Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Irak
Irak⃟ Fläche: 438 317 km2
Einwohner: (1995) 20,449 Mio.
Hauptstadt: Bagdad
Verwaltungsgliederung: 15 Prov., 1 autonome Region der Kurden mit 3 Prov.
Amtssprache: Arabisch (in der kurd. Region auch Kurdisch)
Nationalfeiertag: 14. 7.
Währung: 1 I.-Dinar (ID) = 1 000 Fils
Zeitzone: MEZ + 2 Std.
(amtlich arab. Al-Djumhurijja al-Irakijja; dt. Rep. I.), Staat in Vorderasien, grenzt im N an die Türkei, im O an Iran, im SO an Kuwait, im S an Saudi-Arabien, im W an Jordanien und im NW an Syrien.
Staat und Recht: Nach der Provisor. Verf. von 1968 (seit 1970 in Kraft) ist I. eine volksdemokrat. Rep. mit Präsidialregime. Staatsoberhaupt, Vors. des Revolutionären Kommandorates (RCC) und Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist der Präs. Er wird (seit 1995) auf sieben Jahre direkt gewählt und verfügt über weit reichende Vollmachten. Höchstes Staatsorgan mit Gesetzgebungs- und Vollzugsbefugnissen ist der RCC (acht Mitgl.). Die Legislative liegt beim RCC und beim Nat.rat (250 Abg., für vier Jahre gewählt). Exekutivorgan ist die Reg. unter Vorsitz des MinPräs., die dem Präs. verantwortlich ist und von ihm ernannt wird. - Die Legalisierung polit. Parteien ist seit 1991 stark eingeschränkt, sodass de facto ein Einparteiensystem der Arab. Sozialist. Baath-Partei (ASBP) existiert.
I. gliedert sich in 18 Prov., geleitet von einem ernannten Gouverneur. Drei Prov. bilden die autonome Region der Kurden, in der ein gewählter 57-köpfiger Kurd. Legislativrat amtiert. Vertreter der Kurden sind die Demokrat. Partei Kurdistans (KDP) und die Patriot. Union Kurdistans (PUK).
Landesnatur: I. erstreckt sich vom Taurus und Zagrosgebirge bis zum Pers. Golf. Drei Landschaftsräume prägen das Land: das im NO gelegene Gebirgsland mit landwirtschaftlich genutzten Tälern, das von Euphrat und Tigris durchflossene »Zweistromland« (Mesopotamien), das Hauptanbaugebiet des Landes, und die westlich der Flussniederung des Euphrat gelegene Syrische Wüste. In der Schwemmlandebene Unter-I.s finden sich ausgedehnte Schilf- und Seengebiete sowie vegetationslose Salztonebenen. Zw. mittlerem Euphrat und Tigris (Djesire) herrschen eintönige Kieswüsten und Wüstensteppen vor. Das Klima ist kontinental mit heißen trockenen Sommern (bis 52 ºC) und milden bis kalten Wintern. Die winterl. Niederschläge nehmen von NO (bis 1 200 mm) nach SW (unter 100 mm) stark ab. Euphrat und Tigris haben durch Winterregen und Schneeschmelze Hochwasser im Frühjahr. Der niedrigste Wasserstand ist im Herbst, zur Zeit des größten Wasserbedarfs.
Bevölkerung: Sie besteht zu etwa 75 % aus Arabern; in den nordöstl. Grenzgebieten leben Kurden (19 %), ferner Türken, Iraner u. a.; den Kurden wurden nach dem Aufstand von 1961-70 kulturelle Autonomie und Anerkennung ihrer Sprache als gleichberechtigte Schul-, Verw.- und Gerichtssprache in den von ihnen besiedelten Gebieten zugestanden. 70 % der Bev. leben in Städten. Größte Städte sind Bagdad (mit den nördl. Nachbarstädten Kadhimain und Adhamiya), Basra, Mosul, Kirkuk, Erbil, Sulaimaniya und Nedjef. - Allg. Schulpflicht besteht vom 6. bis 11. Lebensjahr; der Unterricht ist unentgeltlich; es bestehen acht Univ., eine TU, 19 techn. Inst. - Über 96 % der Bev. bekennen sich zum Islam; rd. 62 % von ihnen sind die v. a. in Süd-I. lebenden Schiiten (bed. Wallfahrtsorte: Kerbela, Nedjef). Die sunnit. Muslime (etwa je zur Hälfte Araber und Kurden) in Nord-I. gehören der hanefit. und schafiit. Rechtsschule an. 3,8 % sind Christen (v. a. Chaldäer); ferner Jesiden, Mandäer, Bahai, Juden.
