Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Haiti
Haiti Fläche: 27 750 km2
Einwohner: (1995) 7,18 Mio.
Hauptstadt: Port-au-Prince
Verwaltungsgliederung: 9 Départements
Amtssprache: Französisch und Kreolisch
Nationalfeiertag: 1. Januar
Währung: 1 Gourde (Gde.) = 100 Centimes (cts.)
Zeitzone: MEZ — 6 Std.
(amtlich frz. République d'Haïti, kreol. Repíblík Dayti; dt. Rep. H.), Staat im Bereich der Westind. Inseln, umfasst den westl. Teil der Insel Hispaniola und grenzt im O an die Dominikan. Republik.
Staat und Recht: Nach der Verf. vom 28. 4. 1987 ist H. eine präsidiale Rep.; Staatsoberhaupt und oberster Inhaber der Exekutivgewalt ist der für fünf Jahre direkt gewählte Präs.; er ernennt den MinPräs., der vom Parlament bestätigt wird. Die Legislative liegt beim Zweikammerparlament, bestehend aus dem für sechs Jahre gewählten Senat (27 Mitgl.) und dem für vier Jahre gewählten Abg.haus (83 Abg.). - Einflussreichste Parteien: Das aus Organisation du Peuple en Lutte (OPL), Mouvement pour l'Organisation du Pays (MOP) und Pati Louvri Baryè (PLB) bestehende Parteienbündnis Plate-forme Politique Lavalas (PPL), der Front National pour le Changement et la Démocratie (FNCD; dt. Nat. Front für Wandel und Demokratie) und La Fanmi Lavalas.
Landesnatur: H. umfasst das westl. Drittel der Insel Hispaniola und ist durch vier Gebirgszüge mit dazwischen liegenden Becken bzw. [Küsten]ebenen gegliedert. Die höchste Erhebung liegt im SO (Pic de la Selle, 2 680 m ü. M.). - Das randtrop. Klima mit sommerl. Regenzeit und winterl. Trockenzeit wird durch das Relief differenziert. Bis auf die Trockengebiete mit Sukkulenten und Dornsträuchern im Regenschatten der Gebirge und der anschließenden Senkenzonen ist das ursprüngl. Pflanzenkleid durch die landwirtschaftl. Nutzung stark dezimiert. Den Niederschlägen und Höhenlagen entsprechend zeigt es den Wandel von immergrünem Regen- und Bergwald zu regengrünem Feucht- und Trockenwald, Feucht- und Trockensavanne.
Bevölkerung: Die heutigen Bewohner sind überwiegend Nachkommen der im 18. Jh. aus Westafrika für die Plantagenarbeit eingeführten Sklaven. In den Städten leben Mulatten (etwa 10 % der Bev.), die die Ober- und Mittelschicht bilden. Das durch die hohe Geburtenrate bedingte Bev.wachstum wird durch die ebenfalls hohe Sterberate, bes. die Säuglingssterblichkeitsquote (über 10 %), sowie durch starke Auswanderung (jährlich etwa 50 000 Ew.) gebremst. - Allg. Schulpflicht (unentgeltl. Unterricht) besteht zw. dem 6. und 12. Lebensjahr; es gibt zahlreiche private (Missions- und Ordens-)Schulen; in Port-au-Prince gibt es eine Univ. (gegr. 1944). Die Analphabetenquote (43 %, in ländl. Gebieten rd. 80 %) zählt zu den höchsten Lateinamerikas. - Offiziell sind rd. 80 % der Bev. katholisch, rd. 19 % protestantisch; die eigentl. Volksreligion H.s ist jedoch der Wodukult; eine religiöse Minderheit bilden die Bahais.
Wirtschaft, Verkehr: H. ist ein übervölkerter Agrarstaat mit dem geringsten Pro-Kopf-Einkommen Lateinamerikas. Die Landwirtschaft beschäftigt etwa zwei Drittel der Erwerbstätigen, trägt jedoch nur noch rd. 30 % zum Ausfuhrwert (v. a. Kaffeeexport) bei. Infolge ungünstiger klimat. Bedingungen (Trockenperioden, Wirbelstürme), wachsender Erosionsschäden (Vernichtung der Wälder durch Raubbau und Brandrodung) und einer im Vergleich zu anderen lateinamerikan. Ländern extremen Zersplitterung der Anbaufläche deckt der Anbau von Mais, Reis, Bataten, Maniok, Bohnen u. a. nur rd. 60 % des Eigenbedarfs. Großbetriebe in den Küstenebenen erzeugen Zucker, Sisal und Baumwolle für den Export. Die umfangreichen Rohstoffvorkommen werden kaum genutzt. Neben der überwiegend auf der Landwirtschaft basierenden Kleinind. erfolgt, begünstigt durch niedrige Löhne, die Weiterverarbeitung von importierten Halbfertigwaren der Bekleidungs-, Spielzeug- und Elektronikind. durch ausländ. Unternehmen. Eine wichtige Devisenquelle sind die Überweisungen im Ausland lebender Haitianer. Der Tourismus spielt im Unterschied zur benachbarten Dominikan. Rep. keine Rolle. - H. ist verkehrsmäßig noch wenig erschlossen. Von dem etwa 4 000 km langen Straßennetz sind nur 600 km asphaltiert. Die letzte Eisenbahnlinie wurde 1990 stillgelegt. Wichtigste Häfen sind Port-au-Prince und Cap Haïtien; internat. Flughafen in Port-au-Prince.
