Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
italienische Kunst.
italienische Kunst.Die auf der italien. Halbinsel entstandene Kunst nach dem Niedergang des röm. Imperiums ist einerseits gekennzeichnet durch die individuelle Ausbildung lokaler Schulen, zeigt andererseits seit ihren Anfängen übergreifende Gemeinsamkeiten in der Bewahrung mittelmeer. Traditionen. Sie wirkte für Jahrhunderte impulsgebend auf die abendländ. Kunst.
Architektur Der Beitrag der i. K. zur Ausbildung der Romanik war geringer als der Dtl.s und Frankreichs. Die aus der frühchristl. Kunst hervorgegangene Baukunst entwickelte sich seit dem 11. Jh. in landschaftlich stark voneinander abweichenden Stilvarianten. Dt. und burgund. Bauten verwandt sind die lombard. Kirchen Oberitaliens: Sant' Abbondio in Como, Sant'Ambrogio in Mailand, San Zeno in Verona, Dome von Modena, Parma, Ferrara. Der antiken Überlieferung verbunden blieben die toskan. Kirchenbauten, deren Fassaden bes. in Florenz durch farbige Marmorinkrustationen (Baptisterium; San Miniato), in Pisa (Dom) und Lucca durch Säulenarkaden gegliedert sind. In Unteritalien und auf Sizilien verbanden sich byzantin., lombard., normann. und sarazen. Einflüsse (Dome in Bari, Brindisi, Tarent und Cefalù; Martorana und Cappella Palatina in Palermo; Dom von Monreale). Rein byzantinisch ist der Zentralkuppelbau der Markuskirche in Venedig (1063 begonnen).
Die ersten Bauten der Gotik waren nach burgund. Art errichtete Zisterzienserkirchen (Chiaravalle bei Ancona, 1172 ff.). Doch setzte sich im 13. Jh. bes. in den Kirchen der Bettelorden bald italien. Formwille durch, dem die Auflösung der Mauerflächen widerstrebte (San Francesco in Assisi, Santa Maria Novella und Santa Croce in Florenz). In italienisch abgewandelter Gotik wurden die Dome von Florenz, Siena, Orvieto und Mailand erbaut. Der Profanbau wurde seit dem 13. Jh. bedeutend: Palazzo della Ragione, Mailand; Bargello, Florenz u. a. Gegenüber der nord. Gotik blieben auch im Wohnbau die Wandflächen sehr viel geschlossener. Typisch sind die offenen, großbogigen Hallen; Loggien in Florenz, Bologna (Ende 14. Jh.). Eine dem architektonisch Fantastischen zuneigende Abwandlung der Gotik entstand in Venedig: Dogenpalast, Casa d'Oro (1421-40).
Die Frührenaissance setzte mit dem 15. Jh. ein. Führend war Florenz, wo Brunelleschi, der Vollender der noch gotisch bestimmten Kuppel des Doms, den an die Antike anknüpfenden neuen Stil und mit ihm die Baukunst der Neuzeit begründete (San Lorenzo, Pazzikapelle; Santo Spirito). L. B. Alberti, der nächst ihm bedeutendste Baumeister der Zeit, ging auch als Theoretiker von der Antike aus. Michelozzo baute in Florenz den Palazzo Medici, der maßgebend für den Palastbau wurde. In Urbino schuf L. Laurana den Herzogspalast. In der Lombardei entstanden Ende des Jh. die noch der Frührenaissance angehörenden Bauten Bramantes.
Die Hochrenaissance des 16. Jh. sammelte alle künstler. Kräfte in Rom. 1506 erhielt Bramante den Auftrag für den Neubau der Peterskirche. Sein Entwurf eines ganz in sich ruhenden, alle Teile harmonisch zusammenschließenden Zentralbaus war der vollkommenste Ausdruck des Ideals der Renaissance, wurde aber in veränderter Form ausgeführt. Unter den ihm in der Bauleitung folgenden Architekten (Raffael, G. da Sangallo, B. Peruzzi, A. da Sangallo d. J.) bestand im Widerstreit mit neu aufkommenden Langhausplänen lange Ungewissheit über die Fortführung des Baus. Michelangelo, der in Florenz die Grabkapelle der Medici und die Biblioteca Laurenziana geschaffen hatte, wurde 1547 Bauleiter der Peterskirche. Von den röm. Palastbauten ist der großartigste der Palazzo Farnese (von A. da Sangallo d. J. und Michelangelo). Der führende Baumeister Venedigs war J. Sansovino. A. Palladio begründete mit seinen in Vicenza und Venedig geschaffenen Bauten die klassizist. Richtung der Spätrenaissance, die vorbildlich für ganz Europa wurde.
