Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Hessen
Hẹssen,Land in der Mitte von Dtl., 21 115 km2, (1998) 6,032 Mio. Ew.; Hptst. ist Wiesbaden.
Landesnatur: Der größte Teil des durch Becken und Senken stark gekammerten Landes liegt im Bereich der dt. Mittelgebirgsschwelle. Mit Taunus, Hohem Westerwald, Rothaargebirge und Gladenbacher Bergland gehört der W zum Block des Rhein. Schiefergebirges. Nach NO und O schließt das reich bewaldete Hess. Bergland an. Es wird durch zwei verkehrswichtige Senken (West- und Osthess. Senke) und Becken in einzelne Gebirgslandschaften gegliedert. Der Vogelsberg ist das flächenmäßig größte zusammenhängende Gebiet vulkan. Gesteine in Mitteleuropa. Die höchste Erhebung ist mit 950 m ü. M. die Wasserkuppe in der nur zum kleinen Teil in H. gelegenen Rhön. Im S hat H. Anteil an der Oberrhein. Tiefebene (die sich nach N in der Wetterau fortsetzt), am Odenwald und am Spessart. Zw. Wiesbaden und Rüdesheim erstreckt sich der Rheingau. Zum Rhein entwässern Main (mit Kinzig und Nidda) und Lahn (mit Ohm, Dill, Weil, Aar), zur Weser entwässert die Fulda (Nebenfluss Eder mit Schwalm); nahe der Grenze zu Thüringen durchfließt die Werra den äußersten NO. - In den Beckenzonen besitzt das Klima kontinentale Züge (bes. ausgeprägt an der Bergstraße und im Rheingau) mit relativ geringen Niederschlägen und höheren Temperaturen. In den höheren Lagen des Rhein. Schiefergebirges und im Hohen Vogelsberg ist das Klima dagegen feuchter und kühler.Bevölkerung: Nach 1945 nahm H. eine große Zahl von Flüchtlingen auf. Eine starke Binnenwanderung hat zu einem Bev.rückgang im weitgehend agrarisch geprägten Nord- und Mittel-H. zugunsten einer erhebl. Konzentration im Rhein-Main-Gebiet geführt, in dem rd. 30 % der hess. Bev. leben. Einziger Ballungsraum Nord-H.s ist Kassel. H. hat einen Ausländeranteil von 12,7 % (v. a. Türken, Menschen aus dem Gebiet des ehem. Jugoslawien und Italiener). Die Bev. ist zu rd. 47 % evangelisch und zu 29 % katholisch. Die jüd. Religionsgemeinschaft hat rd. 8 800 Mitgl. (Frankfurt am Main hat die nach Berlin zweitgrößte jüd. Gemeinde in Dtl.). - H. hat vier Univ. (Frankfurt am Main, Gießen, Marburg, Kassel) und eine TH (Darmstadt). Außerdem bestehen eine Privat-Univ. (European Business School in Oestrich-Winkel) sowie Kunst- und Fachhochschulen.Wirtschaft: Die nach dem Ruhrgebiet größte Ind.dichte in Dtl. besitzt das Rhein-Main-Gebiet mit chem.-pharmazeut. Ind., Maschinen- und Fahrzeugbau, Elektro- und Elektronikindustrie. Um Kassel sind Waggon-, Lokomotiv-, Kfz-Bau u. a. Ind.zweige vertreten. Textil- und Bekleidungsind. sind v. a. in Fulda von Bedeutung. In Mittel-H. mit Schwerpunkt Wetzlar herrschen feinmechan.-opt. Ind., Gießereien und Metall verarbeitende Ind. vor. Offenbach am Main ist Standort der Lederind., Darmstadt und Wiesbaden der chem. Industrie. Ein bes. großes Gewicht kommt dem Dienstleistungssektor zu. Besonderen Anteil haben Frankfurt am Main als internationales Finanz- und Handelszentrum mit Wertpapier- und Produktenbörse sowie Wiesbaden (Versicherungsunternehmen, Landesverwaltung). - An Bodenschätzen werden Kalisalz sowie in geringem Maße Erdöl und Erdgas gefördert; die Braunkohlenförderung wurde eingestellt. In H. liegen mehrere Heilbäder (Wiesbaden, Schlangenbad, Bad Homburg v. d. H., Bad Soden u. a.), außerdem wird Mineralwasser (Niederselters, Bad Vilbel u. a.) abgefüllt. - 37 % der Gesamtfläche werden landwirtsch. genutzt. Ackerbau, bes. der Anbau von Weizen und Zuckerrüben, dominiert in den Beckenlandschaften. Der Anteil an Dauergrünland ist bes. hoch in den Basaltlandschaften (Hoher Westerwald, Hohe Rhön, Hoher Vogelsberg). An Sonderkulturen ist im Rheingau und an der Bergstraße der Weinbau verbreitet, im Hess. Ried Anbau von Spargel und Gurken, in der Wetterau von Gemüse und Rosen, im Vortaunus und an der Bergstraße Obstbau, um Witzenhausen Kirschkulturen. 