Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Goethe
Goethe ['gø-],
1) Christiane von, * Weimar 1. 6. 1765, ✝ ebd. 6. 6. 1816, Schwester von C. A. Vulpius; Lebensgefährtin von 2), Heirat 1806.
2) Johann Wolfgang von (seit 1782), Dichter, * Frankfurt am Main 28. 8. 1749, ✝ Weimar 22. 3. 1832; Sohn des Kaiserl. Rates Johann Kaspar G. (* 1710, ✝ 1782) und der Katharina Elisabeth, geb. Textor (* 1731, ✝ 1808). Von fünf Geschwistern überlebte nur Cornelia (* 1750, ✝ 1777) die Kindheit.
⃟ Jugendzeit und Frühwerke: 1765 nahm G. das vom Vater bestimmte Jurastudium an der Univ. Leipzig auf. In den sechs Leipziger Semestern schrieb er Gedichte im Ton des Rokoko (Liederbuch »Annette«, entstanden 1767; »Neue Lieder«, 1768), erlebnisgeprägte Bekenntnislyrik und Oden sowie dramat. Versuche in den Formen des zeitgenöss. Theaters. Eine gefährl. Lungenkrankheit zwang ihn 1768 zur Rückkehr ins Elternhaus; im Umgang mit pietist. Kreisen, v. a. mit Susanne von Klettenberg, beschäftigte sich G. mit hermet. und myst. Literatur. Dem schloss sich 1770/71 das Studium in Straßburg an. J. G. Herder vermittelte ihm die Aufklärungskritik J. G. Hamanns und seine eigenen sprachphilosoph. Ideen, lenkte den Blick auf Shakespeare und Ossian sowie auf eine neue Wertung der Antike (Homer, Pindar); in Straßburg entstanden u. a. auch die »Sesenheimer Lieder« (F. Brion). Das jurist. Abschlussexamen berechtigte G. zur Advokatur in Frankfurt am Main, die er im Herbst 1771 erhielt. Dort vollendete er das Drama »Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand«; ebenso entstanden die großen Hymnen (»Wanderers Sturmlied«, »Mahomets Gesang«, »Prometheus«, »Ganymed«). In dieser Zeit galt G. als ein Hauptrepräsentant des Sturm und Drang, an dessen krit. Organ, den »Frankfurter gelehrten Anzeigen«, er sich zeitweise als Rezensent beteiligte. Sein erster Roman »Die Leiden des jungen Werthers« (1774, Neufassung 1787), ein Spiegelbild der Literatur der Empfindsamkeit, begründete seinen weltliterar. Ruhm. Der »Götz« erschien in 2. Fassung im Juni 1773. Die Geniebegeisterung des Sturm und Drang weckte das Interesse für den Helden des niederländ. Befreiungskampfes, der zur Zentralfigur des 1775 begonnenen Dramas wurde (»Egmont«, gedruckt 1788). Die mit den Grafen C. und F. L. zu Stolberg-Stolberg unternommene Reise in die Schweiz (1775) war die erste einer Reihe von Fluchten, mit denen G. sich hemmenden Verhältnissen entzog.
⃟ Weimar (1775-86): Im Nov. 1775 folgte G. einer Einladung des Herzogs Karl August nach Weimar, wo er einen literarisch engagierten Hofkreis vorfand (u. a. Charlotte von Stein). Seine Aufgabe als Erzieher und Minister bestimmte seinen weiteren Berufsweg (1779 zum Geheimen Rat ernannt); er leitete die Gebiete der Finanzen, des Bergbaus, des Militärwesens, später auch das Theater und das Bildungswesen. In Weimar entstanden die großen Werke der Reifezeit, dazu die ästhet., naturwiss. und autobiograph. Werke. »Faust« reicht in die Frühzeit zurück (»Urfaust«, Faust, J.). 1777 begann G. mit »Wilhelm Meisters theatral. Sendung« (Romanfragment, erschienen 1911), nach der italien. Reise zu »Wilhelm Meisters Lehrjahre« (4 Bde., 1795/96) erweitert, sowie »Iphigenie auf Tauris« (1779 aufgeführt) und 1780/81 auch »Torquato Tasso« (Prosafassungen); in der Lyrik bereicherte er den hymn. Stil wieder um liedhafte Elemente (u. a. »Erlkönig«). Daneben widmete er sich naturwiss. (Entdeckung des menschl. Zwischenkieferknochens, 1784), zeichner. und sammler. Betätigungen. Unter dem Druck der amtl. Verpflichtungen und der letztlich hoffnungslosen Leidenschaft für Charlotte von Stein entschied sich G. für eine Reise nach Italien.
