Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
italienische Literatur.
italienische Literatur.Obwohl die Eigenständigkeit des Italienischen gegenüber dem Lateinischen zumindest seit dem 10. Jh. anzusetzen ist, bildeten sich die Anfänge einer selbstständigen i. L. erst mit großer Verspätung im Vergleich zu anderen roman. Literaturen heraus. Zum einen existierte ein umfangreiches mittellat. Schrifttum bes. in den Klöstern Bobbio und Montecassino, zum anderen verhinderten jahrhundertelang Invasionen die Entwicklung einer zentralist. Sozialstruktur; dadurch wurde zwar die Herausbildung der italien. Stadtstaaten begünstigt und das mehrsprachige Schrifttum gefördert, eine besondere Herausbildung der nat. Literatur zunächst jedoch erheblich behindert. Erste schriftlich überlieferte Zeugnisse der literar. Verwendung italien. Dialekte sind in dem »Ritmo laurenziano«, dem Bittgedicht eines Spielmanns an den Bischof von Pisa, aus dem 12. Jh. und bei dem provenzal. Troubadour Raimbaut de Vaqueiras nachweisbar; durch ihn wurde in der 1. Hälfte des 13. Jh. das Provenzalische zur Literatursprache in Italien, seine Vorherrschaft endete durch die Sizilian. Dichterschule und die umbr. Laudendichtung (Franz von Assisi). Neben dieser Dichtung entwickelte sich zw. 1250 und 1260 der Dolce stil nuovo.Trecento (14. Jh.): Den noch unsicheren Versuchen der Gestaltung einer Literatur in italien. Sprache folgte Dante Alighieri, dessen »Göttl. Komödie« (»Divina Commedia«, vollendet 1321, gedruckt 1472) eine umfassende literar. Deutung des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft, privater Passion und öffentl. Engagement im geistigen Kosmos des MA. gibt; sie gehört zu den wichtigsten Werken der Weltliteratur. Sein Traktat »Über die Volkssprache« (entstanden nach 1305), ein Lehrbuch der Poetik, handelt vom Ursprung und Wesen der Sprache, von Stil und Metrik einer literar. Hochsprache, deren Würde und Kraft auch das Toskanische erreichen könne. Obwohl damit auch theoretisch eine sichere Basis für die Verwendung der Volkssprache in der Lit. gegeben war, schätzte F. Petrarca sein umfangreiches Werk in lat. Sprache selbst stets höher ein als seine in italien. Sprache geschriebenen Gedichte an die Geliebte Laura. G. Boccaccio gehörte mit seiner Dantebiographie, seinem Dantekommentar und seinen mythologisch-histor. Schriften zu den italien. Frühhumanisten. Sein Hauptwerk, das »Decamerone« (entstanden 1348-53, gedruckt 1470), bereitete den Weg der Kurzerzählung nicht nur in Italien, sondern in allen westeurop. Literaturen, denen es zugleich ein unerschöpfl. Stoffreservoir wurde.Quattrocento und Cinquecento (15. und 16. Jh.): Die philolog. Wiederentdeckung der Antike prägte die geistesgeschichtl. Entwicklung des 15. Jh., den Humanismus. Der neuen Hochschätzung des klass. Lateins folgte die zunehmende Ablehnung der mittelalterl. Latinität sowie die Infragestellung der literar. Eignung der Volkssprache. Durch L. B. Alberti, der als Begründer eines volkssprachl. Humanismus gilt, gewann die Volkssprache, das Italienische, in der 2. Hälfte des 15. Jh. ihr früheres Ansehen zurück. Seit dem 15. Jh. entwickelten sich die italien. Städte zu kulturellen Zentren der Renaissance; die italien. Kultur wurde führend in Europa, damit erhielt auch die Lit. Vorbildfunktion. Dies gilt für die literaturtheoret. Diskussionen um die »Poetik« des Aristoteles ebenso wie für die historisch-staatspolit. Schriften N. Machiavellis und F. Guicciardinis, v. a. aber für die