Wirtschaft, Verkehr: Wirtsch. Grundlagen I.s sind die reichen Erdöllagerstätten (nach Saudi-Arabien die zweitgrößten Erdölreserven der Welt) und das Bewässerungspotenzial von Euphrat und Tigris. Zur Steuerung der Wirtschaft werden Fünfjahrespläne aufgestellt. Banken, Versicherungen, Erdölwirtschaft, Ind., Groß- und Außenhandel sind weitgehend verstaatlicht; die Preise für Produktions- sowie Konsumgüter werden amtlich festgesetzt. Der Krieg gegen Iran (1980-88), der Überfall auf Kuwait (1990), der dadurch ausgelöste 2. Golfkrieg (1991) und das international verhängte Wirtschaftsembargo haben die Wirtschaft in katastrophalem Ausmaß geschädigt. - Die Landwirtschaft, in der 18 % der Erwerbstätigen arbeiten, nutzt 15 % der Gesamtfläche (davon die Hälfte mit Bewässerung). Die seit 1958 durchgeführte Bodenreform mit Enteignung des Großgrundbesitzes hat trotz starker Mechanisierung nicht zur Produktionssteigerung geführt; bes. die zunehmende Bodenversalzung des Bewässerungslandes und fehlende Produktionsmittel (Düngemittel, Maschinen, Saatgut) machen sich bemerkbar. I. ist deshalb in hohem Maße auf Nahrungsmittelimporte angewiesen. Weizen und Gerste sind die wichtigsten Anbaupflanzen; daneben Reis, Mais, Baumwolle, Tabak, Hirse, Sesam, Mungobohnen. Intensive Bewässerungskulturen mit Baumhainen (Dattelpalmen) finden sich in schmalen Streifen entlang der Flüsse und Hauptkanäle. Da sowohl in der Türkei als auch in Syrien Staudämme im Euphrat angelegt wurden, sanken die Wasserreserven in I., was zu polit. Spannungen führte. Infolge unzureichender Futterversorgung ist der Milch- und Fleischertrag der Viehbestände gering. - Durch das internat. Exportembargo fiel I. in der Welterdölförderung vom 8. (1986) auf den 26. Platz (1996) zurück. Der Binnenbedarf liegt bei 20 Mio. t. Die Ölfelder befinden sich im N am Gebirgsrand und im S westlich von Basra. I. hat auch reiche Erdgas-, Schwefel- und Phosphatvorkommen. Die wichtigsten Ind.zweige sind neben der Ende der 70er-Jahre stark ausgebauten Petrochemie die Verarbeitung landwirtsch. Erzeugnisse, die Baustoff-, Textil- und Konsumgüterind.; daneben überwiegen Handwerks- und Kleinbetriebe. Ind.gebiete sind die Großräume Bagdad und Basra. Derzeit beschränkt sich der Außenhandel auf illegale Erdölexporte, v. a. über Jordanien. - Mittelpunkt des Verkehrsnetzes ist Bagdad. Von hier führen Eisenbahnlinien (2 030 km) nach Umm Kasr über Basra, nach Mosul und weiter nach Aleppo (Endabschnitt der Bagdadbahn) sowie in die Türkei, nach Erbil über Kirkuk. Das Straßennetz umfasst 29 000 km (davon 70 % befestigt). Die Flussschifffahrt verliert zunehmend an Bedeutung, die Seeschifffahrt im Golf (Häfen Basra und Umm Kasr) ist fast vollständig zum Erliegen gekommen. Internat. Flughäfen liegen bei Bagdad und Basra. Staatl. Flugges. ist »Iraqi Airways«.