39,7 % der Fläche werden von Wald eingenommen. - H.s verkehrsgeograph. Mittelpunkt liegt im Rhein-Main-Gebiet mit einem bes. dichten Autobahnnetz und dem internat. Flughafen von Frankfurt am Main (zweitgrößter Passagierflughafen Europas), das auch ein Eisenbahnknotenpunkt ist. Neben Rhein und Main sind auch Weser und z. T. Fulda und Lahn schiffbar. Wichtigster Binnenhafen ist der von Frankfurt am Main.Verfassung: Nach der Verf. vom 1. 12. 1946 liegt die Legislative beim Landtag (110 Abg., für vier Jahre gewählt). Er wählt den MinPräs., der die Mitgl. des Kabinetts beruft. Der gesamten Landesreg. muss das Vertrauen des Parlaments ausgesprochen werden. Die Verf. räumt der Bev. das Recht ein, über Volksentscheid an der Gesetzgebung teilzunehmen.
Geschichte: Die urspr. in H. siedelnden Kelten wurden bereits vor der Zeitenwende von Germanen verdrängt. Während dann S-Hessen römisch wurde, blieb N-Hessen Gau der Chatten. Seit dem 6. Jh. wurde H. in den fränk. Machtbereich einbezogen. Die drei wichtigsten Klöster Fritzlar, Hersfeld und Fulda wurden Ende des 8. Jh. Reichsabteien (Letztere errangen umfangreiche Güter auch in Thüringen). Das seit dem 9. Jh. führende Grafenhaus der Konradiner stellte mit Konrad I. 911-918 den »dt.« König. Im hohen MA. wurden als Reichsbannerträger die Grafen Werner und nach ihnen (1121) die Gisonen führend. 1122 folgten ihnen die Ludowinger, ab 1130 Landgrafen von Thüringen, die in langwierigen Kämpfen territoriale Ansprüche des Erzbistums Mainz auf H. abwehren mussten. Als sie im Mannesstamm 1247 erloschen (Tod Heinrich Raspes), führte der hessisch-thüring. Erbfolgekrieg (1247-64) zw. den Wettinern und der thüring. Landgräfin Sophie von Brabant zur Trennung Thüringens von H., das als Landgrafschaft an Sophies Sohn, Heinrich I., das Kind (✝ 1308), kam. 1292 wurde die Landgrafschaft zum Reichsfürstentum erhoben. Unter Philipp I., dem Großmütigen (1509-67), entwickelte sich H. zu einer die dt. Geschichte wesentlich beeinflussenden Macht. Durch die Landesteilung nach seinem Tod 1567 entstanden die Linien H.-Kassel, H.-Marburg (1604 an H.-Kassel), H.-Rheinfels (1583 an H.-Darmstadt) und H.-Darmstadt.H.-Kassel, die ältere Linie, umfasste die Hälfte des bisherigen Landes. Nach dem »H.-Krieg« zw. H.-Kassel (Landgräfin Amalie Elisabeth [1637-51]) und H.-Darmstadt wurde 1648 die Teilung in H.-Kassel und H.-Darmstadt bestätigt. Landgraf Karl (1670-1730) zog viele Hugenotten nach H. und führte das Land zu einer Blüte. Friedrich I. (1730-51) wurde als Schwager Karls XII. (1720) König von Schweden. Für ihn führte sein Bruder Wilhelm (VIII.) die Reg.; er gründete die Kasseler Gemäldegalerie. Unter Wilhelm IX. (1785-1821) wurde H. durch den Reichsdeputationshauptschluss 1803 Kurfürstentum: Kurhessen. Dieses wurde 1807 dem Königreich Westfalen angegliedert und 1813-15 wieder hergestellt. Unter dem Druck von Unruhen unterzeichnete Wilhelm II. (1821-47) die liberale Verf. von 1831 und übertrug die Reg. dem Kurprinzen Friedrich Wilhelm. Eine liberale Reg. (1848/49) wich 1850 (Rückkehr H. D. Hassenpflugs) wieder einem reaktionären Kurs. Die Verfassungskämpfe hielten unter ständigen Eingriffen Preußens und des Bundestags (1853 Besetzung H.s) an, auch als 1862 die alte Verf. von 1831 wieder hergestellt wurde. Im Dt. Krieg von 1866 stellte sich der Kurfürst, entgegen dem Neutralitätswillen des Landes, auf die österr. Seite. H.