Epen von T. Tasso, L. Ariosto, L. Pulci und M. M. Boiardo. Auch die Erneuerung der arkad. Traditionen durch I. Sannazaro, die Commedia dell'Arte und die skurrile makkaronische Dichtung wirkten auf andere europ. Länder. Die Normierung der Literatursprache begann mit der Gründung der Accademia della Crusca (1582).Seicento (17. Jh.): Mit den polit. Umbrüchen in Italien in der 2. Hälfte des 16. Jh. verlor die i. L. ihre europ. Vorbildhaftigkeit. Nur die metaphernüberladenen Dichtungen des G. Marino, die dem Zeitgeschmack des Barock entsprachen, wurden häufig nachgeahmt (Marinismus). Wiss. Prosa verfassten G. Galilei, G. Bruno und T. Campanella. Sehr umfangreich war die Mundartdichtung (G. Basile).Settecento (18. Jh.): Um die Wende zum 18. Jh. brachte die 1690 in Rom gegr. Accademia dell'Arcadia eine Abmilderung und Wendung der barocken Formen ins Spielerische, zur Rokokolyrik, z. B. bei C. I. Frugoni und dem Dramatiker P. Metastasio. Neben wirkungsvollen Dichtungen wie den Komödien C. Goldonis, den Märchenspielen C. Gozzis, den klass. Tragödien V. Alfieris und den satirisch-didakt. Gedichten G. Parinis stand in diesem Jh. v. a. die wiss. Lit., die in Philosophie und Geschichtswiss. die Ideale der Aufklärung vertrat.Ottocento (19. Jh.): Die Romantik in Italien war eng mit polit. Zielen verbunden (Kampf gegen die österr. Besetzung, nat. Einigung Italiens) und von ihnen inspiriert. Ihren Beginn markierte ein Artikel Madame de Staëls 1816, der den Italienern nahe legt, fremde Literaturen durch Übersetzungen kennen zu lernen und pedant. Gelehrsamkeit, Mythologie und Rhetorik aus der Dichtung zu verbannen. Bedeutendstes Werk der italien. Romantik und wesentlich für die Weiterentwicklung der Gattung ist A. Manzonis histor. Roman »Die Verlobten« (1827); seinem Vorbild folgten u. a. T. Grossi und M. d'Azeglio. Der Lyriker G. Leopardi schuf von Weltschmerz beherrschte Dichtungen in klass. Formen. Eine 2. Generation romant. Dichter versuchte nach 1848 die Intentionen der ersten zu intensivieren, v. a. die Mailänder Gruppe Scapigliatura, die dazu Anregungen C. Baudelaires und der Dekadenzdichtung verarbeitete. Die Entwicklungen in der frz. Lit., v. a. der Einfluss des Positivismus, prägten die italien. auch gegen Ende des Jh.: G. Verga verarbeitete Elemente von Realismus (H. de Balzac) und Naturalismus (É. Zola) in seinen Gegenwartsromanen, die die typisch italien. Variante des Naturalismus, den Verismus, verkörpern.Novecento (20. Jh.): G. D'Annunzio setzte der harten Sozialkritik des Verismus eine von F. Nietzsches Übermenschenideal geprägte ästhetizistisch-dekadente Lit. entgegen. Ideologisch geriet er dabei in die Nähe des Faschismus, ebenso wie F.-T. Marinetti, der mit dem Futurismus eine den industriellen und sozialen Veränderungen des 20. Jh. adäquate Lit. schaffen wollte. Der Positivismus wurde in Philosophie und Literaturkritik durch B. Croce überwunden, der seine bed. Position im öffentl. Leben nutzte, um sich dem faschist. Staat entgegenzustellen. Die Lyrik reagierte auf den gesellschaftl. Umbruch mit dem Hermetismus, dessen Werke bewusst Vieldeutigkeit anstreben (G. Ungaretti, E. Montale, U. Saba, S. Quasimodo). In den Romanen des Triesters I. Svevo tauchten - wie gleichzeitig bei M. Proust und J. Joyce - Elemente der Psychoanalyse auf. An den Verismus anknüpfend, verarbeitete L. Pirandello in seinem dramat. und erzähler. Werk individuelle Erfahrungen mit psych. Grenzsituationen und deren psychoanalyt. und existenzielle Durchdringung.
