Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Indianerliteratur
Indianerliteratur,Bez. sowohl für die über die Indianer als auch für die von Indianern verfasste Literatur. - Die das Leben und die Gebräuche der Indianer darstellende I. von Nichtindianern hat bis heute die Vorstellungen der Weißen von Indianern maßgeblich geprägt. Die darin vermittelten Klischees vom »edlen« bzw. »barbar. Wilden« fanden zunächst in Reise- und Missionarsberichten, histor. und philosoph. Schriften ihre Verbreitung. Die Vorstellung vom heidn., aber »unschuldigen«, edlen Naturmenschen war seit dem 16. Jh. in Europa populär und diente v. a. im Frankreich des 18. Jh. den Philosophen der Aufklärung als Argument ihrer Zivilisationskritik. In Nordamerika dominierte dagegen lange das Bild des blutrünstigen, gottlosen Roten, das im 19. Jh. von der Verherrlichung der Indianer abgelöst wurde (J. F. Cooper). Seit der 2. Hälfte des 19. Jh. entwickelte sich eine realistischere I. In den 1960er-Jahren schließlich wurde »der Indianer« zur Identifikationsfigur der nach neuen Lebensformen und Einklang mit der Natur strebenden Gegenkultur und diente als Mittel ihrer Kritik an der Industriegesellschaft z. B. in K. Keseys Roman »Einer flog über das Kuckucksnest« (1962). - In Dtl. erschienen im 19. Jh. populäre, humanitär für die Indianer eintretende Romane (C. Sealsfield, F. Gerstäcker, B. Möllhausen, F. A. Strubberg, F. Pajeken und K. May).Die Literatur der indian. Bevölkerung Nordamerikas umfasst die jahrtausendealten mündl. Überlieferungen der versch. indian. Kulturen. Im Wortsinn des schriftlich Niedergelegten bezeichnet I. v. a. die von Indianern in engl. Sprache verfasste Literatur, die sich erst nach dem Kulturkontakt mit den Weißen entwickelte (zur I. in indian. Sprache Indianersprachen). Die ersten bed. Werke dieser I. entstanden in der 1. Hälfte des 19. Jh. und vermehrt nach Einweisung der Urbevölkerung in Reservationen im späten 19. und frühen 20. Jh. Es waren dies v. a. Autobiographien, die persönl. Erinnerung und Stammeskultur verbinden und z. T. mithilfe weißer Koautoren aufgezeichnet wurden. Daneben erschien erstmals Lyrik und erzählende Prosa. Erst in den 1960er-Jahren aber, parallel zu den Forderungen der Indianer nach Gleichberechtigung und Selbstbestimmung, gelang der I. der Durchbruch mit dem Roman »Haus aus Dämmerung« (1968) des Kiowa N. S. Momaday, während das neu erwachte indian. Selbstbewusstsein seinen Ausdruck in dem »indian. Manifest« »Custer died for your sins« (1969) des Sioux Vine Deloria jr. (* 1933) fand. Zu den bekanntesten Vertretern der modernen I. gehören die Tiwa Leslie Marmon Silko, der Blackfoot J. Welch, der Keres S. Ortiz, die sich zu den Chippewas bekennende Louise Erdrich und der Ojibwa G. R. Vizenor. (Vereinigte Staaten von Amerika, Literatur)
Literatur:
N. S. Momaday. American Indian authors, bearb. v. Neuausg. Boston, Mass., u. a. 1976.
Wiget, A.: Native American literature. Boston, Mass., 1985.
Dictionary of native American literature, hg. v. A. Wiget. New York u. a. 1994.
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