Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Gewissen
Gewissen,das persönl. Bewusstsein vom sittl. Wert oder Unwert des eigenen Verhaltens, die Fähigkeit der moral. Selbstbeurteilung.
Psychologie: Das G. entwickelt sich im Sozialisierungsprozess (Sozialisation) durch die Auseinandersetzung mit der Umwelt und deren Normen und Verhaltensregeln. Bis etwa zum 7. oder 8. Lebensjahr werden (elterl.) Vorschriften als Normen aufgenommen. Dann wird diese »heterogene Moral« (J. Piaget) von einer autonomen abgelöst; eigene Entscheidungsfähigkeit aufgrund selbstständiger Orientierung und erster Wertschemata (z. B. freiwillig angenommener Spielregeln) werden ausgebildet. In der Reifezeit vollzieht sich die eigentl. Distanzierung von bisher eingenommenen Verhaltensregulationen zugunsten eines normierenden personalen Bezugssystems. Die Psychoanalyse bezeichnet das Über-Ich als Repräsentanten des Gewissens.
G. in der christl. Theologie wurde als systemat. Lehre von der objektiven Richtschnur für das Handeln des Menschen und seiner subjektiven Entscheidung dazu von der Scholastik entwickelt. Die Bibel kennt keine Lehre vom G., beschreibt aber an vielen Stellen den Sachverhalt. Gott spricht den Menschen an und gibt ihm damit das Bewusstsein seiner Gebote und seiner Gnade. Im A. T. und im Sprachgebrauch Jesu steht für G. »das Herz des Menschen« (das gut oder böse sein kann). Paulus führt aus der spätantiken Popularphilosophie den Begriff Syneidesis ein, der dort die innere (göttl.) Stimme des Menschen beschreibt. Die späten Schriften des N. T. verbinden das gute G. mit dem Glauben und beschreiben damit das Wesen christl. Existenz (1. Tim. 1, 5). Nach der Lehre der Scholastiker verfügt der Mensch über sittl. Urgewissheiten und ist frei, sein konkretes Handeln im Einzelfall daran auszurichten. Luther lehnt die Annahme sittl. Urgewissheiten und freier menschl. Entscheidungsmöglichkeiten ab. Das menschl. G. ist für ihn Gefangener der Sünde, das allein durch seine Gebundenheit im Glauben frei wird zu entscheiden.
▣ Literatur:
Laun, A.: Das G. Oberste Norm sittl. Handelns. Eine krit. Analyse. Innsbruck u. a. 1984.
⃟ Fischer-Fabian, S.: Die Macht des G. Von Sokrates bis Sophie Scholl. Neuausg. Stuttgart u. a. 1988.
⃟ Foerster, H. von: Wissen u. G. Versuch einer Brücke. A. d. Amerikan. Frankfurt am Main 31996.
Gewissen,das persönl. Bewusstsein vom sittl. Wert oder Unwert des eigenen Verhaltens, die Fähigkeit der moral. Selbstbeurteilung.
Psychologie: Das G. entwickelt sich im Sozialisierungsprozess (Sozialisation) durch die Auseinandersetzung mit der Umwelt und deren Normen und Verhaltensregeln. Bis etwa zum 7. oder 8. Lebensjahr werden (elterl.) Vorschriften als Normen aufgenommen. Dann wird diese »heterogene Moral« (J. Piaget) von einer autonomen abgelöst; eigene Entscheidungsfähigkeit aufgrund selbstständiger Orientierung und erster Wertschemata (z. B. freiwillig angenommener Spielregeln) werden ausgebildet. In der Reifezeit vollzieht sich die eigentl. Distanzierung von bisher eingenommenen Verhaltensregulationen zugunsten eines normierenden personalen Bezugssystems. Die Psychoanalyse bezeichnet das Über-Ich als Repräsentanten des Gewissens.
G. in der christl. Theologie wurde als systemat. Lehre von der objektiven Richtschnur für das Handeln des Menschen und seiner subjektiven Entscheidung dazu von der Scholastik entwickelt. Die Bibel kennt keine Lehre vom G., beschreibt aber an vielen Stellen den Sachverhalt. Gott spricht den Menschen an und gibt ihm damit das Bewusstsein seiner Gebote und seiner Gnade. Im A. T. und im Sprachgebrauch Jesu steht für G. »das Herz des Menschen« (das gut oder böse sein kann). Paulus führt aus der spätantiken Popularphilosophie den Begriff Syneidesis ein, der dort die innere (göttl.) Stimme des Menschen beschreibt. Die späten Schriften des N. T. verbinden das gute G. mit dem Glauben und beschreiben damit das Wesen christl. Existenz (1. Tim. 1, 5). Nach der Lehre der Scholastiker verfügt der Mensch über sittl. Urgewissheiten und ist frei, sein konkretes Handeln im Einzelfall daran auszurichten. Luther lehnt die Annahme sittl. Urgewissheiten und freier menschl. Entscheidungsmöglichkeiten ab. Das menschl. G. ist für ihn Gefangener der Sünde, das allein durch seine Gebundenheit im Glauben frei wird zu entscheiden.
▣ Literatur:
Laun, A.: Das G. Oberste Norm sittl. Handelns. Eine krit. Analyse. Innsbruck u. a. 1984.
⃟ Fischer-Fabian, S.: Die Macht des G. Von Sokrates bis Sophie Scholl. Neuausg. Stuttgart u. a. 1988.
⃟ Foerster, H. von: Wissen u. G. Versuch einer Brücke. A. d. Amerikan. Frankfurt am Main 31996.