Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Indien
Ịndi|en Fläche: 3 287 263 km2
Einwohner: (1995) 935,7 Mio.
Hauptstadt: Delhi
Verwaltungsgliederung: 25 Bundesstaaten und 7 Unionsterritorien
Amtssprache: Hindi
Nationalfeiertage: 26. 1. und 15. 8.
Währung: 1 Indische Rupie (iR) = 100 Paise (P.)
Zeitzone: MEZ + 4,5 Std.
(amtl. Hindi Bharat, engl. Republic of India; dt. Rep. I.), Staat in S-Asien, reicht vom Himalaja bis zur S-Spitze der Halbinsel Vorderindien im Ind. Ozean; grenzt im NW an Pakistan, im N an China, Nepal und Bhutan, im O an Birma und Bangladesh. Zu I. gehören die Andamanen und Nikobaren im Golf von Bengalen und die Lakkadiven im Arab. Meer.
Staat und Recht: Nach der am 26. 1. 1950 in Kraft getretenen Verf. (mehrfach geändert) ist I. eine parlamentarisch-demokrat. Rep. mit bundesstaatl. Ordnung (25 Bundesstaaten, sieben Unionsterritorien). Staatsoberhaupt ist der Präs., der von einem Gremium aus Mitgl. des Zentralparlaments und der Landesparlamente für fünf Jahre gewählt wird. Er ernennt als formell oberster Repräsentant der Exekutive den MinPräs. und auf dessen Vorschlag die Mitgl. des Kabinetts, das dem Parlament verantwortlich ist. Die Legislative liegt beim Präs. und beim Zweikammerparlament (Kongress), bestehend aus Oberhaus (auch: Rat der Staaten, 233 von den Landesparlamenten für sechs Jahre gewählte und 12 vom Präs. ernannte Mitgl.) und Unterhaus (auch: Haus des Volkes, 543 direkt auf fünf Jahre gewählte und zwei ernannte Abg.). Die Bundesstaaten verfügen über eigene Verf., Parlamente und Reg.; an der Spitze der Verw. der Bundesstaaten steht jeweils ein vom ind. Präs. für fünf Jahre ernannter Gouv., während die Unionsterritorien dem Präs. unterstehen, welcher die Verw. durch einen Bevollmächtigten (Gouverneursleutnant) ausüben lässt. - Das Parteienspektrum ist vielgestaltig; einflussreichste Parteien: Indian National Congress (INC; auch Kongresspartei gen.), Bharatiya Janata Party (BJP), Janata Dal Party und Communist Party of India (Marxist) (CPI[M]).
Landesnatur: I. nimmt den größten Teil Vorderindiens ein und umfasst einen Teil des Karakorum (im Saser Kangri 7 672 m ü. M.) und des Himalaja (Nanda Devi, im W, 7 817 m, Kangchendzönga, im O, 8 586 m) mit seinen Vorbergen, die Ganges-Brahmaputra-Ebene sowie die Halbinsel I. mit dem Hochland von Dekhan, das von den West- und Ostghats eingefasst ist. Im NW hat I. Anteil am Pandschab, der nach S in die Wüstensteppen der Thar übergeht. Das subtrop. bis trop. Klima wird bestimmt durch den jahreszeitl. Wechsel der Monsune. Die damit verbundenen Niederschläge (80-90 % durch den SW-Monsun; am höchsten in Cherrapunji) sind für die Landwirtschaft wesentlich. Abhängig von Klima und Höhenlage reicht die Vegetation vom immergrünen trop. Regenwald über regengrüne Wälder und Trockenwälder bis zu Trocken- und Dornsavannen und der Hochgebirgsvegetation.