Geschichte: Die Insel wurde 1492 von Kolumbus entdeckt und Hispaniola (span. Española), später nach der Hptst. Santo Domingo frz. Saint-Domingue genannt. 1697 musste Spanien im Frieden von Rijswijk den westl. Teil an Frankreich abtreten, der sich zur reichsten frz. Kolonie entwickelte. In der Folge der Frz. Revolution brach 1791 ein Aufstand der farbigen Bev. gegen die weiße Oberschicht aus, der von F. D. Toussaint Louverture geführt wurde. Nach der Sklavenbefreiung (1794) vertrieb er - nun im Dienst Frankreichs - engl. und span. Invasoren; der Krieg endete 1804 mit dem Sturz der frz. Herrschaft und der Ausrufung eines unabhängigen Staates H. unter Kaiser Jacques I. (eigtl. J. J. Dessalines). Nach dessen Ermordung 1806 spaltete sich H. in eine Mulattenrep. im S und einen Negerstaat im N; 1808 kam der östl. Teil der Insel wieder unter span. Kontrolle. 1820/22 vereinigten sich alle Teilstaaten; Präs. und Diktator der gesamten Insel war bis 1844 J. P. Boyer. Nach seinem Sturz gründeten span. Kreolen die Dominikanische Republik. Der nun auf den W der Insel beschränkte Staat H. wurde 1849-59 von Kaiser Faustin I. (eigtl. F. Soulouque) regiert, danach herrschten Anarchie und Bürgerkrieg. 1915-34 besetzten die USA das Land, das noch bis 1947 unter amerikan. Finanzkontrolle blieb. Nach Machtkämpfen und Unruhen wurde 1957 F. Duvalier zum Präs. gewählt, 1964 ernannte er sich zum Präs. auf Lebenszeit. Gegen seine Willkürherrschaft kam es wiederholt zu Aufständen und Putschversuchen. Sein von ihm selbst bestimmter Nachfolger wurde 1971 sein Sohn J. C. Duvalier, der das diktator. Regime weiterführte, bis er 1986 nach erneuten Unruhen ins Exil gehen musste. Die privilegierte Stellung der Anhänger Duvaliers in Militär und Verwaltung wurde auch in der folgenden Zeit nicht angetastet. Vor dem Hintergrund landesweiter Unruhen und eines von versch. gesellschaftl. Kräften getragenen Aufrufs zum Generalstreik trat der 1988 durch Putsch an die Macht gelangte Präs. P. Avril im März 1990 zurück. Aus den ersten freien Präsidentschaftswahlen seit mehr als 30 Jahren im Dez. 1990 ging J.-B. Aristide, ein Anhänger der Befreiungstheologie, als Sieger hervor (Amtsantritt: Febr. 1991). Unter Führung des Armeechefs R. Cédras wurde er Ende Sept. 1991 gestürzt und musste ins Exil gehen. Internat. Sanktionen gegen das Militärregime verschärften die wirtschaftl. und sozialen Probleme. Unter dem Druck einer Seeblockade (seit Okt. 1993) und einer militär. Invasion (Sept. 1994) unter Führung der USA traten die Militärmachthaber zurück. Im Okt. 1994 konnte Aristide seine Amtsgeschäfte wieder aufnehmen. Bei den Präsidentschaftswahlen von Dez. 1995, bei denen Aristide verfassungsgemäß nicht mehr kandidierte, wurde R. Préval (OPL) zum Staatspräs. gewählt (Amtsantritt: Febr. 1996). Die Interventionsstreitkräfte wurden im Febr. 1996 durch eine UN-Friedenstruppe ersetzt. Trotz internat. Wirtschafts- und Finanzhilfe ist die Gesellschaft mit großer Armut und wachsender Kriminalität konfrontiert. Der polit. Führung gelang es bisher nicht, tragfähige Strukturen für einen wirtschaftl. Aufschwung auszubauen.
Literatur:
Ferguson, J.: Papa Doc, Baby Doc. H. and the Duvaliers. Neuausg. Oxford 1989.
Métraux, A.: Voodoo in H. A. d. Frz. Gifkendorf 1994.
Bernecker, W. L.: Kleine Geschichte H.s. Frankfurt am Main 1996.
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