Hatte schon vor dem Zweiten Weltkrieg A. Moravia mit sozialkrit. Romanen, v. a. »Die Gleichgültigen« (1929), den Auftakt zum Neorealismus gegeben, so setzte sich dieser nach Kriegsende v. a. mit der Gestaltung des antifaschist. Widerstandes und der sozialen Verhältnisse in Stadt und Land als relativ geschlossene literar. Richtung durch; auf diese Poetik sozialer Wirklichkeit, bes. vertreten durch E. Vittorini, C. Pavese, V. Pratolini, C. Levi, P. P. Pasolini und I. Silone, psychologisch thematisiert bei C. E. Gadda, folgten Introversion und Melancholie (z. B. bei G. Piovene) oder Experiment, Allegorie und Zerstörung vertrauter Romanstrukturen (z. B. bei D. Buzzati, I. Calvino, A. Palazzeschi). Lyrik und Drama bewegen sich seither gleichfalls zw. diesen Polen. Einflussreich für die Erzähllit. war der »Gruppo 63«, der frz. theoret. und prakt. Anregungen rezipierte. Er forderte von der Kunst, sich unabhängig von Normen zu entfalten, z. B. mit dem bewusst vollzogenen Abbau strukturierten Erzählens (E. Sanguineti). Die philosoph. Basis boten T. W. Adorno, W. Benjamin, G. W. Hegel, K. Marx und Vertreter des Nouveau Roman. Im Zusammenhang mit der polit. und sozialen Situation der Zeit nimmt die Darstellung von Arbeiterschicksalen einen wichtigen Platz ein (N. Balestrini, C. Bernari, P. Volponi). Daneben tritt die Auseinandersetzung mit der faschist. Vergangenheit (G. Bassani, Primo Levi, C. Malaparte) sowie die Spiegelung der Gegenwart und ihre Kritik (P. V. Tondelli, A. De Carlo). Probleme Siziliens behandelte L. Sciascia. Die Tradition des histor. Romans, seit Manzoni weitergeführt u. a. von R. Bacchelli und G. Tomasi di Lampedusa, nahm U. Eco in den 80er-Jahren wieder auf und verschaffte mit virtuos gehandhabten semiot. Techniken und universaler Gelehrsamkeit der i. L. erneut Weltgeltung. Weitere wichtige Erzähler der Gegenwart sind u. a. A. Tabucchi, L. Malerba, F. Camon und G. Manganelli. Daneben hat sich in herausragender Weise die Literatur von Frauen entwickelt, deren Vertreterinnen (in der älteren Generation Natalia Ginzburg und Elsa Morante, später Dacia Maraini, Susanna Tamaro, Paola Capriolo, Lara Cardella, Mariateresa Di Lascia u. a.) Formen emanzipator. Selbstverwirklichung vor histor., zeitgenöss. oder überzeitlich-ortlosem Hintergrund gestalten. Gegenüber dieser facettenreichen Erzählliteratur spielen Lyrik (vertreten u. a. durch G. Conte, M. De Angelis, A. Zanzotto, A. Cenni) und Drama (N. Balestrini, E. Sanguineti) eine geringere Rolle in der Literatur des zeitgenöss. Italien. Innovative Impulse für die Dramatik gehen vom Dialekttheater aus, v. a. von den satirisch-burlesken Stücken D. Fos.
▣ Literatur:
Friedrich, H.: Epochen der italien. Lyrik. Frankfurt am Main 1964.
⃟ Elwert, W.-T.: Die i. L. des Mittelalters. München 1980.
⃟ Wittschier, H. W.: Die i. L. Einführung u. Studienführer - von den Anfängen bis zur Gegenwart. Tübingen 31985.
⃟ Petronio, G.: Geschichte der i. L., 3 Bde. A. d. Italien. Tübingen u. a. 1992-93.
⃟ Italien. Literaturgeschichte, hg. v. V. Kapp. Stuttgart u. a. 21994.
⃟ Lentzen, M.: Italien. Lyrik des 20. Jh. Frankfurt am Main 1994.
⃟ Hösle, J.: Kleine Geschichte der i. L. München 1995.
⃟ Hardt, M.: Geschichte der i. L. von den Anfängen bis zur Gegenwart. Düsseldorf u. a. 1996.
⃟ Hösle, J.: Die i. L. der Gegenwart. München 1999.