Bevölkerung: I. ist nach China das volkreichste Land der Erde. Das Bev.wachstum, das wirtsch. und polit. Hauptproblem des Landes, beträgt jährl. 2,13 % (1981-91). Die Reg. versucht zwar, den hohen Zuwachs durch Geburtenkontrolle einzudämmen, jedoch wird diese nur von etwa einem Fünftel der Paare praktiziert. Ethnisch werden der N und Mittel-I. von den hellhäutigen Indiden geprägt. Im NO und SO (Tamil Nadu) bilden die Melaniden (Schwarzinder) die zweite ethn. Hauptgruppe. Viele Bergvölker des Himalaja und Nordost-I. gehören zu den Mongoliden; Weddide leben in den Wäldern des Dekhan. I. gehört zu den dicht besiedelten Staaten der Erde; die Bev.verteilung ist sehr unterschiedlich. Rd. 1/4 der Bev. lebt in Städten. Millionenstädte sind: Bombay, Delhi, Kalkutta, Madras, Hyderabad, Ahmadabad, Bangalore, Kanpur, Nagpur, Bhopal, Pune, Lucknow, Jaipur, Indore, Surat, Vadodara, Ludhiana. - Das Schulwesen untersteht den Einzelstaaten und zeigt erhebl. regionale Unterschiede. Die allg. Schulpflicht (7.-15. Lebensjahr) stößt bei ihrer Verwirklichung auf sprachl., religiöse, soziale und wirtsch. Probleme. Die untere Primarstufe (5 Jahre) wird von fast allen Kindern besucht, aber nur von 65 % der Jungen und 60 % der Mädchen beendet. 87 % der Schulpflichtigen besuchen bis zum 12., 40 % bis zum 15. Lebensjahr eine Schule. Rd. 48 % der Bev. sind Analphabeten. Unterrichtssprache ist in der Grundschule die Muttersprache, in höheren und Hochschulen daneben Hindi und Englisch. I. verfügt über 176 Univ. und Inst. mit Univ.rang. - Über 80 % der Bev. sind Hindus, 12 % Muslime, 1,9 % Sikhs, 2,6 % Christen und 0,7 % Buddhisten. Das im Hinduismus begründete Kastenwesen ist noch immer ein Hindernis für die gesellschaftl. Entwicklung, obwohl Modernisierung und Verstädterung Möglichkeiten zur Überwindung überkommener Kastenschranken bieten. Den Kastenlosen (Unberührbare, Harijans; heute 135 Mio.) und den Angehörigen der Bergstämme räumt die Verf. eine Vorzugsbehandlung im Ausbildungssystem und bei der Anstellung im öffentl. Dienst ein; sie sind aber v. a. im ländl. Raum immer noch Opfer starker sozialer und wirtsch. Diskriminierung. - Den Streit um die Amtssprache Hindi, der sich v. a. Tamilen und Bengalen widersetzen, hat die Zentral-Reg. durch das Zugeständnis beigelegt, Englisch im Verkehr mit den Nicht-Hindi-Staaten unbefristet beizubehalten. An den Schulen sollen Regionalsprache, Hindi und Englisch unterrichtet werden. 14 Regionalsprachen werden von der Verf. anerkannt: Assami, Bengali, Gujarati, Kannada, Kaschmiri, Malayalam, Marathi, Oriya, Panjabi, Sanskrit, Sindhi, Tamil, Telugu, Urdu.
Wirtschaft, Verkehr: Trotz der stark agrarisch geprägten Erwerbsstruktur kann I. zu den zehn höchstindustrialisierten Ländern der Welt gezählt werden. Doch obwohl I. heute zu den Schwellenländern zählt, leben noch etwa 25 % aller Einwohner unterhalb der offiziell festgelegten »Armutsgrenze«, zählt I., gemessen am Bruttosozialprodukt, zu den ärmsten Staaten der Erde. Seit 1951 werden zur Steuerung der Volkswirtschaft Fünfjahrespläne aufgestellt. Die Schlüsselindustrien wie Eisen- und Stahlerzeugung, Erdölind., der Bergbau und die Banken (seit 1969), Versicherungen (seit 1971) sind ganz, die übrigen Ind.zweige z. T. staatlich; seit 1991 werden aber Liberalisierung und Privatisierung gefördert. Handel, Handwerk und Landwirtschaft können frei wirtschaften, es müssen jedoch bestimmte landwirtsch. Erzeugnisse (z. B. Reis, Weizen) zu Festpreisen angeboten werden. Die Landwirtschaft mit etwa zwei Drittel der Erwerbstätigen trägt nur zu 30 % zum Bruttoinlandsprodukt und 20 % zum