Geschichte: Zur Vorgeschichte Vorderasien. Im Altertum gab es in Mesopotamien, dessen Hauptteil das Gebiet des heutigen I. bildet, versch. altoriental. Hochkulturen und Reiche (Akkad, Assyrien, Babylonien, Sumerer). 539 v. Chr. eroberte der Perserkönig Kyros II. das Land, das ab 331 v. Chr. zum Reich Alexanders d. Gr. gehörte. Nach der Herrschaft der Seleukiden und Parther wurde es unter den Sassaniden im 3. Jh. n. Chr. Kernland des Perserreiches (Hptst. Ktesiphon). Nach der Eroberung durch die muslim. Araber (seit 635) war das Gebiet unter den Omaijaden (661-749/750) neben Ägypten wichtigste Provinz des Kalifats und unter den Abbasiden (749/750-1258) Kernraum des islam. Weltreichs (762 Gründung der Kalifenresidenz Bagdad); 838-883 herrschten die Kalifen in Samarra. 1258 wurde I. von den Mongolen erobert und war Teil des Reichs der Ilkhane; im 16. Jh. war es Streitobjekt zw. den pers. Safawiden und dem Osman. Reich, zu dem es 1638-1918 gehörte. Nach dem Zusammenbruch des Osman. Reiches erhielt Großbritannien im Vertrag von Sèvres 1920 I. (Mesopotamien) als Völkerbundsmandat und setzte 1921 Feisal I. aus der Dynastie der Haschimiten als König ein. 1925 nahm das Mandatsgebiet eine Verf. an; im selben Jahr sprach der Völkerbund I. das Gebiet von Mosul zu (1926 Mosulvertrag mit der Türkei). Mit dem Vertrag von Bagdad (1930; wirksam mit dem Erlöschen des brit. Mandats 1932) erhielt I. seine Unabhängigkeit; die brit. Militärpräsenz blieb jedoch bestehen. Nuri as-Said (seit 1930 mehrmals MinPräs.) betrieb eine gemäßigt nationalist., probrit. Politik. Während des Zweiten Weltkrieges versuchten nationalist. Offiziere mit MinPräs. Raschid al-Gailani im April 1941, die Bindungen an Großbritannien durch einen Staatsstreich abzuschütteln, den brit. Truppen jedoch vereitelten. 1945 wurde I. Gründungs-Mitgl. der Arab. Liga. Die im Febr. 1958 mit Jordanien gegr. Arab. Föderation wurde nach dem blutigen Staatsstreich vom 14. 7. 1958 aufgelöst, bei dem auch die Monarchie gestürzt (Ermordung König Feisals II.) und die Rep. ausgerufen wurde. 1959 verließ I. den 1955 geschlossenen Bagdadpakt; die brit. Truppen räumten ihre letzten Basen. Um von innenpolit. und wirtsch. Problemen abzulenken, provozierte der Vors. des Revolutionsrates, General A. K. Kassem, Spannungen am Pers. Golf, indem er 1961 Ansprüche auf Kuwait erhob. 1961 brach ein Aufstand der Kurden aus, der (mit Unterbrechungen) bis 1970 andauerte und auch danach wiederholt aufflammte. 1963 wurde Kassem durch panarabisch-nationalist. Kräfte um General A. S. M. Aref gestürzt. Als Folge des verlorenen Sechstagekrieges (1967) übernahm die nationalist. Baath-Partei im Zuge eines Militärputsches im Juli 1968 die Macht. Präs. A. H. al-Bakr brach die Kooperation mit Syrien und Ägypten ab und betrieb eine Politik enger Anlehnung an die UdSSR. Mit Massenverhaftungen und öffentl. Exekutionen setzte sich das Regime 1969 nach innen durch. 1972 wurde ein irakisch-sowjet. Freundschaftsvertrag unterzeichnet. Mit der Nationalisierung (1972) der Iraq Petroleum Company (IPC) expandierte die Wirtschaft. 1977 wurden Baath-Partei und Reg. durch die Ernennung der Mitgl. der obersten Parteiführung zu Min. und zu Mitgl. des Revolutionären Kommandorates verzahnt. Im Nahostkonflikt blieb I. bei seiner betont antiisrael. Haltung, bes. seit Abschluss des ägyptisch-israel. Rahmenabkommens von Camp David (1978). Im Juli 1979 trat A. H. al-Bakr zurück. Nachfolger wurde Saddam Husain.Ab 1979 nahmen die Spannungen zu Iran zu, nachdem dort eine Islam. Rep. ausgerufen worden war. Im Sept. 1980 kündigte I. den 1975 mit Iran geschlossenen Grenzvertrag bezüglich des Schatt el-Arab und löste mit dem Einmarsch seiner Truppen in die iran. Prov. Khusistan den 1. Golfkrieg aus, der hohe Verluste unter der Zivilbev. forderte (rd. 250 000 Tote auf irak. Seite) und zur Zerstörung der Erdölanlagen beider Staaten im Schatt el-Arab führte. Erst 1988 kam es durch Vermittlung von UN-Generalsekretär Pérez de Cuéllar zu einer Waffenruhe. Seit Ausbruch des irakisch-iran. Krieges modernisierte und verstärkte Saddam Husain seine Armee (mit rd. 1 Mio. Mann eine der größten im arab. Raum) sowohl mit westl. als auch mit östl. Hilfe. Nach Beendigung des 1. Golfkrieges setzten irak. Truppen 1988 bei einer Großoffensive gegen die Kurden im N des Landes auch chem. Waffen (Giftgas) ein. Im Anschluss an irakisch-kuwait. Auseinandersetzungen um die Erdölförderung im gemeinsamen Grenzgebiet besetzte I. am 2. 