Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Gletscher
Gletscher[von lat. glacies »Eis«] (österr. Kees oder Ferner, in Graubünden Woder, im Wallis Biegno, frz. Glacier, engl. Glacier, italien. Ghiacciaio, norweg. Brae, isländ. Jökull), Eisströme oder -felder, deren Nährgebiet (Eiszuwachs) in Firnfeldern oder -mulden der Hochgebirge und Polarländer oberhalb der Schneegrenze liegt, wo jährlich mehr Niederschlag in fester Form fällt als abschmilzt (Firn ); der unteren Grenze dieser Zone folgt das Zehrgebiet des G. (Eisabnahme). Das in vielen Sommer- und Winterschichten übereinander gelagerte, sich unter Druck plastisch verhaltende (»fließende«) Eis bewegt sich durch die Schwerkraft zw. den Talhängen bergabwärts. Die Geschwindigkeit schwankt (in den Alpen jährlich 40 bis 200 m, in O-Grönland bis mehrere km jährlich). Bei der Bewegung bilden sich die G.-Spalten, bis 40 m tief. Bis 100 m tief kann der Bergschrund werden, die bis über 30 m breite, das Firnfeld umziehende Spalte an der Grenze zw. bewegtem und am Fels festgefrorenem Eis. Die Abschmelzfuge zw. Fels und Firn heißt Randkluft. Über einem jäh abfallenden Untergrund entsteht der G.-Bruch, eine Eiskaskade von Blöcken, Zacken, Nadeln (Séracs), deren Trümmer wieder zusammenfrieren. Schützen Felsblöcke das darunter liegende Eis vor dem Abschmelzen, so entstehen G.-Tische. Die G. schmelzen oft erst weit unterhalb der Schneegrenze durch Abtauen von oben und durch zirkulierendes Schmelzwasser von unten. Dieses entströmt als G.-Bach (G.-Milch) der G.-Zunge, meist aus einer torähnl. Öffnung, dem G.-Tor (bis 40 m hoch). Man unterscheidet zwei Hauptarten der Vergletscherung: Inlandeis (Antarktis, Grönland), mit Vereisung ganzer Länder und Kontinente. Diesem ähnlich sind die Eiskappen oder Eisschilde (Spitzbergen) sowie die Plateau-G. (Norwegen, Island). Bei den Gebirgs-G. ist das Eis dem Relief untergeordnet; daher finden sich hier Sonderformen, wie Hang- oder Gehänge-G., Kar-G. und Tal-G. - Der Anteil der G. an der Gestaltung der Erdoberfläche ist beträchtlich, bes. haben die Glazialbildungen des Eiszeitalters weitere Glaziallandschaften geschaffen. - Die Gletscherkunde (Glaziologie) ist die Lehre von der Entstehung, den Formen, der Wirkung und Verbreitung des Eises auf der Erde. Durch ihre Untersuchungen ermöglicht sie Rückschlüsse auf die Verhältnisse während der Eiszeiten und die Entstehung der Glaziallandschaft (Moränen).
Literatur:
Marcinek, J.: G. der Erde. Thun u. a. 1985.
Röthlisberger, F. u. Geyh, M. A.: 10 000 Jahre Gletschergeschichte der Erde, 2 Tle. Aarau u. a. 1986.
G., Schnee u. Eis. Das Lexikon zur Glaziologie, Schnee- u. Lawinenforschung in der Schweiz, hg. v. der Gletscherkommission der Schweizerischen Akad. der Naturwiss.en u. a. Luzern 1993.
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