Ausfuhrwert bei. Sie deckt, wenn der Monsunregen nicht ausfällt, den Hauptteil des Bedarfs an Nahrungsmitteln und Textilfasern. Über 50 % der Landesfläche werden landwirtsch. genutzt, davon sind über 90 % Ackerland, fast 7 % Wiesen und Weiden und 2 % Dauerkulturen; etwa ein Drittel der Ackerfläche wird bewässert. Hauptanbaupflanzen sind Reis (Gangesebene), Hirse (NW- und Zentral-I.), deren Anbau jedoch zurückgeht, Weizen (bes. im N), Zuckerrohr (Gangesebene; I. ist größter Produzent der Erde), ferner Mais, Hülsenfrüchte, Erdnüsse. Wichtigste Ind.pflanze ist Baumwolle (Hochland Zentral- und Süd-I.s, Verarbeitungszentren Bombay, Ahmadabad), daneben Jute (Bengalen, Süd- und Ost-I., Verarbeitung bes. um Kalkutta). I. ist einer der wichtigsten Teeproduzenten der Welt (Anbau in Assam, Bengalen), weitere exportierte Plantagenprodukte sind Kaffee, Gewürze, Tabak und Kakao. Die Viehwirtschaft hat trotz des hohen Rinderbestands (rd. 200 Mio., 12 % des Weltbestands) aus religiösen Gründen (»heilige Kühe« der Hindus) geringe Bedeutung. Wenig entwickelt ist die Fischwirtschaft. Die ehem. reichen Waldbestände sind durch Raubbau (v. a. im Himalajavorland) stark zurückgegangen, wodurch Dürre- und Flutkatastrophen begünstigt werden. Heute sind noch etwa 19 % der Landesfläche mit Wald bedeckt. - I. ist reich an Bodenschätzen. Gefördert werden v. a. Steinkohle (Chota-Nagpur-Plateau, südlich der Gangesebene), Eisenerz (Goa, Chota-Nagpur-Plateau), Bauxit, Glimmer (rd. 60 % der Weltproduktion), Mangan-, Kupfer-, Chromerz. Rd. 70 % des eigenen Erdölbedarfs kann durch Eigenförderung in Assam, Gujarat und im Offshorebereich vor Bombay gedeckt werden. Zw. Krishna und Cauvery sowie nördlich des Narmada wird etwas Gold gefördert; außerdem Vorkommen von Smaragden, Saphiren, Diamanten. - Verursacht durch die stark schwankenden Wasserstände der Flüsse, haben Wasserkraftwerke eine geringe Kapazitätsausnutzung. I. verfügt über mehrere Kernkraftwerke. - Der Akzent des 2. und 3. Fünfjahresplans lag auf dem Ausbau der Grundstoff- und Schwerind. Seitdem entwickelten sich Maschinenbau, chem., bes. petrochem. und weiterverarbeitende Ind., sodass I. heute auf vielen Gebieten nicht mehr auf ausländ. Ind.produkte angewiesen ist. I. hat große Eisen- und Stahlwerke in Rourkela, Durgapur, Bhilai Nagar und Bokaro. Die Papierind. verarbeitet Bambus, Hartgras und Altpapier. Ausgebaut wurden die Kfz-, Elektro- und Elektronikind. Traditionell bedeutsam sind die Nahrungs- und Genussmittelind. sowie das Kunsthandwerk. Dem Tourismus bieten sich viele kulturelle, aber auch landschaftlich reizvolle Ziele. - Die Handelsbilanz ist in den letzten Jahren stark defizitär. Exportiert werden v. a. Schmuck, Edelsteine, Textilien, Bekleidung, Maschinen, chem. Produkte, Lederwaren und Gewürze. Wichtige Handelspartner sind die USA, Japan, Dtl. und Großbritannien. - Wichtigster Verkehrsträger ist die bis auf einige Schmalspurstrecken verstaatlichte Eisenbahn (vier Spurweiten). Das gut ausgebaute Streckennetz (62 486 km) ist das längste in Asien und das viertlängste der Welt. Eine Rolle im Massengutverkehr spielen zudem die rd. 2 000 km Binnenwasserstraßen. Die wichtigsten Häfen für die See- und Küstenschifffahrt sind Bombay, Kalkutta, Madras, Cochin, Vishakhapatnam, Margao und Kandla. Das Straßennetz ist über 2 Mio. km lang. Davon sind nur rd. 800 000 km mit fester Decke versehen, sodass der Straßenzustand v. a. in der Regenzeit unzureichend ist. Indian Airlines betreiben den Inlands- und Air India den Auslandsflugverkehr. Internat. Flughäfen besitzen Delhi, Bombay, Kalkutta, Madras und Thiruvananthapuram.