8. 1990 Kuwait und erklärte das Emirat zur 19. irak. Provinz. Weder internat. Sanktionen (Wirtschaftsembargo, Seeblockade) noch die ultimative Resolution des UN-Sicherheitsrates vom Nov. 1990 erreichten den irak. Rückzug. Präs. Saddam Husains strikte Weigerung, sich der Forderung des UN-Sicherheitsrates nach Abzug seiner Truppen zu beugen, löste am 17. 1. 1991 den 2. Golfkrieg aus, in dem alliierte Streitkräfte unter Führung der USA I. eine schwere Niederlage beibrachten (Einstellung der Kampfhandlungen am 28. 2. 1991). I., das beträchtl. Kriegsschäden erlitt (insbesondere Zerstörungen durch die alliierte Luftoffensive), musste sich verpflichten, alle UN-Resolutionen zu erfüllen (u. a. Räumung Kuwaits und Anerkennung seiner Unabhängigkeit, Schadensersatzpflicht gegenüber den durch den Golfkrieg geschädigten Staaten, Einrichtung einer entmilitarisierten Zone zw. I. und Kuwait unter UN-Aufsicht). Im März 1991 ausgebrochene Aufstände der Schiiten im S und der Kurden im N des Landes ließ Präs. Saddam Husain durch Reg.truppen (»Republikan. Garde«) blutig niederschlagen. Vor den danach einsetzenden Repressalien flüchteten viele Kurden ins türk. Grenzgebiet und nach Iran (daraufhin Errichtung einer Schutzzone in Nord-I. nördlich des 36. Breitengrads unter Aufsicht der Alliierten und der UN, im Okt. 1992 hier Proklamation eines konföderaten »Kurdistans« innerhalb I.s durch ein kurd. Regionalparlament, bald darauf jedoch Ausbruch kurd. Rivalitätskämpfe); die verfolgten Schiiten zogen sich ins südirak. Sumpfgebiet am Schatt el-Arab zurück. Präs. Saddam Husain, dessen Machtposition nach dem Golfkrieg zunächst geschwächt war, konnte nach der Unterdrückung der kurd. und schiit. Aufstände und der Niederschlagung mehrerer Offiziersrevolten sein diktator. Herrschaftssystem wieder festigen. Angesichts ständiger irak. Behinderungen der in der Waffenstillstandsresolution des UN-Sicherheitsrates festgelegten Zerstörung aller irak. Massenvernichtungswaffen beschloss der UN-Sicherheitsrat, die irak. Rüstungsind. einer ständigen Kontrolle zu unterziehen. Zum Schutz der von irak. Reg.truppen bekämpften Schiiten im S verhängten die Kriegsgegner I.s im Aug. 1992 ein Flugverbot für die irak. Luftwaffe südlich des 32. Breitengrades (im Sept. 1996 bis zum 33. Breitengrad ausgedehnt). Vor dem Hintergrund der I. auferlegten Reparationszahlungen, der steigenden Zahl von Menschenrechtsverletzungen, der konventionellen Aufrüstung und der von UN-Rüstungsfachleuten auf (1991) über 200 geschätzten einsatzfähigen biolog. Sprengköpfe wurde - bes. auf Initiative der USA - das UN-Embargo mehrfach verlängert. Die damit verbundene wirtsch. Isolierung rief eine schwere Versorgungskrise im Land hervor (Lebensmittel- und Medikamentenknappheit, hohe Kindersterblichkeit als Folge). 1996 schloss die UNO mit I. ein Abkommen, das diesem die begrenzte Ausfuhr von Erdöl ausschließlich zum Zwecke der Nahrungsmittelbeschaffung erlaubte. Besonders das Rüstungskontrollprogramm führte immer wieder zu starken Spannungen zw. der UNO und ihren Waffeninspektionsteams einerseits sowie der irak. Reg. andererseits; irak. Boykottmaßnahmen gegen Inspektionen, aber auch Zwischenfälle in den Flugverbots- bzw. Schutzzonen nahmen die USA (z. T. mit militär. Unterstützung durch Großbritannien) zum Anlass für Luftangriffe gegen I. (1996 und erneut 1998/99).
▣ Literatur:
Sluglett, P.u. Farouk-Sluglett, M.: Der I. seit 1958. Von der Revolution zur Diktatur. A. d. Engl. Frankfurt am Main 1991.
⃟ Texts and studies on the historical geography and topography of Iraq. Collected and reprinted, hg. v. F. Sezgin. Frankfurt am Main 1993.
⃟ Trautner, B. J.: Der erste u. der zweite Golfkrieg. Münster u. a. 1994.
⃟ Simons, G.: Iraq. From Sumer to Saddam. Basingstoke u. a. 21996.
⃟ Strunz, H.: I. Wirtschaft zw. Embargo u. Zukunft. Frankfurt am Main u. a. 1998.
