Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Griechenland
Griechenland Fläche: 131 957 km2
Einwohner: (1997)10,511 Mio.
Hauptstadt: Athen
Verwaltungsgliederung: 13 Regionen, Mönchsrep. Athos
Amtssprache: Neugriechisch
Nationalfeiertag: 25. 3.
Währung: 1 Drachme (Dr.) = 100 Lepta
Zeitzone: MEZ + 1 Std.
(neugrch. Ellas, altgrch. Hellas, neugrch. amtlich Elliniki Dimokratia; dt. Griechische Rep. und Hellenische Rep.), Staat in SO-Europa, grenzt im NW an Albanien und Makedonien, im N an Bulgarien, im NO an den europ. Teil der Türkei; im O liegen einige der Ägäischen Inseln dicht vor der asiat. Küste der Türkei.
Staat und Recht: Nach der im März 1986 revidierten Verf. vom 11. 6. 1975 ist G. eine parlamentar. Rep. mit präsidialen Elementen. Staatsoberhaupt ist der vom Parlament auf fünf Jahre gewählte Präsident. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, ernennt den MinPräs. sowie auf dessen Vorschlag die übrigen Mitgl. des Kabinetts. Die Exekutive liegt bei der Reg., die durch Misstrauensvotum des Parlaments gestürzt werden kann. Höchstes Legislativorgan ist das Einkammerparlament, die Nationalversammlung (höchstens 300 Abg., für vier Jahre gewählt). Einflussreichste Parteien sind die Panhellen. Sozialist. Bewegung (PASOK), die konservativ-liberale Neue Demokratie (ND), die Partei Polit. Frühling (POLA) und die Kommunist. Partei (KKE).
Landesnatur: G. umfasst den südl. Teil der Balkanhalbinsel mit der Peloponnes. Ferner gehören zu G. die Ion. Inseln, die Inseln des Ägäischen Meeres (Sporaden, Kykladen, die der kleinasiat. Küste vorgelagerten Inseln außer Īmroz [Imbros] und Bozca Ada [Tenedos]) sowie die südägäische Inselgruppe (u. a. Kreta und Rhodos). Der Halbinsel- und Inselstaat hat rd. 15 000 km Küsten (4 100 km Festlandsküsten), die meist felsig und reich an Buchten sind. Das Innere wird von Gebirge (drei Viertel der Oberfläche) und Beckenlandschaften eingenommen: Im N (W-Thrakien, Griechisch-Makedonien) finden sich hohe Gebirgszüge und fruchtbare oder versumpfte Ebenen. In NW-G. liegt Epirus, eine baumlose gebirgige Landschaft, die von Thessalien durch das Pindosgebirge (im Smolikas 2 637 m ü. M.) getrennt ist. Das Gebirgssystem setzt sich fort in den Gebirgen der Peloponnes (im Taygetos bis 2 407 m ü. M.) und bis nach Kreta. Der Olymp (nördlich des thessal. Beckens) ist mit 2 917 m ü. M. der höchste Berg des Landes. Erdbeben sind häufig. Die Peloponnes, die größte Halbinsel G.s, ist mit dem Festland nur durch den schmalen Isthmus von Korinth verbunden. Wardar, Struma und Maritza sind die bedeutendsten Flüsse.
Das Klima ist mittelmeerisch mit heißen, trockenen Sommern, nördl. Winden (Etesien) und milden, feuchten Wintern. Es wird von S nach N merklich rauer. Die W-Seite erhält wesentlich mehr Niederschläge als der O. In den Gebirgen liegt im Winter regelmäßig Schnee. Die immergrüne mediterrane Hartlaubvegetation ist auf die Küsten und Tiefländer beschränkt. Daran schließen sich bis rd. 2 000 m ü. M. Laubmischwälder, in höheren Lagen auch Nadelwald an, darüber folgen alpine Matten. Schon seit der Antike wurden die ursprünglichen Wälder durch Umwandlung in Kulturland, Beweidung und Holzentnahme weitgehend zerstört; Macchie und Phrygana (eine Form der Garrigue) entstanden.