Die Baukunst des Barock begann in Rom mit G. da Vignolas Jesuitenkirche »Il Gesù« (Fassade von Giacomo Della Porta) Ende des 16. Jh. Der Versuch, dynamische Bewegtheit in der Architektur zum Ausdruck zu bringen, setzte sich fort bei G. L. Bernini (Sant' Andrea al Quirinale, Gestaltung des Petersplatzes, Rom) und steigert sich bei F. Borromini (San Carlo alle Quattro Fontane, Rom). Neben ihnen wirkten C. Rainaldi und P. da Cortona. Über Borromini hinaus führte G. Guarini mit seinen Hauptwerken in Turin. Der Palastbau spielte eine bed. Rolle, u. a. Palazzo Barberini (Entwurf von C. Maderna), die Paläste Montecitorio und Propaganda Fide (Borromini), alle in Rom.
Im 18. Jahrhundert schuf F. Iuvara in Turin und Piemont eindrucksvolle Kirchen. In Rom entstanden die Span. Treppe von A. Specchi und F. de Sanctis und die Fontana di Trevi von N. Salvi. Vertreter des Klassizismus im letzten Drittel des 18. Jh. und im frühen 19. Jahrhundert sind G. Piermarini in der Lombardei und G. Valadier in Rom. Allg. herrschte ein Eklektizismus vor.
Zu den Wegbereitern der Architektur des 20. Jahrhunderts gehörten L. Figini, G. Terragni und A. Sant'Elia. Der Neoklassizismus der faschist. Zeit hemmte vorerst die weitere Entwicklung. Nach dem Zweiten Weltkrieg ergaben sich neue und interessante Lösungen (F. Albini, INA-Gebäude Parma, 1954; P. L. Nervi, Sportpalast, Rom 1958-60; G. Ponti, Pirelliturm, Mailand, 1956-59; G. Michelucci, Autobahnkirche bei Florenz, 1964). Vertreter der in den 60er-Jahren begründeten Richtung der rationalen Architektur sind A. Rossi, C. Aymonino u. a. Die Architektur der 1980er- und 90er-Jahre ist v. a. von einem maßvollen Rückgriff auf traditionelle italien. Bauformen gekennzeichnet (Viertel »Campo di Mare« auf der Insel Giudecca in Venedig, 1985; Avelino-Theater in Rom, 1987; Piazza Kennedy in Matera, 1988-91). Portoghesi baute 1976-78 das Islam. Zentrum und eine Moschee am Stadtrand von Rom. Die behutsame Umgestaltung des Umfeldes des Fußballstadions »Santa Nicola« in Bari (1987-90) gelang R. Piano.
Bildhauerkunst Romanik: Die Plastik des 11. Jh. war schilderungsfreudig (Bronzetüren San Zeno, Verona), aber den Sinn für Körperlichkeit und Monumentalität weckte erst um 1100 Meister Wiligelmus von Modena (Portalskulpturen des Domes). Nach ihm wirkte sein Schüler Niccolò, dessen Gewändefiguren (Hauptportal des Doms von Ferrara, 1135) in die Gotik weisen. In den Werken B. Antelamis begann die Auseinandersetzung mit der frz. Plastik. Die Bronzetüren des Barisanus von Trani stehen unter byzantin. Einfluss. Ihn überwand erst jene die Antike erneuernde Plastik, die Friedrich II. um 1230 ins Leben rief (Tor in Capua, staufische Kunst).
Mit G. Pisano setzte sich gegen Ende des 13. Jh. die Gotik durch, die mit seinen Werken auch ihren Höhepunkt erreichte (Brunnen in Perugia, 1278, Kanzeln in Pistoia, 1301, und Pisa, 1310). Begrenzter in ihren Möglichkeiten waren A. Pisano und sein Schüler A. Orcagna. An der Antike geschult sind N. Pisano und Arnolfo di Cambio.
