Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Gnade
Gnade[ahd. gināda »Hilfe«, »Schutz«], die unverdiente Hilfe (eines) Gottes; in den prophet. Religionen (Judentum, Christentum, Islam) vornehmlich die unverdiente Vergebung menschl. Sünden; in den Religionen ind. Herkunft in erster Linie die Erlösung aus dem ewigen Kreislauf der Wiedergeburten (Buddhismus). - Bezeichnet G. im A. T. die grundlose Auserwählung Israels zum Volk Gottes, so wird der Begriff im N. T. als Erlösungswerk Gottes in Jesus Christus auf die ganze Menschheit ausgedehnt. Nach Paulus ist Universalität der G. Gottes die Entsprechung zur Universalität der Sünde der Menschen (Röm. 5, 12-19), die grundlose unverdiente Rechtfertigung der Sünder ihre wichtigste Wirkung (Röm. 3, 21-30). - Theologiegeschichtlich sind bei der Entwicklung der G.-Lehre unterschiedl. Schwerpunkte gesetzt worden. Für die Kirchenväter des Ostens bedeutete G. vor allem Vergöttlichung des Menschen. Im lat. Westen trat - vermittelt über Augustinus - mehr das anthropolog. Problem von G. und Willensfreiheit in den Vordergrund des Interesses. Seit der Scholastik unterscheidet die kath. Theologie zw. der ungeschaffenen G. (gratia increata) als der G. Gottes und der geschaffenen G. (gratia creata) als den Gaben und Wirkungen, die die G. Gottes im Menschen zur Folge hat. Auf dieser Grundlage betonte das Konzil von Trient die Mitwirkung des Menschen als unerlässlich für seine Rechtfertigung. Luther griff in seiner G.-Auffassung unmittelbar auf den biblisch-paulin. G.-Begriff als der unverdienten Rechtfertigung der Sünder durch Gott zurück: Rechtfertigung erfolgt allein aus G. (sola gratia). Ausgeformt zur Rechtfertigungslehre ist dieses G.-Verständnis zum Charakteristikum reformator. Theologie geworden. (Glaube)
Literatur:
Greshake, G.: Geschenkte Freiheit. Einführung in die Gnadenlehre. Neuausg. Freiburg im Breisgau u. a. 1992.
Einführung in die Lehre von G. u. Rechtfertigung, Beiträge v. O. H. Pesch u. A. Peters. Darmstadt 31994.
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