Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
französische Philosophie.
französische Philosophie.An ihrem Beginn steht die Frühscholastik der karoling. Hofschule des 9. Jh. in Paris, deren Höhepunkt Abälards Werke bezeichnen. Er erklärte, wirkl. Wissen gebe es nur vom Einzelding. Ihm entgegen betonte Bernhard von Clairvaux die myst. Schau als Quelle der Erkenntnis. Von seinen Gedanken war die Schule von St. Viktor beeinflusst, die sich neben der älteren, christlich-platon. Schule von Chartres herausbildete. In der Epoche der Hochscholastik (13. Jh.) erlangte die Pariser Univ. v. a. mit Albertus Magnus und Thomas von Aquin zentralen europ. Rang. Sie wurde Forum für die Auseinandersetzungen zwischen augustinisch-platon. Philosophie, dem Averroismus und der christlich beeinflussten Aristotelesauslegung. In der Nachfolge des herrschenden Nominalismus standen J. Buridan und Nikolaus von Oresme, die Vorläufer einer mechanist. Naturauffassung.Aus den Religionskämpfen des 16. Jh. ging eine neue philosoph. Haltung der Skepsis und Toleranz hervor, die ihren Hauptvertreter in M. de Montaigne fand. Die folgenreichste philosoph. Leistung des 17. Jh. waren der absolute Zweifel des R. Descartes, der erst vor der Unbezweifelbarkeit des Selbstbewusstseins und Gottes Halt machte, und seine hierauf aufbauende Zweisubstanzenlehre. Darüber hinaus wurde sein Denken nach dem Vorbild der mathemat. Wissenschaften für die europ. Philosophie bis zu I. Kant maßgebend. N. Malebranche und die Okkasionalisten bildeten seine Lehre weiter; P. Gassendi, der einen dynam. Mechanismus begründete, war sein bedeutendster Gegner. B. Pascal betonte - in Auseinandersetzung mit Descartes - die Grenzen der Vernunft und des mathemat. Wissenschaftsideals. Die konkrete tägl. Erfahrung und die Natur machte er zur Grundlage für das mathemat. Denken. Die »Logik der Vernunft« ergänzte er durch die »Logik des Herzens«.Die frz. Aufklärung entwickelte sich bis hin zu Sensualismus, radikalem Materialismus (J. O. de La Mettrie) und Atheismus. Hauptrepräsentanten waren P. Bayle und Voltaire, der sich an I. Newton und der Gesellschaftskritik J. Lockes orientierte, während La Mettrie das materialist. Weltbild von T. Hobbes übernahm. Nach engl. Vorbild schuf Montesquieu eine neue, auf dem Gedanken freiheitl. Verfassung beruhende Staatslehre (Gewaltenteilung). Die Enzyklopädisten, an ihrer Spitze D. Diderot und J. Le Rond d'Alembert, verbreiteten den Geist der Aufklärung über Frankreichs Grenzen hinaus. Gegen die Alleinherrschaft der Vernunft forderte schließlich der Genfer J.-J. Rousseau zur Rückkehr zu natürl. Menschlichkeit auf und entwickelte die radikaldemokrat. Lehre vom Gesellschaftsvertrag, die geistige Grundlage der Frz. Revolution wurde; ihre Philosophie im Geist des unbegrenzten Fortschritts der Menschheit entwarf M. J. A. de Condorcet. Die Gruppe der Ideologen (Destutt de Tracy, J. G. Cabanis [* 1757, ✝ 1808], P. P. Royer-Collard [* 1763, ✝ 1845]) radikalisierte den Sensualismus der Aufklärung. Aufklärung und Revolution folgte eine restaurative Staatsphilosophie (bes. J. M. de Maistre), der jedoch bald die frühsozialist. Gedanken von C. H. de Saint-Simon und P. J. Proudhon entgegentraten. Der psycholog. Ansatz F. P. Maine de Birans leitete über zum Spiritualismus, einer Hauptströmung der f. P. bis in die Gegenwart. Durch V. Cousin (* 1792, ✝ 1867) fand die dt. idealist. Philosophie in Frankreich Eingang. A. Comte wurde zu einem der Begründer des Positivismus. Vertreter des neukantian. Idealismus waren C. B. Renouvier und É. Boutroux (* 1845, ✝ 1921). H. Bergson kristallisierte ihre Gedanken zu einer vitalistisch-intuitionist. Philosophie, die den positivistisch-pragmatisch verengenden Strömungen entgegenstand.Gegen Bergson wandten sich die Neuthomisten J. Maritain und É. Gilson. Als Exponenten des frz. Existenzialismus (Existenzphilosophie) gelten J.-P. Sartre, M. Merleau-Ponty und A. Camus. Zu neuem Gemeinschaftsgefühl suchte G. Marcel durch einen christl. Existenzialismus, E. Mounier (* 1905, ✝ 1950) durch eine personalist. Philosophie zu führen. Der anthropolog. Strukturalismus von C. Lévi-Strauss wirkte auf die marxist. Richtung in der f. P. (L. Althusser). A. Glucksmann, B.-H. Lévy, J.-M. Benoist (* 1942) vertreten die Konzeption einer antimarxist., antiideolog., oft als »Nouvelle Philosophie« bezeichneten, gesellschaftlich-politisch orientierten Denkrichtung; die rechtskonservative »neue Rechte« repräsentiert A. de Benoist (* 1943). Geprägt durch die Hegelrezeption A. Kojèves und beeinflusst durch F. Nietzsche, setzten sich J. Lacan, M. Foucault, G. Deleuze, F. Guattari und J. Derrida mit Psychoanalyse, Psychiatrie und gesellschaftskrit. Theorien auseinander. Aus feminist. Perspektive, u. a. anknüpfend an Simone de Beauvoir, analysieren Élisabeth Badinter (* 1944) und Luce Irigaray kritisch die Philosophiegeschichte und entwerfen Modelle alternativer Ethik und Wissenschaft.
Literatur:
Sauer, E. F.: Frz. Philosophen von Descartes bis Sartre. Bonn 1976.
Altwegg, J. u. Schmidt, Aurel: Frz. Denker der Gegenwart. 20 Porträts. München 21988.
Taureck, B.: F. P. im 20. Jh. Analyse, Texte, Kommentare. Reinbek 1988.
Postmoderne u. Dekonstruktion. Texte frz. Philosophen der Gegenwart, hg. v. P. Engelmann. Stuttgart 1991, Nachdr. 1993.
Kühn, R.: Frz. Reflexions- u. Geistesphilosophie. Profile u. Analysen. Frankfurt am Main 1993.
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