Einwohner: (1995) 20,449 Mio.
Hauptstadt: Bagdad
Verwaltungsgliederung: 15 Prov., 1 autonome Region der Kurden mit 3 Prov.
Amtssprache: Arabisch (in der kurd. Region auch Kurdisch)
Nationalfeiertag: 14. 7.
Währung: 1 I.-Dinar (ID) = 1 000 Fils
Zeitzone: MEZ + 2 Std.
(amtlich arab. Al-Djumhurijja al-Irakijja; dt. Rep. I.), Staat in Vorderasien, grenzt im N an die Türkei, im O an Iran, im SO an Kuwait, im S an Saudi-Arabien, im W an Jordanien und im NW an Syrien.
Staat und Recht: Nach der Provisor. Verf. von 1968 (seit 1970 in Kraft) ist I. eine volksdemokrat. Rep. mit Präsidialregime. Staatsoberhaupt, Vors. des Revolutionären Kommandorates (RCC) und Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist der Präs. Er wird (seit 1995) auf sieben Jahre direkt gewählt und verfügt über weit reichende Vollmachten. Höchstes Staatsorgan mit Gesetzgebungs- und Vollzugsbefugnissen ist der RCC (acht Mitgl.). Die Legislative liegt beim RCC und beim Nat.rat (250 Abg., für vier Jahre gewählt). Exekutivorgan ist die Reg. unter Vorsitz des MinPräs., die dem Präs. verantwortlich ist und von ihm ernannt wird. - Die Legalisierung polit. Parteien ist seit 1991 stark eingeschränkt, sodass de facto ein Einparteiensystem der Arab. Sozialist. Baath-Partei (ASBP) existiert.
I. gliedert sich in 18 Prov., geleitet von einem ernannten Gouverneur. Drei Prov. bilden die autonome Region der Kurden, in der ein gewählter 57-köpfiger Kurd. Legislativrat amtiert. Vertreter der Kurden sind die Demokrat. Partei Kurdistans (KDP) und die Patriot. Union Kurdistans (PUK).
Landesnatur: I. erstreckt sich vom Taurus und Zagrosgebirge bis zum Pers. Golf. Drei Landschaftsräume prägen das Land: das im NO gelegene Gebirgsland mit landwirtschaftlich genutzten Tälern, das von Euphrat und Tigris durchflossene »Zweistromland« (Mesopotamien), das Hauptanbaugebiet des Landes, und die westlich der Flussniederung des Euphrat gelegene Syrische Wüste. In der Schwemmlandebene Unter-I.s finden sich ausgedehnte Schilf- und Seengebiete sowie vegetationslose Salztonebenen. Zw. mittlerem Euphrat und Tigris (Djesire) herrschen eintönige Kieswüsten und Wüstensteppen vor. Das Klima ist kontinental mit heißen trockenen Sommern (bis 52 ºC) und milden bis kalten Wintern. Die winterl. Niederschläge nehmen von NO (bis 1 200 mm) nach SW (unter 100 mm) stark ab. Euphrat und Tigris haben durch Winterregen und Schneeschmelze Hochwasser im Frühjahr. Der niedrigste Wasserstand ist im Herbst, zur Zeit des größten Wasserbedarfs.
Bevölkerung: Sie besteht zu etwa 75 % aus Arabern; in den nordöstl. Grenzgebieten leben Kurden (19 %), ferner Türken, Iraner u. a.; den Kurden wurden nach dem Aufstand von 1961-70 kulturelle Autonomie und Anerkennung ihrer Sprache als gleichberechtigte Schul-, Verw.- und Gerichtssprache in den von ihnen besiedelten Gebieten zugestanden. 70 % der Bev. leben in Städten. Größte Städte sind Bagdad (mit den nördl. Nachbarstädten Kadhimain und Adhamiya), Basra, Mosul, Kirkuk, Erbil, Sulaimaniya und Nedjef. - Allg. Schulpflicht besteht vom 6. bis 11. Lebensjahr; der Unterricht ist unentgeltlich; es bestehen acht Univ., eine TU, 19 techn. Inst. - Über 96 % der Bev. bekennen sich zum Islam; rd. 62 % von ihnen sind die v. a. in Süd-I. lebenden Schiiten (bed. Wallfahrtsorte: Kerbela, Nedjef). Die sunnit. Muslime (etwa je zur Hälfte Araber und Kurden) in Nord-I. gehören der hanefit. und schafiit. Rechtsschule an. 3,8 % sind Christen (v. a. Chaldäer); ferner Jesiden, Mandäer, Bahai, Juden.