⃟ 1. Italienreise (1786-1788): Im Sept. 1786 brach G. von Karlsbad fast fluchtartig auf und kehrte erst Mitte 1788 nach Weimar zurück. Zu dem Hauptaufenthalt in Rom kam eine mehrmonatige Reise nach Neapel und Sizilien. In Italien vertiefte G. durch die Begegnung mit der Antike seine dichter. und ästhet., aber auch seine naturwiss. Anschauungen (»Urpflanze« in Palermo) und suchte bes. den Kontakt zu bildenden Künstlern. Seine frühere Dichtung und Gesinnung wurde hier zum Klassischen umorientiert, z. B. versch. Faustszenen und Versfassungen von »Iphigenie« (erschienen 1787) und »Torquato Tasso« (erschienen 1790). Die eigtl. poet. Frucht der Italienreise sind die »Röm. Elegien« (entstanden 1788-90, gedruckt 1795), ein geistreicher Dialog mit den großen Liebesdichtern der »goldenen« Latinität (Tibull, Properz, Catull).
⃟ 2. Italienreise: 1790 ging G. noch einmal für wenige Monate nach Italien. An die Stelle seiner ersten Italienbegeisterung trat nun ein skept. Bild der italien. Gesellschaft. Zeugnis davon geben die »Venetian. Epigramme« (1795 in Schillers »Musenalmanach« erschienen).
Die Auseinandersetzung mit der Frz. Revolution brachte u. a. das Lustspiel »Der Groß-Cophta« (1792), den burlesken Einakter »Der Bürgergeneral« (1793), das erste Stück einer Fragment gebliebenen dramat. Trilogie »Die natürl. Tochter« (1799-1803, gedruckt 1803), das satir. Epos »Reineke Fuchs« (1794). 1792 begleitete G. Herzog Karl August in das Feldlager des gegen Frankreich verbündeten Koalitionsheeres bis zu dessen Rückzug vor den Franzosen.
⃟ Freundschaft mit Schiller: Die 1790er-Jahre sind geprägt durch die Zusammenarbeit mit Schiller (ab 1794), die bis zu Schillers Tod (1805) dauerte, ein Bund, der in der neueren dt. Geistesgeschichte einzigartig ist. Im Austausch mit Schiller wurde ein Stil entwickelt, der als Weimarer Klassik zur literarhistor. Epochenbezeichnung wurde. Für die Geschichte der dt. Dichtung wurde die krit. Einwirkung Schillers auf die großen Werke G.s ebenso wichtig wie seine poetologisch-ästhet. Reflexionen, so etwa bei der Umformung des »Wilhelm-Meister«-Romans, bei den Novellen (»Unterhaltungen dt. Ausgewanderten«, 1795), bei der Theorie eines modernen und doch den antiken Gattungsgesetzen entsprechenden Epos (»Hermann und Dorothea«, 1797) sowie bei der Umarbeitung des »Faust« und des »Egmont«. Zu den Bemühungen, die literar. Gattungen in ihren theoret. Grundlagen zu bestimmen (in dem gemeinsamen Aufsatz »Über ep. und dramat. Dichtung«, entstanden 1797, gedruckt 1827), trat die unmittelbare krit. Einwirkung auf die literar. und polit. Zustände der Gegenwart (»Xenien«, 1796); die Ztschr. »Die Horen«, »Die Propyläen«, ferner der »Musenalmanach« wurden zu Organen der klass. Kunst- und Literaturprogrammatik. G.s ästhet. und naturforschende Studien tendierten zu einem universalen System der Erscheinungen, das v. a. durch die Idee der Metamorphose bestimmt wird, die sowohl für die Pflanzen- und Tierwelt als auch im Prozess der geistigen Produktivität gilt. Auch in der Optik (»Zur Farbenlehre«, 2 Bde., 1808-10) vertrat G. diesen organ. Entwicklungsgedanken. Die anregende Zusammenarbeit mit Schiller bezeugen auch die Balladen des »Balladenjahres« 1797 (»Der Zauberlehrling«, »Der Gott und die Bajadere«).