Bevölkerung: Rd. 95 % der Bev. sind Griechen, sonst Angehörige nat. Minderheiten wie Makedonier, Türken und Pomaken, Albaner, Aromunen, Sarakatsanen (griechischsprachige Bev. aromun. Herkunft), Bulgaren und Roma. Knapp 98 % der Bev. gehören der grch.-orthodoxen Kirche an; daneben kleinere Gruppen von Muslimen, Katholiken, Protestanten, armen. Christen, Juden. - Am dichtesten besiedelt sind die Becken- und Küstenlandschaften und einige Inseln. 64 % der Ew. leben in Städten, über ein Drittel der Gesamtbev. in der Region Athen-Piräus. Wichtig sind Emigration und Remigration; bereits vor 1900 hatte die Auswanderung nach Übersee begonnen; über 1 Mio. Menschen verließen seit 1945 als Auswanderer auf Dauer (v. a. in die USA, nach Australien und Kanada) und auf Zeit (Gastarbeiter) das Land. - Es besteht neunjährige Schulpflicht (7.-15. Lebensjahr). Den Pflichtschulbereich bilden Primarschule (6 Jahre) und Gymnasium (drei Jahre; Sekundarstufe I). Auf dem Gymnasium baut das Lyzeum auf (drei Jahre; Sekundarstufe II), das zur Hochschulreife führt. Univ. in Athen, Saloniki, Ioannina, Patras, Komotini, Rethymnon/Heraklion sowie in Athen eine techn. Hochschule, die Hochschule für polit. Wiss., die Hochschule für Wirtschaftswiss., die landwirtsch. Hochschule und die Kunsthochschule; Ind.hochschulen in Piräus und Saloniki.
Wirtschaft, Verkehr: Seit 1981 ist G. Vollmitgl. der EG. Bergbau und Ind. haben die Landwirtschaft aus ihrer führenden Rolle verdrängt. Nur etwa 22 % der Gesamtfläche dienen heute dem Ackerbau (davon 30 % mit Bewässerung, 20 % mit dichtem Fruchtbaumbestand); etwa 40 % werden als Weiden genutzt. Kleinbetriebe herrschen vor (70 % aller Betriebe bewirtschaften weniger als 5 ha). Wichtigste Anbauerzeugnisse sind Weizen, Gerste, Mais, Baumwolle, Zuckerrüben, Oliven, Weintrauben (für Wein, Rosinen, Korinthen und als Tafeltrauben), Tabak, Tomaten, Obst (bes. Zitrusfrüchte). Daneben hat die Viehwirtschaft, bes. auf den Bergweiden betrieben, Bedeutung für die Eigenversorgung (Rinder-, Schaf- und Ziegenhaltung). Die Forstwirtschaft ist wegen geringen Bestands (rd. 20 % der Fläche tragen Wald und Busch) unbedeutend; fast 90 % des Nutzholzbedarfs muss eingeführt werden; Harzgewinnung für die Herstellung von Retsina. Auch die Fischerei (sauerstoffarme Küstengewässer; Überfischung) kann den heim. Bedarf nicht decken.Zu der Verarbeitung landwirtsch. Produkte (Konserven-, Textil-, Zuckerfabriken) kamen chem. Ind. (Kunstdüngererzeugung), Metallind. (Stahl- und Aluminiumerzeugung, Nickelerzverhüttung), Schiffbau und Mineralölverarbeitung. Hauptstandorte der Ind. sind der Ballungsraum Athen-Piräus, Saloniki, Patras sowie einige Mittelstädte auf Euböa und in Thessalien. - Die wichtigsten Erzeugnisse des Bergbaus sind Braunkohle, Bauxit, Magnesit; ferner Manganerze, Marmor, Perlit, Schmirgel, Bentonit, Puzzolane u. a.; Erdöl und Erdgas (bei der Insel Thasos in der nördl. Ägäis) werden seit 1981 gefördert. - Der Energiebedarf wird zu 40 % aus eigenen Quellen gedeckt, davon über 30 % aus Braunkohlebeständen.Der Außenhandel zeigt seit langem einen beträchtl. Einfuhrüberschuss, z. T. ausgeglichen durch Erlöse aus dem Fremdenverkehr (1994 11,4 Mio. Touristen) und durch Geldüberweisungen grch. Gastarbeiter. Importiert werden bes. Erdöl, Maschinen, Fahrzeuge sowie Nahrungsmittel, exportiert Textilien und Bekleidung, Erdölprodukte, Obst, Eisen, Stahl, Aluminium, Tabak. Haupthandelspartner: Dtl., Italien, Frankreich, die Niederlande, Japan, Großbritannien und die USA. - Die natürl. Gegebenheiten erschweren den Landverkehr: (1991) 2 484 km Eisenbahnlinien; (1992) 38 606 km Straßen, davon 8 955 km Nationalstraßen. G. ist eines der bedeutendsten Schifffahrtsländer der Erde. Eine große Rolle spielen hier sowohl die Küstenschifffahrt als auch der Überseeverkehr (Deviseneinnahmen). Wichtigste Häfen: Piräus, Saloniki und Volos. Für die Küstenschifffahrt und den Passagierverkehr hat der Kanal von Korinth Bedeutung. Größter internat. Flughafen ist Athen (Hellenikon), weitere internat. Flughäfen sind Saloniki, Heraklion, Korfu, Rhodos; staatl. Fluggesellschaft: »Olympic Airways«.