Wirtschaft, Verkehr: Wirtsch. Grundlagen I.s sind die reichen Erdöllagerstätten (nach Saudi-Arabien die zweitgrößten Erdölreserven der Welt) und das Bewässerungspotenzial von Euphrat und Tigris. Zur Steuerung der Wirtschaft werden Fünfjahrespläne aufgestellt. Banken, Versicherungen, Erdölwirtschaft, Ind., Groß- und Außenhandel sind weitgehend verstaatlicht; die Preise für Produktions- sowie Konsumgüter werden amtlich festgesetzt. Der Krieg gegen Iran (1980-88), der Überfall auf Kuwait (1990), der dadurch ausgelöste 2. Golfkrieg (1991) und das international verhängte Wirtschaftsembargo haben die Wirtschaft in katastrophalem Ausmaß geschädigt. - Die Landwirtschaft, in der 18 % der Erwerbstätigen arbeiten, nutzt 15 % der Gesamtfläche (davon die Hälfte mit Bewässerung). Die seit 1958 durchgeführte Bodenreform mit Enteignung des Großgrundbesitzes hat trotz starker Mechanisierung nicht zur Produktionssteigerung geführt; bes. die zunehmende Bodenversalzung des Bewässerungslandes und fehlende Produktionsmittel (Düngemittel, Maschinen, Saatgut) machen sich bemerkbar. I. ist deshalb in hohem Maße auf Nahrungsmittelimporte angewiesen. Weizen und Gerste sind die wichtigsten Anbaupflanzen; daneben Reis, Mais, Baumwolle, Tabak, Hirse, Sesam, Mungobohnen. Intensive Bewässerungskulturen mit Baumhainen (Dattelpalmen) finden sich in schmalen Streifen entlang der Flüsse und Hauptkanäle. Da sowohl in der Türkei als auch in Syrien Staudämme im Euphrat angelegt wurden, sanken die Wasserreserven in I., was zu polit. Spannungen führte. Infolge unzureichender Futterversorgung ist der Milch- und Fleischertrag der Viehbestände gering. - Durch das internat. Exportembargo fiel I. in der Welterdölförderung vom 8. (1986) auf den 26. Platz (1996) zurück. Der Binnenbedarf liegt bei 20 Mio. t. Die Ölfelder befinden sich im N am Gebirgsrand und im S westlich von Basra. I. hat auch reiche Erdgas-, Schwefel- und Phosphatvorkommen. Die wichtigsten Ind.zweige sind neben der Ende der 70er-Jahre stark ausgebauten Petrochemie die Verarbeitung landwirtsch. Erzeugnisse, die Baustoff-, Textil- und Konsumgüterind.; daneben überwiegen Handwerks- und Kleinbetriebe. Ind.gebiete sind die Großräume Bagdad und Basra. Derzeit beschränkt sich der Außenhandel auf illegale Erdölexporte, v. a. über Jordanien. - Mittelpunkt des Verkehrsnetzes ist Bagdad. Von hier führen Eisenbahnlinien (2 030 km) nach Umm Kasr über Basra, nach Mosul und weiter nach Aleppo (Endabschnitt der Bagdadbahn) sowie in die Türkei, nach Erbil über Kirkuk. Das Straßennetz umfasst 29 000 km (davon 70 % befestigt). Die Flussschifffahrt verliert zunehmend an Bedeutung, die Seeschifffahrt im Golf (Häfen Basra und Umm Kasr) ist fast vollständig zum Erliegen gekommen. Internat. Flughäfen liegen bei Bagdad und Basra. Staatl. Flugges. ist »Iraqi Airways«.