Geschichte: Die vedische Periode: Bereits in der Harappakultur gab es große Städte auf hohem Zivilisationsniveau (Mohenjo-Daro, Harappa). Wohl Mitte des 2. Jt. v. Chr. wanderten die Arier (Selbstbez. Arya, »Edle«) ein. Sie drangen mit Pferden und Streitwagen durch das Pandschab nach O vor und eroberten weite Teile Nord-I.s; sie gelangten zw. 900 und 600 v. Chr. in die Gangesebene. Ihre religiösen Vorstellungen sind in den Veden (Veda), einer Hauptquelle der frühen ind. Geschichte, enthalten. Nur langsam begannen die Arier sesshaft zu werden und Ackerbau zu treiben. Etwa um 1000 v. Chr. wird das Kastensystem erwähnt. Die ved. Periode endete mit dem Auftreten des Buddha (* um 560, ✝ um 480), der ersten belegten bed. Persönlichkeit aus I.; Buddhismus, Dschainismus und zahlr. weitere religiöse Systeme entstanden um die Mitte des 1. Jh. v. Chr. Bimbisara (* um 540, ✝ um 490) begründete das Reich von Magadha im heutigen Bihar. Von Pataliputra (heute Patna) aus übte die Nanda-Dynastie (360-322 v. Chr.) ihre Macht weit über Magadha hinaus aus.Das Reich der Maurya und die Fremdherrschaft: Von Magadha aus nahm auch das erste fast ganz I. umfassende Reich der Maurya-Dynastie seinen Ausgang, das Candragupta Maurya (Tschandragupta) zw. 322 und 300 v. Chr. begründete und das seine höchste Machtentfaltung unter Ashoka (Aschoka) erreichte, als es im NW über I. hinausgriff. Von NW her begannen seit etwa 100 v. Chr. die Skythen, I. zu erobern. Ihnen folgten die Kushana. Sie setzten den indogrch. Königreichen, die sich als Folge der Invasion Alexanders d. Gr. in Nordwest-I. gebildet hatten, ein Ende. Um 50 n. Chr. entstand das Großreich der Kushana, das sich unter König Kanishka von Zentralasien bis Benares erstreckte und entweder durch die Sassaniden im 3. oder die Guptas im 4. Jh. zerstört wurde.Vom Guptareich bis zum Einbruch des Islams: Das Guptareich, das unter Samudragupta (etwa 335 bis 375) ganz Nord-I. umfasste, erlag um 500 dem Hunnensturm. Während der Guptaherrschaft kam es zu einer Hochblüte der Sanskritliteratur. Mit ihrem Ende zerfiel Nord-I. in eine Fülle kleiner, einander bekämpfender Königreiche; nur Harshavardhana, dem letzten großen Schirmherrn des Buddhismus (606-647), gelang es noch einmal, den größten Teil von Nord-I. zu vereinen. Ende des 8. Jh. wurden die Rajputen Träger der polit. Macht. Dem Klan der Gurjara-Pratihara gelang es, von Kanauj aus ein Großreich zu errichten, das lange das Vordringen des Islams nach I. wirksam verhinderte. Nur die Provinz Sind wurde 712 islamisch. In ständige Kriege verwickelt, zerfiel das Gurjara-Pratihara-Reich und ging um 1000 endgültig unter.Der Islam in Nordindien: Nach wiederholten Vorstößen (1001-27) des Mahmud von Ghazni kam es zu einer dauerhaften islam. Besetzung des Landes erst 1192 unter Mohammed von Ghor (1173-1206). Er setzte in Delhi General Qutb-ud-din Aibak als Statthalter ein, der 1206 das Sultanat von Delhi gründete. Nach dem Ende der Khilji-Dynastie (1290-1320) begann der Zerfall des Sultanats, das nach dem Einfall Timurs (1398 Plünderung Delhis) endgültig zusammenbrach. Erst unter der Dynastie der Lodi (1451-1526) begann eine erneute Festigung der Herrschaft von Delhi aus über Nord-I. Der Timuride Babur (* 1483, ✝ 1530) wurde 1526 durch seinen Sieg über das Heer des Sultans (Schlacht bei Panipat) zum Begründer des Mogulreiches. Das nur lose zusammengefasste Reich Baburs musste von seinem Sohn Humajun (* 1508, ✝ 1556) erneut erobert werden. Unter Akbar (1556-1605) dehnte es sich über ganz Nord-I. aus. Durch Akbars tolerante Politik gegenüber den Hindus entstand eine hinduistisch-muslim. Mischkultur. Unter seinen Nachfolgern Jahangir (1605-27), Shah Jahan (1628-58) und Aurangseb (1658-1707) erweiterte sich das Reich im S um die Sultanate im Dekhan, verlor aber an innerer Stabilität und konnte nicht wirksam