Geschichte: Zur Vorgeschichte Mittelmeerraum.Frühzeit (bis etwa 800 v. Chr.): Schauplatz der grch. Geschichte i. w. S. ist der gesamte von den Griechen besiedelte Raum der Mittelmeerwelt, i. e. S. die von den Griechen »Hellas«, von den Römern »Graecia« gen. Halbinsel, die zugehörigen grch. besiedelten Inseln und die Inseln des Ägäischen Meeres. Hier wanderten seit Beginn des 2. Jt. v. Chr. die indogerman. Stämme der Ionier, Äolier und Achaier ein und vermischten sich mit der ansässigen mediterranen Vorbev. der Karer, Leleger und Pelasger. Sie begründeten die mittelhellad. Kultur, seit etwa 1550 v. Chr. unter dem Einfluss des minoischen Kreta die myken. Kultur. Es entstanden offenbar größere Territorialherrschaften mit befestigten Zentren (Mykene, Pylos, Argos, Athen, Theben) und einer entwickelten Verwaltung. Seit 1450 v. Chr. griffen die Achaier auch nach Kreta über und machten dort der minoischen Kultur ein Ende. Im 12. Jh. vollzog sich (neuerdings angezweifelt) die Einwanderung der Dorer, die u. a. große Teile Mittel-G.s und der Peloponnes besiedelten. Gleichzeitig wurden die Äolier und Ionier z. T. nach Kleinasien abgedrängt (1. grch. Kolonisation).Achaische Zeit (etwa 800-500 v. Chr.): Nach 800 v. Chr. begann eine neue Ausbreitung der Griechen nach O und W durch Gründung zahlr. Siedlungen in Unteritalien, Sizilien, an den Küsten des Hellesponts, Bosporus, des Schwarzen Meeres sowie in N-Afrika (2. grch. Kolonisation). Das Königtum wurde in den meisten grch. Staaten durch eine Adelsherrschaft verdrängt. Es bildete sich der Gemeindestaat der Polis mit Jahresbeamten (Archon), Rat (Bule) und Volksversammlung (Ekklesia, Ecclesia) heraus. Auf dem Festland traten Sparta und Athen immer mehr hervor. Der von zwei gemeinschaftlich regierenden Königen beherrschte spartan. Militärstaat unterwarf im 8. und 7. Jh. Messenien und sicherte sich die Vorherrschaft (Hegemonie) in der Peloponnes. In Athen standen seit der Mitte des 7. Jh. 9 Archonten an der Spitze. Die erste Aufzeichnung des athen. Rechtes veranlasste um 621 Drakon. 594 wurde dieses durch die timokrat. Verf. (Timokratie) Solons ersetzt. Dann errang Peisistratos die Macht als Alleinherrscher (Tyrann; 560-527). Kleisthenes schuf 507 v. Chr. die Grundlage der Volksherrschaft (Demokratie) in Athen.Klassische Zeit (500-336 v. Chr.): Die Unterstützung der aufständ. grch. Städte in Kleinasien durch Athen (Ionischer Aufstand) hatte die Perserkriege (500-479) zur Folge, durch die Athen zur ersten Seemacht G.s emporstieg. Unter der Staatsführung des Perikles seit 461 erlangten Kunst, Dichtung und Wiss. eine hohe Blüte (perikleisches Zeitalter). Dieser Aufschwung Athens verstärkte den Gegensatz zu Sparta. Im Peloponnes. Krieg (431-404 v. Chr.) kämpften beide Staaten um die Macht in G. Der Spartaner Lysander zerstörte 405 die vorher erfolgreiche athen. Flotte bei Aigospotamoi. Athen wurde eingeschlossen und musste kapitulieren (404).
