Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Gesundheitswesen
Gesundheitswesen,das System von Einrichtungen und Beschäftigten zur Erhaltung, Förderung oder Wiederherstellung der Gesundheit. Das G. gliedert sich im Wesentlichen in den ambulanten und stationären Sektor, den öffentl. Gesundheitsdienst und in weitere Dienstleistungsbereiche (u. a. Rettungsdienste) sowie in die Hersteller medizinisch wichtiger Produkte (pharmazeut. Ind., Gerätehersteller). Der stationären Versorgung dienen die Krankenhäuser, Rehabilitationseinrichtungen (einschließlich Kurkliniken) und Hochschulkliniken (auch für Ausbildung, Forschung und Lehre zuständig), die in Dtl. 1993 insgesamt 784 000 Betten zur Verfügung stellten. Bei den Akutkrankenhäusern sind die öffentl. Körperschaften (Kommunen, Länder, Bund) und die freigemeinnützigen Institutionen die größten Träger. Neben den Forschungseinrichtungen (Max-Planck-Inst., Dt. Krebsforschungszentrum u. a.) sind wesentl. Elemente des G. die Krankenkassen und Krankenversicherer (Träger der gesetzl. bzw. privaten Krankenversicherung), die Berufsgenossenschaften (Unfallversicherung) sowie die Landesversicherungsanstalten und die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (Rentenversicherung und Rehabilitation). Die gesetzl. Krankenversicherung (GKV) stellt ein grundlegendes Ordnungsprinzip für das G. dar. Andere Modelle sind das staatl. G., das durch Steuermittel finanziert wird und in dem i. d. R. staatl. Instanzen die Leistungen erbringen (z. B. in Großbritannien eingeführt von W. Beveridge of Tuggal) und das marktwirtschaftlich orientierte G. der USA, wo Selbstzahler oder privat versicherte Personen private Dienstleistungen in Anspruch nehmen.Mit 1,8 Mio. Beschäftigten und finanziellen Aufwendungen von 440 Mrd. DM (1993) in Dtl. besitzt das G. eine große volkswirtsch. Bedeutung. Für die Aufgaben des ambulanten und stationären Sektors kommt (mit Ausnahme der Krankenhausinvestitionen, die derzeit von den Ländern finanziert werden) die GKV auf. Für den ambulanten Sektor werden Leistungsspektrum und Vergütungsniveau zw. den Spitzenverbänden der niedergelassenen Ärzte und denen der Kassenverbände ausgehandelt. Die Vergütung erfolgt nicht unmittelbar durch die Patienten, sondern durch die Krankenkassen (Sachleistungsprinzip) und ist weitgehend leistungsbezogen (Einzelleistungsvergütung). Die Summe aller Leistungen ist durch ein Budget begrenzt (Gesamtvergütung). Im stationären Sektor wurde die bisherige Finanzierung durch Pflegesätze (die zw. den Kassenverbänden und den einzelnen Krankenhäusern ausgehandelt wurden) 1996 abgelöst von der Finanzierung durch Fallpauschalen und pauschalierte Sonderentgelte, Abteilungs- und Basispflegesätze. Dadurch soll die Vergütung stärker mit einzelwirtsch. Anreizen versehen werden.Die Gesamtverantwortung für das G. in Dtl. liegt bei Bund und Ländern, den Trägern der Gesundheitspolitik. Diese übertragen staatl. Aufgaben z. T. auf Körperschaften des öffentl. Rechts (Kassen, Rentenversicherer, Berufsgenossenschaften und kassenärztl. Vereinigungen) und räumen privaten Anbietern erhebl. Anteile an der Leistungserbringung und Produktion ein (Arztpraxen, pharmazeut. Ind., Apotheken, private oder privat-gemeinnützige Krankenhäuser, Hersteller medizin. Geräte). Die Struktur des G., dessen Grundlagen ab 1883 mit Einführung der einzelnen Zweige der Sozialversicherung geschaffen wurden, hat durch die Gesundheitsreformen der letzten Jahren wesentl. Änderungen erfahren. Die bis Anfang der 70er-Jahre dauernde Phase der Expansion des G. wurde 1977 mit dem Krankenversicherungs-Kostendämpfungs-Ges. der sozialliberalen Reg. und 1982 mit der Kostendämpfungspolitik durch die christlich-liberale Reg. fortgesetzt. Die damit angestrebte Begrenzung der Ausgaben in der Krankenversicherung wurde jedoch auch mit dem 1989 in Kraft getretenen Gesundheitsreform-Ges. nicht erreicht. Mit dem Gesundheitsstruktur-Ges. von 1993 wurde deshalb eine Organisationsreform des Kassenwesens durchgesetzt und die Vergütung im ambulanten und stationären Sektor umgestellt. Mit dem Beitragsentlastung-Ges. wurden 1997 weitere Kürzungen eingeführt (u. a. durch höhere Zuzahlungen bei Leistungen der GKV) und die Krankenkassen zu weiteren Sparmaßnahmen verpflichtet.Der große Leistungsumfang und die Reaktionsschnelligkeit, kombiniert mit den für alle sozialen Schichten relativ guten Zugangschancen zu den Einrichtungen des G., sind im internat. Vergleich herausragende Merkmale des G. in Dtl. Gleichzeitig wird aber häufig eine mangelnde Patienten- und Bevölkerungsorientierung kritisiert. Während einerseits die Krankenhausausgaben und z. T. die Arzneimittelpreise überdurchschnittlich gestiegen sind (»Kostenexplosion«), ist andererseits der Anteil der Ausgaben der GKV am Bruttoinlandsprodukt relativ stabil geblieben. Die gestiegenen GKV-Beitragssätze sind sowohl Reaktion auf den Ausgabenanstieg als auch Folge von Beitragsverlusten aufgrund der Arbeitslosigkeit.Seit Anfang der 90er-Jahre etabliert sich in der Gesundheitspolitik die »Public-Health-Forschung«, bei der Verfahren, Technologien und Arzneimittel auf Qualität, Wirksamkeit, Wirtschaftlichkeit, Patientenorientierung und soziale Verträglichkeit systematisch überprüft und bewertet werden. Wachsendes Interesse findet u. a. die Gesundheitsökonomie; sie beschäftigt sich mit den klassischen volkswirtschaftl. Problemstellungen, z. B. mit der Frage, wie die Produktionsfaktoren kombiniert werden müssen (Faktorallokation), um einen optimalen Nutzen im G. zu erreichen.
▣ Literatur:
Alber, J.: Das G. der Bundesrep. Dtl.. Frankfurt am Main u. a. 1992.
⃟ Wanek, V.: Machtverteilung im G. Frankfurt am Main 1994.
⃟ Beske, F. u. a.: Das G. in Dtl.. Struktur - Leistungen - Weiterentwicklung. Köln 21995.
▣ Literatur:
Alber, J.: Das G. der Bundesrep. Dtl.. Frankfurt am Main u. a. 1992.
⃟ Wanek, V.: Machtverteilung im G. Frankfurt am Main 1994.
⃟ Beske, F. u. a.: Das G. in Dtl.. Struktur - Leistungen - Weiterentwicklung. Köln 21995.