⃟ 1805-1813: G.s bisheriger Lebenskreis begann zu zerbrechen: 1803 starb Herder, 1805 Schiller, 1813 Wieland. Aus dem Kreis der Frühromantiker, dessen Zentrum zeitweise Jena war, kamen neue ästhet. und universalphilosoph. Ideen (J. G. Fichte, F. W. J. von Schelling). Anders als Schiller, der in seinen letzten Lebensjahren die klassizist. Position fest behauptete, setzte G. sich mit den ästhet. Ideen der Romantiker mit Interesse und Offenheit auseinander. Auf die theoret. und prakt. Wiederbelebung der romant. Sonettform durch die Brüder Schlegel und Z. Werner antwortete G. mit einem Zyklus von Sonetten (entstanden 1807/08, gedruckt 1815 I-XV, 1827 XVI, XVII). Der romant. Kritik galt die Dichtung G.s, v. a. als 1808 der vollendete 1. Teil des »Faust« erschienen war, als Gipfel der modernen Dichtung. In dieser Zeit entstanden auch bed. naturphilosoph. Gedichte und Novellen zu einer geplanten Fortsetzung des »Wilhelm Meister«. Daraus nahmen »Die Wahlverwandtschaften« (2 Tle., 1809) die Dimension eines eigenen Romans an. Daneben wurde die Arbeit an der Autobiographie fortgesetzt; im Weimarer Theater ließ G. Weltliteratur spielen (P. Corneille, P. Calderón, Shakespeare).
⃟ Altersperiode (1814-32): Die drei ersten Teile der Autobiographie »Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit«, in der G. anhand seines Lebens den Wandel seiner Zeit darstellt, erschienen 1811-14, der 4. Teil, der bis zu der Berufung nach Weimar führt, postum 1833. Die Lektüre altpers. Dichtung, des »Divans« des pers. Dichters Hafis (in der dt. Übers. von J. von Hammer-Purgstall), regte G. zu dem neuen lyr. Stil seines »West-östl. Divans« (1819, erweitert 1827) an. Der »Divan« war wesentlich ein Ertrag der beiden Sommerreisen 1814 und 1815 in die Rhein-Main-Gegend, wo er auch Marianne von Willemer kennen lernte. In Weimar wurden die Orientstudien fortgesetzt. 1816 starb seine Frau Christiane. G.s Ruhm wuchs weltweit, seine Werke wurden in mehrere Sprachen übersetzt. 1826 kündigte er eine »Ausgabe letzter Hand« seiner Werke an. Den Briefwechsel mit Schiller veröffentlichte er selbst; die Herausgabe des Briefwechsels mit C. F. Zelter wurde verabredet, die Niederschrift der »Gespräche mit G. in den letzten Jahren seines Lebens« (3 Bde., veröffentlicht 1836-48) seines Sekretärs J. P. Eckermann wurde von G. sanktioniert. Der alte, aus der Schiller-Periode stammende Plan eines Epos »Die Jagd« wurde zu der »Novelle« umgearbeitet, einem Höhepunkt seiner ep. Alterskunst (1828). Die schon im Titel des ersten »Wilhelm Meister«-Romans (»Lehrjahre«) sich ankündigende Fortsetzung »Wilhelm Meisters Wanderjahre«, deren 1. Fassung (1821) G. nicht befriedigte, arbeitete er in einem langsamen, oft unterbrochenen Schaffensprozess zu ihrer endgültigen Fassung (1829) aus.
Der oft kritisierte, mitunter verkannte Altersstil des Erzählers G. wurde erst seit der Krise des modernen Romans als ein Versuch verstanden, mit der »offenen Form« einem disparaten Weltzustand zu entsprechen.
