Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Kernfusion
Kernfusion(Kernverschmelzung), die Verschmelzung leichter Atomkerne zu einem schwereren Kern. Die K. tritt ein, wenn sich die Atomkerne bis zur Reichweite der anziehenden Kernkräfte nähern. Die sehr starke abstoßende Coulomb-Kraft wird v. a. in Teilchenbeschleunigern oder in Plasmen mit genügend hoher Temperatur überwunden, in denen Kerne mit extrem hoher Geschwindigkeit aufeinander treffen. Auch eine statische Annäherung der Kerne ist möglich, z. B. in myon. Molekülen des schweren Wasserstoffs, in denen das Elektron in der Atomhülle durch ein ca. 200-mal schwereres Myon ersetzt wird. Aufgrund seiner größeren Masse zwingt das Myon die beiden Atomkerne auf einen ca. 200-mal geringeren Abstand und erhöht damit die Wahrscheinlichkeit zur K. Da die statische Überwindung der Coulomb-Abstoßung keine hohen Temperaturen erfordert, spricht man auch von kalter Kernfusion. Eine andere Variante der kalten K. (»K. im Reagenzglas«), bei der Fusionsprozesse im Festkörper oder im Elektrolyten ausgelöst werden sollen, konnte bisher nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden. - Die K. ist die wichtigste Energiequelle der Natur. Die von der Sonne (Sonnenenergie) und den Sternen ausgestrahlten Energien stammen größtenteils aus K.-Prozessen, die bei den in ihrem Inneren herrschenden extrem hohen Temperaturen (etwa 15 Mio. K bei der Sonne) und Drücken ablaufen. Dabei treten je nach den in den jeweiligen Sternen vorherrschenden Bedingungen versch. Prozesse auf, von denen die wichtigsten die Proton-Proton-Reaktion, der Bethe-Weizsäcker-Zyklus und der Drei-Alpha-Prozess sind.Eine künstl. K. mit positiver Energiebilanz konnte bisher nur unkontrolliert in der Wasserstoffbombe (ABC-Waffen) realisiert werden. Angestrebt wird die kontrollierte (gesteuerte) K. in Fusionsreaktoren, die als mögliche Energiequelle der Zukunft gilt. Bes. groß ist der Energiegewinn bei der Fusion der Wasserstoffisotope Deuterium (2D) und Tritium (3T) sowie des Heliumisotops 3He mit den Reaktionen (n Neutron, p Proton):
(1) 2D + 3T → 4He (3,517 MeV) + n (14,069 MeV)
(2) 2D + 3He → 4He (3,67 MeV) + p (14,681 MeV).
Die Erforschung der kontrollierten K. hat sich bisher auf die Reaktion (1) konzentriert, da sie u. a. die höchste Reaktionswahrscheinlichkeit hat und ihre maximale Ausbeute bei der niedrigsten Temperatur auftritt. Tritium kann mithilfe der bei der K. erzeugten Neutronen aus Lithium erbrütet werden, das, wie auch Deuterium, praktisch unbegrenzt als Kernbrennstoff auf der Erde zur Verfügung steht. Um eine kontrollierte K. einzuleiten, müssen die Reaktionspartner mit Energien zw. 10 und 100 keV aufeinander treffen. Dafür werden Deuterium und Tritium auf Temperaturen über 100 Mio. K aufgeheizt (thermonukleare Reaktion), wobei die Gasatome vollständig ionisiert werden und ein Plasma, d. h. ein Gemisch aus Ionen und Elektronen großer Teilchendichte, bilden. Weiterhin muss das Plasma lange genug in einem Reaktionsvolumen eingeschlossen bleiben, damit Fusionsstöße häufig genug auftreten.
Zum Einschluss des Plasmas wird die Wirkung von Magnetfeldern oder Trägheitskräften ausgenutzt. Beim magnet. Einschluss werden die Plasmateilchen aufgrund ihrer elektr. Ladung durch ein Magnetfeld auf eine Kreisbahn senkrecht zur Richtung der Feldlinien gezwungen. Bei toroidalen (geschlossenen) Konfigurationen schließt sich das Magnetfeld zu einem Ring oder Torus. Da das Magnetfeld hierdurch nicht mehr räumlich konstant ist, überlagert sich der Kreisbewegung der Plasmateilchen eine zusätzl. Driftbewegung, die zu einer radial nach außen an die Gefäßwand gerichteten Beschleunigung des Plasmas führt. Um diese radiale Bewegung zu unterdrücken, werden die Magnetfeldlinien »verdrillt«, indem man dem toroidalen Feld ein zusätzl. (poloidales) Feld derart überlagert, dass die Feldlinien nicht nur kreisförmig um die Torusachse laufen, sondern sich schraubenförmig um die Torusseele winden. Nach der Art der Erzeugung des poloidalen Zusatzfeldes werden zwei Hauptklassen von toroidalen Anordnungen unterschieden. Beim Tokamak-Prinzip (russ. Abk. für »torusförmige Kammer mit Magnet«) besorgt dies ein toroidal im Plasma fließender Strom, der durch einen Transformator induziert oder durch andere Stromtriebmechanismen angetrieben wird. Der Stellarator vermeidet einen Plasmastrom und benutzt externe Zusatzspulen, die geeignet geformt sind (helikale Stellaratorwindungen oder modulare Magnetspulen). - Beim Trägheitseinschluss wird ein Materiekügelchen (»Pellet«) mit intensiven Laser- oder Teilchenstrahlen so schnell aufgeheizt, dass die Atomkerne infolge ihrer Trägheit für einen Zeitraum zusammengehalten werden, der für genügend viele Fusionsstöße ausreicht.Wegen des enormen apparativen und finanziellen Aufwands ist die K.-Forschung hauptsächlich in internat. Programmen organisiert. Neben den Tokamak-Großforschungsanlagen in den USA (TFTR, engl. Toroidal Fusion Test Reactor), Japan und Russland sowie dem europ. Fusionsprogramm EURATOM mit der Fusionsforschungsanlage JET läuft u. a. seit 1988 ein internat. Forschungsprojekt unter dem Namen ITER. Bis zur wirtsch. Nutzung der K. sind jedoch noch zahlreiche physikal. und technolog. Probleme zu lösen.
