Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Indianer
Indianer, 1) Astronomie: (lat. Indus, Inder), Sternbild am Südhimmel.
2) Völkerkunde: die Ureinwohner (neben den Eskimo und Aleuten) des amerikan. Doppelkontinents; der Name geht auf den Irrtum Kolumbus' zurück, der bei seiner Landung in Amerika glaubte, Indien auf dem westl. Seeweg erreicht zu haben. Die I. sind wahrscheinlich über eine damals im Bereich der Beringstraße bestehende Landbrücke aus Asien eingewandert (zw. 25 000 und 8 000 v. Chr., möglicherweise schon seit etwa 40 000 v. Chr.). In der Anthropologie werden sie als Indianide zusammengefasst. Die Schätzungen über die Zahl der I. vor der europ. Kolonisation schwanken erheblich (zw. etwa 15 und mehr als 100 Mio.). Nordamerika: Die Sprachfamilien der Subarktis (Algonkin, Athapasken) und der NW-Küste (Tlingit, Haida, Chinook) waren einfache Jäger und Binnen- bzw. Küstenfischer, die I. Kaliforniens (Pomo, Yokuts) und des Great Basin (Shoshone, Paiute, Ute) und der angrenzenden Plateaus (Nez Percé, Flathead) waren Fischer (Lachs), Wildbeuter und Sammler (Eicheln) mit hoch entwickelter Korbflechtkunst. Die Sprachfamilien des nordöstl. (Algonkin, Irokesen) und I.-Völker des südöstl. Waldlandes (Cherokee, Creek, Natchez) sowie des SW (Hopi, Zuni, Keres u. a.) waren weitgehend sesshafte und intensive Feldbauern (Mais, Bohne, Kürbis), die künstl. Bewässerungssysteme und Tongefäße kannten. In den stammesübergreifenden Zusammenschlüssen, z. B. der Irokesenföderation, die aus den sechs Nationen der Onondaga, Mohawk, Seneca, Cayuga, Oneida und Tuscarora bestand, und der so genannten Fünf Zivilisierten Stämme (Creek, Choctaw, Chickasaw, Seminolen, Cherokee), zeigten sich Ansätze einer Staatenbildung, die diese I. kulturell in die Nähe der Hochkulturen Mittelamerikas und des westl. Südamerikas rückt. Eine Sonderstellung nahmen die I. der Prärien des Mittleren Westens (Dakotas, Arapaho, Cheyenne, Comanchen) ein. Urspr. Gartenbauern (Mais) und saisonale Jäger, entwickelten sie sich seit der Übernahme des Pferdes von den Spaniern (um 1630) schnell zu (auch krieger.) Reiterjägern, die nahezu ihren gesamten Lebensbedarf aus der Bisonjagd deckten. Typ. Waffen der I. waren vor der Verbreitung der Feuerwaffen Wurfbeil (Tomahawk), Keule sowie Pfeil und Bogen.Die Landnahme der Europäer war vom Widerstand und Freiheitskampf der nordamerikan. I. begleitet: 1680 verbündeten sich die Pueblo-I. im SW gegen die Spanier. 1755 vereinigte Häuptling Pontiac von den Ottawa mehrere Stämme im Gebiet der Großen Seen und führte 1763-66 einen Aufstand gegen die Engländer. Shawnee-Häuptling Tecumseh bemühte sich nach 1805 um ein Bündnis aller Stämme im Mittelwesten und S gegen die nach W vordringenden weißen Siedler (Scheitern seiner Pläne durch die Niederlage der I. in der Schlacht am Tippecanoe River 1811). Im 19. Jh. wurde das Schicksal der indian. Völker besiegelt. Viele Stämme wurden ab 1830 (Indian Removal Act) in das - mehrfach verkleinerte - Indianerterritorium umgesiedelt. Durch das Abschlachten von über 70 Mio. Bisons zw. 1830 und 1883 war den Prärie- und Plains-I. die Existenzgrundlage entzogen worden. Der letzte große Sieg der I. gegen die Armee der USA war die Schlacht der Dakotas u. a. Stämme unter Führung von Crazy Horse und Sitting Bull am Little Big Horn 1876. Weitere bekannte I.