Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Jemen
Jemen Fläche: 527 968 km2
Einwohner: (1995) 14,50 Mio.
Hauptstadt: Sanaa
Verwaltungsgliederung: 17 Provinzen
Amtssprache: Arabisch
Nationalfeiertag: 22. 5.
Währung: 1 Jemen-Rial (Y. Rl) = 100 Fils
Zeitzone: MEZ + 2 Std.
(Yemen, amtlich arab. Al-Djumhurijja al-Jamanijja; dt. Rep. J.), Staat in Vorderasien, im SW und S der Arab. Halbinsel, grenzt im W an das Rote Meer, im N an Saudi-Arabien, im O an Oman und im S an den Golf von Aden. Die Grenze im N ist nicht genau festgelegt. Zum Staatsgebiet gehören die Koralleninseln Kamaran im Roten Meer, die vulkan. Insel Perim in der Meerenge Bab el-Mandeb sowie die Inselgruppe Sokotra vor dem Osthorn Afrikas.
Staat und Recht: Nach der Verf. vom 28. 9. 1994 ist J. eine islam. Republik mit Präsidialregime. An der Spitze von Staat und Exekutive steht der für fünf Jahre direkt gewählte (einmalige Wiederwahl möglich) und mit weit gehenden Kompetenzen versehene Staatspräs.. Er ernennt den MinPräs. und das Kabinett. Die Gesetzgebung ist Sache des Parlaments, dessen 301 für vier Jahre gewählte Mitgl. (aktives und passives Wahlrecht auch für Frauen) auf das islam. Recht verpflichtet sind. Wichtigste der etwa 40 Parteien sind der Allg. Volkskongress, die Jemenit. Vereinigung für Reform (Islah) und die Jemenit. Sozialist. Partei.
Landesnatur: J. nimmt im W den südwestl. Hochgebirgskern der Arab. Halbinsel ein. Am Roten Meer liegt die schwülheiße Tihama, eine 40-70 km breite, halbwüstenhafte Küstenebene. Ihr folgt mit einem regenreicheren Steilanstieg das größtenteils aus vulkan. Trappdecken aufgebaute Hochland von J. (2 000-2 500 m ü. M.), an dessen W-Rand der Nabi Schuaib, mit 3 760 m ü. M. die höchste Erhebung Arabiens, liegt. Eine intensive Landnutzung und relativ dichte Besiedlung machen es zum Kernraum des Landes. Weiter nach O senkt sich das Hochland allmählich zur vollariden Sandwüste Rub al-Chali. An der ebenfalls schwülheißen Küste am Golf von Aden breiten sich, soweit sie nicht Steilküste ist, z. T. Lavafelder mit aufgesetzten Vulkankegeln aus. Stadt und Hafen Aden liegen in einem aus Schlacken bestehenden Doppelkrater. Mit einer markanten Bruchstufe erhebt sich aus dieser Küstenebene die Arab. Tafel, die im N vom Djol, einem überwiegend aus tertiärem Kalkstein aufgebauten Hochplateau (bis 2 185 m ü. M.) gebildet wird. Das von tiefen (über 300 m), steilwandigen Wadis (größtes ist das Wadi Hadramaut) zerschnittene Kalksteinplateau senkt sich nach N zur Rub al-Chali.
Bevölkerung: Den Hauptteil der Bev. bilden Araber, die in der Küstenebene Tihama wie auch in den Oasen des südl. J. einen stark negriden Einschlag zeigen, der auf die alten Beziehungen zu Ostafrika hinweist. Im Wadi Hadramaut wiederum ist der malaiische Einschlag unverkennbar; Inder und Somal haben sich an der Küste zum Golf von Aden niedergelassen. In der Tihama und am Gebirgsfuß lebt die Landbev. in geschlossenen Dörfern, im westl. Randgebirge wohnen die Bergbauern in mehrstöckigen Wohntürmen. In den städt. Siedlungen (rd. 10 % der Einwohner) sind die bis zu acht Stockwerke hohen, aus Lehmziegeln erbauten Häuser oft ornamental weiß verziert (z. B. Sanaa, Schibam). Etwa 5 % der Bev. sind Nomaden. - Die Analphabetenquote liegt bei 56 %. Im S besteht Schulpflicht vom 8. bis 15. Lebensjahr, die Einschulungsrate beträgt im Landesdurchschnitt 55 % (bei den Jungen 71 %; im N ist sie geringer). Univ. bestehen in Sanaa (gegr. 1970) und Aden (gegr. 1975). Lehrkräfte an allen Bildungseinrichtungen sind zum großen Teil Ausländer. - Der Islam ist Staatsreligion. Im nördl. J. sind etwa 50 % Schiiten (Zaiditen) und 50 % Sunniten (Schafiiten), im südl. J. etwa 95 % Muslime (davon 90 % Sunniten) und 5 % Hindus. Die genaue Zahl der als Arbeitsmigranten im Ausland lebenden Jemeniten ist nicht bekannt, viele mussten nach dem zweiten Golfkrieg wieder in ihre Heimat zurückkehren.