Unter der nun folgenden Vorherrschaft Spartas wurde der Kampf gegen Persien wieder aufgenommen. Sparta musste aber sein Heer aus Kleinasien zurückrufen, nachdem 395 Theben, Athen, Korinth und Argos mit pers. Unterstützung den Korinth. Krieg begonnen hatten. 387/386 handelte der Spartaner Antalkidas mit dem pers. Großkönig Artaxerxes II. die Bedingungen eines allg. Friedens aus (Königsfriede), der den grch. Staaten Unabhängigkeit garantierte, jedoch alle grch. Städte Kleinasiens und Zyperns dem Perserkönig unterstellte. Die Art, wie Sparta seine wieder hergestellte Macht missbrauchte, führte zur Vernichtung seiner Vorherrschaft durch die Thebaner (Sieg des Epaminondas bei Leuktra 371), an die die Vorherrschaft überging, bis 362 v. Chr. Epaminondas in der Schlacht von Mantineia fiel. Die innere Zerrissenheit G.s machte König Philipp II. von Makedonien ein Eingreifen leicht; durch seinen Sieg bei Chaironeia (338) brachte er Theben und Athen in Abhängigkeit und sicherte die makedon. Vorherrschaft über Griechenland.Hellenismus und Anfänge röm. Herrschaft (336-145 v. Chr. bzw. 330 n. Chr.): Nach der Ermordung Philipps II. (336) musste sein Sohn Alexander d. Gr. einen Aufstand der Griechen niederschlagen (Zerstörung Thebens 335), wurde dann mit dem schon unter seinem Vater beschlossenen Rachekrieg gegen Persien beauftragt. Alexander konnte diesen Auftrag mit der Befreiung der kleinasiat. Griechenstädte und der Zerstörung von Persepolis erfüllen. Zugleich dehnte er seine eigene Macht über Ägypten und das ehem. Perserreich bis zum Indus aus. Nach seinem Tod (323) wurde G. in die Wirren der Diadochenzeit hineingezogen. Dem 280 gebildeten Achaiischen Bund gelang es nicht, G. von der makedon. Oberherrschaft zu befreien. Erst der Sieg der Römer über Philipp V. bei Kynoskephalai (197) beendete die Herrschaft Makedoniens und begründete die der Römer. Der Sieg der Römer über den Achaiischen Bund bei Leukopetra in der Nähe von Korinth und dessen Zerstörung (146 v. Chr.) besiegelten den Untergang der Freiheit Griechenlands.
Unter den Römern war G. politisch ohne Bedeutung, obwohl es sich durch die Gunst der Kaiser, bes. Trajans und Hadrians, bis Ende des 2. Jh. n. Chr. noch einmal zu hoher äußerer Blüte erhob. Im 3. Jh. drangen Germanenstämme in das Land ein. Die Goten erreichten um 257 seine Grenzen; während der Reg.zeit des Kaisers Gallienus verwüsteten die Heruler ganz Achaia. Das Christentum drang nur langsam vor.Byzantin. Zeit und osman. Herrschaft (330 n. Chr. bis 1453 bzw. 1830): In byzantin. Zeit war G. eine unbedeutende Provinz des Byzantin. Reichs, die den Verwüstungen der Völkerwanderung preisgegeben und vom 6. bis 9. Jh. oft von slaw. Völkern überrannt wurde. Das flache Land verödete; die Städte verloren ihre wirtsch. Bedeutung. Seit dem 9. Jh. fielen die Araber, Bulgaren und Normannen ein. Nach der Eroberung Konstantinopels durch die Teilnehmer des 4. Kreuzzugs (1204) entstand eine Anzahl kleiner lat. Herrschaften. Lediglich das Despotat Epirus bewahrte während der »Frankenherrschaft« in G. die byzantin. Tradition. In der Peloponnes war das byzantin. Despotat Morea (oder Mistra, nach der Hauptstadt) von etwa 1260 bis zu seiner Eroberung durch die Osmanen 1460 die einzige stabile Macht. Nach der Einnahme Konstantinopels (1453) wurde auch G. von den Türken (bis 1461) erobert und blieb, angeschlossen an die Statthalterschaft Rumelien und eingeteilt in Provinzen (Sandschaks), bis 1830 Teil des Osman. Reiches. Das Land beherrschten türk. Grundherren und die Phanarioten. Nur die Kirche und die selbstständige Gemeindeverf. hielten das grch. Nationalgefühl aufrecht.
