Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Gott
Gott[ahd. got, vielleicht eigtl. »das (durch Zauberwort) angerufene Wesen«, zu einem indogerman. Verb mit der Bedeutung »anrufen«], in Inhalt und Gebrauch äußerst vielschichtiger religionsgeschichtl. und -philosoph. Terminus. In den polytheist. Religionen bezeichnet G. die in der jeweiligen Gemeinschaft als heilig geltenden und (kultisch) verehrten Natur-, Familien- und Stammesgottheiten, in den monotheist. Religionen ein als transzendent über Raum und Zeit, Leben und Tod, Welt und Geschichte »thronendes«, ihnen immanentes, sie schaffendes, erhaltendes und zerstörendes, sie lenkendes und regierendes (höchstes) Wesen, dem die Attribute absolute Macht, (Schöpfer-)Kraft, Weisheit, Güte und Zorn beigelegt werden. G. wird dabei vorgestellt als an hl. Orten, in hl. Pflanzen, Tieren oder Personen wohnend, als mytholog. Ur- und Fabelwesen, großer Urvater oder große Urmutter und - abstrahierend - als das Urprinzip allen Seins, der Erstbeweger aller Bewegung, die Allbeseeltheit allen Seins und der Anfang und das Ziel allen Geschehens. Die Gottesverehrung erfolgt in polytheist. und monotheist. Religionen in durch Tradition autorisierten Kultformen in der Verantwortung bevollmächtigter Kultdiener (Älteste, Schamanen, Priester) auf der Basis tradierten priesterl. Wissens oder geoffenbarter (ekstat.) Visionen. Im Hintergrund der vielfältigen Formen der Opferdarbringung an G. steht dabei der religionspsycholog. Mechanismus des »do ut des« (»ich gebe, damit du mir [zurück]gibst«).Der G.-Begriff der europ. Philosophie wurzelt im grch. philosoph. Denken (Geist). Er ist statisch; G. wird apersonal-ontologisch gedacht - G. »ist«: bei Heraklit das immanente Prinzip kosm. Werdens (Logos), bei Platon die Idee des Vollkommenen (und damit Guten) schlechthin, bei Aristoteles die reine Aktualität (als der unbewegte Beweger aller Bewegung). Der christl. G.-Begriff wurzelt in der bibl. Überlieferung. Er ist dynamisch; er wird personal-existenziell bezeugt - G. »wirkt« immer in Beziehung zu konkreten Gruppen und einzelnen Menschen. Er wirkt in der Gesch. der Menschen, die so als seine Gesch. mit ihnen qualifiziert ist. Die beiden wesentl. »Definitionen« G. im A. T. finden sich in 2. Mose 3, 14 in der Selbstoffenbarung seines Namens, hebr. Jahwe: »ich werde sein, der ich sein werde« und in 2. Mose 20, 1-7 (Gesetzgebung auf dem Berg Sinai); G. ist der Herr, der Heilige, der Eine, der Barmherzige, der Zornige. Der Mensch soll (und kann) sich kein Bild von ihm machen; Kenntnis von G. gewinnt er ausschl. aus dessen Selbstmitteilung. Das A. T. bezeugt G. als den G. Israels, offenbart in Gottesnamen und Gesetz, das N. T. als G. aller Menschen, offenbart in Jesus Christus. Dieser ist das alleinige Bild G. (Kol. 1, 15), nur in ihm kann der Mensch G. erkennen; in Christus ist G. Mensch (»Fleisch«) geworden (Joh. 1, 14). Die neutestamentl. Grundaussage über das Wesen G. ist in 1. Joh. 4, 8. 16 zusammengefasst: »G. ist Liebe«.Dogmatisch wird G. in der christl. Theologie als in Schöpfung, Erlösung und Heiligung wirkender G. in der trinitar. Einheit von Vater, Sohn und Hl. Geist begriffen. Die kath. Theologie versuchte bis ins 20. Jh., G. und Gotteserfahrung v. a. mit den Mitteln des ontolog. Denkansatzes der platonisch-aristotel. Philosophie zu verstehen. Die kath. Gegenwartstheologie besinnt sich wieder stärker auf die existenziellen Aussagen der Bibel über G. (»G. hilft«, »G. ist da« usw.). Die reformator. Theologie knüpfte unmittelbar am existenziellen bibl. Gotteszeugnis an, der Offenbarung Gottes als gnädiger, den Sünder rechtfertigender G. in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi. Nach Luther ist G. in der Natur und Gesch. verborgen und kann nicht aus ihnen erschlossen werden, dagegen offenbart er sich im paradoxen Geschehen des Leidens und Sterbens seines Sohnes am Kreuz.Der Atheismus des 19. Jh. sieht G. als Selbstprojektion des Menschen (L. Feuerbach) bzw. als Ausdruck eines verkehrten Weltbewusstseins und der Protestation gegen das Elend der entfremdeten Existenz (K. Marx). Der Existenzialismus des 20. Jh. verzichtet auf G. und sieht den Menschen in unbegrenzter Freiheit ins (unbehauste) Sein geworfen.
Literatur:
Božovič, M.: Der große Andere. Gotteskonzepte in der Philosophie der Neuzeit. Wien 1993.
Kasper, W.: Der G. Jesu Christi. Mainz 31995.
Küng, H.: Existiert G.? Antwort auf die Gottesfrage der Neuzeit. Neuausg. München u. a. 1995.
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