Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Keramik
Keramik[grch.] die, Bez. für durch Sintern hergestellte, anorganisch-nichtmetall. Erzeugnisse. Die Fertigung erfolgt durch Mischen feinkörniger Rohstoffe (durch Wasser plastifizierbare tonige Substanzen aus Kaolinit, Illit und Montmorillonit mit Quarz, Feldspat, Glimmer und Kalk), Formen zu Gegenständen bei Raumtemperatur und anschließendes Brennen. Hierbei bildet sich ein dauerhafter Werkstoff, der vorwiegend aus feinen Kristallen besteht, zw. denen sich häufig Poren und vielfach glasartige Bindesubstanz befinden. Urspr. gehörten zur K. nur vorwiegend aus Ton hergestellte Formkörper (Tonwaren) mit porösem bzw. dichtem Scherben, die als Baustoffe oder Geschirr Verwendung fanden. - Die traditionelle Einteilung der klass. K. erfolgt in Grob- und Fein-K. Sind die Inhomogenitäten eines keram. Scherbens (Poren, Kristalle, Körner, Glasbereiche u. Ä.) mit dem bloßen Auge zu unterscheiden, spricht man von einem grobkeram., andernfalls von einem feinkeram. Werkstoff. Zur Fein-K. gehören Steingut und Porzellan, zur Grob-K. Erzeugnisse der Bau-K.: Ziegel, Klinker, Terrakotten, Steinzeug wie Kanalisationsrohre, säurefeste Steine, und Feuerfestwerkstoffe wie Schamottsteine, Silikasteine, Magnesit- und Dolomiterzeugnisse. Für die Verwendung wird zw. Bau-, Geschirr- (bzw. Haushalts-), Sanitär-, Kunst-, Dental- und Schneid-K. unterschieden. Neben dieser klass. K. gibt es sonderkeram. Werkstoffe, die durch Optimierung bestimmter Eigenschaften und Formgebungsverfahren eine spezielle Verwendung erlauben. Die Oxid-K. werden in einer Hochtemperaturbehandlung verfestigt. Die Rohstoffe sind völlig frei von Quarz (SiO2), sodass keine glasige Bindephase entsteht. Ausgangsmaterialien sind z. B. die Oxide des Aluminiums, des Magnesiums, des Berylliums oder Oxidmischungen. Die technisch genutzten Eigenschaften der Oxid-K. sind u. a. Temperaturbeständigkeit, Isoliervermögen, Härte und Korrosionsbeständigkeit, Nachteile sind Sprödigkeit und Brüchigkeit. Die Oxid-K. werden u. a. für Werkzeuge zum Schleifen und Schneiden von hartem Material, als Halbleiter, Knochenersatz oder Reaktorwerkstoff verwendet. Eine neue, der Oxid-K. überlegene Klasse von Hochtemperaturmaterialien bilden Verbundwerkstoffe (Cermets) aus einer keramikverstärkten intermetall. Verbindung, z. B. mit Siliciumcarbid (SiC) verstärktes Molybdändisilicid (MoSi2). Die Festigkeit dieses Werkstoffes ist zw. 1 200 und 1 800 ºC der Aluminiumoxid-K. um das Vierzigfache überlegen. Anwendung zur Herstellung von Teilen für Kfz-Motoren und Flugzeugtriebwerken und für die Fertigung industrieller Heizelemente. Verbundwerkstoffe aus Kohlefasern und Keramik sind leicht, mechanisch stabil, bruchsicher und äußerst hitzebeständig (bis 2 800 ºC); Anwendung für bes. belastete Teile bei Düsentriebwerken und für Brennkammern und Düsen von Flüssigtriebwerken bei Raketen. - Zu den sonderkeram. Werkstoffen gehört die Glaskeramik.Geschichte: (Idol)figuren aus Ton treten schon im Jungpaläolithikum (Dolní Věstonice) und erneut im Neolithikum auf. Die Scherben vorgeschichtl. keramischer, unterschiedlich verzierter Gefäße bilden das Hauptmaterial für die zeitl. und räuml. Gruppierung der Kulturen (Band-, Becher-, Schnur-K. usw.). In den frühen Hochkulturen künstlerisch bedeutende K. v. a. in N-Irak (Samarra-K., 6. Jt., weibl. Gesichtsgefäße, Schalen), SW-Iran (Elam, 4. und 3. Jt.), Ägypten (Negadekultur, Anfang 4. Jt.). Die Töpferscheibe ist seit dem 4. Jt. bezeugt (Mesopotamien), Fußantrieb um 3000 (Ägypten). Die ägypt. K. des 3. Jt. wurde bereits glasiert; grünblaue K. unter der 18. Dynastie. Die Harappakultur (4.-2. Jt. v. Chr.) formte neben Gefäß-K. Terrakottastatuetten. Die minoische Kultur überzog im 2. Jt. die gemusterten Gefäße mit Kalk; daneben gab es kunstvolle farbige K. (Kamaresvasen). Im antiken Griechenland wurde eine hohe Gefäßkunst (Vase) entwickelt. Bes. die Etrusker schufen Terrakottaplastik (Sarkophagfiguren, Statuen, Bauplastik). Die Römer entwickelten die Terra sigillata. In Anknüpfung an pers. Traditionen breitete sich die keram. Kunst im ganzen islam. Bereich aus. Durch Kontakt mit den Arabern kam die Lüsterglasur (Kupferoxid u. a.), seit dem 9. Jh. bezeugt (Samarra), sowie zinnglasierte Tonware nach Europa (Fayence). Sie setzte sich in Dtl. erst im 17. Jh. gegen Hafnerware und Steinzeug durch und wich im 18. Jh. dem Porzellan und auch dem Steingut.
Der Entwicklung des Porzellans geht in O-Asien eine lange keram. Tradition voraus. Gefäße, seit dem 5. Jt. v. Chr. bekannt, erlebten eine Blüte im 3. Jt. v. Chr. (Yangshaokultur). Tönerne Wächterfiguren wurden für die unterird. Grabanlage des Kaisers Shi Huangdi (✝ 210 v. Chr.) geschaffen. Die K. erlebte in der Songzeit einen künstler. Höhepunkt (Seladon). In Japan bildeten sich — ebenfalls nach frühen Anfängen — K.-Zentren heraus, in denen seit dem 13. Jh. zunächst unglasierte Gefäße hergestellt wurden. Durch die Schlichtheit der Form, die die Teezeremonie verlangte, stieg im 16. Jh. der Bedarf an glasierten Schalen, Teedosen u. a. von hohem künstler. Wert. In Kyōto begann die Herstellung des Raku-yaki (dickwandige Gefäße mit mehrfarbigen Bleiglasuren). Im 17. Jh. entstand auf Kyūshū durch korean. Töpfer Karatsu-K., einfache, weißlich oder dunkel glasierte Ware. Die farbig glasierte K. beeinflusste das Porzellan, das seit 1616 in Arita entstand.
Literatur:
Weinhold, R.: Leben mit Ton u. Töpfern. Eine Kulturgeschichte der K. Triesen 1982.
Clark, K.: DuMont's Handbuch der keram. Techniken. A. d. Engl. Köln 1985.
Klein, A.: Dt. K. von den Anfängen bis zur Gegenwart. Tübingen u. a. 1993.
Weiss, G.: K.-Lexikon. Prakt. Wissen griffbereit. Bern u. a. 1998.
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