G. lebenslange lyr. Produktivität zeigt sich bes. faszinierend in der Alterslyrik: u. a. in den »Zahmen Xenien« (1827), den großen weltanschaul. Gedichten »Urworte. Orphisch« (entstanden 1817, gedruckt 1820), der »Paria-Trilogie« (entstanden 1821-23, gedruckt 1824), der »Trilogie der Leidenschaft« (entstanden 1823/24, gedruckt 1827) mit der sog. »Marienbader Elegie« und den sog. »Dornburger Gedichten« (u. a. »Dem aufgehenden Vollmonde«, 1828); auch der Abschluss seines Weltgedichts »Faust« fällt in diese Jahre. Der 1. Teil wurde durch den »Prolog im Himmel« bereits auf den barocken Welttheateraspekt (Einfluss Calderóns) hin orientiert. Ähnlich wie in »Wilhelm Meisters Wanderjahren« tritt im II. Teil des Faust - erst 1832 postum veröffentlicht - die Gestalt des Helden hinter der Fülle der in ihren naturhaften, politisch-sozialen und künstler. Bereichen entfalteten Welt stark zurück. Die gesamte abendländ. künstlerische Überlieferung wird produktiv verarbeitet. - Aus dem Nachlass wurden auch die Sprüche in Prosa, »Maximen und Reflexionen«, herausgegeben.
Ausgaben:Berliner Ausgabe, 23 Bde. Berlin-Ost 1-41972-90. Werke, hg. im Auftrag der Großherzogin Sophie von Sachsen, 143Bde. u. 3 Suppl.-Bde. Neuausg. München 1987-90. Werke. Hamburger Ausgabe, hg. v. E. Trunz u. a., 14 Bde. Bände. Neuausg. München 1998.
▣ Literatur:
Staiger, E.: G., 3 Bde. Zürich u. a. 4-61970-81.
⃟ G. im 20. Jh. Spiegelungen u. Deutungen, hg. v. Hans Mayer. Neuausg. Frankfurt am Main 1990.
⃟ Boyle, N.: G. Der Dichter in seiner Zeit, auf mehrere Bde. ber. A. d. Engl. München 1995 ff.
⃟ Conrady, K. O.: G. Leben u. Werk, 2 Bde. Neuausg. Frankfurt am Main 31995-96.
⃟ Friedenthal, R.: G. Sein Leben u. seine Zeit. Neuausg. München u. a. 91995.
⃟ G.-Handbuch, hg. v. B. Witte u. a., 5 Bde.. Neuausg. Stuttgart 1996-99.
⃟ Wilpert, G. von: G.-Lexikon, Stuttgart 1998.
⃟ Schulz, Karlheinz: G.. Eine Biographie, Stuttgart 1999.
1) Christiane von, * Weimar 1. 6. 1765, ✝ ebd. 6. 6. 1816, Schwester von C. A. Vulpius; Lebensgefährtin von 2), Heirat 1806.
2) Johann Wolfgang von (seit 1782), Dichter, * Frankfurt am Main 28. 8. 1749, ✝ Weimar 22. 3. 1832; Sohn des Kaiserl. Rates Johann Kaspar G. (* 1710, ✝ 1782) und der Katharina Elisabeth, geb. Textor (* 1731, ✝ 1808). Von fünf Geschwistern überlebte nur Cornelia (* 1750, ✝ 1777) die Kindheit.
⃟ Jugendzeit und Frühwerke: 1765 nahm G. das vom Vater bestimmte Jurastudium an der Univ. Leipzig auf. In den sechs Leipziger Semestern schrieb er Gedichte im Ton des Rokoko (Liederbuch »Annette«, entstanden 1767; »Neue Lieder«, 1768), erlebnisgeprägte Bekenntnislyrik und Oden sowie dramat. Versuche in den Formen des zeitgenöss. Theaters. Eine gefährl. Lungenkrankheit zwang ihn 1768 zur Rückkehr ins Elternhaus; im Umgang mit pietist. Kreisen, v. a. mit Susanne von Klettenberg, beschäftigte sich G. mit hermet. und myst. Literatur. Dem schloss sich 1770/71 das Studium in Straßburg an. J. G. Herder vermittelte ihm die Aufklärungskritik J. G. Hamanns und seine eigenen sprachphilosoph. Ideen, lenkte den Blick auf Shakespeare und Ossian sowie auf eine neue Wertung der Antike (Homer, Pindar); in Straßburg entstanden u. a. auch die »Sesenheimer Lieder« (F. Brion). Das jurist. Abschlussexamen berechtigte G. zur Advokatur in Frankfurt am Main, die er im Herbst 1771 erhielt. Dort vollendete er das Drama »Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand«; ebenso entstanden die großen Hymnen (»Wanderers Sturmlied«, »Mahomets Gesang«, »Prometheus«, »Ganymed«). In dieser Zeit galt G. als ein Hauptrepräsentant des Sturm und Drang, an dessen krit. Organ, den »Frankfurter gelehrten Anzeigen«, er sich zeitweise als Rezensent beteiligte. Sein erster Roman »Die Leiden des jungen Werthers« (1774, Neufassung 1787), ein Spiegelbild der Literatur der Empfindsamkeit, begründete seinen weltliterar. Ruhm. Der »Götz« erschien in 2. Fassung im Juni 1773. Die Geniebegeisterung des Sturm und Drang weckte das Interesse für den Helden des niederländ. Befreiungskampfes, der zur Zentralfigur des 1775 begonnenen Dramas wurde (»Egmont«, gedruckt 1788). Die mit den Grafen C. und F. L. zu Stolberg-Stolberg unternommene Reise in die Schweiz (1775) war die erste einer Reihe von Fluchten, mit denen G. sich hemmenden Verhältnissen entzog.