Ein neuer Wirklichkeitssinn bestimmte die Frührenaissance des 15. Jh. Got. Erbe wirkte in den Werken L. Ghibertis und auch noch in der Kunst Donatellos fort, dessen Aktstatue des David (um 1430, Florenz), sein Reiterdenkmal des Gattamelata (1447, Padua) ebenso wie sein maler. Reliefstil Neuschöpfungen in antikem Geiste sind. Unter den in Florenz tätigen Bildhauern ragen als Meister farbig glasierter Tonbildwerke L. und A. della Robbia hervor, als Marmorbildhauer die Brüder A. und B. Rossellino und Desiderio da Settignano, als Bronzeplastiker A. del Pollaiuolo und A. del Verrocchio (Reiterdenkmal des Colleoni in Venedig). Iacopo della Quercia war in Siena tätig.
Die Plastik der Hochrenaissance kann sich an Fülle der Begabungen mit der des 15. Jh. nicht messen. In Florenz und Rom arbeitete A. Sansovino. Alle übertraf Michelangelo, der über die Renaissance und ihr klass. Maß weit hinausreichende Bildwerke schuf, seine gewaltigen Pläne (Medici-Gräber, Florenz; Grabmal Papst Julius' II., Rom) aber nur z. T. verwirklichen konnte. Das unvollendete Werk bei Leonardo und Michelangelo war charakteristisch für die Suche nach der vollkommenen Form, die im Manierismus infrage gestellt wurde (B. Cellini, Giambologna).
Im Barock des 17. Jh. wurde der die gesamte europ. Bildhauerkunst bestimmende neue Stil von G. L. Bernini in Rom geschaffen (Ausstattung in St. Peter; Brunnen: Vier-Ströme, Il Moro, Fontana Tritone). An Bernini orientierten sich auch die Bildhauer des 18. Jh., bis sich gegen Ende des Jh. mit der Kunst A. Canovas der Klassizismus durchsetzte. Die überragende Persönlichkeit am Ende des 19. Jh. war M. Rosso.
In der Moderne erreichte die italien. Bildhauerkunst internat. Bedeutung durch Arbeiten von A. Martini, M. Marini, G. Manzù und A. Pomodoro. L. Fontana beeinflusste u. a. die seit Mitte der 60er-Jahre entstandene Arte povera (M. Merz, G. Paolini, G. Penone). Heute ist die Bildhauerei fast vollständig in der Objekt- und Installationskunst aufgegangen.
Malerei In der Romanik herrschte byzantin. Einfluss vor. Ihn suchte gegen Ende des 13. Jh. Cimabue in Florenz zu überwinden. Eine neue Epoche begann in der Gotik mit Giottos Werken; mit seinen im Monumentalstil geschaffenen Fresken der Arena-Kapelle in Padua (um 1305) eröffnete er der Malerei neue Wege. Zu seinen unmittelbaren Nachfolgern in Florenz gehören T. und A. Gaddi. Gleichzeitig wirkte, der Vergangenheit enger verbunden, Duccio in Siena, wo nach ihm Simone Martini, P. und A. Lorenzetti tätig waren. In Pisa entstanden die großen Freskenfolgen des Camposanto.
Die wirklichkeitsnahe Malerei der Frührenaissance kam mit den Fresken Masaccios in Florenz zum Durchbruch (Brancacci-Kapelle, 1426/27). Während P. Uccello und A. del Castagno die plastisch-räuml. Erscheinung mit den Mitteln der Perspektive realistisch erfassten, lebte in den zarten Bildern Fra Angelicos noch die Gotik fort. Spätgot. Elemente verbanden sich mit dem neuen Wirklichkeitssinn in der Kunst Fra Filippo Lippis und seines Schülers S. Botticelli, neben dem in der 2. Hälfte des 15. Jh. D. Ghirlandaio und Filippino Lippi wirkten. Die bedeutendsten Maler außerhalb von Florenz waren in Mittelitalien Piero della Francesca, Melozzo da Forì, L. Signorelli, P. Perugino und Pinturiccho, in Padua A. Mantegna, in Venedig die Brüder Bellini und V. Carpaccio.