gegen die seit Mitte des 17. Jh. unabhängigen Marathen verteidigt werden. Das Mogulreich löste sich nach der Eroberung Delhis durch den Perser Nadir Schah 1739 in einen lockeren Staatenbund auf; 1858 setzten die Briten den letzten Mogul ab.Südindien bis zur Kolonialzeit: Bis zum 6. Jh. n. Chr. ist die Geschichte des S nur in Umrissen bekannt. Die Tamilen beherrschten zeitweise Ceylon. Seit etwa 570 regierte von Badami aus die Calukya-Dynastie, die um 750 von Dantidurga Rashtrakuta (um 735-757) gestürzt wurde. Die nächsten 200 Jahre lang beherrschten die Rashtrakutas, deren bedeutendster König Krishna I. (um 756-773) war, den Dekhan von Malkhed aus, bis noch einmal die Calukya-Dynastie von Kaljani aus vom 10. bis 12. Jh. die Oberhand gewann. Bereits die erste Calukya-Dynastie sah sich häufig in Kriege mit den Pallavas verwickelt. Nach einem Verfall ihrer Macht um 500 gewannen die Pallavas von Kanchi aus ihren alten Einfluss zurück und eroberten 642 Badami. Während der Pallavazeit griff die ind. Kultur nach SO-Asien über und drang tief in den Malaiischen Archipel ein. Im 11. Jh. dehnte das Colareich seine Macht bis nach Bengalen und Indonesien aus. Sein Erbe übernahm die Pandya-Dynastie von Madurai, die im 13. Jh. zur führenden Macht des S wurde. Die Invasion Malik Kafurs (1311) erschütterte alle Reiche des Südens. Im 14. Jh. wurde das hinduist. Großreich von Vijayanagar im südl. Dekhan gegr., das bis 1565 bestand.Kolonialzeit: Mit der Entdeckung des Seeweges nach I. durch Vasco da Gama (1498) entstanden dort die portugies. Stützpunkte Daman, Diu und Goa. Die seit 1600 bestehende engl. Ostind. Kompanie gründete in Surat (1612), Madras (1639), Bombay (1661) und Kalkutta (1690) Niederlassungen; die 1664 entstandene frz. Ostind. Kompanie ließ sich 1674 in Pondicherry und 1688 in Chandernagore nieder. Seit etwa 1740 begannen zw. Franzosen und Briten in Süd-I. bewaffnete Auseinandersetzungen, als sich die Kompanien in Thronfolgestreitigkeiten lokaler Dynastien einmischten. Nach den Niederlagen im Siebenjährigen Krieg verlor Frankreich durch den Frieden von Paris 1763 seinen polit. Einfluss in I. Spannungen zw. den Briten und dem Nabob von Bengalen, Sirasch-ud-Daula, mündeten in einen Krieg, der die brit. Ostind. Kompanie zum Herrn Bengalens machte; 1765 übertrug ihr der Großmogul die Verwaltungshoheit über dieses Gebiet. Schwere Missstände innerhalb der Kompanie führten zu mehrfachem Eingreifen des brit. Parlaments und zu Reformen unter dem ersten Gen.-Gouv. von Ost-I., W. Hastings (1774-85), der die brit. Machtstellung in I. ausbaute. Im Verlauf des 18. und 19. Jh. kamen etwa drei Fünftel des Gebietes von I. unter die Herrschaft der brit. Ostind. Kompanie, während das restl. Territorium weiterhin von ind. Fürsten regiert wurde, die jedoch in Verträgen ihre Hoheitsrechte in der Außen- und Verteidigungspolitik an die Briten abgetreten hatten. Nach der Zerschlagung des Reichs des Tipu Sahib in Mysore (1799) und der endgültigen Unterwerfung der Marathenfürsten (1818) wurde 1843 Sind annektiert, 1849 das Reich der Sikh im Pandschab erobert, 1886 nach drei Kriegen Birma endgültig (bis 1935) Britisch-I. angegliedert. Gen.-Gouv. W. H. Cavendish-Bentinck (1833-35) führte Englisch als Verwaltungssprache ein. Die Furcht vor einer westl. Überfremdung des Landes war letztlich die Ursache des großen Aufstandes von 1857/58, in dessen Verlauf sich nach der Annexion des Fürstentums von Oudh 1856 verschiedene ind. Regimenter (Sepoys) in Nord-I. gegen die Briten erhoben. Mit der Niederwerfung des Aufstandes wurde zugleich das Mogulreich auch formal aufgehoben. Die brit. Ostind. Kompanie wurde 1858 aufgelöst und I. direkt der brit. Krone unterstellt, die durch den »Governor General in Council« (meist Vizekönig gen.) vertreten war. In London wurde ein I.-Ministerium geschaffen.