Der Machtzerfall des Osman. Reiches seit dem 17./18. Jh. (sichtbar im Widerstand der Klephten) und die Entstehung einer neuen Schicht von Kaufleuten und Fernhändlern, die seit dem 18. Jh. zu Vermittlern des Gedankenguts der Aufklärung und der nat. Bewegungen wurde, führten Anfang des 19. Jh. zum grch. Freiheitskampf, vorbereitet durch Geheimbünde (Hetärien). Nach der erfolgreichen serb. Erhebung (1804-17) revoltierten die von Albanern und Bulgaren unterstützten Griechen gegen den Sultan; am 6. 3. 1821 rückte A. Ypsilanti im Donaufürstentum Moldau ein und rief zur Erhebung auf. Am 25. 3. (heute Nationalfeiertag) begann der allg. bewaffnete Aufstand im eigentl. G., unterstützt von griechenfreundl. Freischaren aus W-Europa (»Philhellenen«). Am 1. 1. 1822 erklärte die Nationalversammlung von Epidauros G. für unabhängig. Der Aufstand wurde nach den türk. Rückeroberungen durch Ibrahim Pascha (1826) aber erst nach dem Eingreifen von Großbritannien, Russland und Frankreich in die Kämpfe entschieden (Seeschlacht bei Navarino, 20. 10. 1827).Der moderne griechische Staat zwischen Monarchie und Diktatur (1830-1974): Im Londoner Protokoll (3. 2. 1830) wurde G. als unabhängige Erbmonarchie anerkannt. Das Staatsgebiet bestand - bezogen auf das heutige G. - aus S- und Zentral-G. einschl. Euböa und der Kykladen. Nach der Ermordung des ersten Regenten, I. A. Graf Kapodistrias (1827 auf 7 Jahre gewählt), am 9. 10. 1831 wurde 1832 auf Betreiben der Großmächte der 17-jährige Prinz Otto von Bayern König unter der Regentschaft des Grafen J. L. von Armansperg. Die reaktionäre, von Fremden beherrschte Reg., die im Ggs. zu den Idealen des Freiheitskampfes stand, konnte in der Bevölkerung keinen Rückhalt gewinnen. 1862 wurden die Wittelsbacher vertrieben und der dän. Prinz Wilhelm (Dynastie Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg) als Georg I. von der Nationalversammlung zum König gewählt. Die 1864 ausgearbeitete Verfassung (bis 1911 in Kraft) basierte auf dem Prinzip der Volkssouveränität und bildete die Grundlage des gegen die Machtansprüche der Krone durchgesetzten parlamentar. Regierungssystems. 1881 erhielt G. das Gebiet von Arta und den größten Teil Thessaliens.In der Folge der Militärrevolte 1909 bildete der liberale polit. Führer der Kreter, E. Venizelos, 1910-15 die Reg. und führte 1911 eine Verfassungsreform durch. Es folgte die siegreiche Teilnahme an den Balkankriegen (1912/13); das Staatsgebiet konnte verdoppelt werden (u. a. Vereinigung von Kreta mit G.). Über die Frage des Eintritts in den Ersten Weltkrieg 1915 brach ein schwerer Verfassungskonflikt zw. dem für unbedingte Neutralität eintretenden König Konstantin I. und den für das Bündnis mit der Entente plädierenden Liberalen aus. Es kam unter britisch-frz. Schutz zur Bildung einer Gegenreg. durch Venizelos (1916); Konstantin I. dankte zugunsten seines Sohnes Alexander ab (1917).