⃟ Weimar (1775-86): Im Nov. 1775 folgte G. einer Einladung des Herzogs Karl August nach Weimar, wo er einen literarisch engagierten Hofkreis vorfand (u. a. Charlotte von Stein). Seine Aufgabe als Erzieher und Minister bestimmte seinen weiteren Berufsweg (1779 zum Geheimen Rat ernannt); er leitete die Gebiete der Finanzen, des Bergbaus, des Militärwesens, später auch das Theater und das Bildungswesen. In Weimar entstanden die großen Werke der Reifezeit, dazu die ästhet., naturwiss. und autobiograph. Werke. »Faust« reicht in die Frühzeit zurück (»Urfaust«, Faust, J.). 1777 begann G. mit »Wilhelm Meisters theatral. Sendung« (Romanfragment, erschienen 1911), nach der italien. Reise zu »Wilhelm Meisters Lehrjahre« (4 Bde., 1795/96) erweitert, sowie »Iphigenie auf Tauris« (1779 aufgeführt) und 1780/81 auch »Torquato Tasso« (Prosafassungen); in der Lyrik bereicherte er den hymn. Stil wieder um liedhafte Elemente (u. a. »Erlkönig«). Daneben widmete er sich naturwiss. (Entdeckung des menschl. Zwischenkieferknochens, 1784), zeichner. und sammler. Betätigungen. Unter dem Druck der amtl. Verpflichtungen und der letztlich hoffnungslosen Leidenschaft für Charlotte von Stein entschied sich G. für eine Reise nach Italien.
⃟ 1. Italienreise (1786-1788): Im Sept. 1786 brach G. von Karlsbad fast fluchtartig auf und kehrte erst Mitte 1788 nach Weimar zurück. Zu dem Hauptaufenthalt in Rom kam eine mehrmonatige Reise nach Neapel und Sizilien. In Italien vertiefte G. durch die Begegnung mit der Antike seine dichter. und ästhet., aber auch seine naturwiss. Anschauungen (»Urpflanze« in Palermo) und suchte bes. den Kontakt zu bildenden Künstlern. Seine frühere Dichtung und Gesinnung wurde hier zum Klassischen umorientiert, z. B. versch. Faustszenen und Versfassungen von »Iphigenie« (erschienen 1787) und »Torquato Tasso« (erschienen 1790). Die eigtl. poet. Frucht der Italienreise sind die »Röm. Elegien« (entstanden 1788-90, gedruckt 1795), ein geistreicher Dialog mit den großen Liebesdichtern der »goldenen« Latinität (Tibull, Properz, Catull).
⃟ 2. Italienreise: 1790 ging G. noch einmal für wenige Monate nach Italien. An die Stelle seiner ersten Italienbegeisterung trat nun ein skept. Bild der italien. Gesellschaft. Zeugnis davon geben die »Venetian. Epigramme« (1795 in Schillers »Musenalmanach« erschienen).
Die Auseinandersetzung mit der Frz. Revolution brachte u. a. das Lustspiel »Der Groß-Cophta« (1792), den burlesken Einakter »Der Bürgergeneral« (1793), das erste Stück einer Fragment gebliebenen dramat. Trilogie »Die natürl. Tochter« (1799-1803, gedruckt 1803), das satir. Epos »Reineke Fuchs« (1794). 1792 begleitete G. Herzog Karl August in das Feldlager des gegen Frankreich verbündeten Koalitionsheeres bis zu dessen Rückzug vor den Franzosen.