Die ind. Unabhängigkeitsbewegung nahm ihren Anfang mit der Konstituierung des Indian National Congress (Kongresspartei, Abk. INC) 1885. Die unter G. N. Curzon (1898-1905) erfolgte Teilung Bengalens (1905) führte zu großen Unruhen. Daraufhin räumten die Morley-Minto-Reformen (1909) den Indern eine bescheidene Mitwirkung an der Reg. des Landes ein, betrachteten dabei aber unter dem Druck der 1906 gegr. Muslimliga die muslim. Bev. als eigenständige Wählerschaft, was neue Konflikte verursachte. Die Verf.reformen wurden in Anerkennung der von I. während des Ersten Weltkriegs getragenen Lasten durch die Montagu-Chelmsford-Reformen (Montford-Reformen) weitergeführt, die den Indern in den Provinzen teilweise Reg.verantwortung gewährten (Dyarchie). Nachdem in Amritsar eine Protestversammlung gegen die britisch-ind. Reg. blutig aufgelöst worden war, kam es 1920-22 zu einer vom Kongress und der Muslimliga gemeinsam getragenen Satyagraha-Kampagne des »zivilen Ungehorsams« gegen die brit. Behörden (nach gewaltsamen Ausschreitungen von Gandhi abgebrochen). Als die brit. Reg. die Forderung des Kongresses ablehnte, I. den Dominionstatus zuzuerkennen, löste Gandhi 1930 erneut eine Massenkampagne (»Salzmarsch«) aus, die zu den ergebnislosen Round-Table-Konferenzen von 1930-32 führte. Die Verf.reform von 1935 kam ohne eigentl. ind. Beteiligung zustande. - Die Muslimliga forderte unter M. A. Jinnah einen eigenen muslim. Staat. Nach dem Zweiten Weltkrieg sah sich daher der letzte Vizekönig, Mountbatten (1947), gezwungen, durch eine rasche Teilung des Landes in I. und Pakistan den seit Aug. 1946 andauernden bürgerkriegsähnl. Unruhen ein Ende zu setzen.Die Indische Union: Nachdem beide Staaten am 15. 8. 1947 unabhängig geworden waren (I. bis 1950 und Pakistan bis 1956 als Dominion), übernahm J. Nehru, der bereits 1946 vom Vizekönig zum MinPräs. ernannt worden war, die Führung Indiens. Infolge von Grenzstreitigkeiten mit Pakistan und der Umsiedlung von etwa 8,4 Mio. Menschen zw. beiden Staaten kam über 1 Mio. Menschen ums Leben. Der Anspruch sowohl I.s als auch Pakistans auf Kaschmir begründete einen polit. Dauerkonflikt zw. beiden Staaten. Während die meisten der mehr als 550 Fürstenstaaten dem neuen ind. Staat relativ freiwillig beigetreten waren, wurde der Nisam von Hyderabad 1948 von ind. Truppen mit Waffengewalt zum Verzicht auf seine Herrschaft gezwungen. Eine Verf. trat am 26. 1. 1950 in Kraft. Seit den ersten Wahlen 1951/52 regierte die Kongresspartei, 1952-64 unter J. Nehru, 1964-66 unter L. B. Shastri, 1966-77 unter I. Gandhi. Die ind. Innenpolitik war unter Nehru und in verstärktem Maße unter seiner Tochter I. Gandhi durch eine Hinwendung zum Sozialismus und zu einer säkularen Politik gekennzeichnet. Bed. Anstrengungen galten der Industrialisierung des Landes und der Verbesserung der Ernährungsgrundlage (»grüne Revolution«). Die Außenpolitik Nehrus machte I. zu einem führenden Mitgl. der blockfreien Staaten. Die Tibetfrage führte 1962 zus. mit Streitigkeiten über den Grenzverlauf zum indisch-chines. Krieg. Ein 1965 ausgebrochener Krieg mit Pakistan um Kaschmir wurde im Jan. 1966 unter sowjet. Vermittlung eingestellt. Am 9. 