung verhindern eine Dampfbildung im Reaktorkern; die Wärme wird im indirekten Kreislauf abgeführt. Der DWR, der in Dtl. als Standardreaktor gilt, liefert eine elektr. Leistung bis zu etwa 1 300 MW. Im Ggs. zum DWR kommt es beim SWR zum Sieden des Wassers; der im Reaktor erzeugte Dampf wird meist direkt zur Turbine geleitet. Der Schwerwasserreaktor, ein mit schwerem Wasser (D2O) moderierter K., wird ebenfalls als Leistungs-K. eingesetzt. Wegen der guten Moderationseigenschaften des schweren Wassers (geringe Neutronenabsorption) kann dieser K. mit Natururan als Brennstoff arbeiten. Eine andere Baulinie, die Druckröhrenreaktoren, führen Moderator und Kühlmittel in so genannten Druckröhren (ohne Reaktordruckbehälter) einzeln durch den Reaktorkern. Der Hochtemperaturreaktor (HTR), ein therm. K., arbeitet mit Graphit als Moderator und dem Edelgas Helium als Kühlgas. Kernbrennstoff ist ein Gemisch aus Uran- und Thoriumcarbid. Die hohen Kühlgastemperaturen erlauben den Einsatz moderner Turbogeneratoren und die Auskopplung von Prozesswärme. Beispiele sind die K. in Jülich und Hamm-Uentrop. - Da bei der Kernspaltung durch ein Neutron jeweils mehr als ein neues Neutron freigesetzt wird, ist nicht nur die Aufrechterhaltung einer Kernkettenreaktion, sondern unter bestimmten Bedingungen auch das so genannte Brüten von neuem spaltbarem Material möglich: Es wird dadurch mehr spaltbares Material erzeugt als gleichzeitig zur Energieerzeugung verbraucht wird. Für diesen Prozess eignen sich das Uranisotop U 238 und das Thoriumisotop Th 232. Beim bes. effektiven Uran-Plutonium-Brutprozess wandeln bei der Spaltung des U 235 entstehende schnelle Neutronen U-238-Kerne in spaltbare Pu-239-Kerne um (schneller Brutreaktor, schneller Brüter). Dieser Reaktortyp arbeitet ohne Moderator und mit flüssigem Natrium als Kühlmittel. Im Reaktorkern ist die Spaltzone von einem so genannten Brutmantel umgeben, in dem der Brutprozess stattfindet. Brutreaktoren können durch Umwandlung des nichtspaltbaren U 238 eine bis zu 100fach höhere Energieausbeute als Leichtwasserreaktoren liefern. Der schnelle Brutreaktor in Kalkar wurde 1991 aus wirtsch. und polit. Gründen nicht in Betrieb genommen. Im April 1994 wurde der Prototyp eines schnellen Brutreaktors in Japan (Monju) erstmals kritisch. Am 8. 12. 1995 traten dort bei einem schweren Störfall des Kühlsystems fast 3 t flüssiges Natrium aus. Die größte Anlage dieses Typs, der »Superphénix« (1 200 MW) in Frankreich (Creys-Malville), soll nicht mehr der Stromerzeugung, sondern nur noch Forschungs- und Demonstrationszwecken dienen. - Weltweit sind heute über 1 000 K. in Betrieb; davon etwa 400 Forschungs-, Materialtest- und Ausbildungsreaktoren, über 400 in Kernkraftwerken, die Übrigen in Schiffen mit Kernenergieantrieb.
▣ Literatur:
Emmendörfer, D.u. Höcker, K.-H.: Theorie der Kernreaktoren, 2 Bde. Mannheim u. a. 1-21982-93.
⃟ Seifritz, W.: K. von morgen. Eine Analyse u. Bewertung der zukünftigen Reaktorgeneration. Köln 41992.