⃟ Freundschaft mit Schiller: Die 1790er-Jahre sind geprägt durch die Zusammenarbeit mit Schiller (ab 1794), die bis zu Schillers Tod (1805) dauerte, ein Bund, der in der neueren dt. Geistesgeschichte einzigartig ist. Im Austausch mit Schiller wurde ein Stil entwickelt, der als Weimarer Klassik zur literarhistor. Epochenbezeichnung wurde. Für die Geschichte der dt. Dichtung wurde die krit. Einwirkung Schillers auf die großen Werke G.s ebenso wichtig wie seine poetologisch-ästhet. Reflexionen, so etwa bei der Umformung des »Wilhelm-Meister«-Romans, bei den Novellen (»Unterhaltungen dt. Ausgewanderten«, 1795), bei der Theorie eines modernen und doch den antiken Gattungsgesetzen entsprechenden Epos (»Hermann und Dorothea«, 1797) sowie bei der Umarbeitung des »Faust« und des »Egmont«. Zu den Bemühungen, die literar. Gattungen in ihren theoret. Grundlagen zu bestimmen (in dem gemeinsamen Aufsatz »Über ep. und dramat. Dichtung«, entstanden 1797, gedruckt 1827), trat die unmittelbare krit. Einwirkung auf die literar. und polit. Zustände der Gegenwart (»Xenien«, 1796); die Ztschr. »Die Horen«, »Die Propyläen«, ferner der »Musenalmanach« wurden zu Organen der klass. Kunst- und Literaturprogrammatik. G.s ästhet. und naturforschende Studien tendierten zu einem universalen System der Erscheinungen, das v. a. durch die Idee der Metamorphose bestimmt wird, die sowohl für die Pflanzen- und Tierwelt als auch im Prozess der geistigen Produktivität gilt. Auch in der Optik (»Zur Farbenlehre«, 2 Bde., 1808-10) vertrat G. diesen organ. Entwicklungsgedanken. Die anregende Zusammenarbeit mit Schiller bezeugen auch die Balladen des »Balladenjahres« 1797 (»Der Zauberlehrling«, »Der Gott und die Bajadere«).
⃟ 1805-1813: G.s bisheriger Lebenskreis begann zu zerbrechen: 1803 starb Herder, 1805 Schiller, 1813 Wieland. Aus dem Kreis der Frühromantiker, dessen Zentrum zeitweise Jena war, kamen neue ästhet. und universalphilosoph. Ideen (J. G. Fichte, F. W. J. von Schelling). Anders als Schiller, der in seinen letzten Lebensjahren die klassizist. Position fest behauptete, setzte G. sich mit den ästhet. Ideen der Romantiker mit Interesse und Offenheit auseinander. Auf die theoret. und prakt. Wiederbelebung der romant. Sonettform durch die Brüder Schlegel und Z. Werner antwortete G. mit einem Zyklus von Sonetten (entstanden 1807/08, gedruckt 1815 I-XV, 1827 XVI, XVII). Der romant. Kritik galt die Dichtung G.s, v. a. als 1808 der vollendete 1. Teil des »Faust« erschienen war, als Gipfel der modernen Dichtung. In dieser Zeit entstanden auch bed. naturphilosoph. Gedichte und Novellen zu einer geplanten Fortsetzung des »Wilhelm Meister«. Daraus nahmen »Die Wahlverwandtschaften« (2 Tle., 1809) die Dimension eines eigenen Romans an. Daneben wurde die Arbeit an der Autobiographie fortgesetzt; im Weimarer Theater ließ G. Weltliteratur spielen (P. Corneille, P. Calderón, Shakespeare).