Durch die Friedensschlüsse von 1919/20 (Pariser Vorortverträge) wurde G. beträchtlich vergrößert (Thrakien, Ägäische Inseln, Mandat über Ionien mit Smyrna). Nach dem Tod König Alexanders (Okt. 1920) und der Wahlniederlage Venizelos' (Nov. 1920) wurde durch Volksabstimmung Konstantin I. zurückgerufen (15. 12. 1920). Der Krieg gegen die Türkei in Kleinasien führte zur Niederlage und Vertreibung der Griechen aus Kleinasien und zum Verlust von O-Thrakien (Abkommen von Mundania, 10. 10. 1922); 1,5 Mio. grch. Flüchtlinge mussten im Austausch gegen die türk. Minderheit (600 000) in G. aufgenommen werden. Die Grenze zur Türkei wurde endgültig festgelegt. Nach der Abdankung Konstantins I. (Sept. 1922) und Georgs II. (1924) rief Venizelos die Rep. aus (25. 3. 1924). Nach fortwährenden Unruhen und Putschen (1926 Diktatur des Generals Pangalos) war Venizelos 1928-32 MinPräs.; er schloss im Okt. 1930 den türkisch-grch. Freundschaftsvertrag ab. Nach erfolglosem Aufstand in Kreta (März 1935) gegen die Royalisten (MinPräs. P. Tsaldaris) musste Venizelos G. verlassen. Durch Volksabstimmung wurde die Monarchie wieder eingeführt (12. 10. 1935). Georg II. kehrte auf den Thron zurück; mit seiner Einwilligung errichtete MinPräs. J. Metaxas ein diktator. Regierungssystem (Aug. 1936) mit bed. sozialpolit. Neuerungen. Im April besetzte das faschist. Italien Albanien. Von dort aus versuchte es im Zweiten Weltkrieg (Okt. 1940 und März 1941) vergeblich, Nord-G. zu erobern. Am 6. 4. 1941 kam es zur dt.-bulgarisch-italien. Okkupation; Georg II. bildete eine Gegenreg. in London. Im Land entstand eine Widerstandsbewegung, deren mächtigste Organisation EAM/ELAS kommunistisch geführt wurde. Die Exzesse der Besatzungsmächte (Griechenpogrome, Massenerschießungen) blieben im Bewusstsein des Volkes. Im grch. Bürgerkrieg (1944-49) gelang es den Kommunisten allerdings nicht, sich zu behaupten; schließlich wurden sie mit wirtsch. und militärpolit. Hilfe der USA bezwungen (Truman-Doktrin). G. gewann im Frieden von Paris (1947) den Dodekanes. Im Sept. 1946 kehrte Georg II. nach einer Volksabstimmung zurück; nach dessen Tod bestieg sein Bruder Paul I. den Thron (1947-64). Im Okt. 1952 trat eine neue Verfassung in Kraft. G. trat der NATO (1974-80 zeitweiliger Austritt) und dem Balkanpakt bei. An der Spitze der konservativen »Hellenist. Sammlungsbewegung« (seit 1956 »Nationalradikale Union«; grch. Abk. ERE) errang Marschall A. Papagos 1952 einen hohen Wahlsieg und wurde MinPräs. Sein Nachfolger als Vors. der ERE und MinPräs. (1955-63) war K. Karamanlis. 1963 errang die 1961 gegr. Zentrumsunion die absolute Mehrheit; ihr Vors. G. Papandreu wurde MinPräs.; er geriet nach seiner Absetzung (1965) in Konflikt mit König Konstantin II. (1964 bis 1973/74). Am 21. 4. 1967 errichtete eine Gruppe konservativer Offiziere unter MinPräs. G. Papadopulos (1967-73) ein diktator. Regime (Ausnahmezustand, Massenverhaftungen und -deportationen, Gleichschaltung der Presse, KZ auf Jaros und Leros). Nach einem gescheiterten Gegenputsch (Dez. 1967) Konstantins II. ging dieser ins Exil. Am 1. 6. 