-Kassel wurde daraufhin Preußen einverleibt, der Kurfürst verbannt. 1868 entstand die preuß. Provinz H.-Nassau; sie umfasste v. a. H.-Kassel, das Herzogtum Nassau, H.-Homburg sowie die Freie Stadt Frankfurt; Hptst. wurde Kassel. 1929 wurde Waldeck, 1932 der Kreis Wetzlar angegliedert. 1944 wurde H.-Nassau wieder in zwei Provinzen geteilt: Nassau und Kurhessen.H.-Darmstadt, die jüngere Linie, von Philipps jüngstem Sohn, Georg I. (1567-96), gestiftet, stand später stets auf der Seite Habsburgs, daher oft gegen H.-Kassel. 1622 spaltete sich die Landgrafschaft H.-Homburg ab (1868 der preuß. Provinz H.-Nassau angegliedert). Landgraf Ludwig X. (1790-1830) trat dem Rheinbund bei und wurde als Ludwig I. Großherzog (1806); 1813 schloss er sich den Verbündeten gegen Napoleon I. an, trat 1815 Westfalen an Preußen ab, erhielt das Fürstentum Isenburg-Birstein sowie linksrhein. Gebiete, die zur Provinz Rheinhessen zusammengefasst wurden. Das Großherzogtum H. erhielt 1820 eine Verfassung. Unter dem Einfluss des Min. K. du Thil schloss sich H.-Darmstadt als eines der ersten dt. Länder 1828 dem preuß. Zollsystem an. Ludwig II. (1830-48) musste 1848 dem liberalen Oppositionsführer Heinrich von Gagern die Reg. übertragen. Ludwig III. (1848-77) trieb in Anlehnung an Österreich Restaurationspolitik. Der Min. R. von Dalwigk führte H.-Darmstadt im Dt. Krieg 1866 auf die Seite Österreichs. 1867 folgte eine Militärkonvention sowie ein Bündnis mit Preußen; 1871 trat H.-Darmstadt dem Dt. Reich bei. Im Zuge der Novemberrevolution 1918 wurde Großherzog Ernst Ludwig (1892-1918) abgesetzt und im Dez. 1919 der Volksstaat H. gebildet. In ihm stellte die SPD (1919-31 stärkste Partei) den Staatspräs. (1919-28 C. Ulrich, 1928-31/33 B. Adelung). Nach der nat.-soz. Gleichschaltung 1933 unterstand das Land bis 1945 einem nat.-soz. Reichsstatthalter (J. Sprenger).Das Land H. wurde am 19. 9. 1945 von der amerikan. Militärreg., zunächst unter dem Namen Groß-H., aus dem größten Teil der ehem. preuß. Provinz H.-Nassau und dem Volksstaat H. gebildet (1. MinPräs.: K. Geiler; am 1. 12. 1946 Volksabstimmung zur Annahme der Verf.). Die SPD (1946-74 stärkste Partei des Landtags, 1950-54 und 1962-70 absolute Mehrheit) stellte die MinPräs.: C. Stock (1946-50), G. A. Zinn (1950-69), A. Osswald (1969-76), H. Börner (1976-87; 1982-84 nur geschäftsführend); dabei stand die SPD in Koalition mit anderen Parteien (1970-82 mit der FDP, 1985-87 mit den Grünen [seit 1982 im Landtag]). 1987-91 war W. Wallmann (CDU) MinPräs. einer CDU-FDP-Koalition. 1991 kam es zu einer neuen Koalitionsreg. von SPD und Grünen (seit 1993 Bündnis 90/Die Grünen) unter B. Eichel (SPD), die nach den Wahlen von 1999 von einer CDU/FDP-Koalition unter R. Koch abgelöst wurde.
Literatur:
W. Heinemeyer. Das Werden H.s, hg. v. Marburg 1986.
Pletsch, A.: H. Darmstadt 1989.
H. in der Geschichte, hg. v. C. Dipper. Darmstadt 1996.
H. Verfassung u. Politik, hg. v. B. Heidenreich u. a. Stuttgart 1997.
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