⃟ Altersperiode (1814-32): Die drei ersten Teile der Autobiographie »Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit«, in der G. anhand seines Lebens den Wandel seiner Zeit darstellt, erschienen 1811-14, der 4. Teil, der bis zu der Berufung nach Weimar führt, postum 1833. Die Lektüre altpers. Dichtung, des »Divans« des pers. Dichters Hafis (in der dt. Übers. von J. von Hammer-Purgstall), regte G. zu dem neuen lyr. Stil seines »West-östl. Divans« (1819, erweitert 1827) an. Der »Divan« war wesentlich ein Ertrag der beiden Sommerreisen 1814 und 1815 in die Rhein-Main-Gegend, wo er auch Marianne von Willemer kennen lernte. In Weimar wurden die Orientstudien fortgesetzt. 1816 starb seine Frau Christiane. G.s Ruhm wuchs weltweit, seine Werke wurden in mehrere Sprachen übersetzt. 1826 kündigte er eine »Ausgabe letzter Hand« seiner Werke an. Den Briefwechsel mit Schiller veröffentlichte er selbst; die Herausgabe des Briefwechsels mit C. F. Zelter wurde verabredet, die Niederschrift der »Gespräche mit G. in den letzten Jahren seines Lebens« (3 Bde., veröffentlicht 1836-48) seines Sekretärs J. P. Eckermann wurde von G. sanktioniert. Der alte, aus der Schiller-Periode stammende Plan eines Epos »Die Jagd« wurde zu der »Novelle« umgearbeitet, einem Höhepunkt seiner ep. Alterskunst (1828). Die schon im Titel des ersten »Wilhelm Meister«-Romans (»Lehrjahre«) sich ankündigende Fortsetzung »Wilhelm Meisters Wanderjahre«, deren 1. Fassung (1821) G. nicht befriedigte, arbeitete er in einem langsamen, oft unterbrochenen Schaffensprozess zu ihrer endgültigen Fassung (1829) aus.
Der oft kritisierte, mitunter verkannte Altersstil des Erzählers G. wurde erst seit der Krise des modernen Romans als ein Versuch verstanden, mit der »offenen Form« einem disparaten Weltzustand zu entsprechen.
G. lebenslange lyr. Produktivität zeigt sich bes. faszinierend in der Alterslyrik: u. a. in den »Zahmen Xenien« (1827), den großen weltanschaul. Gedichten »Urworte. Orphisch« (entstanden 1817, gedruckt 1820), der »Paria-Trilogie« (entstanden 1821-23, gedruckt 1824), der »Trilogie der Leidenschaft« (entstanden 1823/24, gedruckt 1827) mit der sog. »Marienbader Elegie« und den sog. »Dornburger Gedichten« (u. a. »Dem aufgehenden Vollmonde«, 1828); auch der Abschluss seines Weltgedichts »Faust« fällt in diese Jahre. Der 1. Teil wurde durch den »Prolog im Himmel« bereits auf den barocken Welttheateraspekt (Einfluss Calderóns) hin orientiert. Ähnlich wie in »Wilhelm Meisters Wanderjahren« tritt im II. Teil des Faust - erst 1832 postum veröffentlicht - die Gestalt des Helden hinter der Fülle der in ihren naturhaften, politisch-sozialen und künstler. Bereichen entfalteten Welt stark zurück. Die gesamte abendländ. künstlerische Überlieferung wird produktiv verarbeitet. - Aus dem Nachlass wurden auch die Sprüche in Prosa, »Maximen und Reflexionen«, herausgegeben.
Ausgaben:Berliner Ausgabe, 23 Bde. Berlin-Ost 1-41972-90. Werke, hg. im Auftrag der Großherzogin Sophie von Sachsen, 143Bde. u. 3 Suppl.-Bde. Neuausg. München 1987-90. Werke. Hamburger Ausgabe, hg. v. E. Trunz u. a., 14 Bde. Bände. Neuausg. München 1998.
▣ Literatur:
Staiger, E.: G., 3 Bde. Zürich u. a. 4-61970-81.
⃟ G. im 20. Jh. Spiegelungen u. Deutungen, hg. v. Hans Mayer. Neuausg. Frankfurt am Main 1990.
⃟ Boyle, N.: G. Der Dichter in seiner Zeit, auf mehrere Bde. ber. A. d. Engl. München 1995 ff.
⃟ Conrady, K. O.: G. Leben u. Werk, 2 Bde. Neuausg. Frankfurt am Main 31995-96.
⃟ Friedenthal, R.: G. Sein Leben u. seine Zeit. Neuausg. München u. a. 91995.
⃟ G.-Handbuch, hg. v. B. Witte u. a., 5 Bde.. Neuausg. Stuttgart 1996-99.
⃟ Wilpert, G. von: G.-Lexikon, Stuttgart 1998.
⃟ Schulz, Karlheinz: G.. Eine Biographie, Stuttgart 1999.