8. 1971 schloss I. mit der UdSSR einen Freundschaftsvertrag. Im Dez. 1971 kam es zu einem weiteren indisch-pakistan. Krieg, der mit der Gründung von Bangladesh endete. Im Juni 1975 wurde über das ganze Land der Ausnahmezustand verhängt, was von Premiermin. I. Gandhi mit einer Verschwörung gegen ihre Politik begründet wurde (Verhaftung zahlr. Oppositionspolitiker). Als I. Gandhi 1977 den Ausnahmezustand lockerte und Parlamentswahlen anberaumte, siegte die neu gegr. Janata Party. Ihr Führer, M. Desai, wurde Premiermin. Er ließ den Ausnahmezustand vollends aufheben. Anhaltende wirtsch. und soziale Probleme brachten jedoch der Kongresspartei bei vorgezogenen Wahlen im Jan. 1980 wieder eine Zweidrittelmehrheit, I. Gandhi wurde erneut Premiermin. Durch Auflösung und Neuwahlen der Parlamente in neun Bundesstaaten gelang es ihr bis Juni 1980, sich auch im Oberhaus eine Mehrheit zu verschaffen. Nach Rücktritt von Staatspräs. N. S. Reddy (1977-82) trat Zail Singh seine Nachfolge an (bis 1987). Militanter Separatismus und religiös-ethn. Spannungen führten auch in den 80er- und beginnenden 90er-Jahren zu einer instabilen innenpolit. Situation. V. a. in Punjab kam es wiederholt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den nach staatl. Autonomie strebenden Sikhs. Seinen Höhepunkt erreichte dieser Konflikt mit der Besetzung des Goldenen Tempels von Amritsar (Nationalheiligtum der Sikhs) im Juni 1984; kurz darauf wurde MinPräs. I. Gandhi von zwei ihrer Sikh-Leibwächter ermordet. Ihre Amtsnachfolge trat ihr Sohn R. Gandhi an, dessen Kongresspartei bei den Wahlen im Dez. 1984 eine Zweidrittelmehrheit im Unionsparlament erreichen konnte. Außenpolit. Versuche, das Verhältnis zu Pakistan zu verbessern, wurden v. a. durch das ungelöste Kaschmirproblem erschwert; 1987-90 unterhielt I. in Sri Lanka ein Truppenkontingent, um dort die blutigen Unruhen zw. Tamilen und Singhalesen einzudämmen. 1987 übernahm R. Venkataraman das Amt des Staatspräsidenten. Bei den Wahlen im Nov. 1989 verlor die Kongresspartei ihre absolute Mehrheit; nach dem Rücktritt R. Gandhis als MinPräs. bildete V. P. Singh (Vors. der Janata Dal Party, JD) eine Minderheitsregierung. Sein Versuch, den niedrigen Kasten größere soziale Rechte einzuräumen, sowie gewaltsame Ausschreitungen im religiösen Streit zw. Muslimen und Hindus um die Babri-Moschee in Ayodhya (angeblich über einem Hindu-Tempel erbaut) lösten 1990 eine Reg.krise aus (Rücktritt V. P. Singhs). Im Mai 1991 wurde R. Gandhi durch ein Bombenattentat getötet; sein Nachfolger als Vors. des INC(I), P. V. Narasimha Rao, trat nach dem Sieg seiner Partei bei den Parlamentswahlen im Juni 1991 auch das Amt des Reg.chefs an. Angesichts der schweren Wirtschaftskrise des Landes leitete er ein marktwirtsch. Reformprogramm ein (Privatisierung von Staatsbetrieben, Zulassung von Mehrheitsbeteiligungen ausländ. Investoren u. a.).