▣ Literatur:
Schumacher, U.: Fusionsforschung. Eine Einführung. Darmstadt 1993.
⃟ Huizenga, J. R.: Kalte Kernfusion. Das Wunder, das nie stattfand. A. d. Engl. Braunschweig 1994.
(1) 2D + 3T → 4He (3,517 MeV) + n (14,069 MeV)
(2) 2D + 3He → 4He (3,67 MeV) + p (14,681 MeV).
Die Erforschung der kontrollierten K. hat sich bisher auf die Reaktion (1) konzentriert, da sie u. a. die höchste Reaktionswahrscheinlichkeit hat und ihre maximale Ausbeute bei der niedrigsten Temperatur auftritt. Tritium kann mithilfe der bei der K. erzeugten Neutronen aus Lithium erbrütet werden, das, wie auch Deuterium, praktisch unbegrenzt als Kernbrennstoff auf der Erde zur Verfügung steht. Um eine kontrollierte K. einzuleiten, müssen die Reaktionspartner mit Energien zw. 10 und 100 keV aufeinander treffen. Dafür werden Deuterium und Tritium auf Temperaturen über 100 Mio. K aufgeheizt (thermonukleare Reaktion), wobei die Gasatome vollständig ionisiert werden und ein Plasma, d. h. ein Gemisch aus Ionen und Elektronen großer Teilchendichte, bilden. Weiterhin muss das Plasma lange genug in einem Reaktionsvolumen eingeschlossen bleiben, damit Fusionsstöße häufig genug auftreten.
Zum Einschluss des Plasmas wird die Wirkung von Magnetfeldern oder Trägheitskräften ausgenutzt. Beim magnet. Einschluss werden die Plasmateilchen aufgrund ihrer elektr. Ladung durch ein Magnetfeld auf eine Kreisbahn senkrecht zur Richtung der Feldlinien gezwungen. Bei toroidalen (geschlossenen) Konfigurationen schließt sich das Magnetfeld zu einem Ring oder Torus. Da das Magnetfeld hierdurch nicht mehr räumlich konstant ist, überlagert sich der Kreisbewegung der Plasmateilchen eine zusätzl. Driftbewegung, die zu einer radial nach außen an die Gefäßwand gerichteten Beschleunigung des Plasmas führt. Um diese radiale Bewegung zu unterdrücken, werden die Magnetfeldlinien »verdrillt«, indem man dem toroidalen Feld ein zusätzl. (poloidales) Feld derart überlagert, dass die Feldlinien nicht nur kreisförmig um die Torusachse laufen, sondern sich schraubenförmig um die Torusseele winden. Nach der Art der Erzeugung des poloidalen Zusatzfeldes werden zwei Hauptklassen von toroidalen Anordnungen unterschieden. Beim Tokamak-Prinzip (russ. Abk. für »torusförmige Kammer mit Magnet«) besorgt dies ein toroidal im Plasma fließender Strom, der durch einen Transformator induziert oder durch andere Stromtriebmechanismen angetrieben wird. Der Stellarator vermeidet einen Plasmastrom und benutzt externe Zusatzspulen, die geeignet geformt sind (helikale Stellaratorwindungen oder modulare Magnetspulen). - Beim Trägheitseinschluss wird ein Materiekügelchen (»Pellet«) mit intensiven Laser- oder Teilchenstrahlen so schnell aufgeheizt, dass die Atomkerne infolge ihrer Trägheit für einen Zeitraum zusammengehalten werden, der für genügend viele Fusionsstöße ausreicht.Wegen des enormen apparativen und finanziellen Aufwands ist die K.-Forschung hauptsächlich in internat. Programmen organisiert. Neben den Tokamak-Großforschungsanlagen in den USA (TFTR, engl. Toroidal Fusion Test Reactor), Japan und Russland sowie dem europ. Fusionsprogramm EURATOM mit der Fusionsforschungsanlage JET läuft u. a. seit 1988 ein internat. Forschungsprojekt unter dem Namen ITER. Bis zur wirtsch. Nutzung der K. sind jedoch noch zahlreiche physikal. und technolog. Probleme zu lösen.
▣ Literatur:
Schumacher, U.: Fusionsforschung. Eine Einführung. Darmstadt 1993.
⃟ Huizenga, J. R.: Kalte Kernfusion. Das Wunder, das nie stattfand. A. d. Engl. Braunschweig 1994.