1973 rief Papadopulos die Republik aus und wurde Staatspräs. (1973). Nach einem unblutigen Putsch gegen ihn (Nov. 1973) übernahm General P. Gisikis die Präsidentschaft (1973/74). Der Fehlschlag eines von Athen aus gelenkten Putsches auf Zypern führte im Juli 1974 zum Zusammenbruch der Militärdiktatur.Der demokrat. Staat (seit 1974): Unter MinPräs. Karamanlis (1974-80; Nachfolger G. Rallis, 1980/81) kehrte G. zum parlamentarisch-demokrat. System zurück; es blieb Republik (Abstimmung vom Dez. 1974). 1975 trat eine neue Verf. in Kraft. Die von Karamanlis geführte ND errang 1974 und 1977 die absolute Mehrheit, verlor diese jedoch 1981 an die PASOK, die mit A. Papandreu den MinPräs. (1981-89) stellte. Karamanlis wurde 1980 Nachfolger von Staatspräs. K. Tsatsos (1975-80). Mit Wirkung vom 1. 1. 1981 trat G. als Vollmitgl. der EG bei. Im März 1985 trat Präs. Karamanlis zurück; nach mehreren Wahlgängen wurde Ende März C. Sartzetakis (parteilos) zum neuen Präs. gewählt. Die vorgezogenen Wahlen im Juni 1985 bestätigten die PASOK-Regierung unter MinPräs. Papandreu im Amt. Ihre strikten Sparmaßnahmen lösten im Okt. 1985 schwere soziale Unruhen aus. Nach einer Reihe von Krisen beschwor 1988 ein Korruptionsvorwurf gegen Mitgl. der Regierung und die PASOK eine zehnmonatige polit. Instabilität herauf; erst nach drei Parlamentswahlen (Juni und Nov. 1989 sowie April 1990) errang die ND eine schmale regierungsfähige Mehrheit. Im Mai 1990 wurde Karamanlis zum zweiten Mal zum Staatspräs. gewählt. Die von der ND getragene Regierung unter K. Mitsotakis führte ein Sanierungsprogramm durch. Aus Protest gegen die sozialen Folgen dieser Politik riefen die Gewerkschaften im Spätsommer 1992 einen Generalstreik aus. Vor diesem Hintergrund errang die PASOK im Okt. 1993 einen Wahlsieg und stellte mit Papandreu, der in einem Prozess (1992) vor dem Obersten Gerichtshof vom Vorwurf der Bestechung freigesprochen worden war, erneut den MinPräs. Nach dessen Rücktritt (aus Krankheitsgründen) wurde sein Nachfolger als PASOK-Vors., K. Simitis, im Jan. 1996 MinPräs., nach dem Wahlsieg der PASOK im Sept. desgleichen Jahres wurde er im Amt bestätigt. Seit 1995 ist K. Stephanopulos Staatspräsident.
In der Außenpolitik belasten der grch.-türk. Konflikt um Zypern sowie die Kontroverse um die Hoheitsrechte in der Ägäis die Beziehungen beider Staaten. Vor dem Hintergrund der veränderten sicherheitspolit. Lage in Europa seit Beginn der 1990er-Jahre reduzierte G., seit Nov. 1992 Mitgl. der WEU, seine Streitkräfte um 20 % auf nunmehr 160 000 Mann. Am 31. 7. 1992 billigte das Parlament den Vertrag von Maastricht. Als Inhaber der EU-Präsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 1994 bemühte sich die grch. Regierung um die Erweiterung der Gemeinschaft. Nach dem Zerfall Jugoslawiens kam es zu einem Konflikt mit der 1991 unabhängig gewordenen früheren jugoslaw. Teilrepublik Makedonien. In der Verwendung des Namens »Makedonien« und bestimmter Staatssymbole (bes. des »Sterns von Vergina«) sah G. - im Blick auf eine gleichnamige Prov. - einen Angriff auf seine territoriale Integrität. Unter dem Vorsitz eines UN-Vermittlers entschärften beide Staaten im Sept. 1995 ihren Konflikt mit einem Normalisierungsvertrag.
Literatur:
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Bengtson, H.: Grch. Geschichte. Von den Anfängen bis in die röm. Kaiserzeit. Sonderausg. München 81994.
Weithmann, M. W.: G. vom Frühmittelalter bis zur Gegenwart. Regensburg 1994.
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