Mit der Zerstörung der Babri-Moschee (Dez. 1992) in Ayodhya und den Unruhen v. a. in Bombay (Frühjahr 1993) erreichten die blutigen Ausschreitungen fanat. Hindu-Fundamentalisten gegen Muslime einen Höhepunkt (mehrere Hundert Tote). Vor dem Hintergrund von Korruptionsvorwürfen bes. gegenüber Ministern und Abg. der Kongresspartei (Anfang 1996) verlor diese bei den allgemeinen Wahlen (April bis Juni 1996) ihre parlamentar. Mehrheit an die Bharatiya Janata Party (BJP). Nach dem Rücktritt von MinPräs. Rao (Mai 1996) übernahm im Juni 1996 H. D. D. Gowda (JD), im April 1997 I. K. Gujral (JD) die Führung einer von der Kongresspartei parlamentarisch gestützten Minderheitsreg. der United Front (UF). Nachfolger des Staatspräs. S. D. Sharma (seit 1992) wurde im Juli 1997 K. R. Narayanan. Mit ihm wurde zum ersten Mal in der Geschichte der Ind. Union ein Kastenloser in das höchste Staatsamt gewählt. Bei den von blutigen Ausschreitungen begleiteten Wahlen im Febr./März 1998 wurde die nationalist. BJP stärkste Partei; der BJP-Politiker A. B. Vajpayee (bereits 1996 kurzzeitig Reg.-Chef) übernahm das Amt des MinPräs. Unter der aus dem ind. Freiheitskampf bekannten Losung »Swadeshi« (Ziel, »dass Indien von den Indern aufgebaut wird«) leitete seine Reg. eine nationalistisch akzentuierte Wirtschafts- und Sicherheitspolitik ein. Nach dem Sturz der Reg. Vajpayee im April 1999 versuchte Sonia Gandhi (Präs. der Kongresspartei) erfolglos eine neue Reg. zu bilden; daraufhin wurden Neuwahlen für Sept. 1999 anberaumt.
Außenpolitisch suchte I. die gespannten Beziehungen zu den USA (ind. Nuklearprogramm) und zu China (umstrittener Grenzverlauf) zu verbessern. Mit dem indisch-russ. Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit (1993) knüpfte es an die früheren Beziehungen zur UdSSR an. Die nach 24 Jahren Pause im Mai 1998 überraschend von I. durchgeführten Atomwaffentests (Proklamation I.s zur Atommacht) stießen auf scharfe internat. Kritik (Verurteilung durch die Mitgl.-Staaten der Genfer Abrüstungskonferenz, Technologie- und Finanzboykott seitens der USA) und verschärften erneut die Spannung (mit dem ebenfalls Kernwaffentests durchführenden) Nachbarstaat Pakistan.
Literatur:
W. Draguhn. I. in den 90er Jahren, hg. v. Hamburg 1989.
I. Geschichte des Subkontinents von der Induskultur bis zum Beginn der engl. Herrschaft, hg. v. A. T. Embree u. F. Wilhelm. Frankfurt am Main 66.-67. Tsd. 1993.
Pulsfort, E.: Was ist los in der ind. Welt? Freiburg im Breisgau u. a. 1993.
Rothermund, D.: Staat u. Gesellschaft in I. Mannheim u. a. 1993.
I. Kultur, Geschichte, Politik, Wirtschaft, Umwelt. Ein Handbuch, hg. v. D. Rothermund. München 1995.
Schweizer, G.: I. Ein Kontinent im Umbruch. Stuttgart 1995.
I. Größte Demokratie der Welt zw. Kastenwesen u. Armut, Beiträge v. D. Bronger u. a. Gotha 1996.
Schwerin, K. Gräfin von: I. München 21996.
Das alte I. Geschichte u. Kultur des ind. Subkontinents, hg. v. H. G. Franz. Sonderausg. München 1998.
Fritz, M. u. Kämpchen, M.: Krischna, Rikscha, Internet. I.s Weg in die Moderne. München 1998.
Kulke, H. u. Rothermund, D.: Geschichte I.s von der Induskultur bis heute. München 21998.
Sie können einen Link zu dem Wort setzen

Ansicht: Indien