Hatte schon vor dem Zweiten Weltkrieg A. Moravia mit sozialkrit. Romanen, v. a. »Die Gleichgültigen« (1929), den Auftakt zum Neorealismus gegeben, so setzte sich dieser nach Kriegsende v. a. mit der Gestaltung des antifaschist. Widerstandes und der sozialen Verhältnisse in Stadt und Land als relativ geschlossene literar. Richtung durch; auf diese Poetik sozialer Wirklichkeit, bes. vertreten durch E. Vittorini, C. Pavese, V. Pratolini, C. Levi, P. P. Pasolini und I. Silone, psychologisch thematisiert bei C. E. Gadda, folgten Introversion und Melancholie (z. B. bei G. Piovene) oder Experiment, Allegorie und Zerstörung vertrauter Romanstrukturen (z. B. bei D. Buzzati, I. Calvino, A. Palazzeschi). Lyrik und Drama bewegen sich seither gleichfalls zw. diesen Polen. Einflussreich für die Erzähllit. war der »Gruppo 63«, der frz. theoret. und prakt. Anregungen rezipierte. Er forderte von der Kunst, sich unabhängig von Normen zu entfalten, z. B. mit dem bewusst vollzogenen Abbau strukturierten Erzählens (E. Sanguineti). Die philosoph. Basis boten T. W. Adorno, W. Benjamin, G. W. Hegel, K. Marx und Vertreter des Nouveau Roman. Im Zusammenhang mit der polit. und sozialen Situation der Zeit nimmt die Darstellung von Arbeiterschicksalen einen wichtigen Platz ein (N. Balestrini, C. Bernari, P. Volponi). Daneben tritt die Auseinandersetzung mit der faschist. Vergangenheit (G. Bassani, Primo Levi, C. Malaparte) sowie die Spiegelung der Gegenwart und ihre Kritik (P. V. Tondelli, A. De Carlo). Probleme Siziliens behandelte L. Sciascia. Die Tradition des histor. Romans, seit Manzoni weitergeführt u. a. von R. Bacchelli und G. Tomasi di Lampedusa, nahm U. Eco in den 80er-Jahren wieder auf und verschaffte mit virtuos gehandhabten semiot. Techniken und universaler Gelehrsamkeit der i. L. erneut Weltgeltung. Weitere wichtige Erzähler der Gegenwart sind u. a. A. Tabucchi, L. Malerba, F. Camon und G. Manganelli. Daneben hat sich in herausragender Weise die Literatur von Frauen entwickelt, deren Vertreterinnen (in der älteren Generation Natalia Ginzburg und Elsa Morante, später Dacia Maraini, Susanna Tamaro, Paola Capriolo, Lara Cardella, Mariateresa Di Lascia u. a.) Formen emanzipator. Selbstverwirklichung vor histor., zeitgenöss. oder überzeitlich-ortlosem Hintergrund gestalten. Gegenüber dieser facettenreichen Erzählliteratur spielen Lyrik (vertreten u. a. durch G. Conte, M. De Angelis, A. Zanzotto, A. Cenni) und Drama (N. Balestrini, E. Sanguineti) eine geringere Rolle in der Literatur des zeitgenöss. Italien. Innovative Impulse für die Dramatik gehen vom Dialekttheater aus, v. a. von den satirisch-burlesken Stücken D. Fos.
▣ Literatur:
Friedrich, H.: Epochen der italien. Lyrik. Frankfurt am Main 1964.
⃟ Elwert, W.-T.: Die i. L. des Mittelalters. München 1980.
⃟ Wittschier, H. W.: Die i. L. Einführung u. Studienführer - von den Anfängen bis zur Gegenwart. Tübingen 31985.
⃟ Petronio, G.: Geschichte der i. L., 3 Bde. A. d. Italien. Tübingen u. a. 1992-93.
⃟ Italien. Literaturgeschichte, hg. v. V. Kapp. Stuttgart u. a. 21994.
⃟ Lentzen, M.: Italien. Lyrik des 20. Jh. Frankfurt am Main 1994.
⃟ Hösle, J.: Kleine Geschichte der i. L. München 1995.
⃟ Hardt, M.: Geschichte der i. L. von den Anfängen bis zur Gegenwart. Düsseldorf u. a. 1996.
⃟ Hösle, J.: Die i. L. der Gegenwart. München 1999.