Wirtschaft, Verkehr: Die Rep. J. ist, gemessen an ihrem Sozialprodukt, wesentlich geringer entwickelt als ihre Erdöl exportierenden arab. Nachbarländer. Bedeutendster Wirtschaftszweig ist die Landwirtschaft, in der über die Hälfte der Erwerbstätigen in meist kleinbäuerl., 3-5 ha großen Betrieben arbeitet. Angebaut werden v. a. Hirse, daneben Weizen, Gerste, Sesam, Mais, Hülsenfrüchte, Weintrauben, Gemüse, Tabak; der Nahrungsmittelbedarf kann damit nicht gedeckt werden. Baumwolle wird auf entsalzten Böden der Tihamaebene angebaut; der Kaffeeanbau ging wegen des vermehrten Anbaus von Kathsträuchern zurück. (Für die Volkswirtschaft bedeutet der Kathgenuss der Bev. ein ernstes Problem; ein hoher Prozentsatz der über 10 Jahre alten männl. Bev. ist süchtig und daher nicht voll arbeitsfähig.) Bedeutung hat die Weidewirtschaft der Beduinen (Ziegen, Schafe, Rinder, Kamele und Esel). Im Roten Meer und im Golf von Aden werden Fischfang und Perlenfischerei betrieben. Größte Ind.betriebe sind die Erdölraffinerie in Aden und die Textilfabriken in Sanaa. Es dominiert das traditionelle Handwerk (Schmieden, Gerbereien, Lederverarbeitung). Seit 1984 wird im NO bei Marib, seit 1987 im S bei Schabwah Erdöl gefördert. Die Handelsbilanz ist ständig defizitär. - Das Straßennetz (Gesamtlänge der befestigten Straßen: 7 265 km) konzentriert sich auf die Küstenregionen. Al-Ahmadi bei Hodeida am Roten Meer und Aden im S sind die wichtigsten Überseehäfen des Landes. Internat. Flughäfen haben Sanaa, Taiz, Hodeida und Aden; nat. Fluggesellschaft ist die Yemenia.
