Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
indische Kunst
ịndische Kunst,die auf dem ind. Subkontinent mit den heutigen Staaten Indien, Pakistan, Bangladesh und Sri Lanka sowie z. T. in den Randregionen Afghanistans und Nepals in mehr als 4 Jahrtausenden entstandene Kunst. Der überwiegende Teil der i. K. ist religiös bestimmt. Als ihre herausragenden Leistungen gelten die Verbildlichung innigster Kontemplation sowie Bilder von Praktiken sinnl. Entrückung, die jeweils die versch. Stufen geistiger Versenkung auf dem Weg zur Erlösung vom Kreislauf des Entstehens und Vergehens darstellen.Baukunst: Aus der Harappakultur sind Ziegel-, jedoch keine Monumentalbauten bekannt. Die ältesten in Stein errichteten Werke sind, abgesehen von vorgeschichtl. Dolmen, die Gesetzessäulen der Aschokazeit mit Glockenkapitellen und Tierdarstellungen. Die ersten Bauwerke des Buddhismus sind Stupas, große Kultmale, die sich meist halbkugelförmig über einem Sockel erheben. Aus dem 3. Jh. v. Chr. sind die Stupaanlagen in Sanchi und Sarnath erhalten. Buddhist. Tempel (Caitya) und Klöster (Vihara) wurden als Höhlenbauten in Fels gehauen wie die Caityahalle zu Karla (bei Bombay), ein dreischiffiger, basilikaähnlicher, tonnengewölbter Raum mit Apsis (1. Jh. v. Chr.). In der Folgezeit entstanden die großen Höhlentempel in Ajanta, Ellora und Elephanta. Frei aus dem Fels gemeißelt ist der Kailasanatha-Tempel in Ellora (8. Jh.). Die ältesten aufgemauerten Tempel, die aus der frühen Guptazeit stammen (4. bis Ende 5. Jh.), sind rechteckige, flach gedeckte Zellen mit offener Säulenvorhalle (so in Sanchi). Durch die Vervielfältigung der horizontalen, zu immer größeren Höhen übereinander geschichteten Bauteile entstanden mächtige Tempeltürme, meist von Bildwerken überzogen (Brahmanentempel in Bhubaneswar im Bundesstaat Orissa, 8.-13. Jh., in Khajuraho in Bundelkhand, 11. Jh.; Dschainatempel zu Palitana u. a. im westl. Indien). Einen Höhepunkt der Gupta-Architektur und -Plastik bildet der Tempel von Deogarh (6. Jh.). In S-Indien entwickelte sich der Darvidatempelstil (dravida = südl. Stil); der Tempel dehnt sich innerhalb mehrerer rechteckiger Einschließungen aus, deren Tore von gewaltigen pyramidal gestuften Tortürmen (Gopurams) überragt werden (Küstentempel in Mahabalipuram, Tempel in Kanchipuram, 7./8. Jh., Thanjarur, um 1000, Madurai, 17. Jh.). Unter der islam. Herrschaft diente das Bauernhaus Bengalens mit seinem gewölbten Dach als Vorbild für Paläste, Moscheen u. Ä. In Rajasthan, Zentralindien, dem Pandschab und im Himalaja, wo der islam. Bogen-, Gewölbe- und Kuppelbau übernommen wurde, entstand ein aus dem Palastbau entwickelter Tempeltyp (Amritsar, Lahore, Mandi, Kangra, Jaipur, Jodhpur, Bikaner) und ein kuppelgekrönter, auf vier oder mehr Säulen ruhender Totenschrein (Chattri).Von der Plastik der Induskultur wurden außer Tonsiegeln, deren Menschen- und Tierdarstellungen vorderasiat. Beispielen ähneln, Terrakotta- und Bronzefiguren gefunden, die bereits stilist. Charakteristika i. K.zeigen. In der Aschokazeit entstanden unter pers. Einfluss Steinskulpturen von Tieren, so bes. das Löwenkapitell von Sarnath (heute das Staatswappen Indiens). Der Frühzeit der rein ind. Bildhauerkunst gehören die Reliefs an den Toren und Zäunen der Stupas an (bes. in Sanchi und Bharhut), die Szenen der Buddhalegende mit Motiven des ind. Lebens verbinden. Buddha selbst, anfänglich durch Symbole versinnbildlicht, wurde seit dem 1. Jh. n. Chr. von der hellenistisch-ind. Gandhara-Kunst und in Mathura anthropomorph dargestellt, wo jahrhundertelang die größte Bildhauerwerkstatt Indiens bestand. Typisch für die Zeit der religionsgebundenen Bildhauerei (200 v. Chr. bis 300 n. Chr.) sind die Gedrungenheit der Figuren und das Fehlen von Perspektive. Am reichsten entfaltete sich die Plastik in den Höhlenskulpturen von Ellora, Badami, Mahabalipuram, Elephanta (dreigesichtiger Kopf des Shiva, um 700). In der Fülle der die äußeren und inneren Tempelwände bedeckenden Skulpturen, die in der Spätzeit immer formelhafter wurden, verlor sich schließlich das einzelne Kunstwerk. Die Bronzeplastik entwickelte sich zu hoher Blüte im südl. Indien (10.-13. Jh.), wo bes. Darstellungen des tanzenden Shiva entstanden.Malerei: Die Hauptwerke der Frühzeit sind die seit dem 1. Jh. n. Chr. entstandenen Fresken der Felsentempel in Ajanta (Darstellungen aus der Buddhalegende). Ajanta war bis ins 7. Jh. der Mittelpunkt der klass. Malerei. Vergleichbare Wandmalereien sind in hinduist. und dschainist. Höhlenanlagen und Freibautempeln auf dem gesamten ind. Subkontinent und in Sri Lanka nachgewiesen. Die mittelalterl. Malerei ist kaum erhalten; bedeutend sind die bengal. Miniaturmalerei auf Palmblättern (11. Jh.) und die Illustrationen dschainist. Papierhandschriften (15. Jh.). Unter den Mogulkaisern blühte seit dem 16. Jh. die auf pers. Quellen zurückgehende Miniaturmalerei, in der sich bald heim. Züge durchsetzten und die im Laufe der Zeit in Wechselwirkung mit der Rajputmalerei trat. Seit dem 17. Jh. entstanden an den Höfen kleinerer hinduist. Herrscher zahlr. Provinzwerkstätten versch. Malschulen der Rajputmalerei. Nachdem die ind. Malerei unter europ. Einfluss an Bedeutung verloren hatte, leitete der Maler Abanindranath Tagore (* 1871, ✝ 1951) als Haupt der neuen bengal. Kunstschule eine an die ind. Überlieferung anknüpfende Erneuerungsbewegung ein; in gleichem Sinne wirkte Nandalal Bose (* 1883, ✝ 1966). Die heutige ind. Malerei nimmt vielfach internat. Strömungen auf.
Literatur:
Franz, H. G.: Von Gandhara bis Pagan. Kultbauten des Buddhismus u. Hinduismus in Süd- u. Zentralasien. Graz 1979.
Görgens, M.: Kleine Geschichte der i. K. Köln 1986.
Delahoutre, M.: I. K. Ursprung u. Entwicklung. A. d. Frz. München 1996.
Ind. Kunstgeschichte. Eine bibliograph. Dokumentation ..., hg. v. A. J. Gail u. a. Berlin 1997.
Das alte Indien. Geschichte u. Kultur des ind. Subkontinents, hg. v. H. G. Franz. Sonderausg. München 1998.
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