Geschichte: Zur Vorgeschichte Vorderasien. Im Altertum gab es in Mesopotamien, dessen Hauptteil das Gebiet des heutigen I. bildet, versch. altoriental. Hochkulturen und Reiche (Akkad, Assyrien, Babylonien, Sumerer). 539 v. Chr. eroberte der Perserkönig Kyros II. das Land, das ab 331 v. Chr. zum Reich Alexanders d. Gr. gehörte. Nach der Herrschaft der Seleukiden und Parther wurde es unter den Sassaniden im 3. Jh. n. Chr. Kernland des Perserreiches (Hptst. Ktesiphon). Nach der Eroberung durch die muslim. Araber (seit 635) war das Gebiet unter den Omaijaden (661-749/750) neben Ägypten wichtigste Provinz des Kalifats und unter den Abbasiden (749/750-1258) Kernraum des islam. Weltreichs (762 Gründung der Kalifenresidenz Bagdad); 838-883 herrschten die Kalifen in Samarra. 1258 wurde I. von den Mongolen erobert und war Teil des Reichs der Ilkhane; im 16. Jh. war es Streitobjekt zw. den pers. Safawiden und dem Osman. Reich, zu dem es 1638-1918 gehörte. Nach dem Zusammenbruch des Osman. Reiches erhielt Großbritannien im Vertrag von Sèvres 1920 I. (Mesopotamien) als Völkerbundsmandat und setzte 1921 Feisal I. aus der Dynastie der Haschimiten als König ein. 1925 nahm das Mandatsgebiet eine Verf. an; im selben Jahr sprach der Völkerbund I. das Gebiet von Mosul zu (1926 Mosulvertrag mit der Türkei). Mit dem Vertrag von Bagdad (1930; wirksam mit dem Erlöschen des brit. Mandats 1932) erhielt I. seine Unabhängigkeit; die brit. Militärpräsenz blieb jedoch bestehen. Nuri as-Said (seit 1930 mehrmals MinPräs.) betrieb eine gemäßigt nationalist., probrit. Politik. Während des Zweiten Weltkrieges versuchten nationalist. Offiziere mit MinPräs. Raschid al-Gailani im April 1941, die Bindungen an Großbritannien durch einen Staatsstreich abzuschütteln, den brit. Truppen jedoch vereitelten. 1945 wurde I. Gründungs-Mitgl. der Arab. Liga. Die im Febr. 1958 mit Jordanien gegr. Arab. Föderation wurde nach dem blutigen Staatsstreich vom 14. 7. 1958 aufgelöst, bei dem auch die Monarchie gestürzt (Ermordung König Feisals II.) und die Rep. ausgerufen wurde. 1959 verließ I. den 1955 geschlossenen Bagdadpakt; die brit. Truppen räumten ihre letzten Basen. Um von innenpolit. und wirtsch. Problemen abzulenken, provozierte der Vors. des Revolutionsrates, General A. K. Kassem, Spannungen am Pers. Golf, indem er 1961 Ansprüche auf Kuwait erhob. 1961 brach ein Aufstand der Kurden aus, der (mit Unterbrechungen) bis 1970 andauerte und auch danach wiederholt aufflammte. 1963 wurde Kassem durch panarabisch-nationalist. Kräfte um General A. S. M. Aref gestürzt. Als Folge des verlorenen Sechstagekrieges (1967) übernahm die nationalist. Baath-Partei im Zuge eines Militärputsches im Juli 1968 die Macht. Präs. A. H. al-Bakr brach die Kooperation mit Syrien und Ägypten ab und betrieb eine Politik enger Anlehnung an die UdSSR. Mit Massenverhaftungen und öffentl. Exekutionen setzte sich das Regime 1969 nach innen durch. 1972 wurde ein irakisch-sowjet. Freundschaftsvertrag unterzeichnet. Mit der Nationalisierung (1972) der Iraq Petroleum Company (IPC) expandierte die Wirtschaft. 1977 wurden Baath-Partei und Reg. durch die Ernennung der Mitgl. der obersten Parteiführung zu Min. und zu Mitgl. des Revolutionären Kommandorates verzahnt. Im Nahostkonflikt blieb I. bei seiner betont antiisrael. Haltung, bes. seit Abschluss des ägyptisch-israel. Rahmenabkommens von Camp David (1978). Im Juli 1979 trat A. H. al-Bakr zurück. Nachfolger wurde Saddam Husain.Ab 1979 nahmen die Spannungen zu Iran zu, nachdem dort eine Islam. Rep. ausgerufen worden war. Im Sept. 1980 kündigte I. den 1975 mit Iran geschlossenen Grenzvertrag bezüglich des Schatt el-Arab und löste mit dem Einmarsch seiner Truppen in die iran. Prov. Khusistan den 1. Golfkrieg aus, der hohe Verluste unter der Zivilbev. forderte (rd. 250 000 Tote auf irak. Seite) und zur Zerstörung der Erdölanlagen beider Staaten im Schatt el-Arab führte. Erst 1988 kam es durch Vermittlung von UN-Generalsekretär Pérez de Cuéllar zu einer Waffenruhe. Seit Ausbruch des irakisch-iran. Krieges modernisierte und verstärkte Saddam Husain seine Armee (mit rd. 1 Mio. Mann eine der größten im arab. Raum) sowohl mit westl. als auch mit östl. Hilfe. Nach Beendigung des 1. Golfkrieges setzten irak. Truppen 1988 bei einer Großoffensive gegen die Kurden im N des Landes auch chem. Waffen (Giftgas) ein. Im Anschluss an irakisch-kuwait. Auseinandersetzungen um die Erdölförderung im gemeinsamen Grenzgebiet besetzte I. am 2. 