Geschichte: Im Altertum wegen seiner fruchtbaren Täler Arabia felix (»glückl. Arabien«) gen.; die im 5. Jh. v. Chr. entstandenen Reiche von Saba, Main und Kataban vereinigten sich im 3. Jh. n. Chr. unter der Führung von Saba. Im 6. Jh. n. Chr. zw. Äthiopien und Persien umkämpft, kam das Gebiet 632 zum Kalifat, aus dessen Herrschaftsbereich sich J. seit Ende des 9. Jh. zu lösen begann. 901 gründeten die Saiditen (Schiiten) das Imamat. 1174-98 stand J. unter aijubid., 1517 und 1538-1635 (Aden, Lahedj) sowie 1849-1918 unter osman. Herrschaft (Sanaa, ab 1517 autonomes Sultanat, nur 1872-90). Danach verstärkt getrennte Entwicklung von N- und S-Jemen.Nord-Jemen: 1911 Anerkennung des Imam Jahja (seit 1904; ermordet 1968) als Herrscher durch die Türken, 1918 Umwandlung des Imamats in ein Königreich. Mit dem Vertrag von Taif erkannte Saudi-Arabien im Mai 1934 die Unabhängigkeit an. 1945 Gründungs-Mitgl. der Arab. Liga. 1958-61 föderatives Mitgl. der Vereinigten Arab. Republik; 1962 Sturz des Imam Ahmed (seit 1948) durch einen Militärputsch und Ausrufung der Arab. Republik J. durch A. as-Sallal (* 1917, ✝ 1994; Präs. bis 1967). Der darauf folgende Bürgerkrieg zw. Republikanern (unterstützt von Ägypten) und Anhängern der Monarchie (bis 1967 unterstützt von Saudi-Arabien) um Imam M. al-Badre (* 1920) endete erst 1969/70 mit dem endgültigen Sieg der Republikaner. 1974 kam es zu einem unblutigen Militärputsch, Präs. wurde Oberst I. al-Hamidi (ermordet Sept. 1977), danach H. al-Ghasmi (ermordet Juni 1978); im Juli 1978 übernahm A. Abdullah Saleh (* 1942) dieses Amt.Süd-Jemen: Aden gehörte 1839-1937 als Protektorat zu Britisch-Indien, 1947 wurde es brit. Kronkolonie; 1959 föderativer Zusammenschluss der Emirate im ehem. brit. Protektorat, 1963 Beitritt als Staat »Aden« zur »Südarab. Föderation«. Nach einem Umsturz im Sept. 1967 in zahlr. Emiraten folgte die Unabhängigkeitserklärung im Nov. 1967 und der Abzug der brit. Truppen; Umwandlung in einen kommunist. Einheitsstaat (VR Süd-J., seit 1970 Demokrat. Volksrepublik J.), seit 1978 unter der Einparteienherrschaft der Jemenit. Sozialist. Partei; Präs. wurde im April 1980 A. Nassir Muhammed (* 1944); Jan. 1986 Bürgerkrieg und Flucht des Präs. nach Nord-J., im Febr. 1986 wurde H. Abu Bakr al-Attas (* 1939) neuer Staatschef.Das vereinigte Jemen: Nach offenen Feindseligkeiten (1970/71) kam es zu Vereinigungsverhandlungen 1972 (Grundsatzvertrag, erneuert 1979), 1977, 1981 (Koordinierungs- und Kooperationsabkommen) und 1989 (Bildung eines Vereinigten polit. Organisationskomitees), die am 22. 5. 1990 zum Zusammenschluss beider J. führten, wodurch erstmals ein einheitl. Nationalstaat J., die Islam. Republik J., entstand; erster Präs. wurde Saleh. Im Mai 1991 billigte die Bev. eine Übergangsverfassung. Die polit. Unterstützung des Irak im zweiten Golfkrieg (Folge: Ausweisung jemenit. Gastarbeiter aus Saudi-Arabien) sowie der Einstrom somal. Flüchtlinge 1991/92 brachte das Land in starke wirtschaftl. (hohe Arbeitslosigkeit und Inflation) und polit. Schwierigkeiten (u. a. blutige Auseinandersetzungen im Nov. 1992). Die nach den ersten Parlamentswahlen seit der Vereinigung (27. 4. 1993) gebildete Koalitionsregierung bemüht sich um eine Stabilisierung des Landes. Versch. noch stark wirksame Konfliktpotenziale zw. Nord- und Süd-J. (die Furcht im Süden vor einer Dominanz des streng konservativ islam. Nordens; Rivalitäten zw. den noch nicht zusammengeführten Armeen des Nordens und Südens) führten vom 27. 4.-5. 5. 1994 zum Aufstand im Süd-J., um die Demokrat. Republik Jemen wiederherzustellen; der Aufstand wurde aber von Reg.truppen niedergeschlagen. Im Sept. 1994 beschloss das jemenit. Parlament die Einführung der Scharia als einzige Grundlage der Gesetzgebung und bestätigte im Okt. 1994 Saleh für fünf weitere Jahre als Präsident.
Literatur:
P. Weikenmeier J. Landschaft - Menschen — Kulturgeschichte, bearb. v. u. a. Stuttgart u. a. 1994.
Ferchl, D.: J. u. Oman. München 1995.
Liberalisierung u. Demokratisierung in der Rep. J. 1990-1994, bearb. v. I. Glosemeyer. Hamburg 1995.
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