Die frühesten Werke der Hochrenaissance sind die mit zarter Verschmelzung von Licht und Schatten gemalten Werke Leonardo da Vincis. Raffael verwirklichte in seinen Fresken (Stanzen des Vatikans) und Tafelbildern (Sixtinische Madonna) am reinsten das Ideal der Hochrenaissance, das sich in den Fresken Michelangelos (Sixtin. Kapelle) bereits zu barocken Gestaltungen wandelte. Die Malerei der venezian. Hochrenaissance ging von Giorgione aus und gipfelte in den Werken Tizians, neben dem Palma Vecchio zu nennen ist. In Parma wurde A. Correggio durch illusionist. Kuppelfresken ein Wegbereiter des Barock.
Schon in den 20er-Jahren des 16. Jh. setzte der Wandel zum Stil des Manierismus ein, so v. a. in Florenz bei I. da Pontormo und A. Bronzino, in Parma bei Parmigianino. Das überragende Werk Tintorettos drückte die religiöse Ergriffenheit jener Zeit (Gegenreformation) am stärksten aus, während P. Veronese davon unberührt blieb. Die Malerei des Barock entstand an der Wende zum 17. Jh. in Rom; Caravaggio entwickelte die in ganz Europa fortwirkende Helldunkelmalerei (Matthäus-Bilder in San Luigi dei Francesi in Rom, um 1598-1601). Die akadem. Richtung der europ. Barockmalerei ging v. a. von A. Carracci und seinen Fresken im Palazzo Farnese in Rom aus (1597-1604). Unter den zahlr. v. a. in Rom tätigen Malern ragen Domenichino, Guercino, G. Reni, G. Lanfranco und P. da Cortona, die Meister illusionist. Deckenfresken, hervor, in Neapel der Spanier J. de Ribera und S. Rosa. Im 18. Jahrhundert war in der Malerei Venedig führend, wo S. Ricci, G. Piazzetta und G. B. Tiepolo wirkten. Venezian. Stadtansichten schufen die beiden Canaletto und F. Guardi; nachhaltige Wirkung übte G. Piranesi mit seinen Kupferstichfolgen (»Carceri«) aus. G. M. Crespi malte in Bologna, A. Magnasco in Genua. Im 19. Jahrhundert war die Malerei in Italien von geringer Bedeutung; das Werk von G. Segantini ist eher der schweizer. Kunst zuzuordnen.
Zu Anfang des 20. Jahrhunderts suchte der Futurismus einen neuen Beginn (U. Boccioni). G. De Chirico und C. Carrà gaben mit ihrer Pittura metafisica das Vorbild neuer Bildgesetzlichkeiten, deren weitreichende Folgen u. a. bei der Entstehung der surrealist. Malerei sichtbar sind. Der Rückgriff auf die Sachlichkeit frühitalien. Meister bestimmte nachdrücklich auch die lyr. Schöpfungen G. Morandis. In den Bereich der École de Paris gehört A. Modigliani. Der italien. Beitrag zur gegenstandslosen Malerei ist bedeutend: Afro, S. Santomaso, A. Corpora, E. Vedova. Den polit. Realismus repräsentiert R. Guttuso. Der experimentellen Kunst wandte sich L. Fontana zu. Die Grenzen zw. Malerei und Plastik sind wie überall in der zeitgenöss. Kunst aufgehoben. Die Objekte von M. Merz, G. Penone und J. Kounellis gehören zur Arte povera. Seit Ende der 1970er-Jahre entwickelten sich avantgardist. Richtungen wie z. B. Arte cifra (Transavanguardia) mit den Künstlern M. Paladino, S. Chia, E. Cucchi und W. de Maria. Im Anschluss an diese Strömungen bildet sich eine Kunstrichtung heraus, die im Zuge der postmodernen Diskussion spielerisch die bestehenden Formen kombiniert.
Literatur:
Chastel, A.: Die Kunst Italiens. Neuausg. München 1987.
I. K. Eine neue Sicht auf ihre Geschichte, Beiträge v. L. Bellosi u. a., 2 Bde. A. d. Italien. Neuausg. München 1991.
Keller, H.: Die Kunstlandschaften Italiens, 2 Bde. Neuausg. Frankfurt am Main 1994.
Die Kunst der italien. Renaissance, hg. v. R. Toman. Köln 1994.
DellaCroce, M. L.: Meisterwerke italien. Kunst, hg. v. V. Manferto. A. d. Italien. Erlangen 1998.
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