8. 1990 Kuwait und erklärte das Emirat zur 19. irak. Provinz. Weder internat. Sanktionen (Wirtschaftsembargo, Seeblockade) noch die ultimative Resolution des UN-Sicherheitsrates vom Nov. 1990 erreichten den irak. Rückzug. Präs. Saddam Husains strikte Weigerung, sich der Forderung des UN-Sicherheitsrates nach Abzug seiner Truppen zu beugen, löste am 17. 1. 1991 den 2. Golfkrieg aus, in dem alliierte Streitkräfte unter Führung der USA I. eine schwere Niederlage beibrachten (Einstellung der Kampfhandlungen am 28. 2. 1991). I., das beträchtl. Kriegsschäden erlitt (insbesondere Zerstörungen durch die alliierte Luftoffensive), musste sich verpflichten, alle UN-Resolutionen zu erfüllen (u. a. Räumung Kuwaits und Anerkennung seiner Unabhängigkeit, Schadensersatzpflicht gegenüber den durch den Golfkrieg geschädigten Staaten, Einrichtung einer entmilitarisierten Zone zw. I. und Kuwait unter UN-Aufsicht). Im März 1991 ausgebrochene Aufstände der Schiiten im S und der Kurden im N des Landes ließ Präs. Saddam Husain durch Reg.truppen (»Republikan. Garde«) blutig niederschlagen. Vor den danach einsetzenden Repressalien flüchteten viele Kurden ins türk. Grenzgebiet und nach Iran (daraufhin Errichtung einer Schutzzone in Nord-I. nördlich des 36. Breitengrads unter Aufsicht der Alliierten und der UN, im Okt. 1992 hier Proklamation eines konföderaten »Kurdistans« innerhalb I.s durch ein kurd. Regionalparlament, bald darauf jedoch Ausbruch kurd. Rivalitätskämpfe); die verfolgten Schiiten zogen sich ins südirak. Sumpfgebiet am Schatt el-Arab zurück. Präs. Saddam Husain, dessen Machtposition nach dem Golfkrieg zunächst geschwächt war, konnte nach der Unterdrückung der kurd. und schiit. Aufstände und der Niederschlagung mehrerer Offiziersrevolten sein diktator. Herrschaftssystem wieder festigen. Angesichts ständiger irak. Behinderungen der in der Waffenstillstandsresolution des UN-Sicherheitsrates festgelegten Zerstörung aller irak. Massenvernichtungswaffen beschloss der UN-Sicherheitsrat, die irak. Rüstungsind. einer ständigen Kontrolle zu unterziehen. Zum Schutz der von irak. Reg.truppen bekämpften Schiiten im S verhängten die Kriegsgegner I.s im Aug. 1992 ein Flugverbot für die irak. Luftwaffe südlich des 32. Breitengrades (im Sept. 1996 bis zum 33. Breitengrad ausgedehnt). Vor dem Hintergrund der I. auferlegten Reparationszahlungen, der steigenden Zahl von Menschenrechtsverletzungen, der konventionellen Aufrüstung und der von UN-Rüstungsfachleuten auf (1991) über 200 geschätzten einsatzfähigen biolog. Sprengköpfe wurde - bes. auf Initiative der USA - das UN-Embargo mehrfach verlängert. Die damit verbundene wirtsch. Isolierung rief eine schwere Versorgungskrise im Land hervor (Lebensmittel- und Medikamentenknappheit, hohe Kindersterblichkeit als Folge). 1996 schloss die UNO mit I. ein Abkommen, das diesem die begrenzte Ausfuhr von Erdöl ausschließlich zum Zwecke der Nahrungsmittelbeschaffung erlaubte. Besonders das Rüstungskontrollprogramm führte immer wieder zu starken Spannungen zw. der UNO und ihren Waffeninspektionsteams einerseits sowie der irak. Reg. andererseits; irak. Boykottmaßnahmen gegen Inspektionen, aber auch Zwischenfälle in den Flugverbots- bzw. Schutzzonen nahmen die USA (z. T. mit militär. Unterstützung durch Großbritannien) zum Anlass für Luftangriffe gegen I. (1996 und erneut 1998/99).
▣ Literatur:
Sluglett, P.u. Farouk-Sluglett, M.: Der I. seit 1958. Von der Revolution zur Diktatur. A. d. Engl. Frankfurt am Main 1991.
⃟ Texts and studies on the historical geography and topography of Iraq. Collected and reprinted, hg. v. F. Sezgin. Frankfurt am Main 1993.
⃟ Trautner, B. J.: Der erste u. der zweite Golfkrieg. Münster u. a. 1994.
⃟ Simons, G.: Iraq. From Sumer to Saddam. Basingstoke u. a. 21996.
⃟ Strunz, H.: I. Wirtschaft zw. Embargo u. Zukunft. Frankfurt am Main u. a. 1998.