Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Gezeiten
Gezeiten (Tiden), period. Niveauschwankungen der festen Erdkruste, des Meeres und der Atmosphäre, die durch das Zusammenwirken der Anziehungskräfte zw. Erde, Mond und Sonne und der mit den Bewegungen dieser Himmelskörper verbundenen Fliehkräfte erzeugt werden.
1) G. des Meeres sind rhythm. Schwankungen des Meeresspiegels, auf dem größten Teil der Meere mit etwa 12- bis 13-stündiger Periode. Das Steigen des Wassers von Niedrigwasser zu Hochwasser heißt Flut, das Fallen Ebbe, die Dauer des Steigens Flut- oder Steigdauer, des Fallens Ebb- oder Falldauer; beide sind nicht gleich lang und ergeben zus. eine Tide. Der Höhenunterschied von Hoch- und Niedrigwasser heißt Tidenhub.
Bei der Bildung der G. überwiegt der Einfluss des Mondes; der Einfluss der Sonne macht sich v. a. in dem wechselnden G.-Hub bemerkbar. Stehen Mond und Sonne mit der Erde in einer Linie (bei Neu- und Vollmond), so bewirken ihre sich verstärkenden Kräfte hohe Hochwasser und niedrige Niedrigwasser, also einen großen G.-Hub (Springflut, Springtide); im ersten und letzten Mondviertel schwächen sich ihre Kräfte (Nipp-G., Nipptide). Hierzu kommen noch Einflüsse der Erdoberfläche (Winde, Wassertiefe usw.), sodass die G. örtlich ganz unterschiedlich ausgeprägt sind. Die G. verschieben sich von Tag zu Tag annähernd entsprechend der Kulmination des Mondes um etwa 50 Minuten.
Die mittleren Springtidenhübe betragen 11 cm in der Ostsee, bis zu 4 m an der dt. Nordseeküste, bis zu 11,5 m im Ärmelkanal (Bucht von Saint-Malo) und erreichen mit 10-14 m, maximal bis zu 21 m im Golf von Maine (Fundybai) die höchsten Werte im gesamten Weltmeer. Die Umkehr des G.-Stromes (das Kentern, mit Still- oder Stauwasser) tritt nur an der Küste ein; auf offener See wirkt sich die Richtungsänderung in einer Drehung der Stromrichtung (bei steigendem Wasser Flutstrom, bei fallendem Ebbstrom) aus. Die G.-Ströme erreichen in der Nordsee (Dt. Bucht) über 1 m/s, im Skjerstadfjord bei Bodø (N-Norwegen) 8 m/s (Höchstwert); bekannt ist der Malstrom . In Gezeitenkraftwerken wird die Energie der G. genutzt. Die große Bedeutung der G. für Schifffahrt, Wasserbauwesen u. a. macht eine G.-Vorhersage wichtig. Sie wird von hydrograph. Ämtern durchgeführt und in jährlich erscheinenden G.-Tafeln veröffentlicht.
2) Die G. der Atmosphäre sind v. a. sonnen-, aber auch mondbedingte Druckwellen. Unter ihnen ist die zwölfstündige Periode mit Minimum um 4 und 16, Maximum um 10 und 22 Uhr Ortszeit mit 1,5 hPa Amplitude in den Tropen stets, in Mitteleuropa mit 0,5 hPa nur bei stationärem Hochdruckwetter gut beobachtbar.
3) G. der festen Erde (Erd-G.): Auch der feste Erdkörper erfährt durch die Gravitationswirkung von Mond und Sonne eine Deformation, die in Äquatornähe 0,5 m in einer zwölfstündigen Periode erreichen kann. Überlagert wird dieser primäre Effekt durch Schollenverbiegungen, verursacht durch die Wassermassenverlagerung der Meeres-G., durch atmosphär. Druckschwankungen und thermisch bedingte Bodendeformationen.
Literatur:
Sager, G.: Mensch u. G. Wechselwirkungen in 2 Jahrtausenden. Köln 1988.
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