-Führer, die zumeist in blutigen Guerillakriegen um die Freiheit und die Rechte ihrer Stämme kämpften, waren u. a. die Apachen Cochise (✝ 1874) und Geronimo sowie der Häuptling der Nez Percé Chief Joseph (* um 1840, ✝ 1904). Mit dem Massaker am Wounded Knee 1890 war der indian. Widerstand gebrochen. Die einzelnen Stämme hatte man inzwischen alle in Indianerreservationen zusammengedrängt. - In den 1960er-Jahren formierte sich ein neuer Widerstand (»Red Power«). Seit den 1970er-Jahren forderten die I.-Stämme der USA und Kanadas die Erneuerung der gebrochenen Verträge bzw. Wiedergutmachung und konnten seit 1972 z. T. Schadensersatzansprüche gerichtlich durchsetzen. In den USA besitzen die I. seit 1924 allg. Staatsbürgerrecht, in Kanada seit 1960 Wahlrecht. - 1990 lebten in den USA etwa 2 Mio. I. (einschl. Eskimo und Aleuten; um 1890 etwa 300 000), davon mehr als die Hälfte außerhalb des Stammeslands; in Kanada (1991) 784 000, von denen nur die Hälfte staatlich anerkannt sind, dazu 213 000 als Autochthone anerkannte Mischlinge (Métis) und 49 000 Eskimo (Inuit).Lateinamerika: Zu unterscheiden sind die hoch entwickelten Staaten in Mittelamerika und im westl. Südamerika und die indian. Stammesvölker v. a. des trop. Tieflands im O und SO Südamerikas. Von den archäologisch bekannten Völkern Mittelamerikas (Olmeken, Azteken, Zapoteken, Mixteken, Tarasken, Totonaken, Maya) sowie von den Inka im westl. Südamerika überlebten nur noch die Nachfahren der bäuerl. Grundbevölkerung. Während die hoch entwickelten I.-Staaten schon bald nach der Ankunft der Spanier mit der Gefangennahme des Herrschers unterworfen wurden, kamen die I. der trop. Regenwälder nur zögernd, z. T. erst im 20. Jh., in Kontakt mit den Weißen. Heute sind bis auf einige Stämme im Amazonasgebiet sämtl. I. Lateinamerikas unterdrückt, z. T. auch ganze Stämme ausgerottet (z. B. Patagonier, Feuerland-I.). Die weitere Existenz der Tieflandstämme ist durch die großflächige Gewinnung von Bodenschätzen und Entwaldung sowie durch die zunehmende Verbreitung von Krankheiten gefährdet. Außerhalb der Zentralanden rechnet man noch mit 1,5-2 Mio. I.; vor allem in den Anden kam es zu einer intensiven, auch kulturellen Vermischung mit den Weißen, bes. mit den Spaniern.Religion: Vielgestaltig sind die Religionen und mytholog. Vorstellungen der Indianer. - Bei den I. Nordamerikas war der Glaube an einen Hochgott (Großer Geist) weit verbreitet; in vielen Stämmen ist daneben die Gestalt eines Heilbringers nachweisbar, auf den auch der Besitz der Kulturgüter zurückgeführt wird. Typ. Erscheinungen sind Totemismus und Initiationsriten. Der Kult der I. hatte oft ekstat. Charakter. Der Seelen- und Unsterblichkeitsglaube verband sich mit der Vorstellung von einem Jenseitsreich, das an unterschiedl. Orten gedacht und von den Jägerstämmen als »ewige Jagdgründe« angesehen wurde. Die Verbindung zur Geister- und Dämonenwelt wurde vielfach von einem Medizinmann aufrechterhalten, der auch Funktionen eines Priesters hatte. - Ähnl. Vorstellungen finden sich auch bei den indian. Naturvölkern Lateinamerikas.
Literatur:
Helfritz, H.: Amerika. Inka, Maya u. Azteken. Neuausg. Augsburg 1986.
Rockstroh, W.: USA, der Südwesten. Indianerkulturen u. Naturwunder zw. Colorado u. Rio Grande. Köln 81988.
Die I. Kulturen u. Geschichte, Beiträge v. W. Lindig u. M. Münzel, 2 Bde. München 5-61992-94.
Läng, H.: Kulturgeschichte der I. Nordamerikas. Bindlach 81994.
Müller, Wolfgang: Die I. Amazoniens. München 1995.
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